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Einzelpreis 20 Pfg. 3. Jahrgang

Die Freiheit erscheint morgens und nachmittags, Sonntags und Montags nur einmal. Der Bezugspreis beträgt bei freier Buftellung ins Haus für Groß- Berlin 10,-. im voraus zahlbar, von der Spedition selbst abgeholt 8,50 m. Für Post­bezug nehmen sämtliche Bostanstalten Bestellungen entgegen. Unter Streifband bezogen für Deutschland und Desterreich 16,50 m., für das übrige Ausland 21,50 m. zuzüglich Valuta- Aufschlag, per Brief für Deutschland und Desterreich 30,-.

Redaktion, Expedition und Berlag: Berlin C2, Breite Straße 8-9,

Sonnabend, den 24. Juli 1920

Nummer 295

Abend- Ausgabe

Die achtgefpaltene Monpareilleselle ober deren Raum koftet 5,- M. einschließlich Teuerungszuschlag. Kleine Anzeigen; Das fettgedruckte Wort 2- M., jedes weitere Wort 1,50 M., einschließlich Teuerungszuschlag. Laufende Anzeigen laut Tarif. Familien- Anzeigen und Stellen- Gefuche 3,20 m. netto pro Beile. Stellen- Gefuche in Wort- Anzeigen: bas fettgedruckte Wort 1,50., jedes weitere Wort 1,- M. Serusprecher: Bentrum 2030, 2645, 4516 4603, 4635, 4649, 4921.

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Berliner Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Länderschacher der Kriegstreiber

Arbeiter! Schützt die Neutralität! Silfe der Entente illuforisch find.

Wie uns von gut unterrichteter Seite mitgeteilt wird, find Bestrebungen von einflußreicher Seite im Gange, die deutsche Regierung zur attiven Teilnahme am polnisch russischen Kriege zu veranlassen. Im Falle einer mili­tärischen Unterstügung Polens gegen Sowjetrußland soll Deutschland die Provinz Bofen zurüderhalten. In der Richtung einer solchen Verständigung zwischen Deutschland und der Entente find namentlich die in Berlin weilenden konterrevolutionären russischen Emissäre tätig, die eine heilige Allianz " zum Kampfe gegen Sowjetrußland zu schaffen bestrebt sind und die Ansicht propagieren, daß es sehr leicht möglich sei, auf der angegebenen Basis eine Verständis gung zwischen Deutschland , Polen und dem bürgerlichen Ruß­ land herzustellen.

Wir werden auf die Einzelheiten des schmählichen Blanes, der auf die Entfesselung eines neuen Krieges unter Teil­nahme Deutschlands hinauslaufen würde, noch zurückommen. Zunächst wollen wir nur feststellen, daß die deutsche Ar­beitertlasje in ihrer Gesamtheit sich mit aller Ents schiedenheit gegen die Verwirklichung des verbrecheris fchen Blanes wenden würde, unter diesen oder jenen Ver­prechungen am Kriege gegen Sowjetrußland teilzunehmen und Deutschland in ein neues militärisches Abentuer zu per­wideln. Sollte es in der Regierung Leute geben, die offen oder insgeheim den erwähnten Plan zu fördern beabsichtigen, jo jei ihnen mit aller Klarheit gesagt, daß die deutsche Ars beiterflasse tein Mittel unversuchtlassen wird, um die Durchführung dieses Planes zu vereiteln.

Die Arbeiterschaft im ganzen Reiche und namentlich in den öftlichen Provinzen rufen wir zur erhöhten Wachsam= teit und Tatbereitschaft auf, denn es ist keineswegs ausgeschlossen, daß die Regierung, aus Furcht vor der Em­pörung der Arbeiterschaft zwar jeden offenen Schritt in der Richtung der Ententewünsche unterläßt, aber gleichzeitig Unternehmungen duldet, die unter dieser oder jener Maskie: rung auf eine Verlegung der Neutralität Deutschlands und auf die Förderung des mili. tärischen Abenteuers gegen Sowjetrußland hinaus­laufen würden.

Franzosen durch Deutschland ! Verletzung der Neutralität Eigene Drahtmeldun der Freiheit". Salle a. G., 24. Juli. Gestern abend wurden in Oberröblingen zwei 3äge mit Franzosen beobachtet, die die Station passierten. Der eine Zug enthielt nur Mannschaften, der andere Mannschaften und Artillerie; außerdem fuhr ein Zug durch, der nur Mu­nition enthielt.

