Zum Militärprogramm
in Spac
Erklärung des Bundes Neues Vaterland
In der Morgenausgabe des„ Berliner Tageblatts" vom 7. Jult peröffentlicht Dr. L. Quidde einen Artikel,„ Die Entwaffnungsfrage in Spaa", in dem er durchaus den Standpunkt der Regierung für die Beibehaltung der 200 000 Mann sich zu eigen macht und besonders hervorhebt, er als Pazifist glaube an die Ehr= lichkeit der Argumentationen der Reichsregierung und sei fest davon überzeugt, ihr lägen alle Sintergedanken fern, die be= waffneten Mächte für militärische Zwede zu benutzen.
Da Herr Dr. Quidde einer der Vorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft ist, und seine von der Mehrheit der deutschen Pazifisten manchmal abweichende Meinung in Fragen von Bes lang gern von der gegnerischen Presse zitiert wird, fühlt sich der Bund Neues Vaterland als pazifistische Organisation genötigt, diesen Ausführungen mit Entschiedenheit entgegenzutreten. Es ist eine absolut verkehrte Anschauung der Dinge, daß Dr. Quidde die Ehrlichkeit" der Reichsregierung in den Vordergrund rüdt und im Anschluß daran hervorhebt, es denke kein halbwegs zurechnungsfähiger" Mensch in Deutschland daran, mit Diesen für einen Kriegsfall gänzlich unzulänglichen 100 000 oder 200 000 Mann das Land in ein Abenteuer zu stürzen. Ohne uns weiter über die Meinung der Regierung auszulanjen, müssen wir Doch feststellen, daß gerade die maßgeblichen Bersonen in der Regierung in au erordentlichem Maße abhängig sind von den Informationen der höheren Offiziere, die bis auf geringe Ausnahmen bejangen sind in der militaristischen Dentweise und jeden Abrüstungsgedanken undistutabel empfinden. Diese gründliche Einschließung der Regierung ist von allen pazifistischen und linksstehenden Kreisen Deutschlands ohne Ausnahme fast bis zum Ueberbruß bellagt worden. Sollte wirklich einem Politiker wie Dr. Quidde das alles entgangen sein? Nach Herrn Dr. Quidde soll in Deutschland fein halbwegs zurechnungsfähiger" Menich an einen Revanchetrieg glauben. Natürlich ist es für einen jeden, der bei der Betrachtung der Dinge sein Gehirn nicht ausschaltet, eine Selbstverständlichkeit, daß man unter heutigen Verhältnissen weder mit 100 000 noch mit 200 000 Mann bedeutsame triegerische Aktionen unternehmen kann. Ein Blick in die sehr einflußreiche reaktionäre Bresse lehrt jedoch, daß die Verfechter des Revanchegedantens recht zahlreich sind. In der Reichswehr, in der Verwaltung, in der Wirtschaft nehmen fie fehr wichtige Posten ein und machen ihren Einfluß in dieser Richtung geltend. Man sollte sich also keineswegs die Sache so einfach machen, wie es Herr Dr. Quidde tut. Was wir vor einem Jahr vielleicht noch als fixe Idee belächeln fonnten, ist heute zu einem Glauben geworden, der weite Schichten der Bürgertums ⚫ beherrscht. Ist es doch, um ein Beispiel zu erwähnen, bisher noch nicht widerlegt worden, daß der jezige Sachverständige für Heeresangelegenheiten in Spaa, der General v. Seedt, in diesem Winter in der Aula der Hamburgischen Universitat vor Studenten ausgeführt hat, daß wir uns starf erhalten müßten für den kommenden Krieg!! Kann der Vorsigende der Deutschen Friedensgesellschaft so leicht über alle diese Tatsachen hinwegsehen?
