In den ersten Sekunden dachte er nicht| barüber nach und hatte fein Gefühl von einem Unglüd. Aber ihre Hand war wun­derbar hübsch.

Ich bin eine ganze Woche in der Stadt gewesen, fuhr fie fort, aber ich habe Sie nicht gefehen. Doch, ich habe Sie einmal auf der Straße gefehen; irgend jemand sagte, daß Sie es feien. Sie sind so groß geworden. Er murmelte:

Ich wußte, daß Sie in der Stadt seien. Werden Sie lange hierbleiben?

Einige Tage. Nein, nich: lange. Ich muß

wieder nach Hause.

Ich danke Ihnen dafür, daß ich Sie be­grüßen durfte, sagte er

Pause.

Ja, ich habe mich übrigens hier wohl berirrt, fagie sie wieder. Ich wohne im Haus des Kammerherrn; welchen Weg muß ich da gehen?

Ich werde Sie begleiten, wenn ich darf. Sie gingen. Ist Otto daheim? fragte er, um etwas zu sagen.

Das Neujahr spricht Bergeßt ihn nicht, den tiefen Sang, Den jede eurer Stunden spricht: Euch ward der Tag zu hartem Zirang, Bergeblich mahnt das Sonnenlicht.

Wie ist die Nacht euch bleiernschwer Und wird von Sternen doch erhellt. Was träumt ihr dumpf, ein Riesenheer, Steht auf, erobert euch die Welt!

Denu jede Stunde, die verrinnt, War einst den Vätern zugewandt, Und was ihr heute nicht beginnt, Ist morgen unbebautes Land.

Bergeßt ihn nicht, den tiefen Sang: Wer säumt, ist um sein Glüd genarzt, Wer nicht mit seinen Tagen rang, Dem bleibt sie tot, die Gegenwart.

Bruno Schönlant.

Bon hundert Frauen. Legende von Henni Lehmann . Der liebe Gott hatte einen Nachmittags schlaf gehalten. Man konnte ihm das nicht ver­denken, denn er hatte vicl regiert, und das macht sogar den lieben Gott müde, und etwas bei Jahren ist er ohnehin auch schon. Als er erwachte, schidte er sich an, in den Paradies garten zu geben, um einmal nachzuſchauen, ob die Biumen während seines Schlafes auch tüch­tig weiter gewachsen wären, denn wenn der liebe Gott ſchläft, dann werden Blumen, Tiere und andere nicht selten nachlässig und faul und tun allerle: Dinge, die sie eigentlich nicht tun türsen, und unterlassen andere, die sie tun müßten. Aber er hatte noch nicht die große, schwere Gartentür aufgemacht es ist die, durch welche Adam und Eva damals hinaus­gejagt wurder und nicht wieder hineinkonnten - als von unten, von der Erde her, ein großes Rufen, Lärmen, Schelten, Knallen, Schreien, Stöhnen und Jammern an sein Ohr drang.

Was ist denn da los?" sagte ärgerlich der liebe Gott. Man kann auch nicht einmal ein twenig die Augen zutun, ohne daß sie gleich Dummheiten machen!"

Die Menschen spielen wieder einmal Arieg, lieber Gott," sagte der Erzengel Michael , der auf die Erde hinabgeschaut hatte.

2.

-

Ja, er ist daheim, antwortete fie furz. Aus einem Tor famen ein paar Män ner, sie trugen ein Klavier und versperrten den Gehsteig. Victoria wich nach links aus, fie lehnte fich ganz an ihren Begleiter. Johannes sah sie an.

Verzeihung, fagte fie.

Ein Gefühl der Wollust durchfuhr ihn be: dieser Berührung, einen Augenblid lang log ihr Atem auf feiner Wange.

Ich sehe, Sie tragen einen Ring, sagte er. Und er lächelte und fah gleichgültig aus. darf ich vielleicht Glück wünschen,

Was würde sie antworten? Er fah fie nicht an, aber er verhielt den Atem.

Und Sie? antwortete Victoria, haben Sie feinen Ring? Nein, nicht? Irgend jemand erzählt... Man hört jetzt so viel von Ihnen in diesen Tagen, es steht in der Zeitung.

Ich habe ein paar Gedichte geschrieben, gesehen. antwortete er. Aber Sie haben sie wohl nicht

War es nicht ein ganzes Buch? Mir Doch, es war ein kleines Buch.

ist so.

,, So, so, natürlich! Und welch Volk ist denn dabei?"

