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Das Glück.
Von Thea Reimann.
Hast du viel, so wirst du bald Noch viel mehr dazu bekommen; Wenn du wenig haft, so wird Dir das Wenige noch genommen..." ($. Heine.)
I.
In einem jener Orte der italienischen Riviera, wo in den großen internationalen Hotels die Nichtstuer aller Länder sich von den Anstrengungen des Müßiggangs erholen und in den verfallenen Häusern des mittelalterlichen Teils das den Fremden so malerisch erscheinende füdliche Proletariat haust, geschah es eines Abends, daß im vornehmsten dieser Hotels ein nicht mehr junger, glattrafierter und majjiger Amerikaner, Mr. Bird, aufs Podium sprang, dem Primgeiger das Instrument aus den Händen nahm und zum Ergößen seiner Tischgesellschaft temperamentvoll den Charleston weiter spielte. Damit nicht genug, begab sich Mr. Bird, der sich fern der Heimat über die strengen Gesetze seines Landes ausgiebig mit Seft und Codtails zu trösten gesucht hatte, schwankend unter die Tanzenden und geigte und ſteppte jo lange, bis er ausglitt, schwer aufs Parkett schlug und den Resonanzboden der Geige zertrümmerte.
Peinlich.
ch jorge natürlich für Erjay..." jagte Mr. Bird, als er sich weniger temperamentvoll erhob.
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II.
In einem der verfallenen Häufer hingegen stellte die Frau des Arbeiters Zanolli fest, daß
Mutter wollte fie schon immer verkaufen. Aber es find feine Saiten darauf, und sie sieht nicht fehr schön aus..."
Bird.
Herr Molinari nahm Rücksprache mit Mr.
,, Macht nichts. Hol' fie!" war das Ergebnis. fläglichen blauen Wollsädchen zurüd, dem Herr Nach einer Weile lehrte Nina mit einem bare Geige entnahm. Molinari mit verlegenem Lächeln eine unschein
Schön ist sie freilich nicht..."
trat damit an die Ladentür. Er zudte leicht zu Mr. Bird sah sich das Instrument an und sammen. Unsicher blickte er sich um. Ob Dann sagte er, anscheinend gleichgültig: jemand seine Verwirrung bemerkt hatte?
Gut! Wieviel?" Die Meine:
,, Die Mutter fragt, ob 50 Lire au viel seien...
Mr. Bird gab hundert.
IV.
Es war wie seit Wochen: es hatte wieder teinen Lohn gegeben... Wenn Nina wenig ( tens die Geige loswürde!
Nina tam. Strahlend.
„ Ich habe 100 Lire dafür bekommen!" Die Mutter weinte vor Freude.
,, Welch ein Glücď!“
Alle bewunderten Ninas Tüchtigkeit. Man hatte jolange Not gelitten, ohne daran zu den fen, daß auf dem Boden in dem alten Woll
fädchen der Verdienst von einer ganzen Woche fteďte.
,, Und beinahe hätte ich das schäbige Ding zerhadt!" sagte der Vater.
Es wurde ausgerechnet, was man alles für 100 2ire fäufen konnte. Polentamehl, Del, Reibefäse und getrocknete Feigen wurden geholt, und der Bater konnte zum ersten Male feit langer Zeit sich sattessen.
,, Scht ihr, Großvater sagte manchmal, die Geige wird uns noch einmal Glüd bringen..."
V.
Zur selben Zeit schloß Mr. Bird vorsichtig jeine Hotelzimmertüre ab, padte behutsam die Geige aus, bestrich und beklopfte sie von allen lachte und benahm sich alles in allem wie ein Seiten, blidte immer wieder in die Schallöcher, harmloser Frrer.
Er buchstabierte, erst weiß, dann laut,` immer und immer wieder den Zettel im Inneren der Geige:
Antonivs Stradivarivs
Cremonensis
faciebat anno 1682.
Welch ein Glück! Ich halte eine Stradi vari in Händen, und sie gehört mir... mir ... und um feinen Preis der Welt gäbe ich sie wieder her... am allerwenigsten für den Brimgeiger... Ich werde ihn einfach mit Geld abfinden..."
Nachdem Mr. Bird die Geige ebenso behujam weggeschlossen hatte und wie er wiegenden Schrittes, im Smoking, zum Speisejaal ging, dachte er:
Die Stradivari, die Sarasate spielte, hatte einen Wert von zirka einer halben Million Lire..."
Sie war es, die nach jeder Enttäuschung,
es nicht einmal mehr zu der färglichen Polenta Liebe geht durch den Magen sie ihn niederwarf, ſeine Hand faßte und mit
reichen würde, dem aus Maismehl und Wasser gefochten täglichen Brot" der Armen, wenn heute in der Fabrik wieder der Lohn ausbliebe. Sie waren seit zwei Monaten nicht bezahlt, die Arbeiter der berühmten Likör- und Schokoladen
fabrik. Wer nicht warten wollte, fonnte ja gehen. Aber was dann? Man mußte froh sein, wenn man überhaupt Arbeit hatte.
