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Nr. 148.

Abonnements- Bedingungen: Abonnements-Preis pränumerando: Bierteljährl. 3,30 Mt., monatl. 1,10 mt., wöchentlich 28 Pfg. fret ins Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags= Nummer mit illuftrirter Sonntagsa Beilage ,, Die Neue Welt" 10 Pfg. Poft Abonnement: 3,30 Mart pro Quartal. Eingetragen in der Post Bettungs­Preisliste für 1897 unter Er. 7437. Unter Kreuzband für Deutschland und Defterreich Ungarn 2 Mart, für das übrige Ausland 3 Mart pro Monat.

Erscheint täglich außer stags.

Vorwärts

Berliner Volksblaff.

14. Jahrg.

Die Insertions- Gebühr beträgt für die fechsgespaltene Solonels geile oder beren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen, fowie Arbeitsmarkt 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werben. Die Expedition tft an Wochentagen bis 7 1hr abends, an Sonn- und Festtagen bis o Uhr vormittags geöffnet.

Mernsprecher: Rmt I, Br. 1508. Telegramm Adresse: " Sozialdemokrat Berlin".

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Abonnements- Einladung.

Dienstag, den 29. Juni 1897.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

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Ministerium Crispi den Vorwand zum Belagerungszustand und Ausdehnung" und der Niederlagen, wie sie von den Trümmern zu den Ausnahmegesehen gegeben hatten. der Crispischen Partei, die 58 Stimmen dafür aufbrachten, be­Und das Ministerium Rudini, dem allein unser Kriegs: fürwortet wird einen mittleren Standpunkt eingenommen: unglück in Afrita es ermöglicht hat, bem Ministerium Crispi den der Einschränkung eine Politit, die alle Nachtheile Am 1. Juli eröffnen wir ein neues Abonnement auf den zu folgen, trat in dem Augenblick, als Beichen revolutionärer ber beiden extremen Standpunkte hat, ohne deren Vortheile. Erregung sich im Lande bemerkbar machten, mit dem Pro- Aber in den anderen Theilen seines Programms hat das ,, Dorwärts" gramm vor das Land: sowohl mit der afrikanischen, Ministerium Rudini, statt in der grauen und neutralen Zone wie mit der moralischen Frage, das heißt, den gegen einer Politik des faden und unfruchtbaren Ettlektizismus*) zu Crispi erhobenen panamuistischen Anklagen aufzuräumen verbleiben, entschieden Gegendampf gegeben und sich damit in Die neue Welt". und das italienische Volk wieder in den Besitz seiner Widerspruch mit seinen Versprechungen und mit den Erwar­Die Aenderungen, die wir seit dem 1. Januar eingeführt politischen Freiheiten zu setzen und seiner tungen des Landes gesetzt. haben, erfreuen sich des lebhaftesten Beifalls unseres Leserkreises, ökonomischen Erschöpfung abzuhelfen. Was die moralische Frage der gegen Crispi erhobenen Ans wie schon das fortwährende Steigen unserer Abonnentenzahl

mit der illustrirten Sonntags- Beilage

beweist.

Unsere

Literarische n. Volkswirthschaftliche Rundschau werden allgemein als bedeutungsvolle Bereicherung des In­halts unseres Blattes angesehen. Durch unsere

Unterhaltungs- Beilage

ist dem Unterhaltungsbedürfniß unserer Leserinnen und Leser in reichstem Maße Rechnung getragen worden, ohne daß wir darum auf das niedere Niveau des Sensationalismus herab­gestiegen wären. Auch in der Unterhaltung soll der Geschmack verfeinert, der Geist erweitert und erhoben werden. Der Roman

Cefarine"

von Richepin,

der sich ungewöhnlichen Beifalls erfreut, wird im Laufe des neuen Quartals zu Ende geführt werden. Neue Abonnenten erhalten den bereits erschienenen Theil des Werkes nach­geliefert.

Auf politischem Gebiet bereiten sich Ereignisse von größter Tragweite vor. Der Vorwärts" wird nicht blos seinen Leserkreis stets auf dem Laufenden halten, er wird auch allezeit ein furchtloser Führer sein und unerschrocken die Wahr heit aussprechen.

Jezt, wo die bürgerlichen Parteien sich unfähig gezeigt haben, der frech die Volksrechte bedrohenden Reaktion Halt zu gebieten, ist es Sache der Sozialdemokratie, die bürgerlichen Freiheiten zu vertheidigen und die Rechte des Bolts zu wahren und zu erweitern.

