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3. Jahrgang

Die Freiheit, erfcheint morgens und nachmittags, Sonntags unb Montags wr einmal. Der Bezugspreis beträgt bei freier Zuftellung ins Haus für Groß- Berlin 10, M. im voraus zahlbar, von der Spedition felbft abgeholt 8,50 m. Für Bost bezug nehmen sämtliche Poftanstalten Bestellungen entgegen. Unter Streifband bezogen für Deutschland   und Defterreich 16,50 m., für das übrige Ausland 21,50 m zuzüglich Valuta- Aufschlag, per Brief für Deutschland   und Defterreich 30,- 92. Redaktion, Expedition und Berlag: Berlin   C2, Breite Straße 8-9.

Freitag, den 6. August 1920

Nummer 317

Abend- Ausgabe

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greiheis

der

Berliner   Organ

Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands  

Vor ernsten Entscheidungen

Polen   zum Frieden bereit?

TU. Warschau, 6. Auguft.

Die Regierungsmitglieber berieten gestern den ganzen Tag über bie Stellungnahme der polnischen Regierung zu dem Antrag der Sowjetregierung, unverzüglich in Minst Friedensvers handlungen aufzunehmen. Dieser Antrag war von der russischen Waffenstillstandskommission dem Vorsitzenden der pol nischen Abordnung, General Romer, gestellt worden, der ihn der polnischen Regierung überbrachte. An den Beratungen bes Ministerrats nahm auch Staatssekretär Dr. Wroblewsti teil, der die polnische Regierung in der Wassenstillstandsabordnung in Baranowitschi   vertreten hatte. Es wurde befchloffen: Die polnische Regierung ist.bereit, den Antrag der Sowjetregierung auf Aufnahme der Friedensverhandlungen und Entsendung einer Friedensdelegation nach Minst für den Fall anzu. nehmen, daß die Sowjetregierung den in einer vorher abge­gangenen Friedensnote enthaltenen polnischen Vorschlägen Rech nung trägt. Die Note verlangt Garantien für einen unge störten telegraphischen und telephonischen Verkehr der polnischen Friedensdelegierten mit ihrer Regierung. Die Abordnung, die aus Vertretern der Regierung, aus Militärs und aus Reichs tagsabgeordneten bestehen wird, wird unverzüglich nach Minst abreisen, falls auf die polnische Note eine zufrieden

stellende Antwort der Sowjetregierung eintrifft. Die Friedens note der polnischen Regierung, deren Inhalt noch offiziell bekannt gegeben wird, ist in der vergangenen Nacht nach Mostau radio­telegraphisch übermittelt worden.

Neue Waffenstillstandsverhandlungen?

Genf  , 8. Auguft.

Havas meldet aus Warschau  : Die unterbrochenen Waffen #tillstandsverhandlungen zwischen Polen   und Rußland  werden am heutigen Freitag wieder aufgenommen werden. Die Instruktionen der polnischen Bevollmächtigten gehen dahin, das unter allen Umständen die Waffenruhe bis zum Sonn tag herbeigeführt sein müsse, anderenfalls sind die Kampfhands lungen fortzusetzen, und zwar unter Ablehnung weiterer Friedensverhandlingen.

Krieg oder Frieden?

CU. London, 6. Auguft.

Allen Anzeichen nach scheint der Krieg zwischen Ruhland und den Alliierten unvermeidlich zu sein. Gestern abend wurde mit geteilt, daß die Mobilmachung der englischen Flotte bevorstehe. England beabsichtige, schnellstens vier Divifionen an die polnische Front zu entfenden und einen Aufruf zur Anwerbung von Freiwilligen für die Unterstügung Polens   zu veröffentlichen.

TU. London, 6. August.

Nach Neuherungen des ruffischen Delegierten Kamenew it nicht zu erwarten, daß die russische Regierung auf die neue eng tische Note eine, den englischen Wünschen entsprechende Antwort erteilen wird. Kamenew   und Krajin rüsten zur Abreise.

Die Hilfeleistung für Polen  

HN. London, 6. Auguft. Die Regierung steht mit Frankreich   in Unterhandlungen über die Bajnahmen, welche bezüglich der Lage in Bolen getroffen werden lisen. Es soll ein großes Quantum Kriegsgerät geiidt werden, während bereits ein erheblicher Teil französischer Freiwilliger, Geschüße, Flugzeuge sw. unterwegs find. Obwohl in England noch keine bestimmten Echritte unternommen worden sind, erwartet man, daß bas Kriegsamt innerhalb weniger Tage einen Aufruf für Freiwillige erfassen wird und daß Mahnahmen getroffen wurden zur Mobilisierung der britischen Flotte.

