Feierabend
Feierabe
Mr. 47.
I.
Unterhaltungsbeilage.
Der Wolkenkraßer.
Zum erstenmal las Petrusia von Woltenfraßern in einer russischen Zeitung, als er noch ein kleiner Junge war. Damals lebte jein Vater noch, der Schneider Michailo Zygan. Sie lebten in einem kleinen Sädichen des Gouvernements X. und fürchteten sich vor allem: vor dem Pristav von der Polizei, vor der Cholera, vor dem S'enerein nehmer, vor der Volkszählung und vor dem nenen Ingenieur. Und sie litten oft argen Hunger.
Betrufias Schwester Mariuschka starb jung, noch nicht zwanzig Jahre alt. Der Streisarzt Zitrowitsch, ein lieber, quter, aber sehr zerfahrener Mensch, behauptete, an der Schwindfucht.
Seitdem ging Michailo Zygan noch gebidier umher, und die Mutter seufzte noch mehr als früher.
Doch muß man ſagen, für die zweite Schwester, Oluschka war es ein Vorteil: sie batte jetzt mehr Platz beim Schlafen...
Bon Disip Dymow.
1927.
beruf und den Kopf voll Sorgen, an was in Dreißig Stockwerke! Sogar noch höher!" er unzähligen Flecken und Sädtchen solch läuterte Petrusia ganz begeistert. Ich hab armer Schluder stirbt, das kann eben fein in der Zeitung davon gelesen und habe sogar Mensch sagen. Es ist so, als wäre er eigent- ein Bild gesehen." lich gar nicht frank, man operiert ihn nicht, man zieht feine Profefforen zu Rate, aber mit einem Male, hast du nicht gesehen, stirbt er doch weg.
Er war ein guter Mensch, der Michailo 39gan," sagte der Krämer auf dem Heimwege von der Beerdigung.
"
Ja, wirklich er war ein guter Mensch," bestätigte der Schufter.
Ja, ja, ein richtiger guter Mensch," pflichtete ein anderer Schuster bei.
Petrusia, der Sohn dieses guien Menfchen, überlegte sich seine Lage ein paar Tage lang, dann entschied er: er müsse nach Amerifa gehen, dahin, wo die Wolkenkratzer sind.
Einen Monat später besuchte Petrusia den Dok or Zitrowitsch, der nicht wußte, woran arme Schluder sterben, obwohl er auf der Universiät studiert hatte. Er legte einen Silberrubel auf den Tisch und sagte:
„ Das ist für den Vater. Entschuldigen Sie schon! Ich fahre nämlich jetzt nach Amerifa!"
Betrujia wuchs auf und träum'e von Amerika . Denn im Städtchen wurde es immer enger. Die Leute erstickten fast. Sie Tonnten einfach nicht mehr leben. Es gab eine ,, Das ist doch aber zubiel," meinte Doffolche Unzahl von Schneidern, daß sie sämt- tor Zitrowitsch und wollte Petrujia auf feis fich in zerrissenen Hosen herumliefen. Schunen Silberrubel etwas herausgeben. ster, Weber, Krämer nahmen sich gegenseitig ,, Das ist gar nicht zuviel," en gegnete ben Verdienst weg und aßen nur einmal im Betrujia,„ es soll auch für die Schwester Monat Fleisch. fein."
,, Was für eine Schwester?" wunderte fich der Doktor.
Für die Mariuschka! Die vor vier Jahren gestorben ist," erklärte Petrusia.
Ach, habe ich die auch behandelt?" fragte der Dok or.
Betrusia dachte immer wieder an die Wolkenkratzer in dem freien, reichen Amerifa. Das Bild eines dreißigstödigen Hauses hatte sich fest in sein findliches Hirn eingegraben. Allmählich kam er so weit, daß er fich einbildete, er habe dieses riesige Haus ivirklich gesehen, er habe sogar mal in ihm„ Wer sonst? Natürlich Sie..." gewohnt er fonnte sich nur nicht entsin- Der Doktor gab ihm recht, daß für zwei nen, wann eigentlich. Die gesamte Bevölke- von ihm furierie Menschen Vater und rung seines Heimatstädtchens hätte bequem Tochter ein Rubel nicht zuviel fet und tat in den Zimmern dieses Hauses untergebrach: das Geld fort. werden fönnen, dachte der junge Petrusia, Ich fahre jetzt mit meiner anderen und es wären immer noch ein paar Woh- Schwester, der Oluschta, nach Amerika . Denn nungen in den oberen Stockwerken freigebliebent.
Der Vater starb. Doktor Zitrowitsch fagte nicht, woran. Er wußte es tatsächlich nicht, obwohl er doch auf der Universität stu diert hatte. An was ein Mensch stirbt, der Frau und Kinder hat und einen Hunger
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bierzubleiben, enischuldigen Sie schon, ist ganz ausgeschlossen. Das Leben ist zu übel hier. Ta drüben kann man ein richtiger Mensch werden. Da gibt es Wolfenkratzer."
staunt.
Was gibt's da?" fragte der Dof.or er
,, Wolkenkrager. Ja. Ganz hohe Häuser.
,, Na, na," brummelte der Doktor und
schüttelte den Kopf,„ vieviel Stockwerke sagst du?"
Dreißig!" wiederholic Petrusia wie ,, Uch ist das aber hoch!"
verziet.
II.
Drei Monate später waren Beirujia und Oluschta schon in New York und wieder einen Monat später merften sie, daß es doch nicht ganz so leicht war, ein richtiger Mensch zu werden in Amerifa. O, was sie alles zu ertragen hatten! Und vor allem immer muß en jie den Mund halten. die Zähne zu sammenbeißen, ein faltes Geficht machen und schweigen. Früh aufstehen, von einem Ende der Stadt nach dem andern rennen, immer wieder Absagen anhören und ſtill ſein dazu!
Die Wolkenkraber von zwanzig und dreißig Stockwerken waren zwar ganz nabe, jogar gleich nebenan, aber trotzdem so fern, wie sie ihm in Rußland gewesen waren. Als ob eine eiserne Wand das Viertel der Armen von der Gegend trennte, wo elegante Automobile heulten, wo schöne Frauen sorgenfrei und unbekümmert lebien und sauber rasierte Herren mit falten. egoistischen Augen.
Es wollte sich immer noch feine rechte Arbeit finden. Mit Sorge und Mitleid schaute Piotr auf seine Schwester Olla. Ein böses Leuchten glomm in ihren schönen Augen. Sein Herz frampfte sich schmerzhaft, wenn er ihr har'es Lachen hörte.
,, Worüber lachst du. Oluschta?" fragte
er. Ob das noch lange so weitergehen soll, möchte ich wissen! Du hast doch heute wieder nichts gegessen."
Ich habe ja Staffee getrunken." " Ich bin achtzehn Jahre alt. Mir tut der Rüden weh, weil ich den ganzen Tag frumm size und nähe. Nächsten Dienstag verliere ich meine Stelle. Was soll ich denn anfangen? Ich bin jung, ich will leben!"
Sie lachte böse und zuckte die Achseln. Es wurde Herbst, es wurde talt. Piotr lief immer noch in seinem dünnen Paletot