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3. Jahrgang
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Dienstag, den 10. August 1920 Nummer 322 Morgen- Ausgabe
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greiheis
der
Ein russischer
England als Vermittler
Situationsbericht
( Eigene Drahtmeldung der Freiheit".) Kopenhagen , 9. August.
Die Moskauer Funkenstation berichtet in der Nacht zum 9. über die laufenden Berhandlungen. Der Anfang des Be richtes ist verstümmelt eingegangen. Der Bericht fährt dann fort: In der ersten Hälfte des Juli gibt England sich augenscheinlich alle Mühe, den Vormarsch der Rätetruppen ins Innere Polens aufzuhalten, während es seine Haltung in der Frage der direkten Verhandlungen zwischen Rußland und Polen wesentlich ändert. Der englische Außenminister erklärte am 20. Juli, daß England nicht auf seiner Beteiligung an den Unterhandlungen zwischen Rußland und Polen bestehe. Die Alliierten rieten Polen sofort, die Friedensverhandlungen zu beginnen. Sollten die Sowjettruppen trotz der Bitte um Waffenstillstand den Vormarsch fortsehen, so wäre die Entente verpflichtet, Polen die versprochene Hilfe zu leisten.
Die Reise Kamenews und Krassins nach London wurde infolgedessen aufgeschoben, bis in der Tat Polen den Vorschlag zu direkten Friedensverhandlungen machte. Allerdings wurde dabei an die Räteregierung die neue Forderung gerichtet, daß an der Be ratung über den endgültigen Frieden auch die Vertreter der Randstaaten, die noch nicht mit Räterußland Frieden geschaffen haben, teilnehmen sollten. Nach den Verhandlungen über den Frieden mit Polen und der Erledigung der Streitfragen zwischen Räterußland und den Randstaaten sollte dann die Konferenz zu Vers handlungen mit den Alliierten schreiten. Nachdem die polnischen Vertreter aus Baranowitschi abgereist waren, tam eine neue eng lische Note: Wenn die Räteregierung auf einem Frieden mit Bolen ohne Beteiligung der anderen Mächte bestände, so sei die Ein berufung einer größeren Konferenz nicht nötig. Wenn aber die Räteregierung ihre Armeen weiter in Polen einrüden lasse, so müßten die Alliierten sich einmischen. Am 4. August riefen Lloyd George und Bonar Law die Genossen Kamenew und Krassin zu sich und erklärten ihnen, da die Rätetruppen auf Warschau vorrüdten, so würde die englische Flotte in See stechen. Der Befehl zur Erneuerung der Blockade jei gegeben und am 5. Auguft würde man mit dem Verladen von Munition in Danzig beginnen. Genoffe Kamenew erklärte, die Räteregierung fönne angesichts der Tatsache, daß die Verbündeten den General Wrangel unterstützten, nicht darauf eingehen, wirkliche Garantien dafür zu geben, daß die Kampfhandlung eingestellt werde. Sie sei bereit, mit den Polen in Friedensverhandlungen zu treten, und dabei überzeugt, daß direkte Verhandlungen zwischen Polen und Rußland die Interessen beider Völker am besten berücksichtigen werden. Die Verhandlungen mit der englischen Regierung dauern fort, aber das Ultimatum vom 4. Auguft mit der Drohung der Erneuerung der Blodade hat eine äußerst schwierige Lage geschaffen, die einer Verständigung zwischen der Sowjetregierung und England start behindert.
Ein späterer, von Tschitscherin unterzeichneter Funkspruch, der ebenfalls im Anfang start verstümmelt ist, beschäftigt sich mit den russisch französischen Beziehungen. Er erklärt: Während die russische Regierung von ihrem Recht überzeugt sei, Maßnahmen zu ergreifen, um aus Gründen der Selbstverteidigung den Transport des für militärische Aktionen gegen Rußland be timmten Kriegsmaterials zu verhindern, wünsche sie gleichzeitig den Streit zu einer schnellen Erledigung zu führen und ersuche die britische Regierung, in dieser Sache als Vermittler zwischen Rußland und Frankreich aufzutreten. Die russische Regierung bringe dies ebenfalls zur Kenntnis der fran zösischen Regierung. In Anbetracht der intimen Beziehungen zwischen Großbritannien und Frankreich sowie zwischen England und dem General Wrangel haben sie um so mehr Gründe, um die Vermittlung Großbritanniens zu ersuchen. Die Antwort Groß britanniens auf das Gesuch in dieser Angelegenheit werde zweifellos eine Kundgebung der Aufrichtigkeit, Fähigkeit und der vorurteilsfreien und unparteiischen Entscheidung Großbritanniens jein. Der russische Funtspruch schließt: Je größer das Interesse ist, mit welch großem Maße der Entscheidung der britischen Regierung entgegensehen, desto größer ist unsere Bereitwilligteit, ber legteren Bertrauen in dieser Angelegenheit entgegen bringen zu können.
