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Die beiden haben uns nicht bemerkt. Still und bescheiden mit entgeisterten Zügen fletterten wir feitwärts wieder auf die Dorf Straße hinüber.

Mit der Mordgeschichte im Spessart war es wieder einmal Effig gewesen. Dieses: Stich mir mal ins Herz hieß auf gut deutsch : Stich mir mal Papier durchs Herz.

Seitdem habe ich über Geisterspuk- Mord- I geworden, aber den Schirm spannt niemand geschichten meine besondere Auffassung und das auf. Die Leute bleiben still, fie rühren sich nicht, wird mir jeder nachfühlen. ihr Blick weicht nicht von der Tafel.

Und wenn ich an stillen abgelegenen Dert­chen das bekannte Herz betrachte, fällt mir immer dieses flagende Stöhnen wieder ein: ,, Stich mir mal was durchs Herz..."

Der Tod Ferrers.

Von Jules Romains .

Die schönste Demonstration," sagte der erste Hasenarbeiter, die ich je gesehen habe, sand vor der spanischen Gesandtschaft statt nach dem Tode Ferrers. Jezt bin ich ja für Demonstrationen nicht mehr so eingenommen. Es fällt mir leichter, zu Hause zu bleiben. Ich habe auch nichts dafür übrig, einen Sieb abzut­bekommen, noch auch will ich auf dem Pflaster übernachten. Ich bin zu alt: Wenn ich jetzt Unannehmlichkeiten in Rauf nehmen soll, muß es der Mühe wert sein. Aber der Tod Ferrers, das hat mich gepadt. Werkwürdig, was? Ferrer, der Spanier, um den sollte man sich doch eigent lich nicht fümmern. Sind ja nicht unsere Zwie­belit. Also? Ich hab' meinen Zorn nach einer Woche noch nicht verwunden gehabt. Man schluckt ja nicht alles. Zwar ereignen sich ja jeden Tag Dinge, die einen antidern. Aber man gewöhnt sich daran. Wollte man alles gleich tragisch nehmen, man müßte ja in Blut erstiden. Ja, ich komme auf die Sache zurüd. Hätten sie ihn nur eingesperrt, hätten sie ihn nur deportiert, vielleicht hätte das bei uns niemand auch nur bemerkt. Aber einen Men­schen erschießen, weil er sich feine eigenen Ge­danken macht! Im 20. Jahrhundert! Einen gleich umzubringen zum Henker damit!"

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Die spanische Gesandtschaft, die ist wohl

am Boulevard de Courcelles?"

landet. Ich fiel gegen den eisernen Rollballen eines Ladens. Und ich schrie. In ganz Europa gab es zu dieser Stunde Lente, die schrien und sich wie toll gebärdeten, weil man Ferrer ge­tötet hatte. Man stieß mit aller Kraft vor wärts, um die Kordons zu durchbrechen. Die Polypen hätten blank ziehen können, sie hätten schießen können, man wäre nicht zurückgewichen. Sie verhinderten uns, vorwärts zu kommen, aber unsere Schreie passierten trotzdem. Der Gesandte war vielleicht gerade dabei, in seinem Salon mit Freunden und Bekanntschaften sich zu unterhalten. Huhu! Mörder!" Ich glaube, daß ihm die Kaffeeschale aus der Hand fiel."

Jch," sagte Benin , ich war an Ferrers Todestag nicht in Paris . Jch war in Brest . Ich hatte früh Mittag gegessen. In irgendeiner Kneipe neben dem Theater. Und ich ging dann spazieren. Es gab damals in Brest ein Geschäft, eine Wechselstube, glaube ich, an einer Straßen­ede, wo auf einer kleinen Tafel am Abend immer die neuesten Telegramme ausgehängt wurden.

