Schlaflied für ein Arbeiterkind.

Der Tag geht nun schlafen, mein Kind. Die Sonne geht zu Bett und ruht sich aus. Der Mond und die Sterne sind

alle schon wach und schützen unser Haus.

Schlaf ein, mein Kind, sei still! Weil dein Vater keine Arbeit mehr hat, muß deine Mutter nähen und wachen. Wenn die Mutter nicht näht, wird das Kind nicht satt, und dann kann das Kind nicht mehr lachen. Schlaf ein, mein Kind, sei brav! Schlaf mit der Sonne aus bis morgen. Schlafe ruhig auf unsern Sorgen, fei artig, mein Kind, und schlaf!

Dein Vater kämpft um Arbeit und Brot, deine Mutter wacht und schuftet in Not, Mond und Sterne leuchten nieder. Der Tag geht schlafen. Nun kommt die Nacht. Schlaf ein, deine Mutter weiß keine Lieder,

aber sie näht für dich und hofft für dich und

wacht.

W. Wiebed.

Frau ihre Hand zurück. Der Rest der Reise verläuft in unbehaglichem Schweigen. Endlich ist Rouen erreicht.

Schaufenster.

Wenn man des Nachts durch die Straßen der Stadt geht, wo alles so still ist im Ver­gleich zum Tageslärm, und doch das Licht eine Art Leben vortäuscht da überkommt einem ein eigentümliches Gefühl, besonders wenn man die hellerleuchteten Schaufenster betrachtet.

Das macht's: die Menschen sind fort- und nur die toten Dinge sind mehr da. Die Menschen ruhen aus in exquickendem Schlaf, auf dieser so schmalen Brücke, die vom Einerlei des einen Tages zum Einerlei des anderen führt.

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Die Menschen sind fort aber die Stätten ihres Fleißes, ihrer Mühen sind da; und darin Hier drinnen ist alles zu sehen, was nüz die Dinge, die ihre Arbeit geschaffen jeht lich und notwendig ist, was das Leben schmückt ganz allein und verlassen im grellen elektrischen und Freude hineinträgt. Weichfallende Stoffe Licht und nur vielleicht vom Blick eines in glühenden Farben, geschliffene Kristallgläser, einsamen und besinnlichen nächtlichen Wande­blizblanke Messer, Küchengeräte, Werkzeuge, rers gestreift. Und dem kommt es vor diesen Bücher und Wäsche und Blumen, die im stummen, glanzboll schweigenden Schaufenstern elektrischen Licht dastehen und vom Sonnen- jählings zum Bewußtsein, daß der herrlichste schein träumen müssen. Alles dies in den der Werte doch der Mensch ist oder sein Schaufenstern, so wie es auch der Tag zeigte. sollte! der Mensch der Arbeit, der so wenig genießen darf von dem, was einzig und allein und ohne von ihm hervorgebracht worden ist den die Städte öde, gespenstige Grabmäler sind.

anderes Leben

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Aber seltsam jetzt bekommt es ein ganz oder vielmehr nur ein ge­penfisches Scheindasein. So unwirklich kommt mir alles vor, so tot... Die Dinge stehen für sich, abgetrennt von den Menschen, die sie Solche Gedanken mag man wohl des Nachts schufen und die tagsüber an ihnen und mit vor den beleuchteten Schaufenstern haben. ihnen ihr Tagewerk vollbringen.

Hedda Wagner .

Zag ohne Feierabend.

