Mr. 254

Betriebsrätewahlen der Eisenbahner

L. B. Das Betriebsrätegesetz bestimmt im§ 61, daß ,, bei den Unternehmungen und Verwaltungen des Reiches, der Länder und Gemeindeverbände, die Bildung von Ein­zel- und Gesamtbetriebsräten sowie die Abgrenzung ihrer Befugnisse gegeneinander, von der jeweils zuständigen Reichs- oder Landesregierung im Verordnungswege ge­regelt wird.

Im verflossenen preußischen Eisenbahnministerium wurden unter der Aera Deser" zwei Verordnungen( eine für die Haupt- und Nebenwerkstätten, und eine für die übrigen Dienststellen des Betriebes) ausgearbeitet, und den Ländern als Entwurf des Reichsverkehrsministeriums zu­gestellt. Nach den Vorschriften des B.R.G. sollen dem Er­laß der Verordnungen, Verhandlungen mit den beteiligten wirtschaftlichen Organisationen der Arbeitnehmer" voraus­gehen. Während es den Vertretern der Eisenbahnergewerk­schaften in Süddeutschland und Sachsen gelungen ist, aus diesem Meisterstüc preußischer Verwaltungsjuristen ver­schiedene reaktionäre Bestimmungen zu entfernen oder ab­zuschwächen, ist das den Vertretern der Eisenbahnerorgani­fationen in Preußen bei den Verhandlungen", die am Tage vor dem Gewaltstreich der Kapp- Lüttwiz ihren Ab­schluß fanden, nicht gelungen. Die an unumschränkte Allein­herrschaft gewohnten Herren witterten Morgenluft.

Die Gewaltmaßnahmen der Regierung bei Schlie= zung der Werkstätten, die Massenentlassungen und Bersehungen von Vertrauensleuten des Deutschen Eisen­bahnerverbandes sind vor allem auf den Einfluß der reak­tionären Oberbeamten in den Direktionen und im Ministerium zurückzuführen. Es tam ihnen vor allem darauf an, alle Arbeitervertreter zu entfernen und mund­tot zu machen, die nach dem 9. November den Amtsvor­tehern und Oberbeamten bei den Direktionen unbequem wurden, da sie bestrebt waren, mit der vielfach eingerissenen Willtür- und Günstlingswirtschaft endgültig aufzuräumen.

Es ist festgestellt, daß im Januar d. J. in verschiedenen Direktionsbezirken von Oberbeamten der Versuch unter­nommen wurde, die Eisenbahner gegen die Organisations­leitung aufzuhetzen, indem sie diesen die Schuld zuschoben, daß die Forderungen der Eisenbahner nicht in der ge­wünschten Weise erledigt wurden. Man wollte die Eisen­bahner provozieren, um sie nachher um so leichter mit Hilfe von Belagerungszustand und Standrecht niederschlagen zu tönnen. Ihr Vorgehen war planmäßig und hatte einen doppelten Zweck: ,, Wiederherstellung der Wirtschaftlichkeit des Betriebes" war für sie gleichbedeutend mit: Säu­berung der Betriebe von ,, ordnungsfeindlichen Elementen", ( lies: aufrechten und charakterfesten Männern) und Sabotage des Betriebsrätegejeges, um die füße" Alleinherrschaft wieder zurückzuerobern.

Die Verordnungen, die bereits an dieser Stelle einer Kritik unterzogen wurden, sind erlassen. Ein von den Eisenbahnerorganisationen nach dem Kapp- Putsch bei der preußischen Regierung, unter Hinweis auf die Verschlech­terungen der Verordnungen gegenüber dem Betriebsräte­gefeg, eingelegter Protest wurde, trotz der bekannten acht Punkte, ohne Begründung abgewiesen. Die Verordnungen, die eine Trennung der Eisenbahner nach Betrieb und Werkstatt vorsehen, haben, wie leicht voraus­zusehen war, lebhafte Erregung und eine Flut von Pro­testen gegen einzelne reaktionäre Bestimmungen ausgelöst. Nachdem in den übrigen Verwaltungsbezirken der Reichseisenbahn und in der Privatindustrie die Betriebs­rätewahlen längst erledigt sind, haben die Organisationen beschlossen, von dem zuerst beabsichtigten Wahlstreik ab­zusehen und sich trotz der reaktionären Absichten und schweren Mängel der Verordnungen an den Wahlen zu beteiligen.

