Nr. 270

Die Aufhebung der Militär­gerichtsbarkeit

Die Beratungen des Ausschusses

Der vom Reichstag zur Beratung des Gefchentwurfes über die ufhebung der Militärgerichtsbarkeit eingesetzte Ausschuß trat am 7. Juli zusammen. Vorsitzender des Ausschusses wurde Genosse Dr. Rosenfeld. Bor Eintritt in die fachliche Beratung machten die Bertreter der Deutschnationalen und der Deutschen Bolkspartei einen Borstoß zur Verhinderung der Beratung. Ste verlangten, daß erst der von der Regierung angekündigte Gefeßentwurf abgewartet werden solle. Der Berschleppungsversuch scheiterte aber an dem Widerstarde aller übrigen Fraktionen. Vergeblich wiesen die Herren von der Rechten darauf hin, daß die sofortige Beratung allen parlamentarischen Gebräuchen widersprache, und daß sie feinen Präsidenzfal in der parlamentarischen Geschichte haben. Auch diese großen Worte nügten der Rechten nichts. Der Vertagungsantrag wurde abgelehnt.

In der fachlichen Beratung entbrannte ein beftiger Streit um die Sirafe des strengen Arrested, deren Fortfall im Geirhentwurf vor­gesehen ist. Abg. Warmuth( D. N v.) bezeichnet es als tilidrig, Abg. Lenthenfer( D. V.) empfand es als Schönheitsfehler, wenn in dem Gesezentwurf, der prozessuale Bestimmungen enthielt, materielles Strafrecht hineingearbeitet werde. Die Genossen Herz, Hersfeld und Dr. Rosenfeld sowie die Abg. Radiinch( S. P. D.) und Haas( Dem.) belosten dagegen, daß es nicht darauf anfame, Schönheitsfehler zu vermeiden, sondern so schnell wie möglich die Strafe des strengen restes zu beseitigen. Auch Geerral v. Feldmann wollte ben Schönheitsfehler mit in den Rant nehmen. Der Ausschuß beschloß dann auch die Beseitigung des strengen Arrefles.

Unfere Vertreter machten den Versuch, die an die Zivilgerichts­barkeit abzugebenden Militärstraffachen den Schöffers erichten zur Aburteilung zuzuführen. Sie wollten nicht, daß die Strastammer für zuständig erklärt würde, weil deren Rechtsprechung ganz bes sonders zur Kritik Anlaß gibt, und weil gegen Straftammerurteile Berufung nicht möglich ift. Dte anderen Parteien erblickten in folchen Abänderungen des Gefeßentwurfes eine Bevorzugung der Militär- vor den Zivilpersonen, für die ja auch die Straftammer zuständig sei. Weil also die Zivilpersonen unter schlechter Justiz leiden, sollen es auch die Militärpersonen nicht besser haben. Das war der Sinn der Ausführungen der Vertreter aller anderen Parteien. Auch die Rechtssozialisten stimmten mit den Vertretern Der anderen Frattionen die Anträge unserer Genossen nieder.

Anch andere Anträge des Genossen Dr. Nosenfeld, welche zum Biele hatten, besondere Rechte der militärischen Vorgesetzten zu bes seitigen, fanden feine Gnade bei den übrigen Parteien. Alle diese Anträge verfielen der Ablehnung.

Die Unterfuchungshaft soll nach dem Gesetzentwurf auch dann zulässig fein, wenn die Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin die Verhaftung erfordert. Eine Kautschutbestimmung schlimmster Art. Es gibt gewiß fein Delift, bei dem man nicht behaupten tönnte, daß die militärische Disziplin die Verhaftung erfordere. Genoffe Dr. Rosenfeld beantragte die Strejdjung dieser Bestimmung. Der Antrag wurde einem Unterausschuß zur Prüfung überwiesen. Ebenso Anträge des Genossen Dr. Herzfeld auf Aufhebung Des Rechts der Militärpersonen, auf Festgenommene, die einen Fluchtversuch machen, zu schießen, und auf Streichung Der Bestimmungen, nach welchen Angehörige der Wehrmacht möglichst nur durch militärische Stellen festgenommen werden sollen. Gen. Herzfeld wies zur Begründung besonders auf die Gefahren hin, die mit einem Transport durch Militärpersonen verknüpft seien, zahlreich feten in legter Zeit Unschuldige angeblich auf der Flucht erschossen worden. Diese Gefahr set beim Transport durch Militär­personen besonders groß.