Uebrigens entspricht es gar nicht den Tatsachen, daß wir heute nur noch eine Heeresmacht von 200 000 Mann haben. Wir hatten Ende April an Reichswehr, Zeitfreiwilligenverbänden und Freitorps 600 000 Mann. Heute ist die Abrüstung bei weitem noch nicht so vorgeschritten, daß die Ziffer von 200 000 erre: t wire, noch stehen mindestens 300 000 Mann unter den Waffen. Es foll nicht im geringsten bestritten werden, daß der Aorüstungsprozeß schon aus wirtschaftlichen Gründen fein leichter ist, aber da bei den hohen Kommandostellen eben der Wille zur Durchführung der Entwaffnung nicht vorhanden ist, und diese Herren den maßgeblichen Einfluß auf die Reichsregierung ausüben, wird das Problem natürlich immer schwieriger. Jeder einsichtige Polititer in Deutschland sollte dazu beitragen, den Rebel zu zerftreuen, in den die Generalstäbler der Bendlerstraße eine Regie: rung nach der anderen gehüllt haben. Es ist zu bedauern, daß ein Bazifist und Demokrat von Verdiensten des Dr. Quidde, der sich doch einer größeren Entschlußfreiheit erfreut, als der von der Offizierstamarilla rettungslos beschlagnahmte Herr Geßler, nun dazu beiträgt, den Rebel zu verdichten, anstatt yn teilen zu Helfen.
Innerhalb der Reichswehr aber herrscht über die Abrüftungsbestimmungen des Versailler Vertrages die größte Untlarheit, da die„ Instruktionen" sich immer nur auf den ewig bevorstehenden roten Schreden beschränken. Nach Art. 174 des Friedensvertrages haben sich Unteroffiziere und Gemeine auf eine ununterbrochene Dienstzeit von 12 Jahren zu verpflichten. Diese Bestimmung wird von vielen Truppenteilen nicht nur nicht betanntgegeben, sondern einfach mißachtet. So tann z. B. bei dem Freikorps Schulz in Oldenburg jeder junge Mann jeder zeit eintreten und wieder abgehen. Die Herren Korpsführer pfeifen auf den Friedensvertrag und auf die Regierung, die ihn durchzuführen hat. Sie führen auf eigene Faust so eine Art Krümpersystem ein, und die stillschweigende Duldung der Herren im Reichswehrministerium macht dieses Treiben erst möglich.
Besser als die amtlichen Stellen erkennt die große Masse der Bevölkerung das Wesen dieses unehrlichen Spieles. Sie belächelt die schwächlichen republitanischen Atrappen und sieht in der Reichswehr, den Freikorps und ihren Anhängjeln, den En wohnerwehren( für die auch Dr. Quidde ein gutes Wort einlegt!), nicht mehr als die Instrumente reaktionärer monarchistischer Aufrüstung. Die Erbitterung des Volkes daruber ist die tiefere Ursache jener Erscheinung, die der oberflächliche und oft auch tendenziöse Beobachter gern Bolschewismus" nennt. Das bequeme Leben der Soldatesta muß das arbeitende Volt aufs äußerste reizen. Der Bergmann muß täglich seine sieben Stunden arbeiten und erhielt bis vor kurzem eine wöchentliche Brotration Don 2 Pfund. Heute sind es 3½ Pfund, wovon jedoch nach Gotheins Feststellungen nur 20 Prozent Getreidemehl sind. Aber den Angehörigen der Reichswehr wird täglich ein Pfund Brot zugemessen. Dazu jeden Tag Fleisch, Butter, Wurst, dazu freie Klei bung, Wohnung und 15 Mart Löhnung an Gefechtstagen
25 Mark! Als die Bertretern
zu einer offenen Aussprache mit deutschen , da war bei ihren leitenden Männern wirt lich ein Wille zur Verständigung. Das Verständigungswerk darf nicht scheitern an den militaristischen Forderungen der deutschen Regierung! Das deutsche Volk braucht zum Leben Getreide und Rohstoffe, aber teine Soldatenspielerei. Nachdem ein Sachverständiger wie Generalleutnant Löffler, der militärische Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung ", erklärt hat, es genüge eine Höchstzahl von 50 000 Mann, sollte auch ein Pazifist und Jemokrat wie Dr. Quidde seine Anschauung einer gründlichen Revision unterziehen, zum mindesten erst kritisch prüfen, ehe er sich an die Oeffentlichkeit wendet und den Militaristen die willkommene Gelegenheit gibt, sich auf dies Zeugnis berufen zu können. Nach seinem ganzen Aufgabentreis fühlt sich der Bund Steues Väterland verpflichtet, gegen Dr. Quids Ausführungen Einspruch zu erheben.