Daß der Vorwärts" über den Weltangelegenheiten und den deutschen Angelegenheiten auch die Berliner Angelegen heiten nicht vergißt, das haben wir nicht nöthig denen zu sagen, die den Borwärts" lesen.

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Es giebt kein zweites Blatt, welches das gesammte geistige und öffentliche Leben der Reichshauptstadt so treu und so vollständig abspiegelt, wie der Vorwärts".

Und wir haben darum ein Recht, von allen, die unser Streben billigen, und namentlich von den Parteigenossen, es als Pflicht zu verlangen, daß sie für die weiteste Verbreitung des Vorwärts" thätig sind.

Für Berlin nehmen sämmtliche Zeitungsspediteure sowie unsere Expedition, Beuthstr. 3, Bestellungen entgegen zum monatlichen Preise von

ments zum Preise von

1 Mark 10 Pfennige frei ins Haus. Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Abonne­3,30 M. für die Monate Juli, August und September entgegen.( Eingetragen in der Post Zeitungsliste für 1897 unter Nummer 7437.)

Redaktion u. Expedition des Vorwärts".

Die

Regierungsblindheit in Italien . Von Professor Enrico Ferri .

I.

Gegenwärtig entwickelt sich die ganze Politik mehr oder weniger überall, besonders aber in Italien innerhalb der zwei Endpunkte: wirthschaftliche Erschöpfung und erstickender Polizeidruck.

innerhalb und außerhalb des Barlaments, hat Ihnen den Be- entdeckten Schwindeleien Crispi's, von Betrügereien im größten

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Die tägliche Chronit der Hauptereignisse in Italien , flagen betrifft, so spricht man seit Monaten von den neu­weis ge liefert, daß kein Theil dieses vierfachen Regierungs- Maßstab, die ein Einschreiten des Staatsanwalts nothwendig program ms verwirklicht worden ist. Im Gegentheil, kaum war machten seit Monaten heißt es, die Staatsanwaltschaft der vorüber, der einen Augenblick die Augen der Verblendeten ge- Borgehen gegen Crispi verlangen. Allein fein Antrag kommit, erste überwältigende Eindruck des Wahlwahrspruchs werde vom Parlament die Ermächtigung zum strafrechtlichen öffnet, und das Elend und die Unzufriedenheit des Volks und jedermann ist der Meinung, auch diese neuesten Be hatte sehen lassen, so kehrte die Blindheit der Regierung trügereien und Unterschleife, an deren Begründetheit niemand wieder zurück und gewann die Oberhand, und in wenigen zweifelt, würden abermals straflos bleiben. Wochen haben die Machthaber Beweise für die Wahrheit des französischen Wortes aufgehäuft:" Je mehr geändert wird, desto mehr bleibt alles beim alten."

Was zunächst die Kolonialfrage anbelangt, so hatten wir in der Kammer eine lange Debatte über den von Professor de Marinis begründeten Antrag der sozialistischen Gruppe, in dem wir die Forderung aufstellten, unsere afrikanische Kolonie vollständig aufzugeben.

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Unferem Antrag den die sozialistische Rammergruppe beiläufig zum ersten Male schon im Jahre 1885 bei den ersten Debatten über unser Kolonial- Unternehmen gestellt hatte- ungeachtet des heftigen mehr oder weniger künstlichen und oberflächlichen Kolonial Enthusiasmus, der damals Mode war, schloffen sich auch die Republikaner , und, was sehr charakteristisch ist, auch ein Theil der Konservativen von Nord­ Italien an.

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Durch den Annunciaten- Orden", den Crispi hat, ist er thatsächlich dem König nahestehend"( confin du roi). Hierin findet man einen Grund seiner Straflosigkeit. Einen weiteren Grund sucht man in der Rücksicht, welche die Monarchie in anbetracht seiner großen Verdienste um die Monarchie auf ihn nehmen zu müssen glaubt( in Wirklichkeit hat er durch sein gewissenlos brutales Treiben, durch das Unglück in Afrika und durch das grausame Vorgehen gegen die sozialistische Partei die Grundlagen der Monarchie in Italien vollständig untergraben!). Und ein fernerer Grund, warum man Crispi nicht anfaßt, liegt wohl in seiner Drohung, er werde, wenn man ihn verfolge, die skandalösesten Dinge enthüllen und vor niemand und nichts Halt machen.

