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Montag, den 26. Juli 1920

Nummer 297

Abend- Ausgabe

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greibeit

Berliner Organ

ber Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Rußland zum Waffenstillstand bereit

Russische Antwortnote an Polen scheinlich werden diese Unterhandlungen auf dem Wege

Jm Einklang mit allen ihren bisherigen Rundgebungen hat die Moskauer Sowjetregierung das Waffenstillstands­gesuch der polnischen Regierung bejahend beantwortet. Folgende Meldung liegt darüber vor:

TU. London, 26. Juli.

Ein Radiotelegramm aus Moskau besagt, daß die Sowjetregie rung den Waffenstillstandsvorschlag der polnischen Regierung an genommen hat. Das Radiotelegramm, das die russische Regierung am 23. Juli an die polnische Regierung gerichtet hat, lautet:

An den Minister des Aeußeren, Herrn Sapieha , Warschau . Die Sowjetregierung Rußlands gibt der russischen Obersten Heeres leitung den Befehl, mit dem Militärtommando Polens jo fort Berhandlungen einzuleiten, die zum Waffen tillstand führen sollen, der den endgültigen Frieden zwischen den beiden Bändern vorbereitet. Die russische Regierung wird die polnische Regierung über Ort und Zeit des Beginnes der Verhandlungen zwischen den Militärkommandos der beiden Stäbe unterrichten. Der Volkskommissar des Aeußeren, gez.: Tschitscherin

Die polnische Regierung wird Vertreter, die mit Bollmach. ten ausgestattet find, an den von der russischen Regierung zu be zeichnenden Ort senden. Die russische Regierung wird gleichfalls

bie Zeit festsetzen, zu welcher sich die polnischen Bertreter an diesen

Ort begeben sollen.

Andere Meldungen besagen, daß die Roten Armeen sich auf Befehl des Bolschemistischen Oberkommandos zurück­zuziehen anfangen. Nach einer Warschauer Meldung soll bereits Grodno von den Russen geräumt und von den Bolen wieder besetzt worden sein. Eine Bestätigung der legten meldung, die etwas unwahrscheinlich klingt, muß noch abgewartet werden.

Ein neues ruffisches Angebot

London , 26. Juft. Nach einer Meldung der Daily Mail" hat die Sowjetregierung der englischen Regierung mitteilen laffen, daß sie geneigt sei, zu Beratungen über den Frieden mit Polen nach London zu tommen. Doch verlangt sie vorher, daß sich General Wrangel ergebe, dessen persönliche Sicherheit gewährleistet wird. In der Note erklärt die Sowjetregierung ihr Erstaunen das rüber, daß die englische Regierung die Besprechungen über die Wiederaufnahme der Sandelbeziehungen unterbrochen hätte.

Der polnische Frontbericht

T. U. Warschau , 26. Juli. Bolnischer Heeresbericht vom 25. Juli: Der Feind griff gestern ben ganzen Tag über südlich von Grodno an. Seinen Hauptangriff richtete er auf Sotolti und auf die Chaussee Wolpa- Roß. Ferner griff der Feind Kutnica westlich vom Selwafluß an. Unsere Ab­teilungen tämpfen an der Chaussee Slonim- Rosany. Im Gebiete Karpusta- Brezo brachten Posensche Abteilungen feindliche Angriffe zum Stehen, und warfen den Feind zurüd. Im Bolegie- Abschnitt nichts neues. Im Gebiet von Glogiczno verdrängten unsere An­griffe den Feind. Es wurden Gefangene gemacht. Am Styr teine Veränderung. Heftige Kämpfe bei Biristeczko. In zehntägigem Angriff Tonnte der Feind hier durchbrechen. Im Gebiet von Rad­iwillow mußten unsere Truppen die Front stellenweise vor Der feindlichen Uebermacht zurüdnehmen. Im Abschnitt Krzemienca- Woloczysta bogen wir unsere Front ein. Heftige Kämpfe östlich Boczajow und Zwaraz. Der Ort Susiatyn wurde Dom General Januszajtis wiedergenommen.

Grodno von den Polen wieder besetzt 5. N. London , 26. Juli. Infolge der Instruktionen der Sowjetregierung an den boliche mistischen Oberbefehlshaber, daß die Armee sich zurückziehen solle, haben die Polen Grodno wieder besetzt. Rücktritt des Chefs des polnischen Generalstabes

HN. Paris, 25. Juli.

