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Donnerstag, den 22. Juli 1920

Nummer 291

Abend- Ausgabe

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Berliner   Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands  

Eine englische Drohung

Englands Antwort an Rußland  

Bonbon, 21. Juni.

Reuter erfährt: Die englische Antwort auf die Sowjetnote ist gestern Abend übersandt worden. Es wird darin vorausges legt, daß die Sowjetregierung bereit ist, Fries den zu schließen. Um aber einstweilen die Aufrichtigkeit der Sowjetregierung zu prüfen, find die Polen   anfgefordert worden, selbst um einen Waffenstillstand zu ers juchen. Wenn die Sowjetregierung nicht bereit ist, Frieden zu fchließen und in Bolen eindringt, so werben die Verhand Iungen über die Wiederaufnahme des Handels mit Sowjetrngland eingestellt werden. Vorläufig wird die russische Mission, die sich augenblicklich in Reval   befindet, nicht nach England weiter gehen.

Rotterdam  , 22. Juli.

Dem Manchester Guardian" zufolge wird in der russischen Ant­wortnote außer dem schon bekannten noch folgendes bars gelegt: Die Sowjetregierung weigere sich bestimmt mit einem Vertreter des Generals Wrangel zu lammenzukommen, oder seine Sache anzuerkennen. Wran gel wird dauernd der Meuternde General" genannt. Die Sowjet­regierung ist bereit, seinen Truppen und den unter seinem Schuh befindlichen Personen Sicherheit zu gewährleisten. Auf der an deren Seite verlangt sie bedingungslose Uebergabe der ganzen Halbinsel Krim   und aller darauf befindlichen militärischen Vorräte. Was den Bölkerbund angeht, so weis gert sich die russische   Regierung, sich an die Vorschriften dieses Bundes zu halten, den sie einen Bund der alliierten Res gierungen nennt. Die Antwort weist darauf hin, daß das Bes stehen des Bundes Rußland niemals amtlich mitgeteilt worden ist, und daß sie alles, was es von dem Bunde weiß, aus den Zeis tungen erfahren habe. Die Sowjetregierung betont, daß trotz der Bestimmungen des Böllerbundjages die Alliierten nichts getan haben als bekannt wurde, daß Polen   einen Angriff auf Rußland   beabsichtige. Daher sieht die russische   Regierung nicht ein, warum sie sich jetzt, wo Polen   von einer Katastrophe in den von ihm begonnenen Kriege bedroht fieht, dem Bunde unterwerfen soll.

Zwei neue Noten der Entente

Rotterdam, 22. Juli.

Der politische Korrespondent des Manchester Guardian" erfährt über das Ergebnis der Sigung des englischen Kabinetts vom 20. d. M. noch, daß beschlossen wurde, zwei Noten zu versenden, nämlich die Antwort auf die russische Rote und eine andere Note mit Borschlägen an Polen  . In der letzteren wird Polen   formell ersucht, sich wegen eines Waffenstinstandes direkt nach Moskau   zu wenden.

London  , 22. Juli

In einer vom Reuterschen Bureau verbreiteten Mitteilung heißt es: Aus der russischen Note gehe deutlich hervor, daß in Mostau 3wei Parteien eine Kriegs- und eine Friedenss Partei vorhanden sind. Welche von beiden die Oberhand be alten werde, werde sich wahrscheinlich noch Ende der Woche zeigen. Eine Koalitionsregierung in Polen  Berlin  , 22. Juli.

Wie der Celegraphen- Union aus Warschau   gemeldet wird, be­hloß der Oberste Rat der Verteidigung in Anbetracht der schwie­

Lärm in der Wiener National­versammlung

T.-U. Wien, 22. Juli. Der Einspruch der Wiener   Sektion der Reparationstom sion gegen das Gesetz über die Vermögensabgabe hat Laufe des gestrigen Tages verschärfte Formen angenoms en und es mußte eine formale Aenderung der entsprechenden aragraphen des Gesetzes vorgenommen werden, die der Reparas onstommission eine uneingeschränkte Herrschaft über ie gesamte Finanzgebahrung des Staates gewährt. Der Forderung Der Reparationsfommission mußte Rechnung getragen werden. Der Staatssekretär für Aeußeres und der Leiter der Staatskanzlei Dr. Mayr haben in der heutigen Nachtsigung der Nationalver ammlung die entsprechenden Anträge eingebracht, die von der Nationalversammlung   in zweiter und dritter Lesung zum Bes ich I u erhoben wurden.