Die Deutschnationalen und die Deutsche Boltspartei verlangten, daß in Militärstraffachen besondere Kommissare mit der Wahr­nehmung militärischer Interessen" vorgesehen würden. Nach der Begründung der Antragsteller sollten diese Kommissare die militärische Auffassung vertreten. Sehr zum Schaden vieler angeklagter Soldaten, deren Bestrafung gewiß nur noch schwerer ausfallen würde, wenn besondere Vertreter militäris er Interessen Zeugen und Richter be­einflussen tönnten. Diese Anträge der Rechten wurden erfreulicher­weise vom Ausschuß abgelehnt.

Bur Strafvollstreckung berlangte Genosse Dr. Rosenfeld, daß die über Militärpersonen verhängte Freiheitsstrafe nicht von Militär, fondern von Sivilbehörden vollstrect würde. Der Vertreter der Regierung wies gegenüber diesem Antrage darauf hin, daß die Zivil­gefängnisse überfüllt seien, und daß kein Plaz zur Aufnahme der Militärpersonen sei. Diesen sehr schwachen Einwänden schlossen fich die Vertreter aller anderen Parteien an. Unser Antrag wurde abgelehnt.

Bum Schluß der einen ganzen Tag füllenden Beratungen machte die Rechte nochmals einen Verschleppungsversuch. Ste verlangte die Bornahme einer zweiten Besung. Der Antrag wurde aber abgelehnt. In einer nenen Sizung sollen die Bestimmungen über die Gründe

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Die schwere Stunde

Romar

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Victor Panin

Ich hörte tief in Gedanken versunken zu. Nikitins Frau, die sich bisher am Fenster zu schaffen gemacht hatte, tritt jekt zu uns heran und redet, eine Hand auf die Schulter des Mannes gelegt, mit einer mehr als nötig leidenschaftlichen Stimme, dabei sieht sie mich die ganze Zeit über an, jo daß ich ihren offensichtlichen Wunsch, vor mir mit ihrer Klugheit zu glänzen, bemerke.

so

Weißt du, liebes Männchen, diesen Gedanken der Feuer­taufe habe ich ja schon oft von dir gehört, ich fann das aber beim besten Willen nicht verstehen. Das ist ja ein russischer Fanatismus, dabei kein neuer, sondern ein seit langem er­probter Fanatismus."

,, Das weiß ich ja, meine Liebe", sagt Rifitin, der unzu­frieden mit der Hand abwehrt, du wirst gleich von der Feuertaufe der Altgläubigen reden wollen, und dann nimmt's fein End...

,, Nun ja", fällt die Frau ein, glaubst du denn, es sei nicht wahr? Sind nicht Hunderte, ja Tausende von Menschen ver brannt worden? Und ist das Leben deshalb besser geworden? Das ist ja nur ein Fanatismus, eine Quälerei, bloß das Pro­duft des franken, russischen, religiösen Psychopathismus." Jetzt geht's los... Um Gotteswillen, Ranja, geh weg, die Kinder schreien ja dort", damit schiebt Nititin seine Frau ohne weiteres ins Rebenzimmer.

Ja, gewiß, wenn es nicht ganz nach deinem Kopfe geht, dann heißt es iegt geht's los", wirft sie nicht eben freund­schaftlich ihrem Manne zu und wendet sich zur Türe, hinter der das Kindergeschrei laut wird.

Ich merke, daß Nititin dieser Szene wegen ein wenig ver­legen ist und daß er sich bemüht, den unangenehmen Eindruck zu verwischen.

,, Siehst du wohl, was das für ein verwegenes Weibchen ist, uh, sie ist nicht auf den Mund geschlagen!"

