Alle 30 Sekunden!
Alle 30 Sekunden wird in Deutschland ein Kind
Man kann es nachlesen im Statistischen Jahrbuch. Man tann es nachrechnen.
Aber was kann man vor- rechnen? Was weiß man weiter?
geboren.
Alle 30 Sekunden wird in Deutschland ein Kind geboren.
Alle 30 Sekunden stellt das Schicksal der Frage: Wird der Himmel ihm strahlen? Feld und Wiese ihm leuchten?
Die Arbeit ihm Leben sein?
Und wird es arbeiten dürfen?
Oder muß es stempeln, stempeln
Tag um Tag?
Alle 30 Sekunden!
geboren.
Alle 30 Seknuden wird in Deutschland ein Kind geboren. Alle 30 Sekunden stellt das Schicksal die Frage: Wird es flug? Wird es gut?
hat es Glüd?
Oder gerät es in die Maschine
von Lehrern, die es quälen?
Von Richtern, die es strafen? Von Fraßen, die es hassen? Von Fabriken, die es töten? Alle 30 Sekunden wird in Deutschland ein Kind geboren.
Alle 30 Sekunden!
Alle 30 Sekunden wird in Deutschland ein Kind geboren.
Alle 30 Sekunden stellt das Schicksal der Frage: Wird es ein enger, böser Spießer? Wird es ein Genie?
Wird es ein Mensch wie du und ich? Wird es ein Kämpfer für sich, für dich, ein Kämpfer für uns alle? Alle 30 Sefunden wird in Deutschland ein Kind
Alle 30 Sekunden!
geboren.
liche Einrichtung einstweilen noch weniger als nichts, nämlich nur eine politisch- moralische Er-| oberung bedeutete.
Dabei blieb es jahrelang. Da brauchte Nitita eines Tages dringend eine Million Kronen und hatte sie nicht. In Montenegro suchte er nicht weiter; das war aussichtslos. Also Petersburg oder Wien . Das Unglüd wollte, daß er Petersburg erst kurz vorher empfindlich angepumpt und zu diesem Zwede vor der ganzen europäischen Oeffentlichkeit sehr füße Blicke nach der Newa geworfen hatte. Ob Wien wollen würde?„ Versuchen“, sagte er sich, immer versuchen!"
verwegenen
Kaiser Franz Joseph holte ihn in einer montenegrinischen Uniform in Bien vom Bahnhof ab. Aber Geld gab er nicht. Er verwies ihn an die Minister. Und die beriesen sich auf eine Versteifung der Börse. .Recht gern später einmal", meinten sie.„ Und dann: Schau, Nikita, der Draht von Cetinje nach Petersburg kommt uns in letzter Zeit so gesprächig vor; das müßte auf alle Fälle anders werden, bevor wir..."
Nikita schnauzte seine Umgebung an, und alles dachte angestrengt über die große Frage nach: Wie friegt unser gnädigster Herr sofort cine Million Kronen?
Bis endlich einer den glänzenden Einfall zahlen zu können. Man wolle recht gern, aber hatte. Wozu gab es die Postsparkassen- Konven- es sei kein Heller in der Kasse... Sie mei tion? Wozu, in Teufelsnamen, war das Ding nen, Desterreich hätte Truppen einrücken lassen nüge? Achtung: Nikita ließ von der montene- können? Ach, mein Herr, da kennen Sie die grinischen Postverwaltung eine Zahlungsan- Vorkriegszeit schlecht! Es hätte ein Geheul geweisung über eine Million Kronen ausstellen, geben in ganz Europa ! Und durfte Wien den und sein Adjutant präsentierte jie bei der Post- Rufsen erlauben, Nikita endgültig zu fapern? sparkaffe in Wien . Auf keinen Fall! Niemand wußte das besser als Nikita. Und was sind schließlich im Spiel der hohen Diplomatie eine Million Kronen, mögen es hundertmal echte goldene Friedens fronen gewesen sein? Geschäftsunkosten!
Wie, Sie meinen, das ginge nicht? Aber warum nicht? Die Konvention war da, die Unterschriften stimmten Nikita bekam sein Geld!
Sehen Sie, so behielt Nikita die Million Als am Jahresschlusse verrechnet werden Kronen, indem er einfach nichts weiter tat, als sollte, bedauerte man in Cetinje sehr, nicht so zu tun, als wüßte er von nichts...
Schach in Port Gaid.
Bon K. Eschler.
Ich lernte ihn kennen in einem Straßen-| wagten sich nicht an unseren Tiſch. Sie drüctaffee in Port Said . Er hatte ein Schachspielten sich in die Ecken, denn der französische Wirt vor sich stehen und spielte, wie man zu sagen lief, die Hand am Wund, wispernd umher und pflegte, mit sich selbst. Hatte da englische, dent- erzählte den Leuten, daß hier der größe und sche und französische Zeitungen liegen, in denen bedeutendste Schachkampf ausgefochten werde, fomplizierte Schachprobleme der Auflösung der überhaupt jemals auf Erden ausgefochten harrten. Mir fiel an dem Manne auf, daß er, worden sei. was man heute selten findet, richtig türkisch aussah. Weißes Untergewand, brennend roter, langer Rock mit Goldstickerei, perlengestickte Sandalen an den nackten Füßen. Er war nicht mehr jung; durch den braunen Vollbart zogen sich weiße Streifen. Er faute an seiner Nargileh, und feine Augenbrauen waren im Nachdenken über die Schachaufgaben zusammengezogen. Sein Blid sah aber nicht finster aus, nur nachdenklich.
