.
Einzelp reis 30 Pfg. 3. Jahrgang
Die Freiheit erscheint morgens und nachmittags, Sonntags und Montags mur einmal. Der Bezugspreis beträgt bei freier Zustellung ins Haus für Groß- Berlin 10,-m. im voraus zahlbar, von der Spedition selbst abgeholt 8,50 M. Für Posts bezug nehmen fämtliche Postanstalten Bestellungen entgegen. Unter Streifband bezogen für Deutschland und Defterreich.16,50 m., für das übrige Ausland 21,50. zuzüglich Baluta- Aufschlag, per Brief für Deutschland und Desterreich 30,- m. Redaktion, Expedition und Verlag: Berlin C2, Breite Straße 8-9.
Mittwoch, den 14. Juli 1920
Nummer 276
Morgen- Ausgabe
Die achtgespaltene Nonpareillezeile oder deren Raum koftet 5,- M. einschließlich Teuerungszuschlag. Kleine Anzeigen; Das fettgedruckte Wort 2,- M., jedes weitere Wort 1,50 m., einschließlich Teuerungszuschlag. Laufende Anzeigen laut Tarif. Familien- Anzeigen und Stellen- Gesuche 3,20 m. netto pro Zeile. Stellen- Gefuche in Wort- Anzeigen: das fettgedruckte Wort 1,50 m., jedes weitere Wort 1,- m. Fernsprecher: Bentrum 2030, 2645, 4516 4603, 4635, 4649, 4921.
greiheis
Eine Denkschrift für Spaa
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hat durch die deutsche Delegation der Konferenz in Spaa eine eingehende Darstellung über die Ernährungslage Deutsch lands unterbreitet, in der er die großen Ernährungsschwierigkeiten in Deutschland , die gerade in den letzten Monaten einen äußerst bedrohlichen Charakter angenommen haben, flargelegt. Die Darstellung gelangt zu folgendem Ergebnis: So muß festgestellt werden, daß die Ernährung des deutschen Boltes, anstatt eine Besserung nach dem Kriege erfahren zu haben, gegenwärtig sogar erheblich verschlechtert worden ist. Die Lage ist heute tatsächlich so, daß die Bevölkerung start unterernährt ist und die ihr dargereichten Rationen durchaus unzureichend sind, daß aber auf der anderen Seite die große Masse des Volkes außerstande ist, sich auch nur diese unzureichenden Rationen zu kaufen. Die Möglichkeit, die deutsche Landwirtschaft wieder zu ihrer früheren Leistungsfähigkeit zurückzubringen, ist noch sehr beschränkt, und so ergibt sich für Deutschland die un be= dingte Notwendigkeit, für die Wiederherstellung normaler Ernährungsverhältnisse die tatkräftige Silfe des Auslandes in Anspruch zu nehmen. Ohne ausländische Unterstützung ist Deutschland nicht in der Lage, sein Volf ausreichend zu ernähren, es damit von seiner großen, durch die politische Unruhe begünstigten Nervosität zu befreien und damit die Quelle aller seiner Schwierigkeiten zu beheben. Es genügt aber nicht, daß das Ausland Deutschland größere Mengen von Lebensmitteln zuführt, sondern es muß dies auch unter Bedingungen geschehen, die es dem deutschen Volke tatsächlich ermöglichen, die Lebensmittel zu bezahlen. Um ferner die heimische Erzeugung nachdrüdlicher förbern zu fönnen, muß Deutschland die Einfuhr von Rohphosphaten, Don Schwefelties und von Futtergetreide zur Wiederherstellung feines Viehstandes ermöglicht werden.
Unter Berüdsichtigung aller vorgetragenen Umstände, nämlich der Verminderung der Anbaufläche, der Erntemengen und des Ausfalls der diesjährigen Ernte, beziffert sich der Einfuhrbedarf Deutschlands für das nächste Wirtschaftsjahr auf 2 000 000 Tonnen Brotgetreide, 2 000 000 Tonnen Futtergetreide, 750 000 Tonnen Delfrüchte, 180 000 Tonnen Fleisch und Sped, 144 000 Tonnen Fett, 500 000 Tonnen Fische, ferner 500 000 Tonnen Roh
Don
phosphat und die zu seiner Aufschließung notwendige Menge von` 350 000 Tonnen Schwefelties im Gesamtwert 3 403 600 000 Goldmart. Die befriedigende Regelung der Ernährungsfrage in Deutschland ist und bleibt die erste und wesentlichste Voraussetzung für den Erfolg aller anderer Maßnahmen zur Sebung der Leistungsfähigkeit Deutschlands . Die deutsche Delegafion schlägt daher vor, die Konferenz in Spaa wolle beschließen, daß eine Kommission aus Sachverständigen der einzelnen Länder mit größter Beschleunigung zusammentritt, um über die Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungslage in Deutschland zu beraten und den auf der Konferenz in Spaa vertretenen Mächten dahingehende konkrete Vorschläge zu unterbreiten.