Der Wahltermin ist auf den 6. und 7. Juli fest­gesetzt. Die Wahlvorbereitungen sind in vollem Gange. Es find in einem Wahlgang nach den Grundsätzen der Ver­

Die schwere Stunde

Roman

Don

Victor Panin

Den 16. August. Bapa, ich will dich noch einmal füssen ", ruft mein fünf­jähriges Söhnchen und läuft, sich mit Gewalt den Händen ber Wärterin entreißend, mir entgegen.

,, So, so!" wiederholt er, indem er laut meine Lippen meine Wangen, mein ganzes Gesicht mit Küssen bedeckt.

Wie der Schnurrbart sticht," sagt er plötzlich, un­erwartet mitten im stürmischsten Ausbruch der Zärtlichkeit. Mit einer Hand umfasse ich den zartgebauten, find­lichen Körper, drücke ihn fest an meine Brust, mit der an­bern streichle ich zärtlich seinen Kopf und fühle, wie mein ganzes Wesen von einer lange nicht empfundenen, be­sonderen väterlichen Zärtlichkeit erfüllt wird. Eine warme, andächtige Dankbarkeit umfängt mich. Ich fühle gleichzeitig den Schlag meines eigenen, wie des kleinen Herzens.

Die Wärterin tritt dicht an mich heran, vor Alters­Schwäche humpelnd, sie nimmt den Knaben, der meinen Sals umarmt hält, bei der Hand, zieht ihn zu sich heran und sagt, indem sie sich böse stellt: Komm nur, komm, du Wildfang, jest ist es genug!"

Er füßt bidh, und dabei heißt es doch ,, der Schnurrbart Sticht ". Ist das ein tomischer Junge, dieser Wowa!" sagt meine sechzehnjährige Tochter, indem sie selbst ihm einen Handfuß zuwirft; sodann verschwindet der Knabe mit der Wärterin auf der Schwelle des Kinderzimmers.

Weißt du, Bater", legt sie fort, einmal kommt Wowa in aller Eile zu mir herangelaufen, flettert auf meine Knie und fragt mich in todernstem Tone: Njussia, reitet man auf Toten?' Ich war ganz paff. Ach, ist das ein Junge! Als ich fragte: Wieso denn?? plaste er damit heraus: Aber Papa ist doch mit Toten zusammen. Spielt er denn nicht mit ihnen? Reitet er denn nicht auf ihnen herum? Weißt du, Rjussia, genau so, wie ich auf meinem Pferdchen es ist ja auch tot Jst das ein Spaß!"" Kaum merklich lächelnd, höre ich meiner Tochter zu und blide in ihr Gesicht, das Gesicht eines sechzehnjährigen jungen Mädchens, das schon an der Grenze des reifen Alters steht, und frage mich unvillkürlich, verwundert:

reite,

Jst sie es, oder ist sie es nicht? dieses nahestehende, liebe Geschöpf, das ich von jeher fannte, liebfoste; auf Sänden trug, wie einen Schah an meine Brust drückte. Nun lag auf diesem schmalen, etwas ungewöhnlich blassen

Beilage zur Freiheit"

hältniswahl zu wählen: Ein Betriebsrat oder Bes triebsobmann für jede Werkstatt oder sonstige Dienst­stelle. Für jeden Direktionsbezirk( 18 in Preußen) je ein Bezirksbetriebsrat für die Haupt- und Neben­werkstätten und den übrigen Betrieb, ebenso je ein Hauptbetriebsrat für das Gebiet der preußisch­

hessischen Eisenbahnverwaltung.

Jm Wahlkampf, der von allen Seiten sehr lebhaft ge­führt wird, stehen sich in der Hauptsache drei Richtungen gegenüber, und zwar: der freigewerkschaftliche Deutsche Eisenbahnerverband mit ca. 400 000 Mitgliedern, die christliche Gewerkschaft deutscher Eisen­bahner und der freiheitlich nationale Allgemeine Eisenbahnerverband mit je 100 000-120 000 Mitgliedern. Die wirtschaftsfriedlichen Christen und frei­heitlich Nationalen, lettere unter Führung des sattsam bekannten Generalsekretärs" Oswald Riedel, haben, von der Verwaltung gehätschelt, sich bisher als die beste Schutz­

Werbt für die Freiheit"!

truppe derselben bewährt. Sie machen lebhafte An­strengungen, aus ihrer Bedeutungslosigkeit heraus­zukommen.

Die Eisenbahner haben es jetzt in der Hand, diesen Herrschaften für ihr schwankendes und verräterisches Ver­halten in der Vergangenheit und während des Kapp­Putsches die richtige Antwort zu erteilen.

