Einzelpreis 30 Pfg.

3. Jahrgang

Die Freiheit erscheint morgens und nachmittags, Sonntags und Montags nur einmal. Der Bezugspreis beträgt bei freier Zustellung ins Saus für Groß- Berlin 10, M. im voraus zahlbar, von der Spedition selbst abgeholt 8,50 M. Für Posts bezug nehmen sämtliche Bostanstalten Bestellungen entgegen. Unter Streifband bezogen für Deutschland und Desterreich 16,50 m., für das übrige Ausland 21,50 m. zuzüglich Baluta- Aufschlag, per Brief für Deutschland und Desterreich 30,- m. Redaktion, Expedition und Verlag: Berlin C 2, Breite Straße 8-9.

Mittwoch, den 7. Juli 1920

Nummer 264

Morgen- Ausgabe.

Die achtgespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum koftet 5,- m. einschließlich Teuerungszuschlag. Kleine Anzeigen; Das fettgedruckte Wort 2, M., jedes weitere Wort 1,50 m., einschließlich Teuerungszuschlag. Laufende Anzeigen laut Tarif. Familien- Anzeigen und Stellen- Gesuche 3,20 m. netto pro Zeile. Stellen- Gefuche in Wort- Anzeigen: das fettgedruckte Wort 1,50 m., jedes weitere Wort 1,- M. Fernsprecher: Zentrum 2030, 2645, 4516 4603, 4635, 4649, 4921.

greiheit

Berliner Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Was wird in Spaa?

Die zweite Sigung

Spaa, 6. Juli.

Die zweite Sigung der Konfer rurde heute nachmittag Uhr in Anwesenheit zahlreiher muutärischer und mari­timer Sachverständiger eröffnet. Bon deutscher Seite nahmen auch Reichswehrminister Dr. Gehler und General von Seedt daran teil.

Berlin , 6. Juli.

Der Reichsminister der Justiz Dr. Seinze ist heute abend b hufs Teilnahme an der Konferenz in Spaa in Be­gleitung des Reichsanwalts Richter von der Reichsanwaltschaft in Leipzig abgereist.

Die Danziger Frage abgesetzt

Spaa, 6. Juli. Von zuständiger deutscher Seite wird mitgeteilt: Bei der gestri­gen ersten Sigung der Konferenz war als letzter Programmpunkt die Danziger Frage aufgestellt worden. Die deutsche Dele­gation hatte dagegen feinen Einspruch erhoben, da angenommen werden konnte, daß in Verbindung damit sämtliche schwebenden Ostfragen erörtert werden sollten. Da es sich um ein Mißver­ständnis handelte, ist die Danziger Frage wieder von der Tages­ordnung abgesetzt worden und die bereits hergebetenen Sach­verständigen werden ihre Reise hierher nicht antreten.

Die Ansprüche Italiens

Spaa, 6. Juli. ( Havas- Reuter.) Nach Schluß der Zusammenkunft prüften die Finanzjachver ständigen die italienische Note, in der der Standpunst der Jtalie­ner in der Frage der Verteilung der Wiedergutmachung ausein andergesetzt wird. Das lange Schriftstück nimmt die in Brüssel und Boulogne von Bertolini gemachten Darlegungen wieder auf, wonach die von den verschiedenen feindlichen Mächten verlangten Teilsummen ein gemeinsames Pfand bilden sollen, in das sich alle Alliieten im Verhältnis zu ihren Ansprüchen zu teilen haben. Ohne Bezug darauf zu nehmen, daß der Italien zugesprochene Anteil an der deutschen Entschädigung 10 Prozent betragen soll, stellt die italienische Note als Vorbedingung für die Zustimmung Italiens den Grundsatz auf, daß sein Anteil nicht weniger als vier Milliarden betragen soll. Außerdem soll Italien ein Vorzugsrecht bei jeder Verteilung der von Oesterreich und Bulaarien geforder­ten Summen haben und besonders eine Erhöhung seines Antcils an der österreichischen Tonnage.

Ueber die Konferenz von Spaa fursieren die verschie densten Gerüchte und Ansichten. Ein ganzes Heer von Jour­nalisten ist in Bewegung, um der Welt den Verlauf und die Ergebnisse der Konferenz je nach Gesinnung und Verlangen mitzuteilen. Bis jetzt gab es noch nichts, um die allgemeine Spannung zu befriedigen und die Journalisten halfen sich mit allerlei Stimmungsbildern und Mutmaßungen über den Mangel an Sensationen.