Zwei Monate sind eine lange Zeit, und der Kaufmann, der über die unergründlichen Säde schönen gelben Maismehls herrschte, verlor schließlich die Geduld und wollte nichts mehr auf Stredit geben. Fünf Kinder aber wollten effen.
Nicht, daß sie nur die Beine unter den Tisch gestellt hätten! Sie sahen sich nach Verdienst um, taten Botengänge, trugen Telegramme aus, wofür es, wenn es ein Gang über Land war, 3.50 Lire gab... Doch wozu reichte das?! ,, Nina, geh noch einmal zu Molinari und frage, ob etwas fortzuschaffen ist!"
Vielleicht, daß dort etwas abfiel... III.
In der ersten Zeit ihrer großen Verliebtheit, als er sie einmal gewaltsam an sich drückte, paſſierte es, daß sein Magen laut und herzlich
Inurrie.
Er war erschrocken, dachie:„ Lächerlich... und doch... gerade deshalb ist es ja... in dieſem Augenblick... so dumm."
jie,
Ein teuflisches Geschick!
Er sah sie an und lächelte gequält; da jag: e
ein bißchen überſtürzt, aber reſolut:„ Hör nur wie mir der Magen knurrt!"
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Er wollte envas sagen- man ist ja schließlich Manns genug-, aber sie füßte ihn, da mußte er ja schweigen.
In diesem Moment knurrte sein Magen wieder noch lauter als vorher.
Und sie? Sie fuhr mit der einen Hand, erschrocken tuend, nach dem eigenen Magen, strich mit der andern über sein Gesicht und sagte:„ Sörst du? Du hast mich doch zu sest gedrückt!" Dann sahen sie sich an und muß: en
Herr Molinari sprach gerade mit einem beide lachen. Fremden. Nina mußte warten.
Mr. Bird gab der Buchhandlung Molinari den Vorzug, weil er sich dort englisch verständer
lich machen fonnte.
„ Sagen Sie, Mr. Molinari, lönnen Sie mir umgehend eine Geige verschaffen? Eine gebrauchte. Nicht für mich. Mir ist gestern abends ein kleines Unglüd passiert. Ich muß eine Geige ersehen..."
Herr Molinari wendete sich auf Ita lienisch an seine Verkäuferin.
,, Wissen Sie vielleicht jemand, der eine gebrauchte Geige verkauft?"
Eine gebrauchte Geige?„ Bei uns auf dem Boden... dachte Nina, und sie sagte schüchtern:
„ Wir haben eine, Herr Molinari. Meine
Und er nahm ihr Gesicht in seine Hände. ,, Wie groß haft du mich heute lieb?" fragte und zeigte, wie oft im Scherz, mit beiden Händen eine kleine, dann eine große Entfernung an so oder so?"
Sie sagte:„ So groß wie die Welt!"
Es ging nicht gut in ihrem Leben.
Die Jahre waren verslogen über tausend Hoffnungen und Enttäuschungen hinweg Er hatte es zu nichts gebracht. Und war schon grau und müde. Aber was vor ihm lag war wohl noch schlimmer.
Er hatte nichts mehr zu erwarten- nur das Ende. Und feiner war bei ihm. Doch: sie.
ihrer tiefen, flangvollen Stimme jagte:„ Geh - wer wird denn gleich..."
Sie war es, die in seiner Gegenwart noch fröhlich war, wenn ihr die Tränen dicht im Halse jaßen.
Eines Tages war das Schlimme da. Es war so weit gekommen, daß sie nichts zu essen hatten. Er stand mit leeren Händen vor ihr da und sah sie an.
Sie fühlte, wenn sie diesmal aufrecht bleibe dann fann es wohl nicht schwer sein, auch das Letzte zu ertragen.
In diesem Augenblick inurrte ihr Magen so vernehmlich, daß der Mann erblažie und beide Hände vor die Augen hielt.- Da glitt ein unendlich zartes Lächeln über ihr Gesicht, und sie sagte:„ Ach... wie dein Magen fnurri!"
Die Erfindung des Zuchthäuslers.
Es sind schon über 25 Jahre her, daß der chemalige amerikanische Millionär M. Pebsendorfer feinen bösartigen Schwiegervater mit dem Beil erschlug. Ein Streit, ein Wortwechsel, ein Vergessen die Tat war geschehen! Ungeheure Aufregung. Sensation. Wochen sprachen die Menschen nur von dem Mord des Millionärs Pebsendorfer.
Das Gericht verurteilte ihn zum Tode. Nahm abjichtlichen und überlegten Mord an. Die Deffentlichkeit protestierte. Todesstrafe, vollzegen durch den Strang, denn damals gab es noch keinen elektrischen Stuhi, wurde in lebenslängliches Zuchthaus verwandelt.
So faß Pobjendorfer Jahr um Jahr im Zuchthaus. Lernie Tischler, wurde ein tüchtiger Handwerker. Wandte sich noch der Elektromechanit zu. Arbeitete... arbeitete...