Es sei nur furz daran erinnert, daß auf Antrag der Helden um Riedel eine Bestimmung in die Verordnungen aufgenommen wurde, durch die der allerdings untaugliche Versuch unternommen wird, gemeinschaftliche Be­ratungen der Betriebsräte von Betrieb und Werkstatt zu verbieten. Das Verhalten der Christen und freiheitlich nationalen Riedelgarde" in verschiedenen Bezirken während des Militärputsches spricht eine sehr deutliche Sprache. In den Bezirken Essen , Elberfeld , Bres­ lau und Stettin haben sich diese Herrschaften im trauten Verein mit reaktionären Verwaltungsbeamten und Be­amtenbündlern gegen den Generalstreit eingesetzt und den Schutz der Lüttwigtruppen angerufen. Im Bezirk Essen hat sich eine aus Christen ,,, Trier - Berlinern" und Beamten­bund gebildete Arbeitsgemeinschaft" während der Herr­schaft der Kappisten gegen und als die Arbeiter­schaft die Lüttwiter in die Flucht geschlagen hatte für den Generalstreit erklärt und mit allen Kräften in diesem Sinne gewirkt.

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Aufgabe aller denkenden Eisenbahner ist es, diese Sorte Gewerkschaftler" an den Pranger zu stellen und sie der allgemeinen Verachtung preiszugeben. Es gilt, Männer zu wählen, die Charakterfestigkeit, Energie und Tatkraft sowie die nötigen Fähigkeiten befizen, die Verwaltungs­bureaukratie planmäßig Schritt für Schritt zurückzudrängen und den Boden für eine grundlegende Neugestaltung des gesamten Verkehrswesens nach sozialistischen Grundsägen vorzubereiten. Die Betriebsrätewahl kann der Ausgangs­puntt einer solchen Neuordnung werden, wenn die Be­triebsräte von sozialistischem Geiste beseelt sind.

Die nächste Aufgabe der Eisenbahner muß sein, die Betriebsräte zusammnezufassen, zu schulen und zu be= wußten Trägern der planmäßigen Umgestaltung des Wirtschaftslebens und der Sozialisierung zu erziehen. Für den Deutschen Eisenbahnerverband als jüngste Organi­sation unter den freien Gewerkschaften ergibt sich daraus eine schwere aber dankenswerte Aufgabe.

Gesicht, in diesen großen, weit geöffneten ewig erstaunten Augen, in der Art, von Zeit zu Zeit die Mundwinkel zu bewegen, etwas Neues, Befremdliches, fast Abstoßendes.

Glaubst du wohl, daß dieser Unsinn Väterchen sehr interessiert?" fragte, indem sie sich ins Gespräch mischte, meine Frau etwas wegwerfend, und wie mir schien, ein wenig ungeduldig, wobei sie hastig die Teller vom Tische räumte.

Aber, Mütterchen, ich wollte bloß...." beginnt Njussia in leicht getränktem Tone, ärgerlich ihren Stuhl vom Tische abschiebend.

,, Nichts von Mütterchen" unterbricht sie meine Frau barsch, es wäre auch für dich Zeit, schlafen zu gehen." Ich lege meine Hand auf die dicke, volle Hand meiner Frau, brücke sie fest und sage begütigend:

Laß das Mädel! Gewiß interessiert mich dies alles!" Ich will fortsetzen, will noch etwas hinzufügen, aber unwillkürlich muß ich in diesem Augenblicke das Gesicht meiner Frau betrachten und dabei fällt mir der neue, be­sondere Ausdruck desselben auf; es ist ein neuer, mir fremder Ausdruck. Und diese Entdeckung versetzt mich in folches Erstaunen, daß ich unwillkürlich den Streit zwischen meiner Frau und meiner Tochter vergesse und beginne, jeden kleinsten Gesichtszug meinet Frau zu betrachten. Sie ist stärker geworden, denke ich, ja, überall ist sie gut ge­polstert, aber woher kann das bloß fommen? Sie sollen ja gehungert haben. Aber das ist es nicht, sondern der Aus­brud von etwas ganz Neuem, Unverschämtem, Bösem, Ver­wirrend- Wahnsinnigem liegt in ihrem Blick, in den fest auf­einandergepreßten diden Lippen, sowie auf dem störrischen, fleischigen Kinn.

Gute Nacht, Papachen," sagt mir Njussia in leicht ge= fränftem Tone, beugt sich nieder, um mich, kaum meine Lippen berührend, zu küssen, und streicht mir sodann zärtlich mit der Hand übers Saar, dis wollte sie zeigen, daß sie nicht um meinetwillen böse ist.