,, Seit einiger Zeit hat sie die Gewohnheit aufgeschnappt, in allem mir zu widersprechen; mit jedem Unhold, mit jedem Teufel, mit jedem beliebigen Fremden wird sie sich eher ein­

Beilage zur Freiheit"

eines Saftbefehls und über die Seeresjuftitiare und eine bessere Formulierung einzelner Paragraphen vorgenommen werden.

In der Sizung am 8. Jnli wurden die Verhandlungen zu Ende geführt. Leider gelang es unseren Bertretern nicht, die Bestimmung auszumerzen, nach welcher Untersuchungshaft auch dann verhängt werden kann, wenn die Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin die Verhaftung erfordert. Der Antrag des Genossen Dr. Rofenfeld, diese Bestimmung zu streichen, fand nur noch bei den Rechtssozia isien Zustimmung. Die Mehrheit des Ausschusses segte diesen Ver­haftungserund durch. Der schwersie Mangel des Gesetzes ist also nicht beseitigt worden.

Der Antrag, auch nach Aufhebung der Militärgerichtbarkeit be­sondere Heeresjuftitiare der Militär verwaltung beizugeben, entfeffelte eiucn lebhaften Streit. Geneffe Tr. Herz elb br­fämpfte ihn, er erblide in ihm mit Recht der Versuch, die durch das Gesez abgeschofften Kriegsgerichtsräte unter dem Namen der Justittare in das Gesez wieder hinein zu schmuggeln. Es gelang nur, ibre Befugnine cuvas za verringern. Die Vichr­heit des Ausschusses wollte die Errichtung der Heeresjuftitiare nicht preisgeben

So hat benn der Gefeßentwurf, auf deffen Annahme das ganze Bolt seit langer Zeit wartet, die Beratungen des Ausschaffes passiert. G3 th aber nicht gelungen, ihn feiner schlimmsten Mängel zu entfleiden. Wird er in der nunmehr be­schlossenen Form Grleg fo wird die Entä schung bald sehr groß fein; fchnell wie sich zeigen, daß in Flickwerf geleistet, eine wesentliche Leffe und aber nicht erzielt wurde.

Vollversammlung der Betriebsräte

Ueber die legten Gruppenberfam Inngen der Betriebsräte schickte uns die Betriebsrätezentrale folgenden Bericht:

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Die Zentrale der Betriebsräte hatte zu Donnerstag abend in Erledigung eines Beschlusses der Irgien Generalversammlung der Bes trieberáte Volversammlangen die Greppen : Metallindustrie, Holzindustrie, Graphisches Gewerbe und Bapter­industrte, Lederindustrie und Stein- und Bautn= dustrie einberufen. In den Versammlungen wurde der Bericht über die Tätigfelt der letzten Generalversammlung und über bea Stand der Verhandlungen mit der Berliner Gewerkschaftskommission gegeben. Die Generalversammlung der Betriebsrate hatte sich nach ausgiebiger Distaffion und Würdigung aller in Betracht komme den Fragen für eine selbständige Räteorganisation ausge sprochen und die Zentrale beauftragt, den Anfban berselben sofort zu vollenden. Ju den Veriammlungen der oben angeführten Industries grappen wurde die Haltung der Generalversammlung und der Zen­trale einmütig gebilligt. Besonderen Unwillen erregte das Verhaiten der Mehrheit der Berliner Gewerkschaftskommission, die durch thre zweibeutige Haltung den Aufbau einer selbständigen Räteorganisation zu verhindern suche und damit ihren ursprünglich eingenommenen Standpunkt wieder aufgegeben hat, um sich den Richtlinien des Ge­wertschaftsbundes anzupassen.

In der Bollversammlung der Betriebsräte der Holzindustrie wurde das Verhalten des Bevollmächtigten Stegle von allen Diskussions rebuern, unter denen sich auch Verwaltungsmitglieder befanden, sehr scharf fritifiert und ausgesprochen, daß er das Vertrauen der Holz­arbeiter nicht mehr besikt. Es wurde ein Antrag angenommen, der die Einberufung einer Generalversammlung des Holzarbeiter- Ver­bandes fordert, in der Siegle seine Saltung in der Rätefrage rechtfertigen soll. Zu dieser Versammlung soll ein Korreferent von der Betriebsrätezentrale gestellt werde

