Ich packe den Galgen an

Von Paul Kéri.

Baul Réri, einer der glänzendsten ungarischen Journalisten, hat sich in der Revolutionszeit zum überzeugten Sozialdemokraten und opfermutigen Revolutionär entwidelt. Er mußte seine Wandlung zum Höheren entsetz lich büßen: ohne den Schatten eines Beweises wurde er wegen angeblicher Teilnahme an der Ermordung Stephan Tiszas zum Tode durch den Strang verurteilt. Drei Jahre faß er, in Ketten geschlagen, im Angesicht des Todes, in Horthys Gefängnis, von wo ihn die Austauschaktion der Sowjet­regierung errettete. Diese düstere Zeit steigt in der erschütternden Stizze, mit tünstlerischer Kraft gestaltet, empor. So im Frühjahr wurden wir schon zeitlich bei Tagesanbritch hinausgetrieben für je eine halbe Stunde Zum Spaziergang!" schnarrte und dröhnte durch die verschlossene Stille die wichtigtuerische, dummverruchte Stimme und Schlüssel rajjelten und der Reihe nach sprangen die Türen auf.

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der Gurgel.

Ich aber kümmere mich jeht nicht um die Bögel. Auf der rechten Seite unserer Spazier­runde ist ein langer niedriger Schuppen. Allerlei Werkzeuge, Wagen, alles mögliche werden in der Holzbude aufbewahrt. Ein Dielensenster des Schuppens war gestern geöffnet. Und da lugte etwas heraus... Ja, das Brett ist auch heute offen.

Am Grunde des Schuppens iſt es pech­schwarz. Nur wo das Dielensenster offen ist, dringt der Schein der niedrigen, aufgehenden Sonne hinein. Und dort an die Leffnung ge­lehnt, wärmt er sich an der Sonne. Schaut hin­aus durchs Fenster, fletscht die Zähne, als hätte er uns erblickt

Ich rannte an ihm vorbei. Aber ich bin gleich wieder da, fomme zu ihm zurüd. Und dann werde ich ihn fassen, an der Gurgel paden...

Innerhalb der Runde stehen die Justiz wächter mit aufgepflanztem Gewehr in gleicher vierschrötige, rohe Gesellen, lauter Flüchtlinge Entfernung. Draußen die Gendarmeriepofter, vierſchrötige, rohe Geſellen, lauter Flüchtlinge aus   Siebenbürgen, lauter Offiziersstellvertreter, aber ihre Charge, der schäbige silberne Streifen, tontit mag er nur auf ihre Fragen geschmiert jein? Kein einziger unter ihnen, an dessen Hand fein loin Menschenblut, kein Profetenblut klebte. Ich aber muß das grinsende Holz paden! Jetzt werde! ich ihn packen.

Eine Elfter fam geflogen und hackte die hartgefrorene Erde aus voller Kraft mit dem Schnabel. Ihr ausgespreizter Flügel glänzte filbevnschwarz, wie ein mächtiges emailliertes Kleinod in der Somme. Ich stürzte hin zu mei­nem grinsenden Feind

Zwei Schritt Entfernung!" freischte die wichtigtuerische, dummverruchte Stimme. Ja, ich war in meiner Aufregung zu weit voraus­gelaufen, jest war es nicht möglich. Aber er fonnte sich auch jetzt grinsend in seinem Fenster.

Warte nur, wart, du Zähnefletschender, du Lebensverzehrer, ich packe dich, ich rühre an dein. verfluchtes Holz, noch heute! Dein Holz mit den gejättigten Spänen, dein altes Holz, gesättigt mit Menschenleben, auf die du so stolz bist, wäh rend du dich im Sonnenschein wärmst!"