Am Nachmittag tam es in der Nationalversammlung   zu einem großen Standal. Der durch die Rede des sozialdemokratischen Abgeordneten Otto Bauer   start tompromittierte Abgeordnete Dr. Friedmann, der Vertreter der Industriellen, der bes schuldigt wurde, den Einspruch der Reparationskommission hers vorgerufen und die Interessen der Großbanten bei der Reparationskommission vertreten zu haben, war gestern der Zielpuntt lebhafter Angriffe seitens der Sozialdemokraten.

rigen Lage eine Roalitionsregierung aus sämt= lichen Parteien zu bilden. Den Posten des Ministerpräst­benten soll die Volkspartei besetzen.

Eine russische Bank in London  

T.U. London  , 21. Juli.

Die borschewistischen Handelsvertreter in London   haben da­selbst eine Bant errichtet, deren Kommissare sie selber sind. Die Bant trägt den Namen Russan Trade Delegation Bant. Krassin   wird vermutlich zum ersten Direktor ernannt werden. Es wird weiter gemeldet, daß bereits 2 Millionen Pfund Sterling russisches Gold nach England unterwegs seien.

Die Kriegslage

Weiterer Vormarsch der Ruffen

2. U. Kowno, 21. Juft.

Nach dem polnischen Heeresbericht dauern die Kämpfe nördlich Grodno   an. Bei Nowogrodet mußten sich die Polen   unter dem Druck des Feindes zurückziehen. Russische   Angriffe am Styr wurden abgewiesen. Bei Dubno und MIynoi gehen die Kämpfe weiter.

Nach einer Mitteilung aus Helsingfors   ist Rastolnikow zum Chef der russischen Ostseeflotte ernannt worden. Es soll sofort eine Reorganisation der russischen Ostseeflotte vorgenommen werden.

Die Bolschewisten marschieren in drei Heeressäulen auf Warschau  . Bei der Besetzung der Festung Grodno   durch die russi­schen Rätetruppen find auch litauische Truppen in die Stadt ge­brungen. Die Litauer verwahren sich dagegen, daß fie gemeinsam mit den Bolschewisten operieren mußten. Im bolschemistischen Heer soll eine ausgesprochene nationale Stimmung herrschen.

Polnischer Frontbericht

T.U. Warschau  , 22. Juli. Polnischer Heeresbericht vom 21. Juli: Feindliche Abteilungen haben Grodno   besett und tragen ihren Angriff an der Chaussee Grodno- Lutowan vor. Unsere Abteilungen fämpfen bei Batun. Dieser Ort ging eine Zeitlang verloren, wurde aber durch Gegenangriff wieder genommen. Die Boische wisten versuchen bei Luna und Wola   und an der ganzen Stara ent lang auf jeden Fall durchzubrechen. Heftige bolschewistische Angriffe auf der ganzen Stara- Linie, die besonders gegen den Brüdentopf Slonim   gerichtet sind, wurden aufgehalten. Es entspannen fich heftige Kämpfe zwischen Slonim und Bielawa  . Die Bolschewisten sammelten für diese Attion drei Infanterie­Divisionen und erlitten beim forzieren der Stara große Verluste. Jm Polessi- Abschnitt bei Ja zlowice haben unsere Abteilungen feindliche Angriffe abgewiesen und warsen bolschewistische Ab­teilungen aus dem Vorfeld zurück. Destlich der Front wußte Ge­neral Balachowicz alle Angriffe zu vereiteln, trotzdem die Bolschewisten auf dem engen Raum eine Division und große Ka­valleriemassen angesammelt hatten. Der Feind nahm Rzeczyca und warf unsere Truppen auf Brywiczorta zurüd. Südlich davon wurden alle feindlichen Versuche, die Front zu durchbrechen, von unseren Abteilungen vereitelt. Jm Süden mußte die 18. Division nach heldenmütigem Kampfe Dubno räumen. Bei Targowica und bei Kosin wehrte die 6. Armee weitere feindliche Angriffe ab. Bei Wolodowice hatte eine 800 Mann starte Kavallerie­brigade der Bolschewisten unsere Front durch brochen, wurde aber unter schweren Verlusten zurückgeworfen. In der Nacht vom 19. zum 20. ging ein ganzes tubanisches Kosakenregiment mit seinen Offizieren zu uns über.

