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Die Postkarte.
Mit einem tiefen Seufzer nahm die alte Frau Dobelhauser das Marktnet vom Küchenhaken, zählte noch einmal die paar schmutzigen Papierscheine nach und schlürfte den engen, dunklen Gang zur Treppe. Dabei warf sie einen bekümmerten Blid auf die Kammertür, hinter der ihre Liesel schlief.
Die Liefel gefiel ihr nicht mehr. Was hatte das Mädel nur? Früher war sie immer so lustig gewesen, hatte geschwatzt wie eine Elster, wußte immer eine Menge Spafsiges aus dem Geschäft, von den Chefs und Kollegen zu erzählen - und jetzt war sie immer brummig und beantwortete jede Frage der Mutter mit einem fnurrenden: ,, Was soll denn im Geschäft sein? Fad is halt!" Früher war die Liesel schon um sechs aus den Kissen gesprungen, half der Alten beim Kaffeekochen, besprach mit ihr die Haus haltungssorgen jetzt lag sie bis zum letzten Augenblick im Bett, fleidete sich haftig an, stürzte den Kaffee hinunter und lief ohne rich tigen Abschiedsgruß davon, kam unpünktlich zum fargen Mittagessen und Abendbrot, ja, manchmal blieb sie ganz weg.
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Was hatte das Mädet?
Die alte Dobelhauferin ahnte wohl, was die Liesel haben mocht. Aber sie wollte dieser Ahnung nicht glauben. Mein Gott, menn die Liefel einen Schat hatte, dann konnte sie es ihrer Mutter doch jagen! Wenn es ein ordentlicher Mensch war, der es ehrlich meinte, hätte sie gewiß nichts dagegen gehabt.
Als Frau Dobelhauser aus dem Hausior trippelte, begegnete ihr der Briefträger.
Grüß Gott, Mutter!!" sprach er sie heiter an. ,, Gut, daß ich Sie hier unten treff, da fann ich mir die vier Trepper ersparen. Da wär' eine Postkarte für die Liefel."
Die Alte betrachtete im Weitechumpein die Pojikarte. Hochwohlgeboren Fräulein Liesel Dobelhauser" stand auf der Vorderseite.
Mißtrauisch blinzelte die Alte die fremdartigen Schriftzeichen an.
Was wohl auf der Karte stehen mochte? Wenn sie nur wäßte, wer's ihr übersetzte. Nicht aus Neugier, nein, über solche Kindereien war fie längst hinaus, sondern zur Beruhigung ihrer Anast.
Sie starrte auf die Karie und stieß dabei wider einen jungen, eleganten Herrn.
„ Nanu, Xanthippchen",-meinte der schnoddrigheiter,„ rennen Sie nur nicht den Straßenverkehr um. Muß ja leloſſal wichtig sein, was Sie da so cifrig studieren?"
,, Ach", stotterte Mutter Dobelhauser, und nahm ihren ganzen Mut zusammen.„, ach, Sie fönnen mir einen großen Gefallen tun..."
,, Wieviel brauchen Sie denn?" spottete der fremde Mann.
„ Nein, nein, nicht das!" stieß die Alte er schrocken hervor.„ Sondern ich meine nur- ich möchte bloß könnten Sie mir nicht vorlesen was auf der Karte steht?"
,, Na, geben Sie mal her!" Der junge Mann nahm mit Wichtigkeit die Starte, las sie und lachic lant auf.„ Gehört der
Ihnen?" fragte er belustigt. Fran Dobelhauser wurde rot.„ Nein, nicht mir. Sondern... Ich hab' nämlich mein Zimmer vermietet... an ein junges Fräulein ..und weil der Briefträger gerade..."
,, a, bören Se mal, Sie sind ja' ne nette Bilanze! Die Briefschaften fremder Leute aus ipionieren? Ja, das macht ihr gern, ihr alten Drachen! So' ne Marke hatte ich auch mal als Hauswirtin! Hat aber nicht lange gedauert, die Herrlichkeit. Und dabei soll ich Ihnen noch he! sen? Nee, das machen wir nicht!"