Die Konfernz hat nun gestern nachmittag nach Eintreffen des Reichswehrministers Geßler und Herrn v. Seedt be­gonnen. Es ist kein Zufall, daß die Entente die Entwaff= nungsfrage vorweg erledigt wissen will. Es ist anzunehmen, daß sie bei der Entwaffnung unerbittlich bleiben wird, um bei den finanziellen Bedingungen mit sich reden zu lassen. So flug werden die Männer der Entente inzwischen auch ge­worden sein, daß es unmöglich ist, Deutschland zur Er­füllung der finanziellen Vertragsbedingungen zu zwingen, ohne ihm gewisse Erleichterungen der Zahlungsbedingungen, eine vernünftige Festsetzung der endgültigen Wiederaut­machung und völlige Freiheit zum Weltverkehr zu gewähren. Aber es ist 3 wedlos, sich in Kombinationen über die Ab­fichten der Entente zu ergehen. Der tatsächliche Verlauf und die Beschlüsse der Konferenz werden uns zeigen, ob und in welcher Weise die Einsicht von der Unhaltbarkeit des Ver­failler Vertrages in den Ententefreifen gestiegen ist oder ob noch einmal das starre Bestehen auf dem Schein gesiegt hat. Aber über die Verhandlungen in Spaa hinaus fönnen wir heute schon sagen, daß sie feinesfalls den ersehnten Zu­stand der politischen und und wirt maftlichen Beruhigung Europas bringen werden. Die fapitalistischen und imperiali­stischen Interessengegensäge sind zwischen den Siegerstaaten noch längst nicht gemildert, geschweige denn beigelegt. Dazu tommen die innerpolitischen Schwierialeiten, die sich in der wachsenden Aktivität der Arbeiterschaft der einzelnen Länder äußern. Es kommt hinzu das russische Problem, ohne dessen Lösung an eine Stabilisierung der europäischen Verhältnisse nicht zu denken ist.

Die Arbeiterschaft wird also gut tun, sich über die Kon­ferenz von Spaa feinerlei Jllusionen hinzugeben. Man sucht fich dort kapitalistisch" zu verständigen und wird, trotz der Schönsten Reden, steden bleiben, wie man bis jetzt trotz aller Friedensschlüsse steden geblieben ist und Europa heute immer noch in einem latenten Kriegszustand sich befindet. großen weltgeschichtlichen Fragen, die in Spaa zu lösen sind, fönnen nur im Sinne und in der Praris des Sozialismus erledigt werden.

Hugo Stinnes bei Millerand Paris , 6. Juli. ( Savas.)

Der Sonderberichterstatter des Matin" in Spaa telegraphiert feinem Blatte: Gestern hatte Hugo Stinnes , der von Köln gekommen war, eine lange Zusammenkunft mit Millerand, Dieser empfing ihn in dem französischen Quartier. Stinnes setzte Millerand seine Pläne über die Wiederherstellung der verwüsteten Gebiete auseinander... Millerand machte einige Einwendungen, erklärte sich aber lebhaft interessiert durch das von Stinnes entwickelte System der internationalen Mit­wirkung.

Es ist nicht ohne Interesse, daß Hugo Stinnes , der Urheber der Ausraubung der französischen und belgischen industriellen Werke und der Deportationen der belgischen und nordfranzö= sischen Bevölkerung, sich mit Millerand über den Wiederauf­bau bespricht. Es fennzeichnet den ganzen Wahnwit dieses Krieges, daß derselbe Mann, der die Notwendigkeit der Zer­störung als im Interesse der Landesverteidigung liegend bewies und sie ohne Rücksicht auf persönliche und materielle Opfer der Betroffenen und ohne jede Voraussicht auf die zu­fünftige Gestaltung der internationalen Verhältnisse durch­führte, daß derselbe Mann sich heute mit Eifer für den Wie­deraufbau einsetzt. Aber über dieses persönliche Moment hinaus ist es auch bezeichnend für die fapitalistische Gesell­schaft und für die kapitalistischen Regierungen, daß sie, in schneidendem Gegensatz zur patriotischen Phrase, sich ruhig mit dem Feind und Zerstörer von gestern zusammensetzen, wenn es sich um die Wahrnehmung fapitalistischer Interessen han­delt. Denn es ist taum anzunehmen, daß Stinnes nur aus reuevollem Herzen sich des Wiederaufbaues annimmt, sondern Serr Millerand und die französischen Kapitalisten den Wie­jedenfalls doch aus geschäftlichen Gründen. Und ebenso stehen deraufbauplänen, wie sie von der deutschen Arbeiterschaft ausgearbeitet wurden, skeptisch, wenn nicht gar ablehnend gegenüber, da sie die Einschmuggelung des Bolschewismus be­fürchten. So finden sich Herr Millerand und Herr Stinnes als lebendige Beispiele für die internationale Interessenge= meinschaft des Kapitals.