Die Blätter melden, daß der Chef des polnischen Generalstabes zurückgetreten ist und daß General Bez wadowsky, Chef der Militärmission in Paris , der in fortwährendem Kontakt mit& o ch und General Wigand gewesen ist, an seine Stelle treten wird. In Warschau erscheint eine neue Zeitung unter dem Titel Evoboda", d. h. Freiheit. Das Blatt befürwortet eine Annähe= rung Rußlands und Polens und schlägt vor, in den strit­tigen Gebieten, welche bis zum Jahre 1772 einen Teil der polni­schen Republik bildeten, d. h. Litauen , Ukraine und Weiß- Ruthe­nien, eine Volksabstimmung zuzulassen, zur Entscheidung, ob sie zu Rußland oder Polen gehören wollen.

."

Ein englisches Weißbuch.

HN. London , 25. Jufi. Die britische Regierung hat gestern abend ein Weißbuch ver­öffentlicht, welches den ganzen Briefwechsel mit der Sowjet­regierung enthält, einschließlich der Antwort der Sowjetregierung,

worin sie die Friedensverhandlungen mit Bolen bewilligt. Wahr­zwischen Moskau und Warschau auf der Grenze zwischen Bara nowitschi und Brest - Litowst stattfinden.

Die Sonderpolitik des Militärs

Rotterdam , 25. Juli.

Der Londoner drahtlose Dienst meldet: Wie verlautet, wird das an die Alliierten gerichtete Ersuchen der deutschen Res

gierung um Zustimmung zur Verstärkung der deutschen Truppen in Ostpreußen gegenwärtig von den Alliierten geprüft. Man ist der Ansicht, daß dieses Ersuchen in gewissem Grade mit der Erklärung des deutschen Ministers des Aeußern, daß Deutschland die Durchführung alliierter Truppen durch deutsches Gebiet nicht gestatten fönne, in Widerspruch steht.

Man fann in der Tat die Berechtigung des Einwandes nicht abstretten, daß das deutsche Ersuchen um Verstärkung der deutschen Truppen in Ostpreußen in Widerspruch mit der mehrfach von der deutschen Regierung proflamierten Neutra­lität steht. Auch hier scheint derselbe Widerspruch sich geltend zu machen, der die deutsche Politik so verhängnisvoll beeinflußt: Der Widerspruch zwischen der offiziellen Regie­rung der Republik und der Sonderpolitik der militärischen Nebenregierung.

Eisenbahner schützen die Neutralität

Berlin , 25. Juli.

Der erweiterte Vorstand des Eisenbahnerverbandes, der mehr als eine halbe Million Eisenbahnbeamte und Arbeiter vertritt, hat unter Teilnahme von Vertretern der Eisenbahner des ganzen Reiches in feiner heutigen Sigung folgende Entschlies bung mit 72 gegen eine Stimme angenommen: Die deutsche Re­gierung hat für Deutschland die Neutralität gegenüber Polen und Rußland erklärt. Der erweiterte Vorstand des Deutschen Eisen­bahnerverbandes hält diese Politik für die für Deutschland einzig richtige und erflärt es für eine unbedingte Notwendig teit, jebe Berlegung der Neutralitiät durch deutsches Gebiet mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern.

Neue Munitionstransporte

Nach einer Meldung aus Marburg traf dort ein Munitions­transport ein, der von Gießen tam und für Polen bestimmt war. Der Zug enthielt auch Gewehre und Maschinengewehre und war von ausländischen Offizieren begleitet. In Gießen weigerten sich die Eisenbahnarbeiter ,. den Zug weiterzubefördern, und in Marburg sammelte sich eine größere Menschenmenge an, die gegen die Weiterbeförderung des Zuges protestierte. Der Zug verbleibt vorläufig in der Nähe von Marburg , bis weitere Anordnungen der Reichsregierung eintreffen.

