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Zwei Herzen im gleichen Taft.
Frau und Mann nach vierzig Jahren.
Von André Reuze.
Das junge Stubenmädchen famt wie all-, mich glüdlich gemacht hast", und flüsterte: abendlich behutsam mit der Tasse Kamillentce und du bedauerst nichts?" herein. Sie stellte sie vorsichtig, um nichts in Unordnung zu bringen, auf den Schreibtisch des Herrn Maloisier, der hinter dem Berze alter Bücher und Schriften fast verschwand. Dann zog jie jich geräuschlos zurüd.
Frau Maloisier erhob sich. Sie hatte schlohweißes Haar. Mit gütigem Lächeln neigte sie sich vor, um den Tee zu prüfen.
Du fannst ihn schon trinken, mein Lieber; er ist nicht zu heiß."
Während er schluckweise den lichten Aufguß fostete, betrachtete sie ihn voll Zärtlichkeit. Nach vierzig Jahren bewunderte sie ihn noch ebenso wie als junges Mädchen. Er hatte ausgezeich nete Bücher über die großen Seeleute geschrieben. Aber die Deffentlichkeit fannte seinen Namen kaum. Und die Zeitungent nannten ihn nur selten. Während er Gesellschaften und öffentliche Empfänge mied, unternahm er mit seiner Frau Spaziergänge in den Wald und pflüd: e Erdbeeren und Maiglöckchen. Arm in Arm schritten sie dahin und trällerten alte Lieder. Den Rahmen ihres ganzen gemeinsamen Lebens bildete immer dieselbe Wohnung, im Herzen von Alt- Paris, mit dem Blick au die Seine. Sie war erfüllt von frohen, tranten Erinnerungen. Die beiden wichtigsten Ereignisse all dieser Jahre waren die Heirat ihrer Tochter und neulich der Tod ihrer alten Bedienerin Julia.
"
Doch! Daß wir nicht mehr jung sind." Was tut's, da wir zusammen alt gewor den sind! Deine Augen lieben mich noch immer so wie in unserer ersten Nacht! Du bleibt immer du, und mein Herz ist jung geblieben. Hätten wir damals auf dem Ballon nebenan ein altes Paar gesehen, wie wir es heute sind, wir hätten gelächelt..." Und dann sagte fie, ihr schönes Antlig dem Monde zuwendend: Gott, wie schnell vierzig Jahre vergehen fönnen, und unser erster Kuß ist noch so nah!" „ Der erste ja, aber der letzte?" „ Der letzte...?"
„ Siehst du, du hast es ebenso vergessen wie ich. Man erinnert sich imme: nur an den Ursprung seiner Liebe."
Ja, alles hat ein Ende.“
„ Dasselbe hat mir einst meine Mutter gesagt, als ich noch ein feiner Junge war, mein leptes Bonbon gegessen hatte und plöblich bemerkte, daß die Tüte in meiner Taiche leer war. Schade! Wir hätte das letzte Bondon gewiß besser geschmeckt, hätte ich daran gedacht, daß eine mehr da wären, Elife..“ „ du Lieber!"
,, Seit langem schon bewohnst du das Zimmer deiner Tochter, und unser Zimmer ist nun das meine. Das Zimmer unserer Jugend. Sich. es
Herr Maloisier zündete sich eine Zigarette Die Parabel vom auf
an und trat auf den Balkon hinaus. Er war fest davon überzeugt, daß die Frauen, auch wenn sie es in Abrede stellen, den Tabakrauch als unangenehm empfinden. Die Frühlingsnacht senkte jich herab, eine jener unendlichen und doch so kurzen Nächte, die alle Sterne am Firmament erstrahlen. Der Mond spiegelte sich in der Seine, die gemächlich zwischen den finsteren Uferdämmen dahinfloß. Die alten Häuser hoben sich wie scharfe Silhouetten vom Himmel
ab.
,, Elise, Elise, fomm doch und schau!" Sie trat zu ihm auf den Balkon und teilte fchweigend sein Entzüden.
Als sie vor vierzig Jahren, in ihrer Hochzeitsnacht, zum ersten Mal in ihr heim ge
kommen waren, hatten sie genau so auf diesem Ballon verweilt. Es war eine ebensolche Mondnacht gewesen wie heute. Um den beglückenden Augenblid, vor dem fie in ihrer Befangenheit zurüdbebten, hinauszudrüden, waren sie hier stehen geblieben, in den Anblick des Himmels
verjunken.
„ Bist du noch nicht müde, Lickling?' ,, Nein Geliebter, noch nicht."
Die linde Stille hatte sie gezwungen, leise zu sprechen. Die banalsten Phrasen waren zum Geständnis geworden in diesem träumerischen Lichterglanz. Um ihr besser einen Stern zeigen zu fönnen, hatte er jie um die Taille genommen und sie an sich gezogen. Aber sie vermochte nichts mehr zu sehen und nicht mehr den Sinn seiner Rede zu verstehen. Sie hatte nur den Schlag ihrer Herzen, die aneinander, füreinan der schlugen, gefühlt.
Seither hatten diese Herzen immer im gleichen Tatte geschlagen.
Sie fannten einander so genau, sie waren einander so sehr vertraut, daß alles, was der eine überhaupt sagen konnte, von dem anderen verstanden wurde, ehe es noch ausgesprochen war. Sie erriet, daß er jagen wollte: Wie du
geregten Mann.
Eines Tages kam einer zu mir und sagte: Ich bin ein Mann, der sich sehr leicht aufregt!" Und er sagte es so, daß es ihm vorkam wie lauter Demut. Aber darin, wie er es vorbrachte, lag doch ein gewiffer Stolz.