Mit der linken Hand umfasse ich ihre Taille und ziehe sie dicht an mich heran.

Wie bist du groß geworden in diesen fünf Jahren, mein Zidlein", sage ich, von unten zu ihr heraufblickend. Sie lächelt bloß mit den Augen und lispelt mit halb ge­öffneten Lippen, herablassend, wie man mit Kindern spricht.

,, Was dachtest du denn?" Sie kann dabei aber ihren schmollenden Ernst nicht meistern und lacht auf findliche Art übers ganze Gesicht. In ausgelassener Bewegung er­hebt sie sich auf die Fußspitzen und hebt die rechte Hand über den Kopf mit den Worten: Siehst du wohl, wie groß ich bin, ganz groß, und du bist ganz winzig, Väterchen."

Donnerstag, 1. Juli 1920

Deutscher Reichstag

4. Sizung, Mittwoch, den 30. Juni, mittags 1 Uhr.

Vizekanzler Dr. Heinze erklärt auf Anfrage, daß die Res gierung bereit sei, die Interpellation der Vorbereitung zum Ge neralstreit, über die Brotversorgung im rheinisch- westfälischen Industriegebiet und über die Erhöhung der Lebensmittelpreise. in den nächsten Tagen zu beantworten.

Ein Antrag des Geschäftsordnungsausschusses auf Auf­hebung der gegen den Abg. Mittwoch( U. Soz.) verhängten Festungsstrafe wird nach den Ausführungen des Berichterstatters Dr. Pfeifer( 3tr.) für die Dauer der Sigungsperiode einstimmig

angenommen.

Der gleiche Berichterstatter erklärt, daß der Ausschuß dem Antrag Schulz- Bromberg( Dnat.) auf Aufhebung eines gegen den Abg. von den Kerkhoff( Dnat.) schwebenden Strafverfahren für die Dauer der Session zustimmt.

Abg. Dr. Rosenfeld( U. Soz.): Wir treten unter allen Um­ständen für den Schutz der Immunität ein, gleichgültig, um welche Partei es sich handelt. Hier kommt eines der wichtigsten Boltsrechte in Frage, wir schäzen die Immunität nicht weil sie ein Privileg der Abgeordneten ist, sondern, weil eine Verfürs zung der Rechte der Wähler vorliegt, die ein Recht darauf haben, daß die von ihnen gewählten Männer auch mitzutagen in der Lage find. Im Gegensatz zur Rechten nüßen wir solche Fragen nie parteipolitisch aus, sondern fennen nur eines: Schutz der Rechte des Volkes.( Beifall! bei den U. Soz.)

Der Ausschußantrag wird darauf einstimmig angenommen, Die Aussprache über die Regierungserklärung wird darauf fortgesetzt.

Abg. Trimborn( 3tr.): Die Grundlage unserer Tätigkeit muß die Reichsverfassung sein. Wir haben es begrüßt, daß die Deutsche Boltspartei nunmehr der Regierung beigetreten ist. Das ist eine wesentliche Stärtung der Regierung. Wir bes flagen es andererseits, daß die Sozialdemokratie aus der Koalis tion ausgetreten ist. Eine Regierung ohne jede Demokratie und Arbeitervertretung fann uns nicht helfen. In Spaa muß unseren Gegnern flargemacht werden, daß Deutschland nicht Lebenslust gewinnen tann, wenn ihm nicht die Lebensmöglich feit gegeben wird. Die überwiegende Mehrheit des Volkes sehnt sich aber nach einer starten Regierung.( Beifall.) Die ewige Notenherstellung kann uns nichts helfen. Die Ein nahmen und Ausgaben müssen in Einklang gebracht werden, sonst sind wir dem Abgrund nahe. Vor allem müssen Eisenbahn und Post billiger arbeiten.( Sehr richtig!) Die neue Besol dungsordnung ist schon jetzt wieder lüdenhaft geworden. Wir müssen mehr Waren, mehr Rohstoffe erzeugen. Kohle und Kali müffen der Boltswirtschaft zu erschwinglichen Preisen zugeführt werden. Wir billigen alle Maßnahmen, die dazu helfen, uns über die beginnende Wirtschaftskrise hinwegzuhelfen und der wachsenden Arbeitslosigkeit vorzubeugen. Das Bekenntnis des Reichstanzlers zur Sozialreform begrüßen wir. Die Lebenss mittelversorgung kann nur verbessert werden durch die Steige rung der landwirtschaftlichen Produktion. Bei den Grundlagen der Ernährung würde die Aufhebung der Zwangswirtschaft zu Preissteigerungen führen, die mit dem Wohl der Bevölkerung nicht vereinbart sind. Die Männer der neuen Regierung fönnen unseres vollen Vertrauens gewiß sein.( Lebhafter Beifall im Zentrum.)