Die Feststellung des Reichsernährungsministers, daß die große Masse des deutschen Volkes außerstande ist, sich auch nur die unzureichenden Rationen zu kaufen, ist durchaus zutreffend. In der inneren Politik aber hat er leider nicht die entsprechenden Folgerungen aus dieser Tatsache gezogen, denn er ist gegenwärtig im Begriff, eine so erhebliche Erhöhung der Preise vorzunehmen, daß die von ihm richtig geschilderten Gefahren für Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Arbeitslust der Bevölkerung ins Ungemessene steigen.
Seine Forderungen an die Entente sind deshalb nur eine halbe Maßnahme. Gewiß wäre es für die deutsche Bevölkerung eine wesentliche Erleichterung, wenn durch vermehrte Einfuhr zu erträglichen Preisen eine Besserung ihrer Ernährung eintreten würde. Aber die ausländischen Zufuhren können doch stets nur eine Ergänzung zu der inländischen Erzeugung bilden. Werden die Preise für die inländischen Erzeugnisse dauernd weiter erhöht, so bestehen die Gefahren hieraus unvermindert fort, da die ausländischen Lebensmittel auch bei dem jezigen Stand der deutschen Valuta noch in erheblichem Mißverhältnis zu den Löhnen stehen werden. Selbst wenn also die Entente, was wir hoffen, Verständnis für die deutsche Ernährungs- Notlage haben sollte, so würde dadurch der Kampf gegen die Erhöhung der Preise für die einheimischen Erzeugnisse und für ihren Abbau nicht weniger notwendig sein.
Neuer Konflikt in Spaa
Die gestrigen Verhandlungen
Spaa, 13. Juli. ( Amtlich.) Seute vormitag elf Uhr tagte die gemischte Kommission, die gestern nachmittag von der Konferenz eingesetzt worden war, um die Vorschläge der deutschen Regierung in der Wiedergutmachungsfrage erläutern zu lassen. Die deutsche Delegation war durch Finanzminister Dr. Wirth und Dr. Karl Mel= hior als wirtschaftlichen Beirat des Ministers des Auswärtigen, Geheimen Rat Wiedfeldt als Beirat des Wirtschaftsministers, Staatssekretär Bergmann als Vertreter des Wiederaufbauministeriums und der Kriegslastenkommission und einem Sekretär
vertreten.
Der Präsident der Kommission stellte fest, daß es sich nur um eine Enquete, nicht um eine Beratung handele und richtete an die deutschen Delegierten eine Reihe von Fragen, durch die verschiedene Punkte der deutschen Vorschläge aufgeklärt warden. Sobann bat er die deutsche Delegation um eine bestimmte Auskunft über die Höhe des finanziel len Angebots, insbesondere der Jahreszahlung. Reichsminister Wirth stellte eine solche Antwort für den späteren Nachmittag in Aussicht.
Inzwischen hatten die deutschen Sachverständigen in der Koh. Tenfrage mit den Sachverständigen der Gegenseite über ein neues Angebot monatlicher Tonnenlieferungen an die Alliierten verhandelt und das Angebot in schriftlicher Form gemacht. Eine Einigung war nicht zustande gekommen. In dem am Nachmittag beim Herrn Reichskanzler abgehaltenen Ministerrat wurde infolgedessen beschlossen, die gewünschte Auskunft an die gemischte Komission zunächst zurüdzuhalten, bis in der Nachmittagssigung des engeren Rates der Konferenz die Kohlenlieferung, die jedem wirtschaftlichem Angebot zur Basis bienen müßte, festgestellt worden sei.