Das geschlagene Polen braucht nicht ,, militärische Instruktionen", die Millerand vers spricht, sondern starke und gut ausgerüstete Armeen. Die aber fann die Entente den Polen nicht zur Verfügung stellen. Mit Besorgnis verfolgen die Ententestaatsmänner auch die wachsende Erregnug der Arbeitermassen in ihren Ländern, die sich gegen die Fortsetzung des militärischen Abenteuers in Polen wenden. Die britische sozialistische Partei hat Lloyd George benachrichtigt, daß ein Krieg gegen Rußland das Zeichen zum Beginn des Generalstreiks bilden würde. Auch in Frankreich wird die Arbeiterschaft nicht untätig den Ers eignissen gegenüberstehen.

Der bolschewistische Vormarsch

T.U. Helsingfors , 24. Juli.

Sierher gelangten Nachrichten aus Polen zufolge, ist die polnische Front erheblich zurückgesetzt worden. Das polnische Heer steht augenblicklich auf der Linie Luzt- Pinst- Grodno.

T.U. London , 24. Jufi.

Die Bolschewisten sehen ihren Vormarsch unaufhaltsam fort und rüden täglich 30 bis 40 Kilometer vor. Sie stehen augenblicklich bei Bialostot, 150 Kilometer von Warschau entfernt, das be reits von der Zivilbevölkerung geräumt wird. Das bolschewistische Heer rüdt gegen Warschau vor,

T.U. Kowno , 24 Juft.

Die polnische Stadt Seing in der Nähe von Grodno ist bereits von den Bolschewisten besetzt worden.

T.. London , 24. Juft. Das Kriegsministerium telft mit, daß die bolschewistischen Truppen bereits die ethnographische Grenze Polens überschritten haben.

Der polnische Heeresbericht

Warschau , 23. Jufi.

Nach schweren Kämpfen nahmen Abteilungen des Obersten Luczynski die auf dem südlichen Ufer des Riemen ge= Feindes über den Njemen bei Dubra( 20 Kilometer südlich des legenen Forst von Grodna . Uebergangsversuche des Fluffes Russa) wurden vereitelt. Starte bolichemistische Angriffe in der Gegend von Mosty wurden abgewehrt. Der Feind, der mit bedeutenden Streitkräften die Schara bei Slonim über­schritt, setzte seine Angriffe in Richtung Roshany fort. Seine Vorhuten haben diesen Ort erreicht. Augenblicklich tobt bort ein erbitterter Kampf. Südlich des Prepjet wurde der Feind im Gegenangriff aus Rzetschysa hinausgedrängt. An der Styrlinie verhält sich der Feind passiv. In der Gegend von Dubno nimmt der Kampf mit der bolichemistischen Kavallerie eine günstige Wendung. Aus Chotyn, Rozin und Roder wurde der Feind hinausgedrängt. Die Bolichewisten greifen mit drei Re­gimentern und bedeutender Kavallerie und Artillerie zwischen Wolotschyst und Wolfowca an. Wir mußten unsere Stellung aufgeben. Im Gegenangriff wurde der Feind über den

Die Entente und der polnische Krieg 3bruca auriidgedrängt und die Lage wiederhergestellt. Die Ge­

T.U. Paris, 24. Juli.

Mit Rüdsicht auf die ernste Lage Bolens wurde vor allem mit Interesse eine Erflärung Millerands über die Frage im Senat entgegengenommen. Millerand erklärte in der gestrigen Gigung, das Ziel sowohl der englischen als auch der französischen Mission ist, mit aller Kraft die polnische Regierung zu unterstützen, die soeben tonstituiert wurde. Ferner haben sich die beiderseitigen Missionen die Verproviantierung der polnischen Armee zur Aufgabe gemacht. Soweit nötig, werde man auch den Polen militärische Justruttionen geben.

T.U. Paris , 24. Juli.

Um den Polen eine wirksame Unterstützung gegen die vordrin genden Bolschewisten gewähren zu fönnen, hält man es in hiesigen militärischen Kreisen für notwendig, ein Heer von mindestens 200000 Mann auf die Beine zu bringen. Man hegt aber die Befürchtung, daß es taum möglich sein werde, eine so starte Truppenmacht den Polen zur Berfügung zu stellen.