Er ließ die bestürzte alte Frau stehen. Mutter Dobelhauser verspürte Gewissensbisse; das Wort Spion hatte sie getroffen. Aber ein Spion will doch stets etwas Böses, und sie wollte nur Gutes nein, ein Spion war sie nicht.
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Sie sprach einen diden, älteren Herrn an, der, beide Hände in den Taschen seines Pelzmantels versenkt, daherkam. Der zündete sich zunächst umständlich eine Zigarre an, dann nahm er großmütig die Karte, las sie, lachte noch einmal und lachte dröhnend.
Angstvoll blickte ihn die alte Frau an. Weshalb lachten nur alle Leute über diese Karte? Ist es so lustig, was darauf steht? Oder so entsetzlich?
,, Na", schmunzelte der Dice behäbig ,,, wer die Karte geschrieben hat, der soll sich auch sein Schulgeld wieder rausgeben lassen! Ein Bock nach dem andern! Schöne Schmiererei!"
I
Der Fremde lachte. Frau Dobelhauser drückte ihm dankbar die Hand. Sie kannte ihn erst zwei Minuten, und doch hatte sie ein un begrenztes Vertrauen zu ihm. Vergnügt trippelte Mutter Dobelhauser weiter.
Der Fremde sah ihr nach, bis sie um die Ecke verschwand. Dann wiegte er nachdenklich den Kopf und murmelte:„ Armes Alterchen!"
Er rief sich den Inhalt der Postkarte ins Gedächtnis zurüd, der gelautet hatte:„ Süßes, geliebtes Huhn! Also, es bleibt dabei: Sonntag nachmittag, sechs Uhr, Kintopp und dann Fortsehung auf meiner Bude.
Ich kann's gar nicht erwarten bis dahin. Bringe Zigaretten mit, Schokolade und Wein besorge ich selbst. Wenn Dich das alte, verrückte Reptil nicht fortlassen will, fohle ihr vor, Dein Chef hätte Dir ein Theaterbillett geschenkt. Der Teufel hole alle alten Drachen!
Hunderttausend heiße Küsse. Dein Friz. Wenn die Alte frech wird, dann ziehe aus! Nur nichts gefallen lassen! Du bist viel zu hübsch dazu!"
,, Was steht denn drauf?" wagte Frau Do- ,, Verdammte Göre!" wetterte der alte Herr belhauser zu fragen. in sich hinein. Ihm war recht unbehaglich zu„ Nichts für Sie, Mütterchen! Da sind Sie mute; er wußte nicht, hatte er mit seiner Lüge noch viel zu jung dazu!" ein gutes Werf getan oder ein sehr schlimmes.
Ja, aber ich möchte doch... ich bitte Sie doch bloß..."
„ Nein, nein Berehrteſte! Das lassen Sie Originelle Grabinschriften.
sich verforkjen von wem Sie wollen, ich verlege grundsätzlich keine Briefgeheimnisse. Als Geschäftsmann läßt man die Finger von so etwas. Uebrigens bin ich verheiratet. Verstehen Sie?"
Die alte Dobelhauserin fühlte sich an die Stirn, das Marktnes entfiel ihren zitternden Händen, und plötzlich brach sie in krampshaftes Weinen aus.
„ Na, na, Mütterchen?" hörte sie sich angeredet. So in Tränen aufgelöst? Hat Ihnen wer was angetan?" erkundigte sich der Herr. ,, Dann sagen Sie mir's ungeniert! Wir Alten, Abgetakelten müssen uns solidarisch fühlen. Nich: wahr?"
Frau Dobelhauser wußte nicht, was solidarisch" bedeutet, aber sie empfand erwärmend, daß dieser Fremde es gut mit ihr meinte.
So wagte sie es, ihre Bitte um Entzifferung der Karte zu stottern.
,, Gehen wir weiter“, sagte der Herr, im Gehen spricht sich's leichter."
Er las die Karte. Keine Miene verriet, was er sich beim Lesen dachte. Frau Dobelhauser beobachtete ihn genau.
„ Das ist wohl Ihre Tochter?" fragte er, eine Weile, mit der Karte spielend. „ Ja, die Liefel"
„ Haben Sie noch mehr Töchter?" ,, Nur die eine."