TU. Paris, 6. August. Laut Matin" hat die französische   Regierung im Bewußtsein deffen, daß die Unterstützung Bolens für Frankreich   von vitalstem Interesse ist, den Aniierten in diesem Sinne Vorschläge ge­macht. Man meldet, daß die französischen   Truppen, die sich in der Nähe des Kriegsschauplages befinden, bald Befehl zur Teilnahme an den Operationen erhalten dürften. In einem Interview durch den Matin" torrespondenten erklärte Paderewski  , Bolen werde einen ehrenhaften Frieden annehmen im Einver­Ständnis mit seinen Alliierten, jedoch nicht unter der Drohung der Sowjets.

Das englische Doppelspiel

London  , 5. Auguft.

Jm Unterhause fragte Wedgewood, ob die Alliierten einen Druck auf die Tschechoslowakei   ausübten, damit diese Polen  beistehe. Lloyd George   erwiderte: Alles hängt von der Antwort ab, die wir von Rußland   erhalten werden. Wenn die Antwort unbefriedigend ist, werden wir selbstverständlich auf jedermann einen Drud ausüben, damit er Bolen die nötige Unters tügung leiste. Wedgewood forderte dringend eine Erklärung, daß, wenn die Antwort unbefriedigend sein sollte, fein Drud auf

die Tschechoslowatet oder andere Grenzftaaten im Sinne einer be­waffneten Intervention zugunsten Polens   ausgeübt werde. Lloyd George   sagte: Wenn die Antwort unbefriedigend ist, und wenn es völlig flat wird, daß die Sowjetregierung beabsichtigt, Polen   zu unterdrücken, dann bin ich bestimmt nicht in der Lage, ein der­artiges Versprechen zu geben.

Lloyd George   fuhr fort: Das Telegramm der britischen Re­gierung hat der Sowjetregierung gesagt, daß der Frieden mit Polen   nicht unter Ausschluß der Alliierten geschlossen werden darf, da sonst die Konferenz in London   ausfallen würde. Es ergibt sich jetzt aber, daß die Sowjetheere weit in das etno­graphische Polen   eingedrungen sind und wenn man aus dem ver­langten Aufschub Vorteile ziehen will, wird England zu der Schlußfolgerung tommen müssen, daß die Sowjetregierung nicht beabsichtigt, die Freiheit und Unabhängigkeit Bolens zu respet­tieren. Dann ist der Zustand da, der in dem britischen Tele­gramm nom 20. Juli an Tschitscherin   erwähnt wurde. Lloyd George   sagte weiter, daß bis jetzt keinerlei Antwort auf das Telegramm vom 19. Juli eingetroffen lei. Es wurde ihm aber mitgeteilt, daß Kamenew   ein Telegramm seiner Regierung er­halten hat und daß dieser das Telegramm der britischen Regie­rung bekanntgeben wolle. Was darin stehe, wisse Lloyd George  noch nicht.

Gestern hat Lloyd George   zusammen mit Bonar Law   eine Un= terrebung mit kraslin und kame new gehabt. Diese haben ihnen flargemacht, daß sie es ablehnen, über einen Waffen­stillstand zu verhandeln, es sei denn, daß die polnische Mission gleichzeitig Friedensverhandlungen beginnt. Die britische Regie­rung glaubt nicht, daß es der Sowjetregierung mit ihrem Frie densschluß ernst sei. Der einzige Weg, um diesen Berdacht ver­schwinden zu lassen, wäre, daß man einen annehmbaren Waffenstillstand schließt. Der Verdacht werde aber noch vergrößert durch den Vormarsch in das ethnographische Polen  .

Am Montag wird das Unterhaus eine offizielle Erklärung be­züglich der maritimen und militärischen Maßnahmen, die viel leicht notwendig sein werden, abgeben.