T.U. Paris , 24. Juft. Sier sowie in London hegt man die ernsteste Besorgnis angesichts es weiteren Vordringens der Bolschewisten. Der Temps" sieht die schlimmste Gefahr für die Alliierten, ob man nun den Deutschen gestattet, Truppen an ihre Ostgrenze zu bringen oder nicht. Das Blatt meint, daß die Antierten seit dem Abschluß des Waffenstillstandsvertrages mit Deutschland sich noch nicht wieder in einer derart ernsten Lage befunden habe. Die übrigen Blätter sind der gleichen Ansicht und niemand nimmt an, daß die Bolschewisten ihre einmal aufgenommene Offensive auf der Linie einstellen werden, die ihnen die Alliierten in dem Vermittlungs­Dorschlage bezeichnet haben. Die Alliierten würden also gezwun­gen sein, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Kräften für das bedrängte Polen einzutreten.

Die vorstehenden Meldungen fennzeichnen die tiefe Nieder­geschlagenheit, die die Vorgänge an der russisch - polnischen Front in den Ententeländern wachgerufen haben. Gleich­zeitig zeigen sie, daß die Hoffnungen Polens auf militärische

waltangriffe des Feindes bei Hafintyn wurden abgewehrt. Der Feind fonnte das westliche Ufer des 3brucz nicht gewinnen. Bei­derseits schwere Verluste.

Die englische Antwort an Rußland

T.U. London , 24. Juli.

Der Daily Herald" schreibt: Die britische Note an Moskau ist furz, aber in höflichem Tone gehalten, und zum ersten Male an die Räteregierung von Rußland" gerichtet. Die Note erklärt, darauf zu vertrauen, daß die Räteregierung mit Polen einen Frieden schließen wird, der nicht weniger bietet, als derjenige, der von den Alliierten vorgeschlagen wurde. Die Note erwähnt Wrangel nicht mehr.

Amerika bleibt neutral

HN. Paris, 24. Juft. Echo de Paris" meldet aus Washington , es sei nicht daran zu denken, daß Amerita zusammen mit Frankreich und England etwas gegen Moskau unternehmen würde. Diejenigen Parteien, die während der Wahlkampagne eine ähnliche Intervention befür worten würden, würden dadurch ihre Aussichten auf den Wahlsieg erheblich verringern.

Die Freilassung Nuortewas bevorstehend

T. U. London , 24. Juli. Daily Herald" meldet, daß Nuottewa, der Gesandte der Räte­regierung, der am Dienstag in England ausgewiesen worden ist, weil er auf seiner Reise aus Amerita ohne Genehmigung der eng­ lischen Regierung in England gelandet war, nach Harwich zurück­gebracht worden sei. Das Blatt vernimmt, daß die Regierung beabsichtige, Nuortewa freizu lassen, wenn er nach Rußland zurüdfehrt.

Nach Berichten aus Moskau würden sämtliche englischen Offi­ziere in Rußland , der Ukraine und Aferbeidschan darunter zu leiden haben, wenn Nuortewa an Finnland ausgeliefert werden würde, wo er fürzlich zum Tode verurteilt worden ist.

Reine Auslieferung

Bela Khuns!

Das von dem Vertreter der ungarischen Regierung in Bers lin angekündigte Auslieferungsbegehren gegen Bela Khun und die anderen aus Ungarn geflüchteten Kommunisten, die auf dem Durchreisetransport nach Rußland von der deutschen Regierung angehalten worden sind, muß nach den inter­nationalen Rechtsregeln unbedingt abgelehnt wer den. Es ist bezeichnend für die Rüdständigkeit der deutschen Rechtsverhältnisse, daß im Gegensatz zu allen fortgeschritte neren Staaten eine Mitwirkung deutscher Richter in Aus­lieferungssachen nur in dem Umfange stattfindet, wie sie auf ergibt. Unter solchen Umständen trägt in Deutschland die Grund der Gegenseitigkeit sich aus dem ausländischen Recht Regierung die volle rechtliche und politische Verantwortung für ihre Entscheidung. Gleichviel, ob man sich auf den Stand­punkt stellt, daß der alte Vertragszustand, der zwischen dem Deutschen Reich oder den Bundesstaaten und dem Königreich Ungarn bestanden hat, trotz der Staatsumwälzung in beiden Ländern in Gültigkeit gebliebn ist, oder ob man annimmt, daß die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze zur An­wendung zu tommen haben: eine Auslieferung der politischen Flüchtlinge würde sowohl den bisher geltenden Gesezen und Berträgen, wie den völkerrechtlichen Regeln widersprechen, die fich durch die ständige Uebung der Staaten gewohnheitss rechtlich zu förmlichem Bölkerrecht entwickelt haben.