Gegen halb sieben kam ich, wie gewöhnlich, in diese Gegend. Ein paar belanglose Nach richten prangten auf der Kleinen Tafel. Man fonnte ja auf weitere Nachrichten warten, aber es war nicht der Mühe wert. Wenn die Tafel vollgeschrieben war, gab es einfach keine neuen Merkwürdig, daß die Anzahl der bemerkens Mitteilungen mehr. Manchmal dachte ich mir: werten täglichen Weltereignisse gerade dem Raum dieser fleinen Tafel entspricht!"

Ja, ich glaube. Ich bin da mitmarschiert, mit den anderen. Zuerst gingen wir unter dem Viadukt der Stadtbahn. Picot wollte eine Runde zahlen, aber kein Mensch dachte daran. Alle diese Kerle von der Place Pigalle und von Aber in Brest hat man ebensowenig wie der Moulin Rouge- Sette, sie ließen sich nicht in vielen anderen Städten die Auswahl zwi­hindern, da mitzutun. Daß man einen Menschen fünfzig Spazierwegen und wenn man da schen erschießt, vollkommen ohne Ursache- du eine Wagenspur entdeckt, kann man froh sein, glaubst, daß sie sich den Teufel darum scheren? ihr nachgehen zu dürfen. Man erspart sich da Zwar Schmusfinken gibt's genug auf der Erde. eine überflüssige Anstrengung der Phantasie. Die find schlimmer als alles. Da ist mir ein Ich machte also nach dem Nachtmahl denselben Pfaffe lieber. Wen man sich da durch einen Weg wie vorher guten Griff auf die Beine helfen könnte, finge ich gleich bei ihnen an. Was, Raßentod, glaubst bu nicht, daß ich sie mit Saut und Saaren freffe?"

,, War wohl am Abend?..."

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Ja, es war so dunkel, daß ich glaube, die Gasflammen haben nie so matten Glanz gehabt Merkwürdige Sachen das! Besonders als wir auf die Avenue de Villiers kamen, dort unten. Es war finster von Letten, das Licht war ein fach aufgefressen, hätte man sagen können."

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So viele waren's?.

Ein halbes Duvend Leute steht vor der Wechsel­Ich komme da also an diese Straßenede. tube und wie Ameisenscharen laufen über die

Tafel die alten Nachrichten.

Zwei oder drei Minuten bleibe ich stehen,

nur weil ich keine Luft hatte, weiterzugehen. Kreuzung die arme Gaslaterne sah aus wie ein Es wurde dunkel, die Luft war feucht, an der

Bettler.

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Plözlich Rud; ein junger Mann kommt aus der Wech­geht durch die Menschen ein selstube, feinen Zettel in der einen, den Nagel

Der junge Mann war hineingegangen und die Wechselstube gab kein Lebenszeichen mehr. Man würde gewiß nichts ntehr plakatieren. Aber wir erwarteten ja auch nichts anderes. Es waren da sechs Worte aufgeschrieben wor­den auf zwei Zeilen.

FERRER ZUM TODE VERURTEILT UND auf der ersten Zeile,

ERSCHOSSEN allein, auf der zweiten.

Das genügte uns. Wir nahmen diese sechs Worte in uns auf. Sie drangen in unser J neres ein, fie fanten darin langsam zur Wir fung wie eine Arznei.

Die Leute wechselten nicht; ich fühlte mich nicht mehr vorwärts gestoßen; ich hatte intater die gleichen Nachbarn. Einen Augenblick griff ich an meinen Hut; die Krempe war von Regen durchnäßt.

Am übernächsten Tag ging ich am Abend durch die Rue de Siam. Ich bemerkte vor einem Laden eine kleine Ansammling, zehn Menschen etwa. Einem Händler mit spanischen Südfrüchten gehörte der Laden. Der Händler und ein Matrose hatten miteinander zu streiten begonnen. Ich glaubte zu verstehen, daß es sich um eine englische Münze handelt, die der Händ ler zurückwies, nud zu deren Annahme ihn der Matroje zwingen wollte. Der eine und der andere radebrechten Französisch, jeder auf seine Art, man verstand nicht allzu viel und ich glaube, daß auch die beiden einander nur halb berstanden.