Unabhängige Untlagen gegen die Reaffion
Preußische Landesversammlung
150. Sigung vom 8. Juli 1920.
In Fortführung der großen politischen Debatte erhielt das Wort:
Genosse Ludwig:
Der Gang der Verhandlungen in Spaa läßt es be greiflich erscheinen, daß Zentrum und Demokraten den Wunsch hatten, die Aussprache hier im Hause zu verhindern. Ihre Partei= männer haben dort zu kläglich abgeschnitten. Sie dachten mit den rührseligen Weisen die Ententevertreter einzuseifen. ( Unruhe.) Es gilt, der Entwaffnungsfrage nicht auszuweichen. Wahrhaftigkeit gegen uns und gegen die andern ist unerläßliche Voraussetzung.( Sehr richtig! links.) Die reaktionäre Presse sucht mit ihren schwindelhaften Putschgerüchten nicht nur das deutsche Bolt, sondern die ganze Welt anzulügen. Aber der Reichswehrminister hat auf den wahren 3 wed der ftarten Truppenmacht hingewiesen. Die Arbeitslosen, die Kriegsbeschädigten will man damit niederhalten. Und auf die neuen Steuern hat er gedeutet und auf die 20 000 arbeitslos werdenden Offiziere, über deren Absichten die Regierung sehr in Sorge sei. Die Art der Begründung ist nicht geeignet, das Ansehen Deutschlands u heben. Wir erstreben die Entwaffnung, damit einmal in der Welt damit angefangen wird, denn wir sehen darin
den Anfang zur allgemeinen Abrüstung,
die von allen Völkern eine erdrückende Last nehmen wird. Die Ueberleitung großer Teile der Reichswehr in die Sicherheitspolizei ist eine Masterade. Die Entente wird sich nicht täuschen lassen.
Täglich lommen Truppenverschiebungen vor. Truppenkörper, die aufgelöst werden sollen, werden anderswohin transportiert und dort lediglich umgetauft. Mir ist die Abschrift eines vom Empfänger verlorenen Briefes zugegangen, worin sich der Briefschreiber über die Umtaufe einer Marinetruppe in eine Schießstanddivision weidlich lustig mat. ( Große Unruhe Oberpräsident Hörfing hat empfohlen, ten Belagerungszustand für die Provinz Sachsen aufzuheben, weil feinerlei Grund mehr dafür vorhanden ist. Sofort erhebt die rechtsstehende Presse ein Geschrei, weil ihr das sehr gegen die Absichten geht. Man will das Ausland belügen und betrügen. Durch die gesamte Kreispresse sind Nachrichten über zahlreichen Waffenbesig in Arbeiterhänden gegangen. Man hat sogar die Orte genannt, wo solches festgestellt worden sein sollte. Merts würdigerweise waren die Orte immer fortgelaffen, wo das Kreiss blatt verbreitet wurde. Damit ist das verlogene Treiben genügend gekennzeichnet.
Minister Braun hat gestern von Represse alien gegen Polen gesprochen. Wir wenden uns um so mehr dagegen, als wir auch nicht entfernt ein solches energisches Vorgehen gegenüber den Brutalitäten der Reichswehr im eirenen Lande bemerken. In der Berurteilung der polnischen Uebergriffe sind wir einer Meinung. Aber solange Boltsgenossen entsegen aller Zusicherungen zu Tausenden hinter Stacheldraht nefanaen ges halten werden, haben Sie fein Recht, sich über andere zu ent rüsten.( Sehr richtig, lints.) Die
Ernährungsfrage
ist eines der brennendsten Probleme. Aber wenn die Deutschnationalen sich über den Landarbeiterstreit entrüften, mochte ich doch mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß die Agrarier das ganze Jahr hindurch Sabotage in der Lieferung von Lebensmitteln treiben.( Lebh. Zustimmung links.) Die Gemeinden haben sich mit großem Eifer aber vergeblich bemüht, Kartoffeln während der schlimmsten Zeit zu erhalten. Bergeblich. Erst vor fünf, fechs Wochen, als sie halb verdorben waren, kamen sie zum Vorschein.
