leit ihrer Kundschaft. Um beispielsweise die Epilepsie zu heilen, breitete man das Hemd des an der Fallsucht leidenden Kindes an einem Kreuzweg aus. Verschwand es dort, so hatte es der Teufel und mit ihm die Krankheit mitge nommen. Man konnte sich weiterhin gegen die Fallsucht dadurch schützen, daß man das Herz eines Maulwurfs, der vor dem Tag des heiligen Georg gefangen worden sein mußte. Ohrensausen bekämpfte man dadurch, daß der Patient am Neujahrstage das Seil einer Glocke abschnitt. Trunkenbolden gab man, um ihnen Alkohol abzugewöhnen, ein Gemisch zu trinken, das aus getrockneter Schlangenhaut und einer zerriebenen getrockneten Fledermaus bestand,

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ein Gemisch, dem etwas Branntwein zugesezt, froh bin ich, diesen fangweiligen Unterredun war, um die Sache halbwegs mundgerecht zu gen entronnen zu sein nd diese ewigen Doku­machen. In hoher Gunst standen auch die Edel- mente nicht mehr unterschreiben zu müſſen! steine, so war der Diamant ein Sinnbild der Jetzt werde ich lesen, spazieren gehen und meine Tapferkeit, der Malachit galt als vorzügliches Zeit mit den Kindern verbringen.__ Und, Mittel gegen Cholera und Gliederreißen, und sagte sie, das war durchaus keine Poje. wenn man die Geliebte auf die Probe stellen wollte, so gab man ihr einen Saphir, weil die ser die Farbe änderte, wenn die Trägerin die Trene brach. Gold galt als Mittel gegen Gelb sucht, Sal; war Sinnbild der Ewigkeit. Des halb legte man einem neugeborenen Kind, auch wenn es unter einem guten Stern geboren war, Salzstücke in die Wiege, nach dem Grundsaß, daß doppelt genäht beffer hält.

Als er die Krone ablegte.

Als ich den Zaren von der bevorstehenden Gerichtsverhandlung in Kenntnis sezte, bei der Alexandra einem Verhör unterzogen werden sollte, zudte er mit feiner Wimper und be­merkte bloß: Schön, ich glaube aber nicht, daß Alice dausit etwas zu tun hat. Haben Sie irgendwelche Beweise?" Darauf antwortete ich: Ich weiß noch nicht."

