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Mittwoch, den 7. Juli 1920

Nummer 265

Abend- Ausgabe

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greiheit

Berliner   Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Beinliche Lage in Spaa

Die geftrigen Vorgänge

Man kann die gestrigen Vorgänge in der Kon= ferenz von Spaa nicht begreifen, wenn man sich nicht die innerdeutschen Vorgänge aus den jüngstvergangenen Wochen in Erinnerung zurückruft. Die deutsche Deffentlich feit wurde mit Schwindelnachrichten über an= gebliche Putschvorbereitungen der Kommunisten

Das äußerste ist noch verhütet worden; heute nachmittag soll über die militärischen Fragen wieder gesprochen werden. Hoffentlich hat die gestrige Lektion auf die deutschen   Ver­treter so erzieherisch gewirkt, daß sie nnumehr den Ernst der Lage begreifen und ohne Ausflüchte das tun, was die Stunde gebietet: die Beseitigung des deutschen   Militarismus nicht gebietet: die Beseitigung des deutschen   Militarismus nicht länger zu verschleppen, sondern sie aufs ernstlichste durch zuführen.

Unehrliches Treiben

Die unehrliche Haltung, die die Rechtssozialisten in der Frage der Regierungsbildung eingenommen haben, scheinen sie jetzt in anderen Fragen fortsetzen zu wollen. Damals haben sie unter bewußter Täuschung der Oeffentlichkeit durch geschickte Manöver die Unabhängige Sozialdemokratie dafür verantwortlich zu machen gesucht, daß eine bürgerliche Res gierung zustande kam, während sie selbst, wie das geheime Rundschreibe nihres Parteivorstandes mit voller Deutlichkeit bewiesen hat, von Anfang an die Absicht hatten, eine Rechts regierung zustande zu bringen. Es ist natürlich, daß diese Haltung, die wie ebenfalls das Rundschreiben ausges

und Unabhängigen überschüttet; diese Schwindelnachrichten Der Verlauf der zweiten Sigung sprochen hat, lediglich parteipolitische Ursachen hat, auf die

Find nicht allein von der reaktionären Presse verbreitet wor­den, sondern das Reichswehrministerium und andere Regie­rungsstellen, wie das preußische Kommissariat für öffentliche Drdnung, nahmen teil daran. Man erinnere sich, daß noch unlängst der Major Gier! vom Reichswehrministerium dem Vertreter der Chicago Tribune" von Unruhen in Deutschland   erzählt, daß er ihm Schauermärchen über die an­gebliche Bildung einer Roten Armee vorgetragen hatte, ohne daß er in der Lage war, auch nur das geringste Material für seine Behauptung beizubringen. Diese Schwindeleien sollten auf die Alliierten Eindrud machen und die Herab­segung des bestehenden Heeres auf 100 000 Mann verhindern.

Aber noch mehr. Die deutsche Regierung hat sich beharr: lich der Herabsegung der Heeresstätte auf 100000 Mann widersetzt, z der sie vertraglich ver­pflichtet war. Sie versuchte es so darzustellen, als ob diese Frage in Spaa erst durchgesprochen werden solle und daß die vorherigen Vereinbarungen dadurch hinfällig geworden seien. Eine ähnliche hinterhältige und zweideutige Haltung nahm die Regierung bei der Ablieferung und Vernich­tung des Heeresmaterials ein. Immer wieder sind die Vertreter der Entente hingehalten worden, ja, man hat sie in bestimmt nachweisbaren Fällen sogar hinters Licht zu führen gesucht. Es wäre allerdings zuviel gesagt, wenn man die zivilen Stellen der Regierung allein und in der Hauptsache dafür verantwortlich machen würde. Hinter all diesen Treibereien stehen die Militärs und die Regierung hat sich als willfähiger Diener ihrer Ansprüche gebrauchen laffen. Damit hat sie die Interessen des Volkes aufs schwerste geschädigt, sie hat sich selbst in die peinliche Situation vom Dienstag gebracht, die die deutsche Vertretung vor der ganzen Welt blosstellte.

Spaa, 6. Juli.  ( W. T. B.)