Die heutzutage noch angewandte Ausweisungspraris schreit zum Himmel. Familienväter, die seit 20 und 30 Jahren sich in Deutschland aufhalten und nur die Staatsangehörigkeit nicht erworben haben, werden aufgefordert, innerhalb furzer Zeit mit Weib und Kind das Staatsgebiet zu verlassen. Besonders werden Desterreicher davon betroffen, Angehörige eines Staates also, dessen Anschluß wir doch erstreben. Weite Krcise des Volkes wünschen dringend, daß endlich mit der Kommunalis terung wichtiger Betriebe begonnen werden fönne. Ein Entwurf ist von der Reichsregierung vor den Wahlen fertiggestellt worden. Merkwürdigerweise fehlen darin die Kinos. Des Rätsels Lösung liegt vielleicht in folgendem: Das Reich ist mit Kapital an einem großen Filmunternehmen, der Ufa beteiligt. Es hat erst fürzlich wieder bei der Kapitalserhöhung der Gesellschaft 3,7 Millionen zugezahlt. Nun ist das Interessante, daß diese Gesellschaft eine Zeitschrift, die„ Lichtbildbühne" unterhält - vor wenigen Tagen sind ihr erst 100000 Mart überwiesen worden und diese Zeitschrift hat den ausgesprochenen Zweck, gegen die Kommunalisierung der Kinos zu arbeiten.( Lebh. hört, hört.) Nun zur
-
Das Reichsverkehrswesen
Im Haushaltsausschuß gelangte in der Sigung vom 7. Juli der Haushalt des Reichsverkehrsministe= riums zur Verhandlung Nach Ablehnung eines vom Genossen Hente gestellten Antrages, die Sigung zu vertagen, damit im Ausschuß nicht dieselbe mangelhaft verarbeitete Hezarbeit geleistet werde wie tags vorher im Plenum, wurde inkonsequenterweise von donselben Leuten( den Deutschnationalen) abgelehnt, die sich vor her in genau demselben Sinne geäußert hatten
Darlegungen des Staatssekretärs wie des Berichterstatters über die Neueinrichtung des Reichspertehrsministeriums wegen der dazu benötigten Mittel befriedigten so wenig, daß die Deutschnationalen den Antrag stellten, einen Ausschuß einzusetzen, bestehend aus Mitgliedern des Reichstages und Sachverständigen, der die Eisenbahn- und Verkehrsverhältnisse nachzuprüfen hat. Da das Defizit mehr als 15 Milliarden betrug, sei unbedingt die Vorlegung einer ausführlichen Dentschrift nötig, um einen flaren Einblick in die Verkehrsverhältnisse zu gewinnen.
Von unserem Redner wurde betont, daß die Kriegskosten ge= sondert aufzuführen sind. Denn die Abwirtschaftung des Materials lei durchaus als Kriegsfolge zu betrachten. Das Defizit mit einer Ueberzahl von Arbeitsträften zu begründen, sei wirklich nicht angängig, sondern nur eine Ausflucht.
Bemerkenswert war die Mitteilung des Berichterstatters, daß Ausland liefere, während für die Reichseisenbahnen nichts zu die deutsche Industrie große Mengen von Oberbaumaterial in das haben sei. Trotz erheblicher Bedenken gegen die versteckte Nichtabwicklung der Schiffahrtsabteilung wird der. Notetat von 6 Millionen Mark gegen unsere Stimmen bewilligt.
Das Reichseinkommensteuergesek
Mit Einleitung und Erläuterungen von Eugen Prager 56 Seiten Preis 4 M.
Zum Gebrauch für Arbeiter, Angestellte und Gewerbetreibende Sofortige Bestellung erbittet Verlagsgenossenschaft Freiheit e. G. m. b. H. Abteilung Buchhandlung Berlin C 2, Breite Str. 8-9
Nach sehr langer Debatte werden 10 Mill. M. bewilligt für den Bau einer Großschiffahrtsstraße von Aschaffenburg zu= heim bis zur Reichsgrenze bei Passau . Der Weiterbau der Schifffahrtsstraße von Bamberg , bis Nürnberg soll erst in Angriff genommen werden, wenn seine volle Wirtschaftlichkeit ohne Schifffahrtabgaben garantiert ist.
Da auf unsere Anfrage hin der Regierungsvertreter erklärte, daß die Arbeiten an Privatunternehmer vergeben werden oder schon vergeben sind, beantragt Genosse Crifpien, daß die Reichsregierung die Arbeiten für den Großschiffahrtsweg in eigener Regie ausführe. Dieser Antrag wurde von allen Parteien abgelehnt, auch von den S. P.- Vertretern.
Um der bevorstehenden Stodung in der Automobilindustrie vorzubeugen, deren Ursachen von den Rednern aller Parteien auf den Mangel an Brennstof( Benzin) zurüdgeführt wird, wird einstimmig die Annahme eines Antrages beschlossen: Die Reichsregierung zu ersuchen, die mit der Standard Oil Co. und anderen
Wohnungsfrage.