Einladung an Genossen Ledebour

Eigene Drahtmeldun der Freiheit". Waris, 6. Juli.

Die sozialistische Partei Frankreichs hat beschlossen, den Ge­nossen Ledebour zu der Trauerfeier in Paris fur den Genossen Jaures am 31. Juli einzuladen.

Neue Offensive gegen Polen

Frankfurt a. M., 6. Juli.

Die Frankfurter Zeitung " meldet aus Warschau : Die Bol schewiti haben die erwartete Offensive an der Nordfront nördlich der Bahn Molodetschno - Polozt begonnen. Fünf Divisio­nen, Tanks und Panzerzüge wurden gegen den Durchgang zwischen den Seen südlich von Schadow und nördlich der Bahn angesetzt. Der Durchbruch des ersten Vorstoßes wurde verhindert

Der Boykott gegen Ungarn

Amsterdam , 6. Juli.

In der am 4. Juli in Brüssel abgehaltenen Sigung des Büros des internationalen Gewerkschaftsbundes wurde der Bericht des Sekretärs des Bundes über die in Wien wegen Beilegung des heißen. Bontotts gegen Ungarn geführten Besprechungen gutge= heiben. Es wurde beschlossen, den Boykott unabges Ich wächt fortzusehen und wegen seiner Verschärfung mit den in Frage kommenden Organisationen in Verbindung zu

treten.

Aus Prag wird uns geschrieben: Wie Robotniche Morring" unser slowakisches Bruderorgan mitteilen, führt sowohl das Eisenbahn, als auch das Schiffs- und Postpersonal der Slowakei den Boykott gegen Ungarn stritte durch. Bis jezt sind 441 Waggons mit Getreide und verschiedenen Fabrikaten aufgehalten worden, Waren, die raschem Verderben unterliegen, werden Konjumver ei nen und Wirtschaftsräfen übergeben; auf den Bahnhöfen werden Sendungen für Un­Waggons den Absendern zurückgestellt. Im Preßburger Donau­garn überhaupt nicht angenommen und eingelegte hajen liegen sechs Schlepper mit 180 Waggons Kohle und Bret­gehalten werden. tern, bei den dortigen Spediteuren 600 Kisten Waren, die zurück­

Folgen des Schieberunwesens

Eigene Drahtmeldung der Freiheit". Hindenburg ( Oberschlesien ), 6. Juli. In der großen Schieberaffäre, an der eine Anzahl amtlicher Personen beteiligt sind, wurden neue Verhaftungen vors genommen. Jn Breslau ist eine, in Schoppenit find drei Personen festgenommen worden. In Kattowig fand eine große Protests wirtschaftsorgane richtet und in der hohe Beamte namentlich an versammlung statt, die sich gegen die oberschlesischen Kriegs­gegriffen wurden. Am Montag fam es in Kattowi t, heute in Gleiwit zu Marttunruhen.

Es kommt der Tag!

Das Schwurgericht in Naumburg a. G. hat, wie wir in unserer gestrigen Morgenausgabe furz mitgeteilt haben, 28 Arbeiter zu insgesamt 79 Jahren Zuchthaus und 53 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Anklage lautete auf Landfriedensbruch, der von den Angeklagten während des großen Generalstreits der Bergarbeiter in Mitteldeutschland im März des vorigen Jahres durch Zu­sammenrottungen, Bedrohungen an Leib und Leben, gewalt sames Eindringen in fremdes Eigentum und ähnliche Hand­lungen begangen worden sein soll. Die Begründung des Ur­teils liegt uns noch nicht vor. Wir wissen noch nicht, auf welche Tatsachen es sich stützt. Aber das eine wissen wir schon jezt: dieses Urteil ist ein Ausbruch der Klassen justiz, wie es im gleichen Umfange noch nicht erhört wor­den ist. Es ist ein Urteil, das die Justiz des fapitalistismen Bürgertums nicht nur gegen diese 28 Angeklagte, sondern gegen die ganze deutsche Arbeiterschaft ge­fällt hat.