Schon am Tage vorher hatte mir der fran zösische Wirt, ohne daß ich ihn gefragt hatte, mitgeteilt, wer der Türkei sei. Es war Hassan Urtas, ein ehemaliger Diener des Sultans. Man hatte ihn nach dem Umsturz in der Türlei pensioniert, und er verzehrte seine Pension, nach deutschem Gelde etwa 100 Mart, in Kairo oder Port Said , wie es ihm gerade gefiel. Er mußte während seiner Zeit am Hofe des Sultans sich ein fleines Vermögen erworben haben, denn er besaß, wie mir der Wirt mitteilte, ein Haus und einen Diener, einen taubstummen Neger, der stets mit untergeschlagenen Beinen vor dem„ Café" in Port Said saß, und an sei nem Herrn hing wie eine Klette.
Ich wurde verlegen und unsicher. Beim Aufstellen der Figuren setzte ich die Pferdchen falsch, obwohl ich sie in meinem Leben tausendmal richtig gesezt hatte. Aus purer Liebenswürdigkeit setzte Hassan Urtas seine Pferdchen auch falsch. Ich ärgerte mich darüber, weil es unangebrachte Höflichkeit war, zog den falschen Bauer an, manövrierte mit einem Springer als wie ein eben aus einem Irrenhaus un heilbar Entlassener, verpfuschte meinen rechten Eckturm und war nach sieben Zügen matt. Der Türke hatte gewonnen. Er hatte einen ganz eigenartigen Ausdruck um die Augen herum. Da waren zwei tiefe Falten, die zogen sich gegen das Kinn, und er hatte eine ganz eigentümliche Art mit dem linken Auge zu blinzeln.
Aber die zweite Partie gewann ich nach einer Viertelstunde. Hassan Urtas hatte einen Damenzug übersehen. Hatte seine Dame im Bereich meines rechten Läufers einfach stehen lassen. Und dann gab er das Spiel auf.
Es war spät geworden. Auf dem Podium des Lokales hatte sich eine Musikkapelle niedergelassen: Jazzband, drei Nigger darunter
Polizei fam ins Lokal Der Wirt verNun wollte ich doch einmal gerne mit die neigte sich dreimal vor den großen und kräf sem interessanten Menschen eine Partie Schachtigen Kerlen. Sie hatten hohe, rote Feze auf spielen.
Eines Abends der Türke hatte sich zwei Tage nicht sehen lassen, nahm ich, als er lam, Play an seinem Tische. Er blickte mich ertaunt an, verneigte sich aber dann und führte eine rechte Hand zu Stirn, Mund und Bruſt. Ein Zeichen, daß ich ihm wenigstens nicht unwillkommen war. Im Hintergrund der Gaststube saßen Leute, die uns verwundert anblick ten. An einigen Tischen, an denen türkische Matrosen jaßen, murrte man sogar. Man ärgerte sich dort scheinbar, daß ich mich an den Tisch dieses Mannes gesetzt hatte, dem man allgemein einen hohen Grad von Achtung entgegenbrachte
Eine Partie Schach gefällig?" sagte ich auf französisch und bot dem ehemaligen Diener eine Zigarette an. Er dankie mit erhobener Hand. Es war eine ganz feine, tleine, weiße Hand, wie die einer Dame. Dann winkte er, und die braune Dienerin aus dem Sudan brachte das Schachbrett.
Menschen famen in das Lokal. Matrosen, Fremde aller Nationen, Auslader von den Dampfern, eine Unmenge Frauen, aber sie
den Köpfen und Kriegsmedaillen an der Brust.
hinter dessen Stuhl sich ein taubstummer ,, Noch ein Spiel?" fragte Hajjan Urtas, Diener aufgepflanzt hatte.
Und wir spielten noch ein Spiel, das ich nach einer halben Stunde verlor.
Ich spiele seit meinem sechsten Lebensjahr Schach!" sagte Hassan Urtas leise und nahm endlich eine meiner Zigaretten.„ Ich war Haremsdiener dreißig Jahre lang, eine lange Zeit, und habe dort mit den Damen den ganzen Tag Schach gespielt. Sie haben entschieden Talent, das beweist Ihr Läuferzug von vorhin. Aber Sie spielen zu wenig Schach."
Im Hintergrund des Lokals war eine Keiferei im Gange. Eine Stimme brüllte auf deutsch um Hilfe. Ich eilte hin. Aber schon hatten die Polizisten Ordnung geschaffen. Als ich zu unserem Tisch zurückkam, war Haffan Urtas verschwunden, mit seinem Diener.
-