Deutschland und der Völkerbund

Der Jrrtum der bisherigen Politik

Paris , 26. Juli. Lord Robert Cecil hatte eine Unterredung mit einem Ver­treter des Petit Journal", in der er sich über den Völker= bund aussprach. Er erklärte, daß man jeßt inbezug auf Ruß= land den von Europa seit achtzehn Monaten begangenen Jrr= tum einsehen müsse, den Frieden einzig und allein auf mili tärische Elemente gründen zu wollen, ohne sich um wirt­schaftliche Beziehungen zu fümmern. Kein Mensch von gutem Willen hätte Frankreich Elsaß- Lothringen streitig machen können und man habe sich auch gegen ein freies Polen nicht gewendet. Die Belegung des Rheinlandes sei ein zweifelhaftes G1üd für Frankreich . Man tönne ein fremdes Land nicht auf die Dauer besetzen, ohne sich selbst zu schwächen. A merita werde niemals in eine englisch- französisch- amerikanische Allianz einwil­Hgen und auch England wolle teine Allianz, nein, nur ein festes Einverständnis mit Frankreich .

Jm Bölterbund müßten Deutschland und Amerika offiziell ver­treten sein. Man tönne Europa ohne Deutschland night wieder auf­bauen. Amerika würde sich jedenfalls erst später dem Bölkerbund anschließen, wenn dieser ein festes Gebäude geworden sei. Vor­läufig müsse man ohne Amerita fertig werden.

Das Programm des Völkerbundrats London , 24. Juli.

Reuter erfährt, daß der Völkerbundrat am 30. Juli in San Sebastian zusammentreten soll. Die Hauptverhandlungsfragen find: 1. Ergreifung von wirtschaftlichen Maßnahmen gegen Staaten, welche unter Verlegung von Bestimmungen, Die sie als Mitglieder des Bölkerbundes eingegangen find, in den Krieg eintreten, 2. Errichtung einer ständigen Janitären Or ganisation, 3. Unterbreitung der von der Internationalen juristischen Kommission im Haag und dem Internatio­nalen Gerichtshof ausgearbeiteten Gesezentwürfe, 4. Prüfung der bezüglichen Vollmachten des Rates und der Versammlung in Sin­blid auf den Zusammentritt der Völlerbundversamm Iung am 15. November, 5. die Verantwortlichkeit des Bälterbundes, die sich aus den Ueberweisungsbestimmungen des Friedensvertrages und des Völkerbundpattes ergibt.

Leimruten

Den Machern der Wirtschafts- und Sozialpolitik der deuts schen Republik ist anscheinend nur ein Mittel bekannt, um die dringend ersehnte Steigerung der Gesamtleistung der Volkswirtschaft herbeizuführen: die schärfere Ans spannung und Ausbeutung der Arbeits. fraft. Allerlei künstliche Systeme werden in einer täglich mehr anschwellenden Literatur als neueste Erfindungen mild­herziger Sozialethifer angepriesen. Prüft man sie genauer, so findet man stets, daß die Kerngedanken aller dieser Kon­struktionen schon ein erhebliches Alter aufweisen. Niemand wagt es, dem anmaßend nud brutal auftretenden Kapital Opfer an Macht und Selbstherrlichkeit aufzuerlegen und da­freudigkeit der Massen anzuregen. Alle Wege, die empfohlen mit die Produktivität der Arbeit zu steigern und die Arbeits­werden, fordern vom Arbeiter das Opfer größter Selbst= bescheidung und bieten dafür einige Lodungs­pillen, die im Wesen reattionär, gegen den auf­strebenden Willen des Proletariats gerichtet, für den Kampf der Arbeiterklasse mithin gefährlich und nur mit einigen Scheintonzessionen überzuckert und mit sozialistisch flingenden, moralischen Reden verbrämt sind.

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Wo im Gedankenarsenal ideologischer oder demagogischer. Sozialreform der Staub am didsten lagert, ist auch die Jdee der Gewinnbeteiligung der Arbeiter und Ange­stellten seit altersher verwahrt. Neugeschminkt und frisch fristert stellt man den Ladenhüter wieder zur Schau. Man sollte nicht meinen, daß daraus eine Gefahr für die Arbeiter­schaft entstehen könnte. Aber es zeigt sich, daß nicht nur ten der Arbeiterorganisationen- zahlreiche naive Ge­beim großen Publikum", sondern auch unter den Beauftrag­

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müter auf die ebenso dumme wie dreiste Reklame hinein­fallen, die das alte Laster als eine foeben frisch entknospete, jungfräuliche Blüte revolutionärer sozialer Einsicht ausgibt.