Es fehlen etwa 1 Million Wohnungen; in Berlin allein 40 000. Die Regierung steht tatenlos beiseite. Das Glend wird unerträglich. Die gemeinnüßigen Baugenossenschaften sehen sich ganz außerstande, zahlreiche angefangene Bauten zu Ende zu führen, weil sie die Kosten für das Baumaterial nicht aufbringen tönnen. Wir stehen vor der Tatsache, daß zahlreiche dieser Genossenschaften zusammenbrechen müssen, wenn nicht schnellstens geholfen. wird.
Bei den Debatten spielte der Freispruch der Marburger Stu denten im Gegensatz zu den drakonischen Urteilen gegen Proles tarier eine große Rolle. Tausenden wird in Rheinland und Wests falen jezt der Prozeß gemacht, trotz der bindenden Zusicherungen durch die Regierung. Das unter anderem auch von Severing unterzeichnete Bielefelder Abkommen sagte Straffreiheit allen denen zu, die bis 2. April die Waffen niederlegten. Dennoch ist über 805 Protelatrier cine Strafe von
906 Jahren Gefängnis und 167 Jahren Zuchthaus verhängt worden. Ist das die Vermenschlichung der Politik dar.. die Demokratie. Sie säen damit unauslöschlichen Haß.( Stürm. Beifall.)
Abg. Stendel: Ich schäme mich, daß sich in dieser schweren Stunde ein Mann gefunden hat, solche Ausführungen zu machen, wie Abg. Ludwig zu Eingang feiner Ausführungen.( Stürm. Zwischenrufe: Ueber die Hinterhältigkeit Ihrer Vertreter schämen Sie sich nicht?) Die Entlassung von Verwaltungsbeamten ge= schieht häufig ohne jeden triftigen Grund.( Widerspruch.) Wir gestehen den Arbeitern sehr wohl zu, in höhere Stellen aufzus rücken, nur müssen sie entsprechende Voraussetzungen erfüllen. Für ein schweres Vergehen halte ich es, wie der Minister Sänisch gegen die Marburger Studenten im 8 Uhr Abendlatt" geschrieben hat. Möglicherweise findet sich ein Gericht, daß solch schwere Beleidigung nicht mit Geld- sondern Gefanantsstrafe ausspricht.( Stürm. Zwischenrufe: Denunziant.) Man hat mir nachgesagt, ich hätte in den Märztagen Kapp die Steig bügel gehalten, als er vom Abgeordnetenhaus wegriit. ( Allgem. Heiterkeit.) Es stimmt ja gar nicht.( Erneutes Gelächter.)
Minister Haenisch: Von dem Artikel, den der Abg. Stendes erwähnte, nehme ich fein Wort zurüc.( Große Entrüstung rechts, Beifall links.)
Minister Fischbed: Die Zusammensetzung des Reichswirtschaftsrats ist nach dem Gesichtspunkt erfolgt, möglichst die Interessen ausgleichend darin zu vereinigen.
Der Etat wurde dem Hauptausschuß überwiesen. Nach einigen einführenden Worten ging die Vorlage über den Bau des Mits tellandfanals debattelos an den Handels- und Gewerbeausschuß. Es folgte die 2. und 3. Beratung des Gesezentwurfs betreffend Neuregelung der Verfassung der evangelischen Landeskirche.
Genosse Kleinspehn:
Wir sind immer die tonsequentesten Vertreter der Forderung gewesen, Staat und Kirche zu trennen. Trotz dieser un jerer Stellung tann es uns nicht gleichgültig sein, welcher Art die Kirchenverfassung ist. Wir wissen, daß die Kirche beherrscht ist von dem Geist. des alten Systems. Ich wundere mich nur, daß die Regierung ihre Zustimmung geben fonnte zu einem Gesez, das die Herrschaft der Reaktion in der Kirche befestigt. Dadurch wird jede fortschreitende Entwidlung religiöser Erkenntnis ausge schaltet. Wir lehnen das Gesetz ab.
Auch die Rechtssozialisten lehnten es a b. Es fund demnach eine Mehrheit, weil die Demokraten zustimmten, troz des durchaus undemokratischen Charakters der Berfassung. Dann trat wieder die Schnellpresse in Funktion und es wurden zahlreiche Vorlagen wortlos durchgepeitscht. Nur die Cr leichterung zur Erlangung der Befähigung zum höheren Berwal tungsdienst wurde von der rechten Seite heftig bekämpft.