Und ich sagte ihm:„ Du bist ein Mann von beschränktem Geiste!"
Darauf wurde er so aufgeregt und ich wußte, daß er kein Lügner gewesen war, als er gesagt hatte:„ Ich bin ein Mann, der sich fchr leicht aufregt!"
Und nachdem er mehr oder weniger gejagt hatte, beruhigte ich ihn und sagte:" Siche, ich glaubte dir, als du sagtest, du seiest sehr leicht aufgeregt! Aber ich habe dich nicht gebeten, mit dieser Eigenschaft deiner Natur auch gleich zu paradieren!“
Denn ein lebhaftes Temperament ist nicht das Und er fag: c: Du hast mich beleidigt! Kennzeichen eines beschränkten Geistes, sondern einer warmen und edelmütigen Natur! Ich bin allerdings sehr leicht aufgeregt, aber das geht schnell vorüber, und dann mache ich gern alles wieder gut!"
Nun sprachen wir dies in einem Garten und ich verließ ihn einen Augenblick und als ich wiederkehrte, war ich schon in der Küche gewesen, von wo ich ein Ei mitgebracht hatte.
und ich warf das Ei an den hintern Zaun und es brach entzwei und sein Inhalt sprite besudeind über den Zaun.
Und ich sagte:„ Du sprachst davon, daß du nachher alles gern wieder guimachen wolltest! Nun dann geh' hin, sammle das Ei zusammen, reinige den Zaun, lege Dotter und Eiweiß wie der in die Schale zurück, seye die Henne darauf und lasse sie ein Hühnchen ausbrüten! Und dann sprich mir davon, daß du für die Ausbrüche deiner Laune Ersatz leisten wollest!
ist derselbe Mondschein. Nichts hat sich ringsum geändert. Sieh mich nur an! Mit demselben ein wenig erfchrodenen Blide hast du mich ja auch in unserer Hochzeitsnacht angeblickt!" Du großes Kind!"
,, Und nachher bargst du dein Gesicht schamhaft an meiner Brust und sagtest gleichfalls ,, Großes Kind, großes Kind"...
„ Was gibt's?"
Das neue Stubenmädchen war socben mit einer Lampe in der Hand ins Studierzimmer eingetreten.
Der Hauswirt hat diesen Brief heraufgebracht. Ich habe das Bett des gnädigen Herrn und das der gnädigen Frau zurecht gemacht. Gute Nacht, gnädiger Herr, gute Nacht gnädige Frau!"
Es war ein ausführlicher Brief ihrer Tochter, erfüllt von Mitteilungen über die Fortschritte ihres fleinen Enfels, der schreiben lernte. Sie unterhielten sich lange damit, ihn auszulegen.
Ist dir nicht falt?" fragte Frau Maloisier.„ Es scheint mir, daß die Luft kühler wird."
Sie fehrten auf den Balkon zurüd. Eine große Wolfe verdeckte den Mond. Die Pappeln unten am Kai bewegien sich zitternd. Als sie sich anblickten, vermochten sie faum noch ihre Umrisse zu unterscheiden. Schweigend traten sie wieder ins Zimmer zurüd. Herr Maloisier schloß das Fenster und leuchtete dann seiner Frau bis an die Tür ihres Boudoirs. Sie umarmten sich wie immer. Gute Nacht, Viebling!" Und sie antwortete mit bezaub rndem lächeln: Gute Nacht, Großpapa...“
Denn du besudelst alle deine Freunde und besprigest sie mit deiner Wut und überläßt es ihnen, sich von deiner Raferei zu reinigen und deine unvernünftigen Worte zu vergessen. Und du bildest dir ein, du hättest alles wieder gutgemacht!"
Und ich sagte:„ Die beste Art, eine Anf geregtheit wieser guzumachen, iſt die, die Anfgeregtheit bei sich zu behalten und nich: merken zu lassen.
Und er sagte: Wahrhaftig, du hast mich mit Recht einen Mann mit beschränktem Geiste genannt ein Wort, daß ich mir von leinem Menschen gefallen ließe!"
Und ich sagte:„ Du wirst es dir von mir noch einmal gefallen lassen müssen: Du bist ein Mann von beschränktem Geiste! Denn ein Mann von leicht aufgeregter Natur ist ein sol cher, der von einem Dinge jeweils nur eine Seite zu sehen vermag, der aber außerstande ist, sein auffahrendes Urteil so lange bei sich zu behalten, bis er die ganze Wahrheit erkannt hat. Und weil er ebenso beschränkt wie tindisch geraten bist und in Wut zu geraten pflegt. ist, deshalb gerät er in Wut, wie du in Wut Schmeichle dir nicht, daß dies das Kennzeichn einer edelmätigen Natur sei, denn ich habe dir bereits gejagt, wofür es das Kennzeichen ist!". Und er schwieg.
Und ich ging hin und nahm die Gartensprize und machte mich daran, den Zann von der Eiersauce zu reinigen.
Aber der Mann ließ es nicht zu, sondern nahm mir die Düse aus der Hand und wusch die Eiersauce selbst vom Zann. Und er sagte: „ Wenngleich ich aus diesem Ei kein Hühnchen mehr hervorbringen fann, so ist es doch nicht ganz verloren!"
Und so war ich denn geneigt zu glauben, der Mann habe etwas gelernt, was den Preis eines Eies wert war.
Nun ja, Ei war Ei geblieben...
Und ich möchte noch mehrere davon laufen und anderen Männern und ctlichen Frauen die gleiche Lehre vortragen.