Feieraberg
Feierabe
d
Mr. 29
Unterhaltungsbeilage.
Zwei Briefe über die Liebe.
Sehr verehrte, liebe Freundin!
Ihr letzter Brief veranlaßte mich, zu demfelben Thema noch einmal Stellung zu nehmen, da meine Gedankengänge von Ihnen anscheinend nur gefühlsmäßig auf genommen worden sind.
Ich muß allerdings zugeben, daß es mir stets schwer gefallen ist, mich von Vorurteilen freizumachen; aber schwarze Schwäne soll man nicht einmal gegen sich selbst galant sein? sind auch bei h- nen seltene Ware; und so darf ich in unserm immer noch egoistischen Zeitalter hoffen, daß diese Raratät ein bevorzugtes Plätchen in Ihrem Herzensschreine behält.
Meinen Ausführungen lag zugrunde, daß die Grade des Verliebtseins in heutiger Zeit in ihrer Wirkung nach außen nicht mehr dem sittlichen Koder entsprechen, den die Menschen seit Jahrhunderten in puncto puncti befolgt haben.
Alle verliebten Schwärmereien, alle Mondtändeleien, wo die Beteiligten auflodern wie Strohfeuer, sind und bleiben doch den Meisten Episode, wenn auch manches Weiblein, durch etliche Dußend Romanschreiber, die die Wonnen des sechsten Sinnes in den glühendsten Farben schildern, inspiriert, seine Lebensgeschichte von jenem Zeitpunkte datiert.
Aber selbst die Riesenkraft des Herkules baut heute keine Tempel mehr, in denen
Göttinnen wohnen, und unsere Gegenwarts engel machen einen starken Gebrauch von ihren Flügeln. Gleich Nachtfaltern schwärmen sie im Schatten des Abends. Wenn auch Liebe blind machen soll, so wissen doch manche aufs ſchärfſte ihr Interesse oder ihr Vergnügen zu erspähen.
Plato nennt die Liebe die göttliche Raferei; aber wehe dem Amokläufer, der zu
ſvät die Wahrheit des Paradores erkannte: Die Hälfte iſt mehr als das Ganze; denn tauſende Betörte haben vergebens die Hälfte zurückgewünscht, als sie sich der Leere des Ganzen bewußt wurden.
Bon D. Heuer.
1929.
Die Liebe wohnt zu sehr Parterre. Edle| Sehr verehrter, lieber Freund! Sturs gefommen. Die Heiligen haben ihren nicht überzeugen können. Sie sind nicht nur Liebe, der wahre Minnedienst, ist außer Auch ihre zweite Ausfertigung hat mich Schein verloren. Romeo und Julia, Wer- physisch, sondern auch seelisch alt geworden, ther und Lotte sind aus dem Jugendpara- lieber Freund. Verzeihen Sie diese Offendiese vertrieben. Nur noch belle aventure herzigkeit, aber sie ist notwendig, damit wir
steht der Sinn.
Uns galt die Liebe als die höchste Naturpoesie; aber die heutigen Menschen sind zu prosaisch geworden.
Ein Handfuß?
Am Ende des vierten Jahres tüßte Wieland zum ersten Male feiner Doris die Hand.
Lottes Bujenschleife galt dem Werther mehr als alle Reichtümer der Welt. Ein Schauspiel für Götter, zwei Liebende zu seh'n"- Wo findet sich heute der Dichter, der mit Inbrunst die Gefühle reiner Liebe su schildern vermag?
Verschwenderisch genug stellen die Schriftsteller ihre Attribute bei Seelengelübden" und die Seladons wissen einen guten Gebrauch davon zu machen. Und gewöhnlich weiß die Liebe nicht, was sie im Rausche leicht verspricht; aber darf dies zur Entlastung dienen, wenn die fides implicita so arg getäuscht wird? Und aus manchem pastor fido wird, wenn das Blut brennt, ein Orlando furioso; aber was nüßen die Millionen zu spät geweinter Tränen?
So unterstreiche ich meine Behauptung im letzten Briefe: Tiefe und Innigkeit des Gefühls werden nicht mehr geschätzt; Verliebtsein wird gleich Liebe gesetzt: für Ideale schwärmen gilt als lächerlich; Phantasiegestalten lieben ist nicht furzweilig genug; das Geheimnisvolle, das Unaussprechliche, die feligsten Empfindungen erzielen nur mit leid, wenn nicht gar Spott und Hohn.
Will die Menschheit wieder einziehen in Arkadien, so muß die Liebe aus Freund schaft und Hochachtung sprießen und sich nicht nur beschränken auf den Augenblick, wo die Engel ihre Augen mit den Flügeln bedecken, um nicht eifersüchtig zu werden.
Verstehen Sie mich recht, sehr verehrte So sehe ich die Welt, sehr verehrte Freundin: Gazellenangen gefallen nicht mehr, über sanftere Empfindungen lächelt Freundin, und verstehe nicht mehr die heudie Welt. Die Weiblein sind noch schlimmer tige Sprache des Herzens. als die Männlein und verderben mehr Geschlechtsgenossen als die„ Tyrannen".
In Verehrung
Ihr hadernder Philosoph.
die rechte Linie für unser Thema finden.
In Ihrer Abgeschlossenheit fühlen und sehen Sie nicht mehr das Sehnen der heu tigen Menschheit. Und wenn Sie noch philo sophischer reden als Sofrates, Sie können die reine Liebe, die auch heute noch auf Feuerschwingen die Welt durcheilt, wohi negieren, aber nicht aus der Welt schaffen. Die starten Neigungen veredeln auch heute Jungfrauen und Jünglinge, und im Gedenken dieser Stunden freuen sich Männer und Frauen im spätesten Alter.
und
Ich habe durch das Erblühen meiner Tochter und durch den Umgang mit der Ju gend erfahren, daß die Herzen noch in demfelben Taft schlagen, daß auch heute noch reine Empfindungen reine verehrende Schwärmerei zu finden sind. Hero und Leander, Helvise und Abelard, Siegwart und Mariann sind noch Heilige der Liebenden. Die Lerche singt ihnen dieselben Herzenssymphonien wie zu unserer Zeit, sehr verehrter Freund.
Die Jugend erlebt noch heute jene ersten Frühlingsstunden der Liebe, wo die fühnsten Hoffnungen durch einen Gruß der heimlich Geliebten erfüllt werden.
Und es ist noch längst nicht das Ende aller Poeſie, wenn der natürliche Lauf die Idyllenwelt allmählich zum Schwinden bringt; reife Menschen dienen ihrer Liebe, wenn auch ihre Göttin das Hausfrauenkleid angezogen und der Rosenschimmer der Jugend der Vergangenheit angehört.
Nur in der Erinnerung leben, lieber Freund, wie Sie es tun, muß ſchmerzlich sein, und ich verstehe deshalb auch wohl, daß Sie mit Salome reden: Alles iſt eitel.
in Hand wandern; Sympathie und AntiDoch die Pärchen werden weiter Hand pathie sich weiter anziehen und abstoßen. Der wahre Grund dieses Naturgeheimnisses wird unergründbar bleiben.
Und wenn der Bischof von Speier der jungen Gemahlin Agnes des alten Kaisers Rudolf beim Heraushelfen aus dem Wagen