In der Sigung des engeren Rates forderte der Präsident der Konferenz die deutschen Delegierten sogleich zur Abgabe ihrer Erklärung in der Rohlenfrage auf. Reichsminister Dr. Simons entwickelte die Gründe, aus denen es der deutschen Regierung unmöglich lei, eine Zusage wegen Kohlenlieferungen zu machen, die nicht die Zustimmung der Bergwerksunternehmer und insbesondere der Bergwerksarbeiter gefunden habe. Er machte auf den durch die Blockade geschwächten Gesundheitszustand der Bergarbeiter aufmerksam, der es ihnen ohnehin erschwere, Ueberschichten zu leisten, und der eine weitere Steigerung der Produktion nur gestatte, wenn man die Ernährung verbessere und für eine größere Zahl Bergarbeiter Wohnung schaffe. Unter dieser Vorauslegung fönne man zusagen, das Tagesliefer quantum vom 1. Oktober 1920 ab um 12 000 Tonnen, also auf 56 000 Tonnen, und vom 1. Oftober 1921 ab um weitere 12000 Tonnen auf 68 000 Tonnen zu erhöhen. Der Minister erklärte, daß eine weitere nicht unerhebliche Steigerung möglich sein werde, wenn in Oberschlesien für Ruhe gesorgt würde,
-
so daß Ueberschichten geleistet werden können. Dazu sei erforder lich, den Abstimmungstermin jobald als möglich anzusehen, weil bis dahin die friedliche Arbeit durch Agitation aller Art gestört werde. Noch besser würde es sein aber damit gebe er nur eine Anregung ohne einen Antrag zu stellen wenn man die Abstimmung überhaupt aufgäbe und über die Kohlenlieferung an Polen und die anderen auf die oberschlesische Kohle angewiesenen Länder unter Zustimmung der Alliierten eine Vereinbarung träfe. Diese Zustimung sei notwendig, weil durch den Friedensvertrag für Frankreich , Italien und Belgien eine Art internationaler Hypothek auf das deutsche Kohlenvorkommen unter gewissen Bedingungen geschaffen sei. Nach seiner Ueberzeugung würde auf diese Weise Polen von der deutschen Bergwerksverwaltung mehr Kohlen erhalten können, als wenn es die Verwaltung selbst in die Hand bekäme. Die Abstimmung in Ober schlesien sei zwar zweifelhafter als die in Schleswig und Allenstein , sie werde aber von uns nicht gefürchtet; was wir fürch teten, sei nicht die Abstimmung, sondern die mit ihr verbundene Unruhe und Verfeindung. Der Minister bat daher, diese Anregung zur Gewährung einer neuen Verhandlungsgrundlage in Erwägung zu ziehen.
Präsident Delacroix erwiderte, daß diese Antwort die alliierten Regierungen mit größtem Bebauernerfülle und eine sehr ernste Lage schaffe. Man habe gehofft, in Spaa zu einem wirklichen Frieden zu gelangen. Der deutsche Außenminister habe das Vorecht der Alliierten auf die deutsche Rohle anerkannt. Das Recht sei sehr magvoll geltend gemacht worden, aber die deutsche Delegation lasse es unberüdsichtigt. Unter diesen Umständen müsse er die Sigung aufs heben und behalte sich vor, den Delegationen einen Beschluß über einen neuen Termin mitzuteilen.
Neue deutsche Vorschläge
Spaa, 13. Juli. ( Savas.) Die deutschen Kohlenjachverständigen hielten heute vormittag eine Sigung ab, der die alliierten Vertreter in offiziöser Form beiwohnten. Die deutschen Sachverständigen machten den Vorschlag, monatlich 1 100 000 Tonnen zu liefern, die Belieferung ab 1. Oftober auf 1400 000 Tonnen zu erhöhen und, falls eine Besserung in der wirtschaftlichen Lage Deutsch lands eintrete, schließlich auf eine Lieferung von 1 700 000 Tonnen ab 1. Oktober zu kommen.
Regierungsbildung in Mecklenburg . Wie die Landeszeitung für beide Mecklenburg meldet, hat der mecklenburg - strelitzsche Landtag, der aus 19 Bürgerlichen und 16 Sozialdemokraten besteht, heute infolge Einigung der Fraktionen den bisherigen Staats: minister Dr. Frhr. v. Reibniz( Soz.) und den Führer der Demotraten des Landes, Landgerichtsrat Dr. Hustaedt, als Staatsminister gewählt. Ferner wurde bei Stimmenthaltung der Sozialdemokraten der Hofrat Frid aus Fürstenberg, ein Mitglied der Rechten, zum Präsidenten des Landtages gewählt.
Polen ist militärisch zusammengebrochen. Damit hat ein politisches Abenteuer sein natürliches Ende gefunden. Denn nicht anders denn abenteuerlich ist der polnische Feldzug gegen Sowjetrußland zu bezeichnen, und natürlich ist das Ende, da es nach allen gegebenen Vorbedingungen nicht ans ders sein konnte.
Rufen wir uns ins Gedächtnis zurück, unter welchen Ums ständen Polen und Sowjetrußland in kriegerische Berwicklun gen eintraten. Das eben erst durch den Machtspruch der En tente zur politischen Selbständigkeit erhobene Polen begann einen imperialistischen Machthunger zu entwickeln, der feineswegs einem Ausdehnungsdrang aus innerer Nots wendigkeit entsprang, also etwa ökonomischer Hochblüte, sondern nadte militärische, ländergierige Ziele verfolgte. Dieser polnische Imperialismus aber war auch eine Folge der total ungesunden Grundlage der inneren Politik Polens ! Die Unmöglichkeit, den jungen Staat baldigst zu befestigen, was schon infolge der allgemeinen europäischen politischen und ökonomischen Unsicherheit äußerst schwierig war, mag den pols nischen Machthabern die unglückliche Idee eingegeben haben, durch eine möglichst aktive Außenpolitik diese innerpolitis schen Schwierigkeiten zu verdecken.