Diesmal sind es viele, lieber Gott . Es ift, als seien fie alle toll getvorden. Die von Often und Westen sind dabei, die Schwarzen und die Gelben. Sie sagen, fie müßten not wendig einen Krieg haben, und jedes Volt sagt, es selbst sei unschuldig daran, daß der Krieg gekommen sei, und die anderen trügen die Samid. Aber der Krieg müsse sein auf Erden. Ohne diesen ginge es nicht."

Wenn sie darüber einig sind, daß sie ihn haben müssen, warum ist denn zugleich solch ein Schreien und Jammern?" fragte der liebe Gott. Dann sollten sie zufrieden sein, daß fie haben, was sie wollen und für notwendig er­

achten."

,, Ach, es sind nur die Frauen, die den Lärm machen, lieber Gott," sagte der Erzengel , denn Michael war ein Frauenberächter, um die Wahrheit zu sagen. Und Frauen sind auch nie untereinander einig," setzte er hinzu.

Die Jungfrau Maria, die herangetreten war, schüttelte mit einem leisen Lächeln den Kopf.

Krieg, lieber Gott," sagte fic, und wenn sie ,, Befrage die Frauen einmal über den einig sind, so mag ihre Meinung Geltung haben."

Sie famen an einen Platz, sie hatte feine Eile, obwohl sie zu der Familie des Rammerherrn sollte, fie sette fich auf eine Bank. Er blicb vor ihr stehen.

Da reichte sie ihm plöblich die Hand und fagte.

Sehen Sie sich auch.

Und erst, als er sich gesetzt hatte, lick fie feine Hand los.

Jez: oder niemals! dachte er. Wieder versuchte er, einen scherzhaften und gleich gültigen Ton anzuschlagen, er lächelte, lah geradeaus in die Luft. Gut.

mir nicht einmal fagen. Mir, der daheim Soso, Sie sind verlobt und wollen es Ihr Nachbar ist.

Sie überlegte.

Das war es nicht gerade, worüber ich heute mit Ihnen sprechen wollte, antwoor Er wurde auf einmal ernst und sagte

tete fie.

leife:

Ja, ja, ich begreife es trotzdem gut. Pause.

Er fing wieder an:

( Fortsetzung folgt.)

Und der liebe Gott las, was auf dem ersten Lilienblatt geschrieben stand, das waren die Worte:

,, Kein Krieg darf sein in der Welt. Der Krieg ist Sünde von Anbeginn. Ich trug Leben in meinem Schoßze, das soll wiederum Leben geben, aber nicht Tod."

Danach nahm der liebe Gott das zweite Blatt und fand darauf geschrieben:

,, Kein Krieg darf sein in der Welt. Der Krieg ist Sünde von Anbeginn. Ich trug Leben in meinem Schoße, das soll wiederum Leben geben, aber nicht Tod."

Und er das dritte ansah, siehe, da stand eben dasselbe darauf, und also auch auf dem vierten Blatte, und zeigten alle die hundert Lilienblätter die gleichen Worte geschrieben mit dem Silberstift:

Kein Krieg darf sein in der Welt. Der Krieg ist Sünde von Anbeginn..." und so fort und hatten alle Frauen das gleiche ge­schrieben, und wußte doch keine, was die andere schrieb.

-

Da sprach der liebe Gott mit starter Stimme zu seinen Engeln:

schen, denn das ist die Wahrheit." So geht hin und verkündet es den Men

Und die Engel taten also, doch die Men­fchen hörten nicht auf sie, und die Frauen auf Erden weinten wiederum.

Einst werden die Menschen zu Brüdern werden,

Dann sandte der liebe Gott hundert seiner Engel herab auf die Erde zu hundert Völkern, zu denen, die Kriege führten, und zu den an­deren, und er hieß die Engel hundert Frauen 800 DORO£ ÓÞRO§© AD& DE heraufbringen in den Himmel. Da diese nun oben waren, so führte die Jungfrau Maria eine jede von ihnen in eines der hundert gol­denen Himmelszimmer und gab einer jeden einen filbernen Stift und ein großes Blatt einer weißen Himmelslilie, und hieß fic, auf dies Blatt niederzuschreiben, was sie vom Kriege dächten, und ob er notwendig sei auf Erden. Danach schloß sie hinter jeder die Tür zu und wußte feine, was die andere schrieb

Am nächsten Tage aber fammelte die Jung­frau Maria die Lilienb. ter ein, auf denen eine Schrift mit dem Silberstift geschrieben stand, und brachte sie dem lieben Gott. Die Engel je­doch führten die hundert Frauen wieder auf die Erde hinab.

Zu Sicheln schmieden fie Schwert und Speer, Und Wahrheit, fein liebliches Märchen mehr,

Ist die Botschaft: Friede auf Erden!"

Paul Mochmann.