„ Sie ist wohl im Geschäft?" " Steht das auf der Karte?" fragte Frau Dobelhauser erleichtert.
„ Nicht eigentlich!" lächelte der Fremde. „ Aber ich habe mir das so zusammengereimt." ,, Aber was steht denn darauf?" beschwor ihn Mutter Dobelhauser.„ Ach Gott, niemand will mir's sagen."
Der fremde Herr sah sie fröhlich an. Sie werden doch nicht etwa wegen dieſer harmlosen Karte geweint haben? Aber Frauchen! Wie fann man nur so mißtrauisch sein? Es steht gar nichts darauf als:„ Von einem vergnügten Ausflug senden ihrer lieben Kollegin die herzlichsten Grüße- o web, jest ist mir die Karte in den Kanaischacht gefallen!"
„ Das ist aber unangenehm!" erschrak die Alte.
,, Davon geht die Welt auch nicht unter. Tun Sie halt, als wäre die Karte verloren gegangen. Shne ein bißchen Lüge komm: man nicht durch die Welt. In der Jugend lügt man für sich selbst und im Alter für die andern!"
Von Ernst Edgar Reimerdes.
Schon in den ältesten Zeiten war es üblich, die Grabmonumente mit Inschriften zu versehen, die außer Namen, Beruf, Titel, Geburtsund Sterbetag allerlei Einzelheiten aus dem Leben des Verstorbenen enthielten; weitschweifige, schwülstige Ergüsse in Proja und Poesie über gute und schlechte Eigenschaften des Toten. Der unfreiwillige Humor spielt in diesen Grabinschriften eine bedeutende Rolle. Zweifellos sind fie in den meisten Fällen durchaus ernst gemeint gewesen, manchmal aber lacht uns der Schalt aus den häufig recht unbeholfenen Bersen an und trotz der ernsten Mahnung des Memento mori , über Tod und Tränen hinweg bricht der Humor sich Bahn, wie z. B. in dem Vers, welchen man dem 1516 in Lübeck verstorbenen, in der dortigen Marienkirche beigesetzten Ratsherrn Hans Kerkering auf den Grabstein jezte: Hierunner liggt Hans Kerkering de scheev uv sine Föte ging; o Herr, mak em de Beene glit, un helv em in din Himmetrik. Du letſt de Schaave to di nah'n, lat dissen Buck man ok mit gah'n."- In der Gegend von Greifswald hat eine Gemeinde ihrem Geistlichen folgenden finnigen Vers gewidmet:„ Den Pfarrer Sedulim verschlichet dieses Grab; Gott, gib den Schlummer ihm, den er den Hörern gab!"- Auf dem Grabe Stuckarts in Petersburg bei Hersfeld in Hessen ist folgende Inschrift zu lesen:„ Gott jaß auf seinem Thron und sprach zu seinem Sohn: Steh' von deinem Size auf und laß den sel'gen Stuckart drauf."- In der Gegend von Verden befindet sich auf einem Dorffriedhof ein Grabstein mit dem Vers:„ Sier ligget use Olen. Wi hebbt se di, Gott, befohlen, du hest se in din' Raft, hol du se jo fast. Wenn se scholen wedder uvſtaan, möten wi von Huse und Hofe gaan.“— Einem Bauern J. G. Märkel, der auf dem Friedhof von Doberan seine Ruhestätte fand, widmete man nachstehende Grabinschrift:„ Hier ruhet Johann Gottlieb Märkel, in fine Jugend was hei'n Ferkel, in sin Deller was hei'n Swien. mein Gott, wat mag hei nu wohl sinn."-Dem ebenfalls in Doberan beigesetzten mecklenbur gischen Edelmann Heinrich von Bülow , der ein allzu großer Verehrer von Kalter Schale, dem Nationalgetränk seines Heimatlandes, gewesen ist, schrieb man folgenden Vers auf den Grab stein: Wief( weiche), Düwel, wiek! Wiek wiet von mi! Jd scher mi nicht en Hoor üm di. Jd