Abg. Dr. Stresemann( D. Vp.): Es ist scharfe Kritit geübt worden an dem parlamentarischen System. Besonders bezeich nend war die Stellung der Mehrheitssozialdemokraten. Ob gleich man ihre Mitarbeit wünschte, versagte sich die Mehr heitssozialdemokratie der Mitarbeit. Einer vernünftigen Sos zialisierung wird sich niemand entgegenstellen, wenn durch sie die Hebung der Produktion gewährleistet wird. Den Gesamt aufbau des Kabinetts hätten wir uns allerdings gern anders gewünscht, doch begrüßen wir es als eine Etappe auf dem Wege zur Entpolitisierung unserer Wirtschaft. Die Zwangs wirtschaft hat fich mannigfach gut und länzend bewährt, jezt ist sie aber reif bis auf wenige unentbehrliche Nahrungsmittel beseitigt zu werden. Gewerkschaften und Groß- Industrielle müssen zusammenarbeiten, wie es bei dem Wohnungsbau für Bergarbeiter versucht, aber nicht in wünschenswerter Weise- zu­stande gekommen ist. Die Unterschrift in Spaa fann noch verhängnisvoller für uns werden, als die in Versailles . So ohnmächtig sind wir aber nicht, trotz des verlorenen Krieges, als daß nicht unsere Wirtschaft mitbestimmend wäre für die anderen Völker.

Plötzlich einen halben Schritt zurücktretend, legt sie beide Hände auf meine Schultern und sagt mit ihrer traurigen, tiefen Stimme, die ich von jeher so gern hattes

,, Väterchen, wie bist du gealtert,... du bist ganz ganz grau geworden, du Aermster!" Dabei setzte sie sich stürmisch auf meine Knie, umarmt meinen Hals mit beiden Händen und drückt ihre Wange an die meinige. Ich fühle die Wärme ihrer Brust und dabei beginnt mein Herz in unbegreiflicher Wehmut zu schlagen.

3ärtlich streichle ich ihre Wange und murmle: ,, Es ist ja auch Zeit, mein Mädel, das Leben steht ja nicht still und verschont niemand."

Und wieder begegnet mein Blid demjenigen meiner Frau; ich glaube darin unwilligen Verdruß zu lesen und unwillkürlich fliegt der Gedanke durch mein Gehirn: Was fehlt ihr bloß? Nachdem Njussia das Zimmer verlassen hat, tritt auf einige Augenblide eine Stille ein; ich horche auf das gleichmäßige Pendeln der großen Wanduhr. Draußen, hinter den fest verschlossenen Fenstern ertönen hastig rollende Räder. Wie diese rasch sich entfernend ver stummen, seufzt meine Frau ihnen tief und lange nach. Nervös mit ihren dicken Fingern die Krumen vom Tische fegend, wendet sie sich mit heiferer, veränderter Stimme zu mir: Du mußt wohl müde sein und hier stören noch die Kinder... Sie sind einfach unausstehlich, besonders Njussia, und doch ist sie nicht mehr klein!"

An der Szene, die sich vor mir abgespielt hat, sowie am Tone meiner Frau merte ich, daß in dem Verhältnis zwischen Mutter und Tochter nicht alles klappt, aber jetzt am Tage meiner Ankunft, nach fünfjähriger Abwesenheit im Kriege, will ich absichtlich diese Wunde nicht berühren und gebe mir deshalb den Anschein, als verstände ich sie nicht. ,, Und wie geht es denn dir?" frage ich meine Frau in scherzendem Tone, doch meine Stimme gehorcht mir nicht, flingt falsch und gefünftelt.

Jch blicke sie an; augenblicklich errötet sie verlegen, senkt die Augen und ich fann nicht verstehen, weshalb ihr Gesicht soviel Furcht, soviel ängstliche Verschlossenheit aus

brüdt.

Jch? Wie es mir geht?" murmelte sie und ich sehe, wie sie eine merkliche Anstrengung macht, aufsteht, von hinten zu mir tritt und sagt:

Komm doch, du brauchst Ruhe nach der Reise, du hast wohl fünf Jahre nicht geschlafen?"

( Fortsetzung folgt)