Hierauf wurde bis 15. September vertagt. Die Ausschüsse sollen vorher ihre Arbeit aufnehmen. Dann tam noch ein Antrag des Bevölkerungsausschusses ausnahmsweise zur Ver= handlung, daß die Seeflugstationen zu Wohlfahrtszwecken zur Verfügung gestellt werden sollen. Der Beschluß war nur möglich wenn tein Abgeordneter widersprach. Dem Aba. Stendel blieb es vorbehalten, den sozial bedeutungsvollen Antrag durch Einspruch zu Fall zu bringen. Minutenlanger Lärm und juicuje quittierten diesen unerhörten Vorgang. Stendel stellte die ungeheuerliche Behauptung auf, es sei bedenklich, die Stationen out solche Weise dem Zugriff der Entente entziehen zu wollen. Das löste erneuten unbeschreiblichen Tumult aus, weil in der Tat der Bevölkerungsausschuß tein anderes Motiv hatte, s die vorhandenen Gebäude und Grundstücke zu Erholungsheimen für unbemittelte Krante auszugestalten.
Minister Stegerwaldt erklärte sich hierauf bereit, auch ohne ausdrücklichen Beschluß dem Wunsche der Mehrheit zur Verwirklichung zu verhelfen. Das wurde beifällig begrüßt. 211= sterblich blamiert zog Stendel nunmehr seinen Einsp: uch zurüd. Sein schäbiges Verhalten wird ihm nicht vergessen werden.
Gesellschaften abgeschlossenen Verträge über die Lieferung von Benzin und Petroleum dem Haushaltsausschuß zur Einsicht vorzulegen.
Abbau der Lebensmittelpreise
Der bauernbündlerische Abgeordnete Stegmann veröffentlicht einen Aufruf zum Abbau der Lebensmittelpreise. Er erklärt sich bereit, mit den Lebensmittelpreisen bis auf den Stand vom 1. Juli des vergangenen Jahres herunterzugehen und während zweier Monate diese Preise einzuhalten, um den übrigen Produzenten lebenswichtiger Bedarfsartikel ein Bei spiel zur Nachahmung zu geben.
Ein Nationalfeft in Frankreich . Die 50. Wiederkehr des Tages, dem die dritte Republit ihre Entstehung verdankt, der 4. Septem= ber 1870, wird durch eine großartige nationale Erinnerungsfeier, zu der die französische Regierung schon jetzt die Vorbereitungen trifft, in Paris begangen werden hren Gipfelpunkt werden die Feierlichkeiten des 4. September in der Ueberführung der sterblichen Ueberreste der vier Nationalhelden von 1870, der Generäle Chanzy und Faidherbe, sowie Thiers und Gam= bettas in das Pantheon finden. Ein darauf bezüglicher Gesetzentwurf wird der Kammer noch vor Gezessionsschluß zugehen.
Belgische Bergeltungsjustiz. Das Schwurgericht in Brüssel hat weitere vier flämische Attivisten zum Tode verurteilt, den Lehrer Wannyn, den sozialistischen Schriftsteller Prima, den Kaufmann Gooßens und den Professor Thiry, die drei ersten sind aus Gent , der letzte aus Löwen . Der angesehene Arzt Stocke aus Gent wurde zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt. 3wei weitere Angeklagte erhielten 20 Jahre 3wangsarbeit und ein anderer 12 Jahre.
Die deutschösterreichische Gewerkschaftsbewegung weist einen riesenhaften 3ustrom an Mitgliedern auf. Der Bericht des Gewerkschaftsausschusses besagt, daß die Mitgliederzahl aller Berbände in dem kleinen Deutschösterreich heute 878 381 beträgt ( 3uwachs 115 573), 46 000 mehr als im Jahre 1913 im ganzen alten Desterreich vorhanden waren. Der Bericht verweist darauf, daß die Gewerkschaften sämtlich entsprechend der Teuerung gewaltige Lohnsteigerungen durchsetzten, die chemischen Industriearbeiter um 14 Millionen, die Textilarbeiter um 50 Millionen Kronen.
Deutsche Studenten in Schweden . 200 deutsche Studenten sind auf Einladung schwedischer Studenten in Upsala für einen 10wöchigen kostenlosen Aufenthalt eingetroffen.