Die zweite Sigung der Konferenz, an welcher auf deutscher   Seite Reichskanzler Fehrenbach, Minister des Aeußern Dr. Simons, Reichswehrminister Dr. Gezler und General von Seedt teilnahmen, wurde kurz nach ½25 Uhr durch den Ministerpräsidenten Delacroig mit der Frage eröffnet, welches Mitglied der deutschen Delegation den Auftrag habe, die Noten der Entente in der Frage der Entwaffnung zu beant­worten. Der Reichskanzler entgegnete, daß Reichswehrminister Dr. Gehier dazu bereit sei.

Reichswehrminister Dr. Geßler ging sofort in längeren Aus­führungen auf die ganze Entwaffnungsfrage ein. Er schilderte den gegenwärtigen Zustand: statt der 100 000 Mann jei unser Seer noch 200 000 Mann start, das Material sei ziemlich volständig abgegeben, wenn auch über einzelne Punkte der Ab­gabe noch Differenzen mit den militärischen Ueberwachungstom missionen der Entente beständen. Die 200 000 Mann jeien für die deutsche Regierung eine unumgängliche Notwen= bigteit. Sie stellten das Minimum dessen dar, was wir an­gesichts der politischen Unruhen, Die immer wieder zum Ausbruch tamen, brauchten. Die wirtschaftliche De­pression, das Seer der Arbeitslosen, das zunähme und durch neue Entlassungen weiter vergrößert werden würde, die Kriegsbeschä= digten, die Flüchtlinge aus den abgetretenen und befehten Ge­bieten, die Schwierigkeiten, die wir mit der Eintreibung der neuen Steuern hätten alles das mache eine starke Macht in der Hand der Regierung notwendig. Auch sei die Regierung durch das Echidsal der zwanzigtausend Offiziere, die von der Ents laffung betroffen seien, und deren Lage und Absichten niemand fenne, in starter Sorge. Unter den obwaltenden Umständen halte er die deutsche Regierung für außer Stande, die Wehrmacht weiter zurückzuschrauben.

Lloyd George   ergriff darauf das Wort und zählte die Punkte auf, in denen die Alliierten Deutschland   Nichterfül­lung des Friedensvertrages in militärischen Dingen zum Vorwurf machen, insbesondere, daß die Reichs­wehr statt einhunderttausend Mann zweihunderttausend Köpse umfasse, und daß Deutschland   statt der ihm zugestandenen zwei­tausend Maschinengewehre fünfzigtausend habe, statt der ihm zugestandenen 280 Geschuhe zwölftansend. An Gewehren seien zwar 1,5 Millionen abgeliefert und die Hälfte davon bereits zerstört. Es unterliege jedoch feinem Zweifel, daß noch außerordentlich große Bestände in den Händen rung zu tun und was habe sie bereits getan, um diese Gewehre den der deutschen   Bevölkerung seien. Was gedente die deutsche   Regie­Alliierten auszuliefern? Der Vesig dieser Gewehre sei ein poli­tisches Gefahrenmoment von außerordentlicher Schwere. Ihm gegenüber sei es verhältnismägig gleichgültig, ob die Heeresstärke Deutschlands   einhunderttausend, zweihunderttausend oder drei­hunderttausend Mann betrage. Deutschland   sei dauernd eine schwere Gefahr für seine Nachbarn. Diese Gefahr wollten die Ani­ierten nicht mehr länger laufen und auch für die deutsche Regie rung sei dieser Zustand höchst bedenklich. Was gedenke die deutsche Regierung dagegen zu tun? Es fehle ihr entweder am guten Willen oder an Macht. Die Alliierten erwarteten von der deutschen   Regierung bis morgen vormittag bestimmte

Die Herren Fehrenbach und Geßler haben geglaubt, der eine mit einer vorbereiteten Rede, der andere mit der Wieder­holung von beweislosen Behauptungen Eindrud auf die Ver­treter der Alliierten zu machen. Sie mußten aber sofort er­fahren, daß die Vertreter der Entente dem deutschen   Spieß­bürger nicht im entferntesten gleichen; und womit sie bei der deutschen   Bourgeoisie Eindruck erwecken fonnten, das wirfte in Spaa so lächerlich, wie nur irgend möglich. Lloyd George   verlangte immer wieder Tatsachen und Ein­zelheiten. Er bekam dafür nur die Tiraden der deut­ schen   Vertreter zu hören. Die Alliierten gaben deutlich zu verstehen, daß sie über die Entwaffnungsfrage nicht zu unter­handeln wünschen, sondern daß sie von der deutschen   Regie­rung lediglich die Mitteilung darüber erwarten, wie im Ein­zelnen die Entwaffnung endlich durchgeführt Pläne, wie fich die Auslieferung dieser Wassen und die Herab­werden solle. Die Herren Fehrenbach und Geßler aber hatten sich so auf den Wahn eingestellt, daß die Ententever­treter mit ihnen über die Entwaffnungsfrage verhandeln wolle, sie lebten so sehr in der Hoffnung, daß die Alliierten ihnen die Heeresstärte von 200 000 Mann zugestehen würden, wenn sie ihnen einige Plauheiten über bolschewistische Un­ruhen in Deutschland   vortragen würden, daß sie erst nach den sehr deutlichen Worten Lloyd Georges begriffen, um was es sich eigentlich in Spaa Handele.