Die Betriebsräte ber Metallindustrie billigten das Verhalten der beiden Bevollmächtigten des Metallarbeiterverbandes, bte alles ber­sucht haben, eine Berständigung zwischen der Gewerkschaftstommifion und der Betriebsrätezentrale herbetzuführen. In dieser Bersammlung wurde folgende Resolution einstimmig angenommen:

Die Bollversammlung der Betriebsräte der Metallindustrie billigt bie Haltung der Generalversammlung und der Zentrale. Sie er­flärt sich bereit, mit allen Kräften den Aufbau einer selbständigen Räteorganisation zu fördern. Die Betriebsräte sind bereit, sofort die Finanzierung der Räteorganisation durch Vertrieb der Beitragsmarten durchzuführen und erwarten babet bie Unterstigung aller& ollegen.

In den Vollversammlungen der anderen Industriegruppen wurden ähnliche Anträge angenommen und besonders die Betriebsräte bers pflichtet, allen Versuchen der Gewerkschaftsinstanzen, den Aufbau und bie Finanzierung der selbständigen Rätcorganisation zu verhindern, entschieden entgegenzutreten. In allen Bersammlungen wurbe an die Arbeiterschaft appelliert, sofort zur

Sonnabend, 10. Juli 1920

Der Falkenhagener Maffenmörder

In der gestrigen Verhandlung gegen den Schloffer Schumann, an der wieder ein gewaltiger unorang des Publikums herrscht, begann die Beweisaufnahme über den Fall des Lehrers Paul, bez in der Nacht zum 22. Juni 1918 in Gegenwart seiner Frau und Intern einer noraufasaangenen Brandstiftung erschossen worden war. Der Lehrer Paul besaß in der Kolonie Falken­hagener See ein Landenganeftud, auf dem er mit seiner Frau und Tochter im Sommer wohnte. In der Nacht zum 22. Juni wurden die Schlafenden durch ein Feuertnistern wach. Ms sie aus ber Laube hinauswollten, entdeckten sie, daß von unbekannter Sand ein dider Zaunpfahl von außen gegen die Tür gestemmt war, so daß die Tür nicht aufging. Nachdem es ihnen mit vieler Mühe gelungen war, das Hindernis zu beseitigen, entdeckten sie, daß ein mit Holz gefüllter Schuppen brannte. Sie löschten das Feuer und wollten gerade wieber in das Haus hineingehen, als Frau Paul eine Gestalt zwischen den Bäumen bemerkte. chlossen die Tür schnell von innen. Im nächsten Augenblick schob fich eine rauchgeschwärzte Hand durch den Fensterladen und ver­suchte den Fensterriegel zu öffnen. Fräulein Baul schrie laut auf: Da ist ja eine Sand, während Paul rief, was wollen Sie denn hier?" Statt einer Antwort frachte ein Schuß und Paul sank zu

ammen.

Gie

Wie die Zeugin Fräulein Paul bekundete, habe gleich darauf ein Mann mit Soldatenmüze durch das Fenster gesehen und die Biflole auf fie gerichtet. Sie habe rasch ihre Mutter hinter den Geräteschrank gedrängt und gerufen: Lieber Mann, gehen Sie doch, wollen Sie uns denn alle drei ermorden. Wir sind doch feine reichen Leute!" Der Mann habe darauf die Pistole sinten laffen und sei weggegangen. Ihr Vater habe dann gerufen: mit mir geht's zu Ende!" Am nächsten Morgen wurde ihr Bater in das Krantenhaus gebracht, wo er am 9. Juli verstarb. Die Zeugin erklärte, daß sie Schumann sofort, als er ihr gegen­übergestellt wurde, wiedererkannt habe, während der Angeklagte behauptet, er habe weder geschossen noch Feuer angelegt, er sei zu jener Zeit im Felde gewesen. Auf Befragen des Vorsitzen­den bestätigt Frl. Paul, daß ihr Vater ihr erzählt habe: er sei dazu gelommen, wie der Angeliagte am 22. Juni 1918 eine Frau Grabowski vergewaltigen wollte; dieser sei dadurch bei der Aus­übung des Verbrechens gestört worden. Frau Paul, die Witwe des erschossenen Lehrers, macht die Aussage in sichtlicher Er­regung, die um so erklärlicher ist, als heute der Sterbetag ihres Mannes ist. Jore Schilderung der Borgänge stimmt mit der ihrer Tochter überein.