Jm Spaziergang, bei flüchtigen Be­gegnungen, durchs Fenster, durchs Rohr, das einst als Heizkörper diente und jetzt immer kalt ist, aber selbst leise Stimmen prächtig weiter­zubefördern vermag, mit Morsezeichen,   Gott weiß wie, durch die Luft, erfährt einer vom andern alles. So erfuhr ich denn, daß hier im Sammelgefängnis jener Galgen aufbewahrt ist, an dem Eugen Laszlo und Otto   Korvin endeten. Einer unserer Gefährten ziurmerte ihn, der im Gefängnis zum Zimmermann ausgebildet wor­den war. Man hieß ihn den Galgen zimmern, an den seine Genossen angeknüpft werden sollten. Und als ich ihn wieder erreichte, faßte ich Er ist schon draußen in   Rußland. Ist seither ausgetauscht worden. Das Hochgericht wurde ihn durch das geöffnete Fenster, padte ihn an nur zweimal benüßt, laut Vorschrift ist es nicht der Gurgel. Langsam sant er zurüd, der Wand mehr erlaubt. Als noch eine Ordnung in entlang, an die er sich gelehnt hatte, hinunter;  Ungarn herrschte, kam ein Galgen in das Kri- ins Dunkel; er verschwand minalmuseum. Jetzt aber hat man dieſen in die Rumpelkammer geworfen.

Fünf Uhr morgens im Frühjahr. Beißend frisch strahlte die schräge Sonne. Wie im rich­tigen Stallvich oder in den Kellergewächsen steigen bei Berührung des Frühlingsmorgens in uus Kräfte, Säfte und Gelüste auf, ein objekt­loses, überflüssiges Leben. Wind und Sonne wuschen auf einmal aus unseren Najen den Geruch des erwachenden Kerkers, des joeben verrichteten Kübelns", den Gestank der Not­durjikübel, mit denen wir, etwa hundert, der Reihe nach zu demselben scheußlichen Trog Und ich erblickte ihn während des Spazier­traten, um sie zu entleeren. Wie durch ein Wunder fiel plötzlich von uns dieser gewohnte ganges. Seit ich ihn nicht geschen hatte, be­Gestank ab, der, wie alles im Sterker, mit einem schäftigte er mich fortwährend, immer wieder säuerlichen Ekel behaftet ist, und wir atmeten fehrten meine Gedanken zu ihm zurück, er schwoll den berauschenden Frühlingsmorgen. Aber das in mir zu einer Persönlichkeit an und ich konnte Stallvich wird zumindest geschlachtet und darum es kaum erwarten, ihn heute wieder zu sehen. hinausgetrieben; wir. dagegen werden das strot­Wirklich schaute er zum Fenster heraus. sende Leben nach einer halben Stunde in die hatte eine grauschwarze Farbe, vielleicht war er Hoffnungslosigkeit zurücktragen, in die schlaffe mit etwas durchtränkt der war er eiwa nur Dede der grausamweißen vier Wände der vom Alter geschwärzt! Oben war sein Kopf Bellengruft, die das Leben nur zum Hohn be- schön abgerundet, seinen Körper fonnte ich in sucht... Wir freisen auf dem Weg um eine der ganzen Länge nicht sehen, denn er verlor grasbewachsene Runde, einzein, im Gänsemarsch. sich im Dämmerlicht des Schuppens, ich sah nur Wir beeilen uns, als hätten wir eitvas zu tun, den Oberteil, wie er sich in den Sonnenschein ein Ziel, das wir erreichen müssen. Die Kran hinauslehnte. Die zwei langen Kerben, die die fen halten es nicht aus, sie stellen sich mit Er zwei vollzogenen Hinrichtungen, quer durch sein laubnis beiseite... Ueber uns ziehen frei Besicht, verkündeten, waren schwärzer als sein übri­schende Krähen und ihr Flug verdüstert den ger Körper, die Kerben grinsten hämisch. Und Himmel. Eine Legion Krähen, vielleicht mehrere der Eisenhaken oberhalb der Kerben war seine Tausend. Jeden Morgen, genau um diese Zeit, Nase, lang gestülpt- wie die des Totenkopfes. machen sie sich von den Bäumen des benach­