Es schien nach den Berichten verschiedener Journalisten in manchen Augenblicken der gestrigen Sitzung so, als ob durch das Verhalten der deutschen   Regierung die ganze Kon­ferenzgefährdet werden könnte. So darfesaber nicht weiter gehen. Das deutsche   Volk muß von den Vertretern der deutschen   Regierung verlangen, daß sie in Spaa nicht die Hausknechte der deutschen   Mi­Iitärs spielen. Wir wissen ganz genau, daß die Entente die Entwaffnung Deutschlands   aus imperialistischen Gründen verlangt; das hindert uns aber nicht daran, zu bekennen, daß in diesem Punkte die Interessen des deutschen   Volkes mit denen der Entente übereinstimmen. Wir haben den Militarismus, der das deutsche   Volk in sein grenzenloses Un­glück gestürzt hat, gründlich satt; wir verlangen, daß die Re­gierung sich nicht noch einmal aus Sorge um das Schicksal des Militarismus von den Ententevertretern moralisch ohr­feigen läßt und damit das Interesse und das Ansehen des deutschen   Volkes aufs neue und aufs schwerste schädigt.

sehung des Heeres auf einhunderttausend Manu gestalten solle. Reichskanzler ehrenbach betonte darauf in sehr ausführ­lichen und lebhaften Darlegungen die Schwierigkeiten der Auf­stellung eines sicheren Planes. Wenn die Alliierten uns Ver­trauen schenken und uns die Machtmittel belassen wollten, dann würden wir die Auslieferung der Waffen und die Herabsehung des Heeres leichter bewerkstelligen fönnen. Er mache auch darauf auf­mertjam, daß die Wiedergutmachungsforderungen der Alliierten von dem Bestehen einer genügend großen Wehrmacht in Deutsch  land abhängig seien.

Inscharfer Weise erwiderte darauf Lloyd George  , daß die Alliierten flare Daten und Ziffern wollten. Die Kon­ferenz von Span  , die er eingeleitet habe, da er es für zweckmäßig halte, sich geschäftlich zu unterhalten, statt sich Noten zu schicken, hätte sonst teinen 3wed mehr.

Minister Dr. Simons erwiderte, daß wir nach Lage der Dinge nicht hätten annehmen fönnen, daß die militärischen Fragen an erster Stelle in Spaa besprochen werden würden. Es sei zweifel­haft, ob wir bis morgen Vormittag wirklich in der Lage sein würden, bestimmte Pläne vorzulegen.

lassen, und Ministerpräsident Delacroix   fette darauf die Lloyd George   erwiderte, man werde uns genügend Zeit nächste Sigung auf Mittwoch 3% Uhr nachmittags an.

Sonderbesprechungen

Die zweite Vormittags- Konferenz in Spaa verlief ruhig. Es fand feine Sigung des Obersten Rates statt. Millerand empfing den Präsidenten der Kommission für Oberschle= sien, General Le Rond, der heute nacht in Spaa angekommen war, und beriet ferner mit Dubois. Die Finanzjachverständigen prüfen die italienische Note betreffend die Verteilung der deutschen  Entschädigungssumme. Auch die militärischen Sachver ständigen werden sich unter Fochs Borsiz versammeln.

( Siehe auch 3. Seite.)

sonstige Haltung der Partei nachwirkt.

Jmmer deutlicher wird das Bestreben, die erzwungene Op position nicht zu einer Radikalisierung der Massen und der eigenen Anhänger zu benutzen. Es herrscht bei den Rechts­sozialisten die Furcht, daß, wenn die Partei zur Vertretung sozialdemokratischer Grundsäge zurückkehren würde, späterhin die Radikalisierung so weit vorgeschritten ist, daß sich auch die eigenen Anhänger die reformistische Politik der Partei nicht mehr gefallen lassen würden. Deshalb wird eine sehr vorsichtig lavierende Politik betrieben, die verhindern soll, daß die Ansprüche der Massen sich zu ungestüm äußern.

