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3. Jahrgang
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Mittwoch, den 7. Juli 1920
Nummer 264
Morgen- Ausgabe.
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greiheit
Was wird in Spaa?
Die zweite Sigung
Spaa, 6. Juli.
Die zweite Sigung der Konfer rurde heute nachmittag 4½ Uhr in Anwesenheit zahlreiher muutärischer und maritimer Sachverständiger eröffnet. Bon deutscher Seite nahmen auch Reichswehrminister Dr. Gehler und General von Seedt daran teil.
Der Reichsminister der Justiz Dr. Seinze ist heute abend b hufs Teilnahme an der Konferenz in Spaa in Begleitung des Reichsanwalts Richter von der Reichsanwaltschaft in Leipzig abgereist.
Die Danziger Frage abgesetzt
Spaa, 6. Juli. Von zuständiger deutscher Seite wird mitgeteilt: Bei der gestrigen ersten Sigung der Konferenz war als letzter Programmpunkt die Danziger Frage aufgestellt worden. Die deutsche Delegation hatte dagegen feinen Einspruch erhoben, da angenommen werden konnte, daß in Verbindung damit sämtliche schwebenden Ostfragen erörtert werden sollten. Da es sich um ein Mißverständnis handelte, ist die Danziger Frage wieder von der Tagesordnung abgesetzt worden und die bereits hergebetenen Sachverständigen werden ihre Reise hierher nicht antreten.
Die Ansprüche Italiens
Spaa, 6. Juli. ( Havas- Reuter.) Nach Schluß der Zusammenkunft prüften die Finanzjachver ständigen die italienische Note, in der der Standpunst der Jtaliener in der Frage der Verteilung der Wiedergutmachung ausein andergesetzt wird. Das lange Schriftstück nimmt die in Brüssel und Boulogne von Bertolini gemachten Darlegungen wieder auf, wonach die von den verschiedenen feindlichen Mächten verlangten Teilsummen ein gemeinsames Pfand bilden sollen, in das sich alle Alliieten im Verhältnis zu ihren Ansprüchen zu teilen haben. Ohne Bezug darauf zu nehmen, daß der Italien zugesprochene Anteil an der deutschen Entschädigung 10 Prozent betragen soll, stellt die italienische Note als Vorbedingung für die Zustimmung Italiens den Grundsatz auf, daß sein Anteil nicht weniger als vier Milliarden betragen soll. Außerdem soll Italien ein Vorzugsrecht bei jeder Verteilung der von Oesterreich und Bulaarien geforderten Summen haben und besonders eine Erhöhung seines Antcils an der österreichischen Tonnage.
Ueber die Konferenz von Spaa fursieren die verschie densten Gerüchte und Ansichten. Ein ganzes Heer von Journalisten ist in Bewegung, um der Welt den Verlauf und die Ergebnisse der Konferenz je nach Gesinnung und Verlangen mitzuteilen. Bis jetzt gab es noch nichts, um die allgemeine Spannung zu befriedigen und die Journalisten halfen sich mit allerlei Stimmungsbildern und Mutmaßungen über den Mangel an Sensationen.
Die Konfernz hat nun gestern nachmittag nach Eintreffen des Reichswehrministers Geßler und Herrn v. Seedt begonnen. Es ist kein Zufall, daß die Entente die Entwaff= nungsfrage vorweg erledigt wissen will. Es ist anzunehmen, daß sie bei der Entwaffnung unerbittlich bleiben wird, um bei den finanziellen Bedingungen mit sich reden zu lassen. So flug werden die Männer der Entente inzwischen auch geworden sein, daß es unmöglich ist, Deutschland zur Erfüllung der finanziellen Vertragsbedingungen zu zwingen, ohne ihm gewisse Erleichterungen der Zahlungsbedingungen, eine vernünftige Festsetzung der endgültigen Wiederautmachung und völlige Freiheit zum Weltverkehr zu gewähren. Aber es ist 3 wedlos, sich in Kombinationen über die Abfichten der Entente zu ergehen. Der tatsächliche Verlauf und die Beschlüsse der Konferenz werden uns zeigen, ob und in welcher Weise die Einsicht von der Unhaltbarkeit des Verfailler Vertrages in den Ententefreifen gestiegen ist oder ob noch einmal das starre Bestehen auf dem Schein gesiegt hat. Aber über die Verhandlungen in Spaa hinaus fönnen wir heute schon sagen, daß sie feinesfalls den ersehnten Zustand der politischen und und wirt maftlichen Beruhigung Europas bringen werden. Die fapitalistischen und imperialistischen Interessengegensäge sind zwischen den Siegerstaaten noch längst nicht gemildert, geschweige denn beigelegt. Dazu tommen die innerpolitischen Schwierialeiten, die sich in der wachsenden Aktivität der Arbeiterschaft der einzelnen Länder äußern. Es kommt hinzu das russische Problem, ohne dessen Lösung an eine Stabilisierung der europäischen Verhältnisse nicht zu denken ist.