barten Friedhofs auf, wo sie niſten, und fahren hinein in die Stadt, zum Tagewerk. Bei Son­nenuntergang, immer genau um dieselbe Zeit, kehren sie aus der Stadt von der Arbeit zurück, mit wolfenverscheuchendem Flügelschlag, mit ab­scheulich leisendem Kreischen helfen fie der Sonne untergehen... Auch der Zeisig ist da auf der tahlen Tamariske; dreht den Kopf gleichmütig rechts und links, als fäße er nur aus Lange­weile dort; glaubt er alle Feinde gründlich ge­täuscht zu haben, so hüpft er plöblich um einige Zweige herab und verschwindet in einem Loch. Im Schnabel hat er einen Flaum, schon wird das verborgene Nest gebaut. Aber Mieze, meine Freundin, die in unvorsichtiger Dummheit auch jetzt unter meinem Fenster heult, weil ich ihr im geheimen oft Essen gab, lauert schon und reibt sich am Busch, wartet gespannt, wann das im Bau begriffene Nest mit wehrlosen Jungen für sie gefüllt wird.

Ich konnte kaum erwarten, im Rundgang wieder bei ihm anzufangen. Ich versuchte, auch die Gefährten auf ihn aufmerksam zu machen, doch sie verstanden meine Gesten nicht... Ob­wohl es mindestens acht bis zehn zum Tode Verurteilte unter uns gab...

Wieder kehrte die Runde zu ihm zurück, ich näherte mich ihm:

Also du hast zwei Menschenleben in dir, du verruchtes Holz, zwei verstümmelte Leben von Menschen, die ich beide gut gekannt hatte; einer von ihnen war so lange mein täglicher Gesell­schafter... Du hast sie verschlungen, gegen dein schwarzes Holz schlug ihr Körper an, als er in Todeskrämpfen zuckte! In dir ist die Berührung! Der Holzwurm, wenn er in dir nagt, stodt er nicht verwundert und fragt er nicht, was in die ist, denn es ist keine Spalte und kein Span, sondern menschliche Pein und Todesqual? Du grinst! Gib dein Geheimnis heraus, gib es heraus, du Grinsende!"

Sinein!" ertönte die wichtigtuerische, bumm verruchte Stimme. Der Spaziergang war zu Ende. I'm Tumult der Ausstellung hatte nie­mand eitvas bemerkt. Ich aber hielt meine Rechte weit weg vom Leib, als hätte ich etwas angerührt. Denn der Galgen fühlte sich warme an. Er war warm von der Sonne, die ihn an­gewärmt hatte. Ich aber hatte das Gefühl, als wäre er warm von den zwei Menschenleben, die er ausgesogen hatte, und diese Wärme machte mich noch lange schauern. ( Aus dem Ungarischen von Andreas Gaspar.)

Wir wollen nicht, daß ihr trinkt! Viktor   Adler an die sporttreibende Jugend

Darum fangen wir bei euch an, und darum sagen wir, ihr sollt gar nicht anfangen zu trin­fen. Gerade für euch ist es schwer, uns zu sol­gen. Es ist schwer für euch, weil es euch als ein Genuß hingestellt wird, sich einmal am Sonn­tag auszutoben. Ich sage nicht, daß die Welt, die heute herrscht, den Rausch aus Bosheit oder aus Berchnung in das eigene Volt hineinge­tragen hat, aber daß es eines der Zwangsmittel ist, euch zu unterdrücken und niederzuhalten. Die Arbeiter darf man nicht aufkommen lassen, das ist sicher. Den meisten von euch fehlt etwas, und da man euch nicht anders helfen will, was gibt es besseres, als daß man euch sagt: Glücklich ist, wer vergißt..." Trinkt ein paar Glas, dann erscheint euch die Weit schön; dann ver­geßt ihr euren Kummer.

Das ist aber gerade das, was wir nicht wollen. Wir wollen nicht, daß ihr die Augen schließt vor dem, was ist. Wir wollen abſolut nicht, daß ihr die Augen nur abwendet, von dem, was ist. Wir wollen euch nicht der Freude berauben, im Gegenteil; freudige und frohe Stunden, die ihr euch dadurch erwerbt, daß ihr die Augen offen haltet, daß ihr die Schönheiten der Welt genießet, daß ihr Sport treibt, folche frohe Stunden follt ihr so viel wie möglich haben.