Kriminal- Oberwachtmeister Lahmann: Der Angeklagte hat bei seiner Vernehmung zugegeben, daß er der Täter gewesen sei. Er Jei bei einem feiner Spaziergänge um Mitternacht an der Laube des Lehrers Paul vorübergelommen. Er habe sich an ihm rächen wollen, weil Baul hinzugefommen sei, als der Angeklagte ein Rotzuchtsverbrechen habe begehen wollen.

Schumann erklärt immer wieder dasselbe er habe die Aussage gemacht, weil ihm diese in den Mund gelegt worden sei und er unter dem Eindruck der Mißhandlungen und der Nachwirkungen des Wundfiebers gestanden habe.

Nach der Mittagspause fam es zu einem 3 wischenfall. Die beiden als Antlagevertreter fungierenden Staatsanwälte wurden zu einer schleunigen Konferenz zu dem Oberstaatsanwalt gerufen, an der auch der Kriminalkommissar Dr. Kopp teilnahm. Auf den Korridoren tursierten schon allerlei Gerüchte, daß in zwei Mord­fällen, in denen Schumann vor dem Oberwachtmeister Lahmann ein Geständnis abgelegt hatte, die richtigen Täter jegt gefaßt feien u. a.

Nach Eintritt in die Verhandlung gab Staatsanwaltschaftsrat Dr. Steinbrecher folgende Erklärung ab: Mir ist eben eine Nachricht zugegangen, in welcher Belastungsmaterial gegen den Kriminal Oberwachtmeister Lahs mann und anderen Beamten der Kriminalpolizei vorliege. És ist Aufgabe der Statsanwaltschaft, restlos alles aufzuflären, was für und gegen den Angeklagten spricht und deshalb ist es not wendig und liegt auch im Interesse der Staatsanwaltschaft, alles aufzuflären, was gegen den Zeugen Lahmann vorgebracht wird.

DER MIETERSCHUTZ

Beste gemeinverständliche Darstellung des Mieterschutzes und der Höchstmietenverordnung

Finanzierung ber Räteorganisation Beitrags: Unentbehrlich für jeden Mieter

marten zu entnehmen.

Der zwette Punkt der Tagesordnung behandelte die Wahl der Mitglieder der Zentrale. Die Zentrale besteht aus 36 Vertretern der Industriegruppen.

verstanden erklären, als mit mir. Sie setzt alles daran, das Gegenteil zu beweisen."

Einige Augenblice schweigen wir, jeder ist mit seinen eige­nen Gedanken beschäftigt. Ich denke über die Feuertaufe nach und finde, daß Rititins Frau recht hat; ist es denn nicht suchende, mystische Seele tonnte zu einem so schredlichen Fana eine echt russische Erscheinung? Nur eine russische, ewig suchende, mystische Seele konnte zu einem so schrecklichen Fana tismus gelangen, sich selbst zu verbrennen, um das Himmel­unterbricht mich ungeduldig; ich merke, daß dies sein liebster reich zu erlangen! Ich sage Nititin meine Ansicht, aber er Gedanke geworden ist, daß der geringste Widerspruch ihn reizt.