Es besteht in tatsächlicher Hinsicht tein Zweifel darüber, daß sämtliche Handlungen Bela Khuns und seiner Genossen, um derentwillen sie verfolgt werden, mit einer Staats= umwälzung, mit der Begründung einer neuen Rechtsordnung im Zusammenhang stehen und im Bür gerkrieg vor sich gegangen find. Professor Ferdinand Martis schreibt zu dieser Frage in seinem Wert Inter­nationale Rechtshilfe in Staatssachen": Regel soll aller­dings sein, daß der fremde Gerichtsflüchtige sich gegen die Ab­führung ins Ausland überhaupt nicht mehr oder nicht für alle Verbrechen mehr auf den Zusammenhang seiner Tat mit einem politischen Delift berufen kann. Aber von dieser Regel wird in einem Falle abgesehen. Dies ist der Fall des Bür= gerfrieges. Wird in einem Lande mit Waffengewalt um eine neue Ordnnug des öffentlichen Rechtszustandes ges ftritten, dann ist es, so gestehen auch die modernen Reformer des Asylrechtes zu, allerdings auch für fremde Mächte un abweislich, felbst solchen Tatbeständen, die an sich schwere Berfehlungen gegen Leben, Freiheit, Eigentum der Mit­bürger darstellen, um ihrer politischen Beziehung willen nach wie vor die völkerrechtliche Jmmunität zu sichern." Ueber­einstimmend mit dieser Rechtsauffassung hat das Schweizer Bundesgericht in fortlaufender Praxis die Auslieferung von Flüchtlingen, die im Zusammenhange mit politischen Be strebungen Handlungen ausgeführt haben, die losgelöst von ihnen, den Tatbestand des gemeinen Verbrechens erfüllen würden, abgelehnt. Eine ähnliche Uebung bestand seit Jahr hunderten in England und Holland . Die Verstöße gegen diese Úebung, die in früheren Jahrzehnten in Deutschland und Preußen vorgekommen sind, haben sehr viel dazu beigetragen, Preußen- Deutschland in den Ruf eines intoleranten, reats tionären Staatswesens zu bringen.

Der Fall Bela Khun und Genossen ist dadurch rechtlich fests gestellt, daß die deutsch - österreichische Regierung die Ausliefes rung Khuns und seiner Freunde wegen der gleichen Hand­lungen ausdrücklich abgelehnt hat und die Eigenschaften der Verfolgten a Is politische Flüchtlinge in vollem Umfange anerkannte. Eine Auslieferung Khuns würde den überliefernden Staat in der internationalen Achtung start herabsetzen und ihm ein dauerndes Brandmal in der Geschichte aufdrücken. Unter diesen Umständen scheinen die amtlichen deutschen Stellen von der Unmöglichkeit einer Auslieferung Khuns überezugt zu sein. Es wird nun gesagt, daß die Abschiebung Khuns als lästigen Ausländers geplant sei. Auf einen Versuch, Khun gegen seinen und den Willen, der österreichischen Regierung zwangsweise nach Desterreich abzuschieben, deutet die Nachricht eines Rüdtrans­portes nach Passau . Es muß mit Nachdruck auf die Gefahr hingewiesen werden, die in einer solchen zwangsweisen gegen den Willen der anderen Regierung vorgenommenen Uebers führung über die Grenze liegt, weil unter solchen Umständen die Möglichkeit einer Schießerei mit üblichem Ausgang in nächste Nähe gerückt wird. Wir machen die deutsche Regierung darauf aufmerksam, daß sie die volle Verantwortung für das Leben der Personen trägt, deren exterritoriale Durch reise sie gehemmt hat.

Wenn die russische Sowjetregierung den verfolgten Freun den eine Zufluchtsstätte angeboten und sich mit ihrer ganzen Macht eingesetzt hat, daß die besiegten Verbündeten das ihnen gebotene Asyl auch sicher erreichen, so übte sie nur das schönste Recht eines starten Staatswesens aus, dem Bedrängten eine Zufluchtsstätte zu gewähren. Es ist bezeichnend für die bürs