Ganz unmöglich wäre aber den polnischen Machthabern die Kampfansage an Sowjetrußland gewesen, hätten sie nicht ganz sicher mit der Unterstützung der Alliierten gerechnet. Ja, man fann ruhig behaupten, daß die Alliierten, und ganz bea sonders England, Polen zu diesem Kriege ermutigt haben. Das steht im engsten Zusammenhang mit der Politik Gngs lands gegenüber Sowjetrußland. Die englische Rußlandpolitit arbeitete in zwei Richtungen. Nachdem Koltschat, Des nitin, Judenitsch und Wrangel erledigt waren, also diese mit ungeheuren Mitteln organisierte Macht gegen Sowjetrußland versagt hatte, versuchte es England auf anderem Wege, mit Rußland ins Reine zu kommen. Es begann die Verhandlungen erst in Kopenhagen mit Litwinow , dann in London mit Krassin , erst mit der peinlich ängstlichen Versicherung, daß es sich nur um die Erledigung des Austausches der Kriegsgefangenen handele, dann mit der etwas weitergehenden Begründung, nur mit den russischen Genossenschaften wegen Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen zu unterhan deln, bis man dann sogar mit Krassin als offiziellen Bertreter der Räteregierung in Verhandlungen eintrat. Auch jetzt noch wird immer wieder betont, daß die russische Räte-= regierung trotz aller Verhandlungen feineswegs an erkannt werde. Doch ist das nicht mehr als ein diplomațischer Trick, um das völlige Fiasko der englischen Vernichtungspolitik gegen Räterußland zu verhüllen.
Aber das schlaue England setzte nicht nur auf eine Karte, im Hintergrunde, lauerte immer noch der alte Lieblingsgedante, mit Sowjetrußland auf militärischem Wege fertig zu werden. Das hätte England die ruhige Borherrschaft bei der Neuordnung des ganzen Ostens gesichert, es hätte ihm ebenfalls den Vorrang in der wirtschaftlichen Ausbeutung Rußlands verschafft, Und außerdem hätte der Fall der Sowjetregierung auch den bedrohten englischen Einfluß in Asien wieder zu seinen Gunsten gewendet. Da die gegenrevo lutionären Armeen durch die Siege der Sowjettruppen zer trümmert waren, stand als einzig militärische Macht gegen Rußland Bolen zur Verfügung. Und Polen wurde der milis tärische Handlanger Englands.
Die Beziehungen zwischen Polen und Rußland schwebten Seit Beendigung des Weltkrieges in einer latenten Konfliktssphäre. Nachdem Rußland seine Gegner niedergeschlagen hatte und endlich die Möglichkeit bestand, den ingeren Aufbau des durch den Weit- und Bürgerkrieg schwer zerrütteten Staates zu beginnen, traten die Polen auf den Plan. Ruzland wollte um jeden Preis Frieden haben und forderte Polen wiederholt und unter konkreten Bedingungen zu Fries densverhandlungen auf. Polen verhielt sich diesen Angeboten gegenüber, dilatorisch", d. h. es wartete ab, ob sich nicht eine günstige Situation ergäbe, die feine Position gegenüber Rußland stärkte und zog die Entscheidung hin. Go fam es zum Krieg, der ohne eigentliche Kriegserklärung von Polen begonnen wurde.
Mag sein, daß die polnischen Machthaber allzu voreilig handelten, ohne die Einwilligung der Alliierten abzuwarten. Es ist auch möglich, daß sie die Ententemächte durch die vollzogene Tatsache ganz einfach vor die Entscheid stellen wollten. Aber hier beginnt der große Irrtum der pol= nischen Politiker. Die Entente befindet sich ja nicht im Schlepptau Bolens, sondern umgekehrt befindet sich Polen im Schlepptau der Entente, ohne deren Unterstützung es nicht zu leben vermag. Den Alliierten fällt es nicht im Traum ein, sich zu Trägern und Beschützern einer polnischen Katastrophenpolitik zu machen. Ist auch England start beteiligt am Ausbruch des russisch - polnischen Krieges, so ist es dies doch nur im Hinblid auf den Enderfolg dieser Attion. England wird Polen fallen lassen in dem Moment, wo es zu Rußland in ein bestimmtes, legal- politia sches Verhältnis fommt. Es hat fein Interesse baran, den Polen zu helfen, damit es sich von seiner Niederlage erholen, und erneut sein militärisches Glück versuchen tann. Für England ist eben mit dem polnischen Zusammen.