Die Arbeiterschaft wird also gut tun, sich über die Konferenz von Spaa feinerlei Jllusionen hinzugeben. Man sucht fich dort„ kapitalistisch" zu verständigen und wird, trotz der Schönsten Reden, steden bleiben, wie man bis jetzt trotz aller Friedensschlüsse steden geblieben ist und Europa heute immer noch in einem latenten Kriegszustand sich befindet. großen weltgeschichtlichen Fragen, die in Spaa zu lösen sind, fönnen nur im Sinne und in der Praris des Sozialismus erledigt werden.
Hugo Stinnes bei Millerand Paris , 6. Juli. ( Savas.)
Der Sonderberichterstatter des„ Matin" in Spaa telegraphiert feinem Blatte: Gestern hatte Hugo Stinnes , der von Köln gekommen war, eine lange Zusammenkunft mit Millerand, Dieser empfing ihn in dem französischen Quartier. Stinnes setzte Millerand seine Pläne über die Wiederherstellung der verwüsteten Gebiete auseinander... Millerand machte einige Einwendungen, erklärte sich aber lebhaft interessiert durch das von Stinnes entwickelte System der internationalen Mitwirkung.
Es ist nicht ohne Interesse, daß Hugo Stinnes , der Urheber der Ausraubung der französischen und belgischen industriellen Werke und der Deportationen der belgischen und nordfranzö= sischen Bevölkerung, sich mit Millerand über den Wiederaufbau bespricht. Es fennzeichnet den ganzen Wahnwit dieses Krieges, daß derselbe Mann, der die Notwendigkeit der Zerstörung als im Interesse der Landesverteidigung liegend bewies und sie ohne Rücksicht auf persönliche und materielle Opfer der Betroffenen und ohne jede Voraussicht auf die zufünftige Gestaltung der internationalen Verhältnisse durchführte, daß derselbe Mann sich heute mit Eifer für den Wiederaufbau einsetzt. Aber über dieses persönliche Moment hinaus ist es auch bezeichnend für die fapitalistische Gesellschaft und für die kapitalistischen Regierungen, daß sie, in schneidendem Gegensatz zur patriotischen Phrase, sich ruhig mit dem Feind und Zerstörer von gestern zusammensetzen, wenn es sich um die Wahrnehmung fapitalistischer Interessen handelt. Denn es ist taum anzunehmen, daß Stinnes nur aus reuevollem Herzen sich des Wiederaufbaues annimmt, sondern Serr Millerand und die französischen Kapitalisten den Wiejedenfalls doch aus geschäftlichen Gründen. Und ebenso stehen deraufbauplänen, wie sie von der deutschen Arbeiterschaft ausgearbeitet wurden, skeptisch, wenn nicht gar ablehnend gegenüber, da sie die Einschmuggelung des Bolschewismus befürchten. So finden sich Herr Millerand und Herr Stinnes als lebendige Beispiele für die internationale Interessenge= meinschaft des Kapitals.
Einladung an Genossen Ledebour
Eigene Drahtmeldun der Freiheit". Waris, 6. Juli.
Die sozialistische Partei Frankreichs hat beschlossen, den Genossen Ledebour zu der Trauerfeier in Paris fur den Genossen Jaures am 31. Juli einzuladen.
Neue Offensive gegen Polen
Frankfurt a. M., 6. Juli.