Polnischer Frontbericht

TU. Warschau, 6. Auguft. Amtlicher Heeresbericht: Nördlich Ostrolenia Kämpfe in der Ge­gend von My1z3ynite. 3wischen Ostrolenta und dem Bug wehrten unsere Abteilungen in der Gegend von Czerwin   und Oftrolenta einen starten Angriff des Feindes ab. Mestlich von Drobizon Kämpfe mit feindlichen Abteilungen, die den Bug überschritten hatten. Zwischen Drohizyn und Brest   hat unser gestern begonnener Gegenangriff den Feind auf das nördliche Bugufer zurüdgeworfen. Starte Angriffe des Feindes in der Gegend von Brest   und süblich davon nötigten unsere Abteilun gen zur Aufgabe ihrer Stellungen bei Oborowicz und Terespol Um den Besitz dieser beiden Ortschaften wird noch gekämpft. Det lich von Brody finden weiter Kämpfe statt. Am Sereth   wurden alle Angriffe abgeschlagen. Die Angriffe der ukrainischen Abteilungen entwideln fich günstig für uns.

Vor den Außenwerken Warschaus  

TU. Kopenhagen, 6. August. Aus Warschau   eingetroffene Meldungen besagen, daß die Bol Schemisten vor den äußeren Befestigungsanlagen der Stadt stehen.

Russische   Verräter

TU. Helsingfors, 6. August.

In der Prawda" wird eine Reihe von Namen derjenigen Per­fonen veröffentlicht, die in der Roten Armee verantwort: liche Stellen als Kommandanten usw. innehatten, die aber an der Front zu den Polen   übergegangen find. Alle diese Personen werden als Verräter an Sowjetrußland er tlärt und ihre Familienmitglieder in Konzentrations= lagern interniert.

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Der Boykott gegen Ungarn  

Einstellung am 8. Auguft

TU. Wien, 6. August. Wie der Korrespondent der Telegraphen- Union meldet, wird ber Bontott gegen Ungarn   am 8. d. M. eingestellt. Der Se­tretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes   in Amsterdam  , & immen, depeschterte: Obwohl die Lage in Ungarn   noch un­befriedigend ist, hat die Leitung des Internationalen Gewert­schaftsbundes auf Grund der allgemeinen Sachlage beschlossen, den Bontott vom 8. b. M. abzubrechen. Die Motivierung dieses Be schlusses erfolgt durch ein Manifest.

Die Arbeiterzeitung" schreibt: Es ist nicht gelungen, die Bor macht der Realtion in Mitteleuropa   zu besiegen, jedoch ist Ungarn   geschwächt. Der Plan des Proletariats, eine internationale Exekutive zu schaffen, haben feinen Erfolg gehabt, aber ebenso wie das Miglingen eines Streits nicht die Untaug­lichkeit der Waffe, sondern nur die augenblickliche Ungunst der Verhältnisse beweist, so ist mit dem teilweisen Mißerfolg des Boykotts gegen Ungarn   nichts darüber gelagt, daß der Bontott überhaupt eine untaugliche Waffe wäre.

Die Organisation der Betriebsräte

I.

Sollen die nach dem Gesetz gewählten Betriebsräte ein Mittel zur Steigerung der Aktionskraft der Arbeiterklasse werden, so ist wichtiger als diese oder jene Bestimmung des Gesetzes die 3usammenfassung der einzelnen Bea triebsräte zu einer fest gegliederten, einheitlichen Organisas tion unter entschlossener Führung und mit flarem Arbeits plan. Will die Arbeiterklasse durch die Betriebsräte ge Steigerte Macht erlangen und Macht entfalten, so müssen bie Betriebsräte selbst eine Macht darstellen. Das ge lingt nicht in ihrer Vereinzelung und Berstreutheit über bie Betriebe des Wirtschaftsgebietes, sondern wird erst möglich durch die Bildung von Zentralförperschaften aus der Masse der Einzelbetriebsräte.

Diese Einsicht stand an der Wiege der Betriebsrätebewee gung. Die deutsche Arbeiterschaft hat daher die Organisation der Betriebsräte sofort in. Aussicht genommen. Ihre Bere wirklichung wurde verzögert durch den Kampf um die Betriebsräte selbst, den die Arbeiterklasse nicht nur gegen ihre natürlichen Gegner zu führen hatte, sondern der auch innerhalb der organisierten Arbeiter- und Angestellten schaft auszutragen war, und zwar hier als ein Streit um den Inhalt der Betriebsräteforderung und den 3wed der Räteorganisation.