Als ich ihm später jagen mußte, er solle jich für eine lange Reise vorbereiten, blieb er vollkommen ruhig. Das geschah Anfang August Kerenfti erzählt feine Erinnerungen.- Begegnung mit dem 3aren. Seit Begjun des Sommers herrschte wieder Der Führer der ersten russischen Revo| Gruß warten? Ich merkte seine Verwirrung größtes Interesse für das Schicksal der taiser­lution, Sterenſti, hat in seinen Erin und die ängstliche Unentschlossenheit der Fa lichen Familie und bereitete uns große Unge­nerungen", Berlag Carl Reißmilie, die sich plößlich mit einem schrecklichen legenheiten. Man rief sich vergessene Episoden er, sein erstes Zusammentreffen mit dem Revolutionär allein sah. Ich ging schnell auf aus der Regierungszeit des Zaren wieder ins Zaren geschildert. Er zeigt nicht nur die Nikolaus zu, streckte ihm lächelnd meine Hand Gedächtnis, zumal die Reaktionäre neue Hoff Ohnmacht des Zaren, mit dem man fast entgegen und sagte kurz Merensfi", wie ichnung schöpften und dadurch auf der Gegenseite Mitleid befommen könnte, sondern gewährt mich eben gewöhnlich vorzustellen pflege. Er Haß und Rachsucht von neuem anschwellen auch Einblick in das Theaterspiel einer schüttelte mir fräftig die Hand, lächelte scheinließen. Gruppe von Anhängern, deren Hercschaft bar ermutigt und führte mich sofort zu seiner Da auch die   Krim leiten sicheren Aufent schon lange vor der Absehung erledigt war. Familie. Sein Sohn und die Töchter blickten halt bot, wählte ich   Tobolsk, einen wahrhasi Ich erinnere mich genau an meine ersie mich starr und mit erwartungsvoller Neugier weltverlassenen Winkel ohne Eisenbahnverbin­Unterredung mit dem ehemaligen Kaiser, die an. Alexandra   Feodorowna, steif, stol; und dung, wo man besonders im Winter von aller Ende März im Alexandrowskipalais stattfand. hochmütig wie immer, bot ihre Hand nur zöWelt abgeschritten ist. Das Haus des Graver­Bei meiner Ankunft in Zarskoje Scio inspi- gerud, als gehorche sie einem unliebſamen neurs zu   Tobolsk verfügt über allerhad Mom­zierte ich jeden Winkel des Palastes. Dann er Zwang. Da auch ich nicht besonders begierig fort, auch konnte ja verschiedenes zur Beauem­suchte ich den Fürsten Benkendorff, den chema war, ihre Hand zu drücken, berührten sich unsere lichkeit der Familie hergerichtet werden. ligen Hofmarschall, den Zaren und die Zarin Handflächen kaum. Diese Kleinigkeit war th von meinem Besuch zu benachrichtigen. Der pisch für den Charakter- und Gemütsunter­Miniaturhof, der sich aus den wenigen Gefchied zwischen dem Exkaiser und seiner Gemah treuen zuſammenſegte, die den ehemaligen Molin. Ich fühlte ſofori, daß Alexandra Feodo narchen nicht verlassen hatten, stand noch immer rowna, obwohl nun gebrochen und ängstlich, unter dem Hofzeremoniell. Der alte Fürst, der ein fluges und willensstartes Weib war. Inch viel warme Kicider mitzunehmen. Der diesen wenigen Sekunden verstand ich den piy chischen Hintergrund der ganzen Tragödie, die seit vielen Jahren hinter den Balostmanern vor sich gegangen war.

noch immer sein Monokel zur Schau trug, hörie mir zu und antwortete dann:

Ich will es Se. Majestät wissen sjen." Er behandelte mich wie einen Audien; sewerber aus alten Tagen oder wie einen Mi nister, der mit seinem Bericht zum Zaren se­fohlen war. Nach einigen Augenblicken iam er zurück und meldete feierlich: Se. Wajestät haben beschlossen, Sie z cmpfangen.". Das war zwar eine lächerliche Kinderei und vollkommen nnangebracht, jedoch ich wollte dem   Fürsten nicht seine lesten Illusionen zerstören.

Noch am Tage zuvor hatte ich, als ich nach Zarstoje Selo abreifte, zu einen Mitglied der provisorischen Regierung über die Abschaj jung der Todesstrafe gesagt: Ich glaube, das einzige Todesurteil, das ich unterschreiben fönute, wäre das für Nikolaus II  ."

Der Fürſt ließ mich vor der gejähloſſenen| Türe, die in die inneren Appartements jührte, zurück, trat ein und meldete mich an. Faſt im jelben Augenblick fehrie er zurück und sagte: " Se. Majestät erwartet Sie." Er riß die Tür auf, und blieb selbst jenseits der Schwelle siehen.

Ich erfundigte mich nach der Gesundheit der Familienmitglieder, teilte ihnen mit, daß jich ihre ausländischen Verwandten um ihre Wohlfahrt fümmerten, und versprach, ihnen unverzüglich und sicher jede Privatkorrespon­denz zu besorgen. Dann fragte ich, ob sie irgend­welche Beschwerden hätten, wie sich die Wachen benähmen und ob ihnen an irgendetwas fehle. Ich bat jie hierauf, nicht ängstlich oder ver sagt zu sein, sondern mir zu vertrauen. Sie dankten mir, und ich verabschiedete mich. Nike laus erbat noch Bescheid über die militärische Situation und wünſchte mir Erfolg in meinest neuen und schwierigen Amt. Während des

