Die unfachliche Liebe. Tagebuchgloffen eines Verliebten.
Von Rastignac.
Verfluchte Liebe! Ist es erlaubt, daß man in dieser großen Zeit der Sachlichkeit sich mit diejem veralteten Gefühl herumschlägt? Nachts nur wenig zu schlafen, einen dummen fleinen Namen in jeden Gedanken des Tages und der Arbeit zu mischen? Schämt man sich nicht vor dem Schnelltempo des Auto- Verkehrs der GroßStadt? Schämt man sich nicht vor den nüchtern flaren Glasfassaden der Warenhäuser, vor den dunkeln langgestreckten Fabriken in den BorStädten, vor den Lichtreklamen der Bergnügungsstätten? Schämt man sich nicht, von dem altmodischen Gefühlen„ Liebe" ergriffen zu fein? Berwirrt zu sein durch ein bachsteizen haftes Geschöpfchen, an dem die Augen noch das Größte sind?
Vor zwei Stunden habe ich die vorlegten brei Mark für ein Auto und den letzten Taler für zwei Kinobilletts ausgegeben. Jetzt reicht es nicht mehr für ein vernünftiges Abendeffen. Mein Vorfahre, mein Urfahre, der viel leicht Landsknecht unter Ludwig dem Frommen war, hättte zuerst gegessen und dann für ein Liebchen gesorgt.
Und diesen ungesunden Zuſtand nennt man Zivilisation!
Heute vormittag habe ich bereits viermal autelephoniert, ohne sie zu erreichen. Und ich haffe doch das Telephon.
Immer von unterwegs angerufen und Zeit verjäumi. Einmal ſtand ein junges Mädchen, einmal ein junger Mann vor mir und ließ mich warten. Nebenan in der Zelle hörte ich eine junge Frau fast weinend auf ihren Gatten einreden, mit dem sie scheinbar eine bedauerliche Eheverwidlung hatte...
Bei dieser Gelegenheit ist mir aufgefallen: wieviel Telephongespräche mögen wohl um der Liebe willen gepflegt, wieviel Telephonfräulein und Oberpostbeamte mehr durch die Frequenz dieser altbackenen Sehnsucht ernährt werden?
Eben erhielt ich ein Honorar. Die Miete ist wieder bezahlt. Man kann bis Ende der Woche leben.
Ich schlendere durch die Straßen fröhlich und erleichtert, denn ich habe einen Brief von ihr. Einen Brief... Ein Blumenladen lockt. Einige schöne Rosen muß ich kaufen. Dazu reicht's noch. Ob andere Männer auch so dumm find? Lächerliche Frage: der ganze Laden gilt boch der Liebe. Denn wer wird seiner Groß mutter Orchiden kaufen?
Blumengeschäfte, Gärtnereien, Bafilicjeranten und störbchenflechter leben von der antiquierten Empfindelei der verleugneien Liebe.
Ich hatte Glüd: traf sie auf der Straße. Konnte ihr zärtlich die Hand drücken. Ich durfte mit in das große Wareuhaus gehen, um einzulaufen.
Sie brauchte ein Paar neue Schuhe. Habe ich je geahnt, daß es so viele Möglichkeiten gibt, einen fleinen Fuß kaum zu bedecken?
Welch eine Maschinerie wird in Bewegung gesetzt, um Leder von dieser Zartheit zu erzen gen? Wieviel Zeit war nötig, um die schwierigen Methoden des Lederfärbens zu entdecken; um die ſiunstvollen Apparate zum. Stiden und Nähen zu erfinden!
Und in allen Abteilungen sah ich wieder siegreich die Liebe triumphieren; alle Waren fchienen nur angehäuft, damit die Frauen sich schmücken und die Männer bezahlen können.
Dummheit über Dummheit!
Ich habe sie zum Wochenende eingeladen. Nur jo nebenbei angetippt während des Gesprächs, ohne lang zu überlegen. Nicht im Traum daran gedacht, daß es Wirklichkeit werden könnte.
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Millionen Arbeiter, die Brot erzeugen der Jakobskirche, daß Herren der Regierung tönnten für sich und alle Menschen, dienen die das Kirchengelände am Rand der Stadt bejichfem Traum der Zivilisation, diefer Chimäretigt haben, und haben geheim unter sich entder Liebe. schieden: hier müßten die Werkstätten her.- So hatte der Herr einen niederen Knecht, den Siegrist, zu seinem Finger erforen. Die Kunde, die er mir da gebracht, war mir eine bare Million Mark wert ich drückte dem Siegrist auch sofort 50 Pfennig in die Hand und trug ihm strengstes Schweigen auf. Am felben Nachmittag leitete ich Tauschberhandfungen ein mit unserer Kirchgemeinde. Es war ein mühevolles Werk; doch es gelang mir, die Serren von der Nüglichkeit des Tausches zu überzeugenich gab meine eigenen, weit besseren Terrains gegen jene hin, die der Staat für sich begehrte. Gott segnete ein Beginnen, durch das ich ihn gleichsam zum Teilhaber meiner Bauspekulation gemacht hatte; und wo Gottes Segen ist was kann da noch fehlen.? ( Roda Roda im„ Simpl.“)
Sie aber sagte:„ Wie nett von dir, wirklich liebenswürdig".
Und ich Narr echote:„ Die Liebenswürdigkeit ist ganz bei dir, da du so freundlich bist, anzunehmen".