,, Geh, Kolja, auch du schlägst denselben weiblichen Ge­dantengang ein! Was hat dies mit dem alten Fanatismus zu tun? Berstehe wohl, du Menschenfind, davon ist ja hier gar nicht die Rede, dies ist unwiederbringlich, verschwunden. Die Jdee ist hier das wichtigste; wer vermag denn heute die Feuertaufe als Selbstverbrennung der Menschen auf­zufaffen? Du mußt es nur bildlich nehmen, die Idee in beinen Gedanken herauskristallisieren, dann wirst du sehen, wie sie einem uralten gigantischen Baume gleich, immer wächst und steigt, immer höher, höher.. Das Leben ist besudelt, verstehst du mich? Jeder beschuldigt den andern, ohne seine eigene Schuld zu sehen, deshalb fletscht jeder die Zähne und fällt, wie ein erbitterter, hungriger Wolf, über die anderen her, weil er ihn für die Ursache seines Unterganges hält. So entsteht ein verzauberter, verschlossener Kreis, die Men­schen schlagen einander, zerfleischen sich, das Blut fliekt in Strömen, und doch findet man feinen Ausgang. Der Kreis zieht sich immer enger und enger zusammen... Begreifst du jetzt die Erhabenheit der bee: Feuertaufe! Sie muß den ganzen angesammelten Haß, die Bosheit, die Gier ver brennen, einäschern, so versengen, daß die Afche allein übrig bleibt. Und dann wird der neue, wiedergeborene Mensch mit einer neuen Fadel auf die Erde kommen

Mit geschlossenen Augen stützt er den Kopf auf seine rechte Sand; ich sehe auf seinem Gesicht tiefes Leiden und religiöse Efstase geschrieben. Er glaubt an seine Idee, er laubt an die Feuertaufe, die den neuen Menschen zur Welt bringen wird.

Leise und dumpf zitterten die Fensterscheiben vom Ar­tilleriefeuer, das mit unregelmäßigen, einzelnen Salven ab­wechselnd erschallt. Dieses trođene Gefnatter und der

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donnernde Lärm explodierender Geschosse stürmt, einer un heilverkündenden, spottenden Mahnung gleich, mitten in bas Gespräch zweier Menschen, die die Realität vergessen hatten. Nifitin öffnet müde die Augen, reibt sich mit den Fingern die Stirne und erklärt mir mit stodender Stimme:

Das ist bei der Junkerschule, seit drei Tagen haben sie sich dort verschanzt, es ist fürchterlich, was dort geschieht."

Glaubst du nicht", sage ich, indem ich auf die entfernten Schüsse horche und mit der Hand in die Richtung der von weither ertönenden Explosionen weise, daß diese seive Saß auch

Feuertaufe, gleichzeitig mit der Bosheit und dem Sak jen die Menschen selber zugrunderichten wird, welche diesen Haß, diese Bosheit geschaffen haben? Wie ist es denn mög­lich, den Menschen von seinen Taten und Handlungen zu trennen? Wird nicht am Ende durch die Bernichtung der menschlichen Handlungen, durch die Feuertaufe, ein neyer, unverföhnlicher Haß in die Welt gerufen? Neue Ströme von Blut, ein uferloses Meer neuer Leiden? Wer wird imstande sein, nach der Feuertaufe den Menschen aus dieser dumpfen Sumpfatmosphäre hinauszuführen? Ihn zu er heben, den Lichtstrahl in seine Seele zu werfen, sein schmuki­ges Leben in ein glüdliches umzuwandeln? Hier bleibt etwas für mich unverständlich."

,, Du hast Recht", nidt Rifitin mehrmals mit dem Kopf, aber ohne zu zerstören, fann man ja nicht bauen, ohne zu vernichten, fann man nicht schaffen. Das, siehst du wohl, ist der Wechsel von Leben und Tod in der Natur. Der Bater muß verschwinden, damit der Sohn an seine Stelle treten kann. Die alte Generation muß vernichtet werden, -barin liegt ja eben der tiefe Gedanke der Feuertaufe, damit das, was wächst und kommt, an seine Stelle tritt."

Mir ist nicht alles verständlich, aber ich vermeide es, mit Nifitin zu streiten, da ich merke, daß diese Jdee in seiner Seele tief Wurzel gefaßt hat, daß sie ihm vertraut und lieb geworden ist, der Russe ist aber seiner Natur nach ein Fana­fifer, und es ist eine echt russische Eigentümlichkeit, jede Jdee fich restlos zu eigen zu machen, fie förmlich in Fleisch und Blut umzuwandeln und sie sodann, mit der Selbstverleug­nung eines Propheten, zu verteidigen, für sie aufs Schaffot, auf den Scheiterhaufen zu steigen, für sie im Gefängnis zus grunde zu gehen.

( Fortsetzung folgt.)