So hat das Ministerium Rudini, das von der offiziösen Preffe das Ministerium der ehrlichen Leute" genannt ward, um es von dem Ministerium Crispi zu unterscheiden, das, so lange es am Ruder war, von derselben Presse schmeichle­Der Führer dieser Fraktion der äußersten Rechten, risches Lob erhielt so hat das Ministerium Rudini vor Profeffor Colombo, der bereits Finanzminister war, hat dem öffentlichen Gewissen sogar den Anspruch auf die Sympathie offen und rückhaltlos unsere Forderung der völligen Auf- derer verwirkt, die gehofft hatten, es werde jene Formel die gabe unserer Kolonie unterstützt, weil er klar und logisch die freilich auch nur eine konventionelle Lüge ist zur Nichts Interessen der industriellen Klasse des Nordens vertritt, die schnur seiner Politik nehmen: Das Gesetz ist gleich eine allgemeine Politik der Sammlung wünscht: den Aus- für alle." tritt aus dem Dreibund und den Verzicht auf alle militaristische Politit, die das nationale Budget unerträglich belastet.

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Aus England.

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Für den sozialistischen Antrag, die afrikanische Kolonie London , 26. Juni. aufzugeben, haben nicht weniger als 140 Abgeordnete gc- Drohende Anzeichen in Indien . Rebellische Tendenzen unter den Brahmanen stimmt, gegen 220 für die Forderung der Regierung, die und der indischen Intelligenz. Neue Enthüllungen in Sicht über für allmälige Einschränkung der Kolonialpolitik ist, unter Chamberlain's und Rhodes' Spiel im Jameson'schen Komplott. Erfolge Aufgabe von Cafjala, welches Italien einzig und allein aus der Achtstundenbewegung der Maschinenbauer. Glänzender Stand der Gefälligkeit für England besezt hat. Organisation.

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In Wirklichkeit konnte man zwischen den Worten heraus In den Jubiläumsjubel haben die Nachrichten aus Indien hören, daß Rudini persönlich auch für die vollständige Auf- unzweifelhaft die peinlichste Diffonanz gebracht. Die Protefte der gabe unserer afrikanischen Kolonie ist, es scheint aber, daß Irländer hat niemand tragisch genommen, die Verhältnisse auf der der König, dem Griepi das Bild eines afrikanischen Reichs" arünen Jufel find heute wirklich nicht dazu angethan, die Deklamationen vorgespiegelt hat, dieser radikalen Lösung entgegen war, welche und Demonstrationen in Cork , Dublin und Killarney als mehr denn die einzig logische und praktische wäre, nachdem Italien bloße Formalitäten erscheinen zu lassen, durch die eine liebgewordene unnüßerweise in Afrika , von 1881 bis 1896, mehr als 6000 Tradition gefeiert werden sollte. Von einer tiefergehenden Un seiner Soldaten und mehr als eine Milliarde an Geld ver- zufriedenheit unter den Irländern kann im Moment nicht die Rede loren hat. fein. Aber in Indien fehlt es nicht an Agitationsstoff und Elementen, ihn auszubeuten.

Wie nach dem Sprichwort jedes Unglück auch seine gute Seite hat, so hatte der Baudroit unseres militärischen Unter­nehmens in Afrika den großen Vortheil für die sozialistische Partei, dent öffentlichen Benußtsein die Sicherheit und Klarheit unferer politischen Voraussicht überzeugend zur Erke nntniß zu bringen, denn das Losungswort unserer Partei war stets selbst in der Zeit der tollsten Bolksverblendung vergangen er Jahre: nicht einen Mann, nicht einen Sou für die Kolonialpolitif!"