Gewerkschaftskommission und den aus der ersten Epoche der Dieser Streit ist durch die Einigung zwischen der Berliner  Arbeiterräte überkommenen Betriebsrätezentralen auf Grund der jüngst veröffentlichten Statuten zu einem ge wissen Abschluß gelangt. Die Einigung gibt uns Anlaß, noch einmal in ausführlicherer Darstellung rüdschauend den Weg zu überbliden, den der Gedante der Betriebsräteorganisation zurüfgelegt hat, und die durch die Verständigung in Berlin  gegebene Situation zu überprüfen..

Die Gewerkschaften als die wirtschaftlichen Kampf organisationen des Proletariats mußten den Betriebsräten, die sich zu einem entscheidend mitbestimmenden Fattor im Wirtschaftsleben zu entwideln anschidten, von vornherein die größte Aufmerksamkeit zuwenden.

Der Nürnberger   Gewerkschaftstongreß im Juni vorigen Jahres, die Galaparade der wohlgesinnten Gewerkschaftsfunt. tionäre, beschäftigte sich mit der Frage. Er schuf Richtlinien für die fünftige Wirksamkeit der Gewerkschaften. Er fezte Bestimmungen über die Aufgaben der Bes triebsräte an die erste Stelle der Richtlinien, ließ aber durch die Formulierung dieser Bestimmungen sofort erfen nen, daß es ein verhängnisvoller Jrrtum gewesen wäre, wenn die Arbeiterschaft aus dieser vorzugsweisen Behand lung des Betriebsräteproblems geschlossen hätte, die in Nürnberg   Versammelten feien sich in ihrer Mehrheit des grundstürzenden Wesens einer Räteorganisation bewußt und zugleich bereit gewesen, ihm Rechnung zu tragen.

Die Bestimmungen des Gewerkschaftstongresses reden zwar auch ein wenig von planmäßiger Umwandlung der Produts tionsform in der Richtung der Gemeinwirtschaft, aber sie geben jenen Betriebsräten, die damals am fernen Horizont des Vorstellungskreises der bewährten und erfah renen Repräsentanten der deutschen   Gewerkschaften als zweis felhafte Schemen auftauchten, fein wirksames Mittel zur Durchsehung des Willens der Arbeiterklasse in der, Riche tung der Gemeinwirtschaft".

Betriebsräte feien Organe der Betriebsbemsa tratie, verfügte der Kongreß, einer Betriebsdemokratie wohlgemerkt, bei der die vielen, die Tausende der Arbeiter und Angestellten bas gleiche Maß von demokratischem Recht besigen, wie der eine allmächtige Betriebsbirettor. Go will es die Parität, ein Prinzip, das beim Abschluß von Tarifen wohl schicklich ist, das aber zum Fimmel ausartet, wenn man es schablonenhaft auf alle Beziehungen der Ar beiterschaft zur Produktion anwendet oder gar zum obersten Grundsatz des Kampfes der Arbeiterklasse macht.

Die Grundlage der Betriebsdemokratie ist der follettive Arbeitsvertrag mit gesetzlicher Rechtsgültigkeit", heißt es in den Bestimmungen des Gewerkschaftstongresses. Die Auf­gaben der Betriebsräte werden mithin ,, auf Grund gefeglicher Mindestbestimmungen" in den Kollettive verträgen festgelegt.

Das heißt, sie werden mit den Unternehmern von Fall zu Fall vereinbart, fie fönnen verändert, erweitert oder gemindert werden, je nach Lage des Kräfteverhältnisses zwischen Gewerkschaft und Unternehmerverband bei jeber Erneuerung eines Tarifes. Die Betriebsräte selbst aber werden damit zu ausführenden Orgas nen der Gewertschaften, zu Fabrikausschüssen ältes Hten Stils. Sie sind nur imstande, sich im Rahmen der bea ruflichen Grenzen zu bewegen, die sich ihre Gewerkschaft aus mehr oder minder zufälligen Gründen enger oder weiter ges zogen hat. Ein Zusammenwirten der Betriebsräte vers fchiedener Produktionszweige wäre auf solche Art nur Stümperhaft möglich oder gar unmöglich geworden. Denn wie fönnen Körperschaften nach gemeinsamem Plan auf ein gleiches Ziel die Gemeinwirtschaft- hinwirken, beren