Die Frankfurter Zeitung " meldet aus Warschau : Die Bol schewiti haben die erwartete Offensive an der Nordfront nördlich der Bahn Molodetschno - Polozt begonnen. Fünf Divisionen, Tanks und Panzerzüge wurden gegen den Durchgang zwischen den Seen südlich von Schadow und nördlich der Bahn angesetzt. Der Durchbruch des ersten Vorstoßes wurde verhindert
In der am 4. Juli in Brüssel abgehaltenen Sigung des Büros des internationalen Gewerkschaftsbundes wurde der Bericht des Sekretärs des Bundes über die in Wien wegen Beilegung des heißen. Bontotts gegen Ungarn geführten Besprechungen gutge= heiben. Es wurde beschlossen, den Boykott unabges Ich wächt fortzusehen und wegen seiner Verschärfung mit den in Frage kommenden Organisationen in Verbindung zu
treten.
Aus Prag wird uns geschrieben: Wie„ Robotniche Morring" unser slowakisches Bruderorgan mitteilen, führt sowohl das Eisenbahn, als auch das Schiffs- und Postpersonal der Slowakei den Boykott gegen Ungarn stritte durch. Bis jezt sind 441 Waggons mit Getreide und verschiedenen Fabrikaten aufgehalten worden, Waren, die raschem Verderben unterliegen, werden Konjumver ei nen und Wirtschaftsräfen übergeben; auf den Bahnhöfen werden Sendungen für UnWaggons den Absendern zurückgestellt. Im Preßburger Donaugarn überhaupt nicht angenommen und eingelegte hajen liegen sechs Schlepper mit 180 Waggons Kohle und Bretgehalten werden. tern, bei den dortigen Spediteuren 600 Kisten Waren, die zurück
Folgen des Schieberunwesens
Eigene Drahtmeldung der Freiheit". Hindenburg ( Oberschlesien ), 6. Juli. In der großen Schieberaffäre, an der eine Anzahl amtlicher Personen beteiligt sind, wurden neue Verhaftungen vors genommen. Jn Breslau ist eine, in Schoppenit find drei Personen festgenommen worden. In Kattowig fand eine große Protests wirtschaftsorgane richtet und in der hohe Beamte namentlich an versammlung statt, die sich gegen die oberschlesischen Kriegsgegriffen wurden. Am Montag fam es in Kattowi t, heute in Gleiwit zu Marttunruhen.
Es kommt der Tag!
Das Schwurgericht in Naumburg a. G. hat, wie wir in unserer gestrigen Morgenausgabe furz mitgeteilt haben, 28 Arbeiter zu insgesamt 79 Jahren Zuchthaus und 53 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Anklage lautete auf Landfriedensbruch, der von den Angeklagten während des großen Generalstreits der Bergarbeiter in Mitteldeutschland im März des vorigen Jahres durch Zusammenrottungen, Bedrohungen an Leib und Leben, gewalt sames Eindringen in fremdes Eigentum und ähnliche Handlungen begangen worden sein soll. Die Begründung des Urteils liegt uns noch nicht vor. Wir wissen noch nicht, auf welche Tatsachen es sich stützt. Aber das eine wissen wir schon jezt: dieses Urteil ist ein Ausbruch der Klassen justiz, wie es im gleichen Umfange noch nicht erhört worden ist. Es ist ein Urteil, das die Justiz des fapitalistismen Bürgertums nicht nur gegen diese 28 Angeklagte, sondern gegen die ganze deutsche Arbeiterschaft gefällt hat.
Erinnern wir uns der Novembertage des Jahres 1918. Der deutsche Militarismus war zusammengebrochen, die Träger der alten Macht hatten sich seige vor dem Zorn des betrogenen und belogenen Volkes verkrochen. Las deutsche Proletariat hatte sich, nach der langen Knechtung der Kriegszeit, erhoben, um mit seinen Peinigern Abrechnung zu halten. In unzähligen Fällen fam es damals zu Zusammenrottungen, Bedrohungen und all den anderen Schandtaten, deren die Angeklagten von Naumburg jetzt beschuldigt wor den sind. Das Proletariat hat die Macht, die es damals in den Händen hielt, wieder fortgegeben; aber die Nuznießer der Novembertage bestiegen sonder Skrupel die Regierungsseffel, griffen nach den höchsten Stellen im Staatsleben, sie sonnen sich noch heute im Besitze der Macht, die ihnen die Landfriedensbrecher vom November 1918 überlassen hatten. Kein Staatsanwalt, fein Schwurgericht hat sich gefunden, das gegen sie vorgegangen wäre. Sie blieben Ehrenmänner vom Scheitel bis zur Sohle, niemand würde es wagen, ihnen die Tore des bürgerlichen Lebens zu versperren.