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Ich glaube feststellen zu können: die Bescheidenheit diese edelste weibliche Zierde verringert sich proportional zum Grad der zu nehmenden Vertraulichkeit. Resultat des über standenen Wochenendes: auch diese ErholungsEinrichtung ist industrialisiert. Sie dientbeinahe jo rationalisert und genormt wie die Fabrikation von Verschönerungsmitteln nur dieser Sache, die früher einfach und nun so verdrängt, verkleidet und interessant iſt, der Liebe.
auch
Erkenntnis: Dieser ganze gewaltige Tam tam, dieser imposante Apparat, diese ganze aufgeblafene Wichtigkeit, dieses gewaltige Schwungrad des modernen Daseins ist von demselben kleinen Antrieb in Bewegung gesetzt, das einen Psau zwingt, sein Rad zu schlagen. Was mich betrifft: Beinahe hätte ich mich verlobt.
Ueberraschung! Unglüd! Glüd! Erlösung! Dual! Ich weiß nicht, was in diesem Gemisch von bösem und gutem, leidenschaftlich- dumment und gescheit- nüchternem Gefühl das Siegende ist.
Sie hat sich verlobt. Aber nicht mit mir. Diese schlaue, reizende Person hat den Wann gefunden, den man heiratet". Eine Rase hat er zwar so gut wie gar nicht, aber ein Klein auto hat er ihr schon geſchenkt.
Erleuchtung: Was verdankt die Automobilindustrie den Launen der Verliebten?
Ich sah sie zusammen mit ihm in einen Juwelierladen gehen. Wer weiß, ob er nicht auch Pein aussteht, wenn sie sich eine„ leinig keit aussucht. Im großen dieſelbe Angst, die ich hatte, wenn ich ihr über meine Verhältnisse eine Theaterkarte kaufte: die Augst vor dem Opfer der verschlenderten Arbeitsmühe.
Man weiß längst: Das kapitaliſtiſche System ist da; das Angebot übersteigt die Nach frage; aber den Antrieb, den winzigen Reiz, der( wie gewiſſe Hormone) das Blut im Wirt schaftsförper zum Umlauf aufpeitscht, bildet in dieser sachlichsten aller Welten das durchaus unsachliche, unrentable Gefühl:
die Liebe!
Der Finger Gottes. In meinen Knabenjahren Mitschüler, Stäbel hieß er armes, rändiges Kerlchen. er mir nach vierzig Jahren Weg: überlebensgroß, schlachtreif Würdenträger.
hatte ich einen ein mageres, Jüngst wackelt wieder in den und hoher
Na, wie er so did und wie er Kirchenrat geworden, frage ich.
Der Finger Gottes," sprach er, hat mir bescheidenem Mann die Bahn gewiesen. Seit Jahren plante die Landesregierung den Bau von Eisenbahnwerkstätten am Rand der Stadt. Aber wo? Das wußte kein Mensch die Mei nungen der Maßgebenden gingen auseinander and wechselten oft. Eines Tages erzählte mir der Siegrist unseres schönsten Heiligtums,
Der Ritualmord" von Tisza Eizlar.
In Amsterdam starb dieser Tage ein alter Maun, mit dessen Namen die Erinnerung an einen der unwahrscheinlichsten Exzesse antisemitischer Hetze verknüpft ist. Er hieß Moris Scharf und war zulegt ein Diamantenschleifer, der in seiner Umgebung höchstens durch besonders große Armut auffallen konnte. Bor einem halben Jahrhundert hatte ganz Europa seinen Namen gekannt. Damals, im Jahre 1882, war Moritz Scharf ein Knabe von 14 Jahren, deffen Angaben die schauerliche Auflage ſtüßte, in der kleinen ungarischen Stadt TizzaCzlar hätten 15 Juden, darunter Scharfs eigerer Vater, eine christliche Jungfrau namens Eſther Solymosi geschlachiet, um ihr Blut in das jüdische Osterbrot zu verbacken. Esther Solymost war um die Zeit des jüdischen Osterfestes spurlos verschwunden und unter der einfältigen Bevölkerung der Stadt hatte sich das Gerücht verbreitet, sie sei das Opfer eines Ritualmordes geworden. Man munkelte, der fleine Morig, der Sohn des Tempeldieners, habe etwas darüber erzählt. Ein Gendarm nahm den Jungen in seine Wohnung, und hier gestand Moriz Scharf, er habe gehört, wie sein Bater das Christenmädchen in den Tempel hineingelodi und ihr dann mit Hilfe anderer Verwandten den Hals durchstochen und das Blut abgezapft habe. So kam es zu dem seufationellsten Ritualmordprozeß des Jahrhunderts. 33 Tage lang focht der Staatsanwalt für das Todesurteil gegen die 15 Angeklagten.- Moriz Scharf wiederholte vor Gericht sein Geständnis, mehrmals hinterein ander, ohne ein Wort zu verändern. Zum Glück für die Angeklagten wurde noch während des Prozesses der Leichnam des verschwundenen Mädchens an das Ufer der Theiß gespült, und die ärztliche Obduktion ergab, daß sie wahr scheinlich Selbstmord verübt, sicher aber niht durch Messerstiche ihres Blutes beraubt worden sei. Schließlich verwickelte sich auch der fleine Moritz in Widersprüche, aus denen sich klar ergab, daß er den Vorgang, den er schil derie, unmöglich beobachtet haben konnte. So wurden die Angeklagten freigesprochen. Wie Moritz Scharf zu seiner Aussage gekommen ist, wurde restlos nie aufgeflärt. Er selber bat, numittelbar nach Verkündung des Freispruches, unter Tränen seinen Bater um Berzeihung und gab an, die Gendarmen hätten ihn zu feiner falschen Aussage mit der Drohung_gezwungen, ihn für Lebenszeit einzusperren. Spä ter wanderte Scharf nach Holland aus und wurde Diamantenschleifer in Amsterdam . Jahre zehntelang hat man nichts von ihm gehört,