Daß die türkischen Siege in Thessalien auf die mohamedanischen Indier nicht ohne Rückwirkung bleiben würden, war vorauszusehen, wichtiger indeß als deren Parteinahme für den Sultan scheint die Agitation unter den abergläubifchen Brahmanen im Distrikt von Bombay zu sein, die in den fanitären Maßnahmen gegen die Pest Gingriffe in ihre religiösen Gewohnheiten erblicken, sowie die wachsende Mißftimmung unter der indischen Intelligenz" über das Verwaltung ihr offen hält. Die englische Regierung hat sehr viel ungenügende Gebiet der Befähigungsmöglichkeiten, welche die englische gethan, europäische Bildung in Indien zu verbreiten, aber mit der Beranziehung der gebildeten Indier zur höberen Verwaltung und Rechtspflege ist es noch sehr schlecht bestellt, wie englischers feits behauptet wird, wegen der überaus schlechten Gre fahrungen, die man mit bisherigen Versuchen in dieser Richtung erzielt hat. Der Jndier bleibe fait immer troß europäischer Bildung state hinsichtlich der Neigung zu Erpressung und Bestechlichkeit, bezw. Käuflichkeit. Gleichviel, ob das richtig oder nicht, diejenigen, von denen es gesagt wird, lassen es selbstverständlich nicht gelten, und faft mehr noch als der abergläubische Priester haßt der aufs geklärte indische" Babu"( Angehöriger der höheren indischen Gesell. schaftsflaffen) die englische Verwaltung. Dieser Haß macht sich in ungezügeltem Maße in der immer mehr aufkommenden indischen Preffe Luft, denn trotzdem ihre Herrschaft schließlich doch auf der Gewalt beruht. läßt die englische Regierung heute den Judiern die veiteste Preßfreiheit. Es müßte wunderbar zugehen, wenn sich unter solchen Umständen nicht geheime nationalistische Bewegungen Militarismus bedeutet die atavistische Rückkehr zu den unfer den Indiern bilden sollten, und wenn mant Von den zwei Begriffen dieses Doppelwortes: fonservativ- liberal, primitiven Zuständen der Wilden und Barbaren mit dem 0011 der Sanftheit des Hindu" spricht, darf mait die ohne die fonventionelle Lüge der parlamentarischen Sprache Gefolge von Egoismus und nationaler Feindseligkeit statt nicht vergessen, daß Indien " Rassen und Klassen von sehr vers einander absolut widersprechen würden, wurde aber weder der schiedenem Charakter birgt, Ablömmlinge von seit Jahrtausenden eine noch der andere durch die Regierungspolitik erfüllt. Der unterworfenen Volksstämmen und Abkömmlinge von Wölferschaften König fonnte in seiner Rede zur Einweihung der neuen Ab­und Klaffen, die noch vor wenigen Jahrhunderten wilde Herrschaft ausübten. Der Mahratha z. B. ist nichts weniger als fanft, hinter geordneten- Kammer huldreichst die Erklärung erneuern, die seitdem feiner Unterwürfigkeit lauert oft ein nur mühsam niedergehaltener Haß. ein föniglicher Gemeinplatz geworden ist, nämlich daß man joziale Reformen machen und an die Verbesserung des Looses der und welcher Grausamkeiten dieser fähig ist, hat die Geschichte der indischen niederen Klassen" deuken müsse, nachdem es gelungen sei, die Macht des Gesetzes zur Geltung zu bringen durch Unter­drückung der Volksaufstände in Sizilien und Ligurien , die dem

Auch für die Zivilisation selbst hat unser militärisches Unglück einen wohlthätigen Rückschlag zur Folge gehabt: in Italien hat der Militarismus jeden Kredit und jedes Ansehen verloren, wohingegen, hätte man in Afrika einigen Erfolg gehabt, wir durch eine militaristische Suprematie erdrückt worden wären, die immer zu den Wünschen der Dynastie Savoyen gehörte. Nach dem Wahrspruch des italienischen Proletarier Die bürgerliche Entwickelung kann sich ihrer letzten Er bewußtseins, von dem ich Ihnen in meinem letzten Brief scheinungsform( Phase), welche der wissenschaftliche Sozialis anläßlich des Ergebnisses der letzten allgemeinen Wahlen, vom mus voraussieht und ankündigt, nur nähern, wenn sie durch 21. März, sprach, welche die sozialistischen und republikanischen den militaristischen Typus hindurch zum industriellen Typus Stimmen verdreifachten, erwartete man, daß das des sozialen Bau's übergeht. Dies ist auch der Hauptgrund, Ministerium Rudini eine Politik verfolgen würde, die mit der warum die Sozialisten immer und überall gegen den Erklärung, die es einige Zeit vorher gegeben: daß es ton- Militarismus find. servativ liberal sei, besser im Einklang sein würde.

jener internationalen Solidarität, welche der Industrialismus zum ausschließlichen Vortheil der Bourgeoisklasse zu befestigen strebt, und welche der Sozialismus zum Vortheil der gesammten Menschheit ohne Unterschied der Klassen verwirklichen wird.

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In der afrikanischen Frage hat das Ministerium Rubini zwischen der sozialistischen Forderung des Aufgebens, wofür unzweifelhaft die große Mehrheit des Volkes ist, und zwischen der Forderung aer Kolonialpolitik der nationalen

so

*) Gffleftizismus nennt man namentlich in der Philosophie eine Richtung, die eine Auswahl aus allen anderen Systemen macht und dieses Sammelsurium als neues System hinstellt.