Wie wir bereits mitgeteilt haben, hat die Unabhängige Reichstagsfraktion gegen die Durchpeitschung des Ermächti gungsgesetzes über den Volkswirtschaftlichen Ausschuß Ein­spruch erhoben und seine Verabschiedung verhindert. Diesen Anlaß benußt der Vorwärts", um der Unabhängigen So zialdemokratie in Aussicht zu stellen, daß er sie verantworts lich machen werde, wenn die Regierung die beabsichtigten hohen Getreidepreise ohne diesen Ausschuß auf dem Verords nungswege feftfezze.

Diese Argumentation ist der Gipfel einer unehr lichen Politif. Es ist bezeichnend, daß selbst die reaktio­nären Blätter bisher auf diesen Einwand nicht gekommen sind und es den Rechtssozialisten vorbehalten geblieben ist, den unersättlichen Agrariern und der ihnen willfährigen Regierung die Argumente zu liefern, mit denen sie die uns gerechtfertigte Preissteigerung verteidigen können.

Wie liegen aber die Dinge in Wirklichs feit? Kurz nach dem Zusammentritt der Nationalvers sammlung im vergangenen Jahre wurde dem Volkswirts schaftlichen Ausschuß die Befugnis übertragen, ohne Befragen des Plenums der Nationalversammlung gesetzliche Maßnah men zur Regelung des Uebergangs von der Kriegswirtschaft in die Friedenswirtschaft zu beschließen. Diese Bestimmung ist von der Regierung benutzt worden, um alle möglichen Maßnahmen durchzusetzen, die bei einer ausgiebigen Bes ratung in voller Oeffentlichkeit wahrscheinlich gefallen wären. U. a. hat dieser Volkswirtschaftliche Ausschuß   die Verordnung über den Eisen- Wirtschaftsrat beschlossen, die der Arbeits­gemeinschaft der Metallindustrie die Ernennung der Mits glieder zum Reichswirtschaftsrat überträgt und somit die größte deutsche Gewerkschaft größte deutsche Gewerkschaft den Metallarbeiterverband, vollkommen von der Vertretung im Reichswirtschaftsrat ausschließt.

Weit bedeutungsvoller aber ist die Tatsache, daß dieser Volkswirtschaftliche Ausschuß   die gewaltigen Steigerungen der Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse sowohl im Des zember des vergangenen Jahres als auch im März dieses Jahres unter Zustimmung aller bürgerlichen Parteien und unter Zustimmung der Rechtssozialisten bes schlossen hat. Es war schon damals feine Frage, daß, wenn dieses weitgehende Recht des Volkswirtschaftlichen   Aus­schusses nicht bestanden hätte und die Regierung ihre Preis­politik vor der breiten Deffentlichkeit hätte verteidigen müssen, zum mindesten die Rechtssozialisten gezwungen ge= wesen wären, ihr erheblichen Widerstand zu leisten. Im Dunkel des Ausschusses und unbemerkt von der Oeffentlich feit aber glaubten sie, diese Vertretung der Interessen der minderbemittelten Bevölkerung nicht nötig zu haben.

Dasselbe beabsichtigt die Regierung gegenwärtig. Ihre Absicht der Steigerung der Getreidepreise um 55 Proz. möchte sie durch den Ausschuß gutheißen lassen, um so der Protesta bewegung der Massen die Spitze abzubrechen. Der Ausschuß sollte sogar diese Angelegenheit während der Vers tagung des Reichstages erledigen, damit noch weniger Aufsehen als sonst aus der Angelegenheit entstehen könnte. Obwohl das Ermächtigungsgesetz mit dem Ende der Nation nalversammlung abgelaufen war, sah sich deshalb die Regies rung nicht veranlaßt, es sofort nach Zusammentritt des Reichstages neu vorzulegen, sondern sie verzögerte diese Vora legung bis zum letzten Augenblid. Erst in der Dienstags sizung, knappe zwei Stunden vor der Vertagung, wurde den Abgeordneten dieses Gesetz vorgelegt, ohne daß der Aeltestens