Desterreichischer Zusammenbruch

Karl als Kriegsverbrecher

T.-U. Wien, 22. Juli. Im Ausschuß für Heerwesen erstattete der Abgeordnete Wit. terlig gestern ein eingehendes Referat über die von der Kom mission zur Feststellung und Verfolgung militärischer Pflicht. verlegungen im Kriege vorgelegten Bericht. Einer dieser Berichte ist besonders interessant dadurch, weil er die Ursachen des Zusammenbruchs an der Südwestfront aufdet. Nach diesem Bericht trifft die Schuld an den ungeheuren Verlusten an Menschen und Material, die sich wenige Stunden vor Beendi gung des Weltkrieges an der Südwestfront ergaben, den Kaiser und das Armecobertommando. Der Kaiser und das Armeeoberkommando schwankten nämlich, ob sie die harten Bedingungen annehmen sollten oder nicht. Zuerst wurde aus Baden ein Telegramm an die Front gefchidt, den Waffenstillstand sofort anzunehmen und durch ein späteres Telegramm wieder annulliert. Die hohen Generäle zeigten im entscheidenden Augenblid Gleichgültigkeit. Der Kaiser war wantel. mütig. 3nnerhalb 24 Stunden änderte er dreis mal seine Meinung und stieß seine vorherigen Entscheidun gen immer wieder um.

Milderung des Bontotts gegenüber Deutsch- Westungarn  . Gegen­über Deutsch- Westungarn   wird der Bontott ge mildert unter der Voraussetzung ,, daß den österreichischen Vertretern in Deden­burg bas Berteilungsrecht der über die Grenze gehenden Waren zusteht.

Die deutsche   Neutralität

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Bon Rudolf Breitscheid  

Die deutsche   Regierung hat in den letzten Tagen reichlich spät ihre Neutralität in dem Krieg zwischen Rußland   und Polen   erklärt. Diese Erklärung, die natürlich nicht den ge ringsten Einfluß auf die lebhaften Sympathien auszuüben vermag, die wir für den einen der streitenden Teile, nämlich für die russische Republit, im Herzen tragen, hat zunächst insofern eine große politische Bedeutung, als mit ihr amtlich zum Ausdruck gebracht ist, daß wir mit Sowjetrußland tatsächlich im Frieden leben. Es ist freilich ein anormaler Friedenszustand, da bestehen, aber dadurch wird nichts an der Tatsache geändert, die diplomatischen Beziehungen seit dem Herbst 1918 nicht daß alle feindlichen Akte, die in der Zwischenzeit gegen die Bolschewiti unternommen worden sind, das baltische Aben­teuer sowohl als die Anwerbungen von Truppen für die antibolschewistischen Generale auf deutschem Boden, auch den Bestimmungen des Völkerechts zuwider geleistet wurden. Die Berechtigung aller scharfen Kritik an dem Verhalten der ver­schiedenen Regierungen, die einander seit dem Januar 1919 gefolgt sind, ist jetzt offiziell anerkannt worden.

Natürlich war diese Feststellung nicht der Zweck der Vers fündung der deutschen   Neutralität. Deutschland   soll durch sie das Recht erlangen, Truppenförper, die absichtlich oder vom Feind bedrängt, die deutsche Grenze überschreiten, zu ents waffnen und gleichzeitig Truppen und Munitionstransporte zur Unterstützung einer der fämpfenden Parteien durch sein Gebiet zu verhindern.