Plößlich vergrößert sich die Ansammlung, verdoppelt, verdreifacht im Augenblid. Die Straße war voll, die Tramway gibt ununter­brochen Signal, man fümmert sich nicht darum.

Und plöglich beginnt diese Menge zu mur­ren, ganz verschwommen zuerst. Aber nach und nach wird der Lärm stärker und deutlicher: " Ferrer!" Auch ich schreie. Wir waren alle ers Ferrer! Ferrer!" die ganze Masse schreit: füllt von einem traurigen Zorn, ebenso viel Zorn als Trauer. Wir hätten den Toten rächen mögen, aber wir riefen ihn an zu gleicher Zeit. Die Menge rief: Ferrer! Ferrer!"

Und dann mußte man fich irgendwie trösten. Ein Stoß trieb uns gegen die Borde des Ladens. Schon krachten die Körbe, wichen die Bretter dent Ansturm. Der Spanier auf der Schwelle- ein gedrungener, fleischiger

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Mensch mit fugeligen Augen in einem oliven­erschreckt. Er begriff nichts von dem, was wit farbenen Gesicht betrachtet uns verdust und ihn vorging. Mit dünner, keifender Stimme, die er mit lebhaften Geften unterstrich, schrie er:

,, Aber doch genommen Münze, fremde! Ge­

nommen! Da ist!"

"

Es lebe Francisco Ferrer , der gemordet

rer!" und trieb vorwärts. Und da begriff der Die Menge hörte nicht auf: Ferrer! Fer­Händler, ein Licht ging über sein Gesicht und durch Gebärden bat er, daß man ihn anhöre. Ruhe!" brüllte es in der Menge. Die Men­fchen beruhigten sich. Der Spanier hebt die ,, Wir versuchten durchzukommten, aber es dazu in der anderen Hand. Er stellt sich vor die rechte Hand und mit starker Stimme: war numöglich, weil die Polizei die Wege Tafel und inspiziert sie, als ob er eine lette sperrte. Picot hatte uns falsch geführt. Was freie Ede suchte. Dann geht er in den Laden sperrte. Picot hatte uns falsch geführt. Was zurück und konnt mit einem Schwamm zu sollte das dem Gesandten schon machen, diese rück. Die Leute drängen sich schon heran; plöh leeren Straßen rings um sein Haus einmal ein Wagen!- und dahinter, rings- lidh spürt man, wie die Erwartung groß wird. Der junge Mann löscht alle Nachrichten von oben bis unten aus. Und dann hebt er ein Stück Kreide, schreibt schnell Großbuchstaben, man lieft:

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nicht

herumt, Kilometer von wütendent Volk. Huhu! Mörder! Mörder! Hoch Ferrer! Es lebe Ferrer!" Wiewohl wir ihn ja nicht auferstehen lassen konnten. Aber man wollte es den Spa­niern zeigen, daß man einen Menschen nicht zwischen zwei Fingern zerbrüdt wie eine Paus. Die Polizei drückte uns von Gasse zit Gasse. Schließlich war ich in einer Art Sackgasse ge­

FERRER ZUM TODE VERURTEILT UND ERSCHOSSEN.

Kein Hauch, niemand hat sich gerührt. Die Feuchtigkeit der Luft ist zu einem feinen Regen

wurde!"

wendet er sich nach dem Laden um und gibt ein Lebhafter Beifall antwortet ihut. Dann Zeichen. Drei Jungen kommen gelaufen, braun wie Araber. Er stellt einen rechts, einen links neben sich, hebt ihre Mühen in die Luft und fagt zu ihnen:

rächen!"

Ruft: Wir werden Francisco Ferrer Und die Kinder heben die rechte Hand und schreien:

Wir werden Francisco Ferrer rächen!"