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Lucien hat bei der Abfahrt aus Paris Nacht leuchtet der düsterrote Schein des kochen- lädt und löscht man mit Eisenbrücken, Kränen Hochöfen an der See. Im Dunkel der sten; die Hunderttausende von Tonnen Eisenerz einen Führer gekauft. Sie steigen in einem den Eisens weit über das Weer zu dem ein- und Greifern, deren Stahl und Eisen mensch­darin empfohlenen Hotel ab und sind sogleich samen Trampfahrer, der von Leuchtturm zu liche Technik aus rohem, wildem Erz gewann Beute der Kellner. Bei Tisch wagen sie faum Leuchtturm, von Boje zu Boje sich von seinem und zu stählernen Haustieren wandelte. ein Wort miteinander zu wechseln, da alle Abgangshafen nach dem Zielhafen peilt. Die riesigen Brücken fahren sich selbst von Lade­Welt sie betrachtet. Zeitig gehen sie schlafen; Landkarte des Weges die Zimmerwände sind so dünn, daß ihnen keine Das Bild des Weges- welch Einerlei! Denn häuschen an der oberen Laufbahn schnurren welch buntes Bild: raum zu Laderaum; die Laufkazen, die Kran­Bewegung ihrer Nachbarn rechts und links ent- die geschwundenen Hügel Südschwedens, die vor und zurüd; der Greifer fenkt sich in den geht. Nun wagen sie nicht mehr, sich zu rühzadigen Klippen und Schären der finnischen Bauch des Dampfers. Ein Dutzend starkkerzige ren, nicht einmal sich zu räuspern. Küste, die Lichter der großen Städte, die ver- Lampen und Scheinwerfer schneiden den Weg Beim Aufstehen am anderen Morgen träumten Wälder, die das Bottnische Meer ein- der Ladebrücke und des Greifers grell aus dem schlägt Lucien Besichtigung der Stadt und bal- grenzenes glitt am Horizont vorbei, ein Dunkel, aber ihr Licht trifft höchstens zwei, dige Abreise nach Havre vor. fahler Streif, ein dunkler Schatten, ein Rebel; drei Menschen. Tief unten in der Last sind Den ganzen Tag lang bleiben sie auf den so sehr einander gleichend, daß nur die verein, zwei Mann bereit, den Greifer zurecht Beinen: sie besichtigen die Kathedrale, wo man schiedenartigen Feuer der Leuchtschiffe und der zuwinfen immer auf dem Sprunge, um von ihnen den Butterturm" zeigt, der von den Leuchttürme mitteilten, an welcher Landschaft der tonnenschweren Glocke bei ihrem Pendeln Steuern errichtet wurde, die die Geistlichkeit das Schiff gerade vorbeigefahren. Was schiert nicht getroffen, nicht gegen die Schiffswand ge­aus den Molkereien der Gegend zog. Weiter auch den Erzdampfer die Landschaft; was schiert quetscht zu werden. Manchmal zeigt ein Mann pilgern sie ins Schloß der Herzöge der Nor- den Erzdampfer der Weg! Der ist nur dazu auf Deck, daß nicht jedes menschliche Leben mandie, in die alten Kirchen, die zu Futter- da, überwunden zu werden, mit möglichst ge- ausgestorben ist. Und oben, in der Kaze, der speichern verwendet werden, auf die Blace- ringem Kohlenverbrauch und mit möglichst vie- Kranführer an seinen Hebeln. Dazu vielleicht Jeanne- d'Are, ins Museum, sogar auf den len Tonnen Eisenerz im Bauch. Die Hochöfen auf dem ganzen, hundert Meter breiten und monumentalen Friedhof. Sie tun's, als ob sie an der See sind Ziel und Zweck, nichts sonst. hunderte von Metern langen Arbeitsplatz der eine Pflicht erfüllten, erlassen sich auch nicht Schnell lader und schnell löschen, darauf kommt mechanisch abwiegenden Loren, der Halden und ein historisches Gebäude. Hortense vor allem So donnern denn im Ladehafen die Kettenbahnen, der schiefen Ebenen und der langweilt sich zu Tode. Sie ist derart ermüdet, elektrischen Erzzüge Tag und Nacht, und so Brücken und Keräne zwischen Schiff und Hoch­daß sie am folgenden Tag in der Eisenbahn laufen in den Löschhäfen die Mammutkräne öfen ein Wächter, ein Kontrolleur. In den schläft. See gehen kann. Die Seefahrt ist ein Sta- die Elemente. Und von Zeit zu Zeit kündet Tag und Nacht, bis das lehte Schiff wieder in wuchtigen Türmen der Defen aber rumoren dium am laufenden Bande, das die Technik ein feurigroter Fächer einen neuen Sieg des konstruieren möchte, von der Grube an, wo das Eisens über das Erz. Auf seinem Hinter­Erz gebrochen wird, bis zur letzten Fertigwaren- grunde malt sich eine geheimnisvolle Welt bro­fabrit, die aus dem Eisen Gebrauchsgegen belnder Dämpfe und Nebel, schwarzer Eisen. tände schmiedet. glieder und brauner Erzberge, toter Schiffe und lebender Kräne. Die wenigen Menschen gehen in der Wucht der arbeitenden Maschinen unter, wie die menschliche Stimme in dem Höllenlärm dieser nächtlichen Sinfonie.

In Havre erwartet sie eine andere Un­annehmlichkeit. Die Betten in ihrem Hotel find so schmal, daß das Paar in einem Zweibett­zimmer untergebracht wird. Hortense faßt dies als Beleidigung auf und fängt an zu weinen. Lucien muß sie trösten und schwört ihr zu, nur so lange in Havre zu bleiben, bis sie alle Sehenswürdigkeiten besichtigt. Die tollen Wan­derungen fangen von neuem an.

es an.

Nächtens, wenn sich im Dunkel im Hoch ofenhafen das Rasseln und Schnappen der Lade Von Havre geht's in der gleichen Art wei- brüden und Greifer mit dem Surren der elef­ter durch mehrere Städte, die im Führer als trischen Züge und dem Zischen und Brausen wichtig angesternt sind. Sie besuchen Honfleur , abblajender Dämpfe vermählt, scheint es, als Tag und Nacht, Nacht und Tag rast die Pont- l'Evêque, Caen , Bayeux , Cherbourg . In ob sich die Ingenieure und Techniker hinter den Maschinerie ohne Menschen- wenn nicht Sturm ihren Köpfen rumort es von Straßen- und breiten Fenstern der Zeichenstube die Industrie oder Nebel die Kette der Erzschiffe zerreißt und Denimalsnamen. Sie verwechseln die Kirchen; ohne Mensch zum Ziel gesetzt haben, als ob der Pier leer bleibt. Zehntausende und Hun­der schnelle Wechsel der Aussichten schüchtert man in den Direktionspalästen der fernen derttausende von Tonnen werden bewältigt, sie ein, da sie sich gar nicht dafür interessieren. Großstädte Organisation und Kalfulation, Geld umgeschmolzen, gezähmt. Die Kalkulationen Nirgends noch haben sie ein friedliches Winkel- und Kredit nach dem wahnwißigen Plane mar der Direktion, die Berechnungen der Ingenieure chen für ihr Glück gefunden wo sie sich un schieren lasse, die Herren von Stahl und Eisen stimmen: die Millionenanlagen in Stahl- und belauscht hätten küssen können. Jetzt sind sie unabhängig zu machen vom Menschen, von] Eisenmaschinerie sparen Millionen an Löhnen so weit, nichts mehr ansehen zu wollen, setzen jenem Werkzeug Arbeitskraft, das den An... Stimmen und stimmen doch nicht. Es aber getreulich ihre Reife fort wie eine Fron- spruch erhebt, Mensch und gleichberechtigt zu stockt das laufende Band auch ohne Sturm; Teistung. fein. Wilde Elefanten fängt man mit gezähm vom Ende her läuft eine Lähmung über die so

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