Erinnern wir uns der Novembertage des Jahres 1918. Der deutsche Militarismus war zusammengebrochen, die Träger der alten Macht hatten sich seige vor dem Zorn des betrogenen und belogenen Volkes verkrochen. Las deutsche Proletariat hatte sich, nach der langen Knechtung der Kriegs­zeit, erhoben, um mit seinen Peinigern Abrechnung zu halten. In unzähligen Fällen fam es damals zu Zusammen­rottungen, Bedrohungen und all den anderen Schandtaten, deren die Angeklagten von Naumburg jetzt beschuldigt wor den sind. Das Proletariat hat die Macht, die es damals in den Händen hielt, wieder fortgegeben; aber die Nuznießer der Novembertage bestiegen sonder Skrupel die Regierungs­seffel, griffen nach den höchsten Stellen im Staatsleben, sie sonnen sich noch heute im Besitze der Macht, die ihnen die Landfriedensbrecher vom November 1918 überlassen hatten. Kein Staatsanwalt, fein Schwurgericht hat sich gefunden, das gegen sie vorgegangen wäre. Sie blieben Ehrenmänner vom Scheitel bis zur Sohle, niemand würde es wagen, ihnen die Tore des bürgerlichen Lebens zu versperren.

Aber zwischen dem November 1918 und dem Juni 1920 liegen anderthalb Jahre. Anderthalb Jahre der Gegenrevo­lution, des politischen und wirtschaftlichen Rückschritts und des geistigen Stillstandes. Anderthalb Jahre, in denen die Bourgeoisie eine Stellung nach der anderen wieder besetzte, in denen der Militarismus seine Wiedergeburt erlebte, in denen die Bureaukratie ihre Einrichtungen mehr denn je befestigte, in denen die Justiz sich wieder völlig in ihre alte Gesinnung zurückfand. Und so ist das, was im November 1918 als eine Selbstverständlichkeit galt, heute zum Ver­brechen geworden, das mit den furchtbarsten Zuchthausstrafen geahndet werden muß. Und noch mehr, die Bourgeoisie nimmt Rache an der Arbeitertiasse, sie sühnt die Schande ihre feigen Flucht vor den Arbeiterfäuften in Vera hängung von Schandurteilen gegen die Angehörigen der Ar­beiterschaft.

Freilich ist ein Unterschied zwischen den Nutznießern der Revolution vom November 1918 und den Beteiligten am mitteldeutschen Streit vom März 1919. Jene haben der Bourgeoisie wieder in den Sattel geholfen, und deshalb ist es nur billig, wenn ihnen die Bourgeoisie dafür ihren Dank ausspricht, indem sie ihre Taten als Rettung des Staates anerkennen. Diese aber, die Arbeiter von Mitteldeutschland , wollten das zu Ende führen, was ein halbes Jahr vorher versäumt worden war; sie drängten auf Beseitigung der Klassenherrschaft, sie verlangten nach der Umwandlung der Produktionsverhältnisse zu einer sozialistischen Ordnung, sie forderten schließlich, daß aus einem auf der Unterdrückung und Ausbeutung der breiten Volksschichten beruhenden Staate ein Gemeinwesen gemacht werden sollte, in dem gleiches Recht und gleiche Pflicht für die gesamte werftätige Bevölkerung gefte. Und dieses Unterfangen mußte von der Justiz der Bourgeoisie aufs härteste geahndet werden. So erklärt sich über alle Einzelheiten der Beweisaufnahme hina aus das ungeheuerliche Zuchthausurteil von Naumburg .

Der ruchlose Mord an Karl Liebfnet und. Rosa Luxemburg ist noch immer ohne Sühne. Der Mörder der 28 Matrosen in der Französischen Straße zu Berlin wurde von einem Gericht seiner Kamraden freigesprochen. Die Hochverräter aus den Tagen des Kapp- Butsches laufen noch immer straffrei herum, fein Haar ist ihnen bisher gekrümmt worden. Von einem Marburger Kriegsgericht find die 15 zeitfreiwilligen Studenten, die in viehischer Weise 15 Arbeiter im Bad Thal abgeschlachtet haben, freigesprochen worden. Der Mord an unserem Ge­nossen Futran in Köpenick , der erschossen wurde, weil er durch Berhandlungen Blutvergießen verhindern wollte, ist nach drei Monaten noch ohne Sühne. Die Mörder unseres Genossen. Schottländer in Breslau laufen noch immer unbehelligt herum, trotzdem ihr Aufenthaltsort lange Zeit befannt war. Die Baltikumer aus Soest , die sich ihrer Auflösung widersetzten und dabei eine Anzahl Reichs­wehrsoldaten töteten, sind vom Kriegsgericht freigesprochen worden. Und so weiter. Und so weiter.

Das sind die Tatsachen, so himmelschreiend, daß sie jeden Menschen mit nur einigem Gerechtigkeitsgefühl in die heftigste Erregung versehen müßten. Aber im Bürgertum