Als das Datum für die Abreise fcitsland, erklärte ich dem Zaren die Situation und sagte ihm, er solle mit den Brebereitung für seine] Reise beginnen. Das Reziel gab ich ihne moi fant, ſondern ri» ihn nur ſich mög

Zar hörte mir aufmertjam zand als ihm jagie, er möge nichts bürchten, das Ganze diene nur dem Besten selaer Familie, und als ich mit überhaupt bemühte, the wieder zu be Luhiger sah er mir effen ins Best and wortele:

Ich mache mir jar fe Sorgen. Wix] glauben Ihnen Wen Sie sagen, das es tot wendig sei, so bin ich davon überzeugt."

Und er wiederholic: Wir glauben Ahnen.")

Die Abreise des Zaren und seiner Familie nach   Tobolsk fand in der Nacht des 14. Auguſt statt. Ich hatte dem Zaren gestattet, noch ein­mal mit seinem Bruder Michael Alexandro­witsch zu sprechen. Natürlich mußte ich bei die­fer Unterredung anwesend sein, so sehr mir die Ginmischung zuwider war. Die Brüder trafen jich um Mitternacht im Arbeitszimmer des

Frühlings und Sommers verfolgte er die Staiſers. Beide schienen sehr aufgeregt. Die Er­Kriegsereignisse mit Intereſſe, las sorgfältig lebnisse des vergangenen Monate überwältig die Zeitungen und stellte allerhand diesbezügten sie. Lange schwiegen sie, dann begannen liche Fragen an seine Besucher. jte jene abgerissente Art der Gesprächsführung, Das war meine erste Zusammenkunft mit die für derartige geheßte Unterredungen cha­ Nikolaus. rakteristisch ist:

Im Verlauf meiner weiteren Gespräche mit Nikolaus 11. zu Zarskoje Selo versuchte ich seinen Charakter zu ergründen.

Ein Blick auf den Zaren und seine Um gebung und ich war umgeſtimmt. Die ganze Familie ſcharte ſich in höchſter Berwirrung, eng zusammengedrängt, rings um einen flei nen Tisch, der in einer Fensternische des Neben- Er hatte auch seine Autorität, wie alles zimmers stand. Ein schmächtiger Mann in Uni- andere, zu wohlfeil erhalten. Er war dessen form löste jich von der Gruppe und ging zo schon müde. Er wars alle Autorität von sich, gernd und mit zaghaftem Lächeln auf mich zu. so wie er früher eine Galanniform abgewor Es war der Kaiser. Auf der Schwelle des Zim fen haben mag und eine einfachere anzog. Sich mers, in dem ich ihn erwartete, blieb er stehen, als einfacher Bürger ohne Staatspflichten und als wüßte er nicht, was er jest tun solle. Er Staatsgewänder zu sehen, hatte für ihn den wußte nicht, was meine Hantung bedeute. Soute Reiz der Neuheit. Er empfand es keineswegs er mich als Gast empfangen oder some er war- tragisch, daß er sich nun ins Privatleben zurüd­ten, bis ich ihn anſprach? Sollte er mir seine ziehen mußte. Die alte Kammerfrau Narysch Hand entgegenhaften, oder sollte er auf meinen fina erzählte mir, er habe zu ihr gesagt: Wie

Wie geht's Alice?" Und wie geht es Mutter?" fragte der Großfürst. Sie sahen ein­ander ins Gesicht, zuckten fortwährend nervös zusammen, und ergriffen einander ab und zu bei der Hand oder spielten mit den Knöpfen der Uniform.

,, Kann ich die Kinder seben?", fragte mich Michael Alexandrowitsch.

,, Nein", antwortete ich, ich kann die Un­terredung nicht verlängern.

Gut, fagte der Großfürst zu seinem Bru­der, küsse du sie für mich.

Sie begannen von einander Abschied zu nehmen. Wer hätte gedacht, daß ſie ſich niemals mehr sehen sollten'