Was den Durchzug der Truppen angeht, so hat es zwar in vergangenen Zeiten unter den Völkerrechtslehrern Mei­nungsverschiedenheiten über seine Berechtigung gegeben, und es wurde hier und da behauptet, daß der neutrale Staat ihn nicht verweigern tönne. Neuerdings aber ist eine vollständige Uebereinstimmung darüber erzielt, daß die Erlaubnis des Durchmarsches eine offenbare Verlegung der Neutralitäts­pflichten darstelle, und daß der, zu dessen Ungunsten die Truppenverschiebungen erfolgen, berechtigt sei, den Staat, der sie gestattet, als Feind zu betrachten und zu behandeln. Die Frage ist deshalb für uns von unmittelbarer Wichtigkeit, weil die Entente bekanntlich den Russen ge­droht hat, sie werde für den Fall, daß sie sich auf die von ihr formulierten Friedensbedingungen nicht einließe, den Bolen mit allen Mitteln zu Hilfe eilen. Der Gedanke, Deutschland   als Aufmarschgebiet zu benutzen, liegt außerordentlich nahe, und Deutschland   ist nun verpflichtet, sich jedem solchen Versuch mit aller Entschiedenheit zu wider sehen.

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Bei der gegenwärtigen Verteilung der Kräfte fann es bei Berfolg dieser Politik allerdings das darf nicht verkannt werden in eine sehr schwierige Lage geraten. Ein be waffneter Widerstand ist so gut wie ausgeschlossen. Das Bei­spiel, das Belgien   im Jahre 1914 gab, läßt sich nicht nach­ahmen. Wir können es nicht auf einen neuen Krieg mit Frankreich   und England antommen lassen. Wir haben jedoch unser Recht bis zum Aeußersten zu betonen und den verbündeten Regierungen die Vera legung der Neutralität so schwer als mög lich zu machen. Je tonsequenter wir dabei verfahren, um so mehr dürfen wir auch hoffen, die Opposition, die in den Weststaaten gegen die Unterstützung der Polen   vorhanden ist, zu befestigen und damit das Unternehmen unpopulär zu machen und von vornherein zu schwächen.

Die Haltung des amtlichen Deutschland   müßte ihre Er­gänzung finden in der Haltung der deutschen   Ar= beiterschaft. Je weniger wir imstande find, einen Bruch des Völkerrechts militärisch abzuwehren, um so mehr muß das Proletariat seine Macht und seinen Einfluß in die Wagschale werfen. Es hat nach der Methode, die die inter­nationalen Gewerkschaften Ungarn   gegenüber anwenden, den Boykott über die Entente zu verhängen und alle Mittel an­zuwenden, um den Transport von Truppen und Munition durch Deutschland   zu erschweren.

Wir zweifeln nicht daran, daß es dazu bereit ist und ge­wisse Vorgänge aus den letzten Tagen haben uns schon den Beweis erbracht, daß die Arbeiterschaft alle ihre Kräfte auf­bietet, um die Neutralität wirksam zu schützen.

Run kann die deutsche Regierung ihrem Widerspruch gegen Durchmärsche nur dann den gehörigen Nachdrud verleihen, wenn sie auf der anderen Seite mit der Entwaffnung übergetretener Truppenteile ernst macht, und deshalb können die Absichten, die sie in dieser Beziehung vertündet, an sich gebilligt werden. Das schließt indek teine unbedingte 3ustimmung zu den Wegen ein, die sie zur Erreichung ihres 3wedes eingeschlagen hat. Sie hat in einer Note, die am Mittwoch in Paris   überreicht worden ist, auf die Gefahren hingewiesen, die unserer Ost grenze drohen, und um die Erlaubnis gebeten, im Osten militärische Berstärtungen vorzunehmen ohne Rücksicht auf die Abrüstungsverpflichtungen, die ihr in Spaa auferlegt worden sind. Dieses Vorgehen ist eher ge= eignet, brüben einen sehr ungünstigen Eindruc 3uerweden, darauf hat im Ausschuß für auswärtige Ana gelegenheiten sogar der deutschnationale Abgeordnete Soegich aufmerksam gemacht.