Unter den Interessenten befindet sich, wie immer, wenn es gilt, Befehle des Kapitals auszuführen, anscheinend auch das Reichsarbeitsministerium. Bevor die Schlich. tungsordnung erschien, veröffentlichte das Reichs= arbeitsblatt einen langen Schwanz von Lesefrüchten aus den ausländischen Gesezesbüchern des gleichen Stoffes. Nun erschien vor einigen Wochen eine Sonderbeilage des gleichen offiziellen Blattes, die allerlei Projekte und Vorschläge für die Verwirklichung der Gewinnbeteiligung ent­hält. Wenn dieses Sympton nicht täuscht, dann müssen wir auf eine gesetzgeberische Leistung über dieses Thema gefaßt sein, wofür übrigens auch andere Zeichen sprechen.

Gewinnbeteiligung ist in verschiedener Form möglich. Die Form der vom Arbeiter zu erwerbenden ,, fleinen Attie" wird vielfach erwähnt und sie scheint auch dem Arbeitsministerium unter Schlice vorgeschwebt zu haben. Sie würde die Ge= winnbeteiligung auf jene Arbeiter beschränken, die tleine Ersparnisse besigen und bereit wären, sie dem Unternehmer durch Ankauf kleiner Aktien zur Verfügung zu stellen. Damit würde dieses System auch den Anreiz zu höherer Leistung, der durch die Aussicht auf einige Pfennige Dividende hervorgerufen werden soll, nur bei diesen wenig zahlreichen Arbeitern wirksam werden lassen. Es wäre mit­hin als Mittel zur Steigerung der Produktivität durch schärfere Anspannung der Arbeitskraft völlig un tauglich, denn es ließe die Massen der Arbeiterschaft un berührt. Außerdem aber wäre die fleine Attie ein Mittel, Teile der Arbeiter an das Unternehmen zu fesseln und sie in ihrer Freizügigkeit zu behindern. Das hätte der Gewerkschaftsbewegung, deren Kraft auf der völlig freien Verfügung des Arbeiters über seine Arbeits­fraft beruht, zu allen übrigen Hemmungen, die man ihr im Lande der vollendeten Demokratie in den Weg wälzt, gerade noch gefehlt. Nicht zuletzt dieser Wirkung wegen übt die Jdee auf viele Unternehmerkreise einen sympathischen Reiz aus. Deswegen werden die Gewerkschaften diese Methode der Uebertölpelung der Arbeiterschaft betämpfen müssen. Besonders findige Köpfe erweitern den Plan, indem sie vorschlagen, die Dividende möge nicht ausgezahlt, son­dern ,, affumuliert", zum Kapital" des Attien besitzenden Arbeiters geschlagen werden. Erstens: damit dem Arbeiter die Belanglosigkeit der Dividendenpfennige nicht zum Bewußtsein kommen möge, und zweitens: damit die Ver knüpfung des Arbeiters mit dem Unternehmen noch inni= ger gestaltet werde. Wo der Spartopf verankert ist, soll das Vaterland des Arbeiters sein, dem er innig in Treue ver bunden bleibt.

Run fann man sich allerdings ein System von Gewinn­beteiligung vorstellen, das, ohne die Dividendenzuteilung an Aktienbesig zu knüpfen, jedem Arbeiter eines Betriebes eo ipso eine Beteiligung am Gewinn zubilligt. Wie ver­lodend das flingt!

Aber Gewinnbeteiligung als Mittel zur Anpeitschung der Arbeitskraft setzt unterschiedliche Behandlung der Arbeiter voraus. Die Auswerfung einer für alle gleichen Gewinnrate würde die Hände" nicht in lebhaftere Bewegung bringen. Somit müßte eine nicht an Aftienbesitz geknüpfte Gewinnbeteiligung eine Mindestleistung voraussetzen und mit einem Affordlohnsystem ver­bunden sein. Das Akkordsystem wäse notwendig, einmal um die Mindestleistung einwandfrei zu ermitteln, und ferner, um die Höhe der Dividende der höheren Lohnsumme des