Aber zwischen dem November 1918 und dem Juni 1920 liegen anderthalb Jahre. Anderthalb Jahre der Gegenrevolution, des politischen und wirtschaftlichen Rückschritts und des geistigen Stillstandes. Anderthalb Jahre, in denen die Bourgeoisie eine Stellung nach der anderen wieder besetzte, in denen der Militarismus seine Wiedergeburt erlebte, in denen die Bureaukratie ihre Einrichtungen mehr denn je befestigte, in denen die Justiz sich wieder völlig in ihre alte Gesinnung zurückfand. Und so ist das, was im November 1918 als eine Selbstverständlichkeit galt, heute zum Verbrechen geworden, das mit den furchtbarsten Zuchthausstrafen geahndet werden muß. Und noch mehr, die Bourgeoisie nimmt Rache an der Arbeitertiasse, sie sühnt die Schande ihre feigen Flucht vor den Arbeiterfäuften in Vera hängung von Schandurteilen gegen die Angehörigen der Arbeiterschaft.
Freilich ist ein Unterschied zwischen den Nutznießern der Revolution vom November 1918 und den Beteiligten am mitteldeutschen Streit vom März 1919. Jene haben der Bourgeoisie wieder in den Sattel geholfen, und deshalb ist es nur billig, wenn ihnen die Bourgeoisie dafür ihren Dank ausspricht, indem sie ihre Taten als Rettung des Staates anerkennen. Diese aber, die Arbeiter von Mitteldeutschland , wollten das zu Ende führen, was ein halbes Jahr vorher versäumt worden war; sie drängten auf Beseitigung der Klassenherrschaft, sie verlangten nach der Umwandlung der Produktionsverhältnisse zu einer sozialistischen Ordnung, sie forderten schließlich, daß aus einem auf der Unterdrückung und Ausbeutung der breiten Volksschichten beruhenden Staate ein Gemeinwesen gemacht werden sollte, in dem gleiches Recht und gleiche Pflicht für die gesamte werftätige Bevölkerung gefte. Und dieses Unterfangen mußte von der Justiz der Bourgeoisie aufs härteste geahndet werden. So erklärt sich über alle Einzelheiten der Beweisaufnahme hina aus das ungeheuerliche Zuchthausurteil von Naumburg .
Der ruchlose Mord an Karl Liebfnet und. Rosa Luxemburg ist noch immer ohne Sühne. Der Mörder der 28 Matrosen in der Französischen Straße zu Berlin wurde von einem Gericht seiner Kamraden freigesprochen. Die Hochverräter aus den Tagen des Kapp- Butsches laufen noch immer straffrei herum, fein Haar ist ihnen bisher gekrümmt worden. Von einem Marburger Kriegsgericht find die 15 zeitfreiwilligen Studenten, die in viehischer Weise 15 Arbeiter im Bad Thal abgeschlachtet haben, freigesprochen worden. Der Mord an unserem Genossen Futran in Köpenick , der erschossen wurde, weil er durch Berhandlungen Blutvergießen verhindern wollte, ist nach drei Monaten noch ohne Sühne. Die Mörder unseres Genossen. Schottländer in Breslau laufen noch immer unbehelligt herum, trotzdem ihr Aufenthaltsort lange Zeit befannt war. Die Baltikumer aus Soest , die sich ihrer Auflösung widersetzten und dabei eine Anzahl Reichswehrsoldaten töteten, sind vom Kriegsgericht freigesprochen worden. Und so weiter. Und so weiter.
Das sind die Tatsachen, so himmelschreiend, daß sie jeden Menschen mit nur einigem Gerechtigkeitsgefühl in die heftigste Erregung versehen müßten. Aber im Bürgertum