Erneute Blockade Vereinbarungen zwischen England und Frankreich
Paris , 9. August. Nach einer Havasmeldung aus Hythe tonferierten Millerand und Lloyd George heute von 10 bis 2 Uhr. Die Verhandlungen werden nachmittags fortgefeßt. Die Marschälle Foch und Wil : son, sowie der Admiral Beatty, wohnten der Beratung bei, die der Prüfung und Aufstellung von Maßnahmen gewidmet war, die von den Alliierten gegen die Sowjets ergriffen werden könnten. Unter diesen Maßnahmen befindet sich die Blodade Rußlands und die Vereinbarung einer Defensivfront mit den Randstaaten Rußlands , Litauen , Estland , Finnland usw. Die Frage sei nur, ob man, wie ein von englischer Seite ausgehender Wunsch äußert, die Attion gegen die Sowjets abhängig machen wolle von der Weigerung Polens , die Bedingungen der Bolsche
wisten anzunehmen. Ferner wurde die Frage erörtert, ob ka menew und Krassin angesichts der Haltung der Regierung von Moskau sich noch weiter in London aufhalten dürften. In britischen Kreisen glaubt man, die russischen Handelsdelegierten feien mit ganz bestimmten Bedingungen nach London gekommen, und eine wirtschaftliche Mission fönne nicht verantwortlich ge= macht werden für die politischen Entscheidungen ihrer Regierung. Ihre Ausweisung könne daher nur motiviert werden, wenn sie die persönlich übernommenen Verpflichtungen nicht halten würden. Von französischer Seite wird bemerkt, daß, wenn sich die Alliierten zur Blodade Rußlands entschließen, die Handelsdelegierten nichts mehr in London zu tun hätten und daß eine 3wangsmaßnahme dieser Art gegenüber einer Regierung nicht verstanden werden würde, deren Vertreter man zu gleicher Zeit in England dulde. Man hofft heute nachmittag die noch abweichenden Gesichtspunkte flären, zu können. Millerand wird gegen 6 Uhr nach Paris abreisen. Lloyd George wird im Laufe des Abends nach London zurückkehren.
Mobilisierung der englischen Flotte?
Es verlautet, daß die Konferenz ber militärischen und maritimen Sachverständigen gestern abend begann und bis tief in die Nacht hinein dauerte. Die Sachverständigen sind zu einer volltommenen Uebereinstimmung bezüglich der Pläne, den bolschewistischen Aufmarsch zum Stillstande zu bringen, gekommen. Man rechnet mit der Möglichkeit einer fofortigen Mobiliste= rung der britischen Flotte.
„ Daily Telegraph " melbet, daß die Entente versuchen werde, Polen zu retten, vor allem auch vor einer Einmischung in seine sozialen und wirtschaftlichen Einrichtun= gen. Der Ententeplan sei völlig defensiv und enthalte keinerlei aggressive Pläne.
Die Abwehr- Aktion Rüstungen für den Generalstreik
Sente abend findet in London eine außerordentliche Tagung des Parlamentarischen Ausschusses der englischen Arbeiter. partei und der Gewerkschaftskommission statt, um zu den Bes schlüssen von Hythe Stellung zu nehmen. Zwischen den sozia liftischen Organisationen Großbritanniens und Frank reichs find Vereinbarungen über ein gemeinsames Vors gehen für den Fall, daß der Krieg gegen Sowjetruhland Tatfache werden sollte, getroffen worden. In beiden Ländern wird bereits der Generalstreit vorbereitet. Die„ Humanite" vers öffentlicht ein Manifest, in dem es heißt: Rein Mann, teine Granate für das reattionäre, tapitalistische Bolen! Es lebe die russische Revolution! Es lebe die Arbeiterinternationale!"
Wieder ein Ententezug angehalten
Wie die Linientommandantur Erfurt meldet, ist dortselbst ein Zug angehalten worden, der aus 20 Güterwagen zusammengesetzt war und in dem sich 2 französische Offiziere in Begleitung einiger Damen befanden. Der Zug war nach Lissa bestimmt. Deutscherseits ist um Aufklärung gebeten worden, was in den 20 Güter wagen enthalten sei.
Aufruf der Afa
Gegen die Neutralitätsverlegung
Die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände erklärt: Nach den aufsehenerregenden Mitteilungen der deutschen Res gierung besteht für Deutschland die unmittelbare Gefahr, durch einen völferrechtswidrigen Neutralitätsbruch der Entente in die zurzeit bestehenden Kriegswirren hineingezogen und damit unter Umständen Kriegsschauplah zu werden. Unser durch einen mehr als vierjährigen verlorenen Krieg ohnehin schon völlig zerrüttetes Wirtschaftsleben würde dadurch mit Sicherheit vernichtet werden. Militärischer Widerstand gegen ein gewaltsames Vorgehen der Entente ist nach Lage der Dirge ausgeschlossen. Nur die werktätige Bevölkerung Deutschlands - Arbeiter, Angestellte und Beamte ist imstande, diese furchtbare Gefahr von uns ab. zuwenden, indem sie jeden Versuch eines Neutralitätsbruches, ins besondere Waffen oder Truppendurchfuhr, mit ihren organisierten Widerstand verhindert. Die freien Arbeitergewerkschaften Deutschlands und die sozialistischen Parteien haben die deutsche Arbeiterschaft aufgefordert, für die Aufrecht erhaltung der unverbrüchlichen Reutralität Deutich lands einzutreten. Die Arbeitsgemeinschaft freier Angestellten verbände stellt sich in dieser Stunde dringender Gefahr an die Seite der Arbeiterschaft und fordert die deutsche Ange stelltenschaft auf, jeben Berju einer Reutralitäts. verlegung mit allen Kräften zu verhindern.
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Wahlfieg der Arbeiterpartei. Durch die in Süd- NorfoIt abgehaltene Erfahwahl ist der Wahltreis aus den Händen der Koalitions- Unionisten in die der Arbeiterpartei übergegangen.
Während die Delegierten der russischen Sowjetregierung in London bemüht sind, die Hindernisse aus dem Wege zu räumen, die dem Abschluß eines Gesamtfriedens im Often im Wege stehen, vollzieht sich in Polen das unerbittliche Strafgericht, das die größenwahnsinnigen polnischen Machthaber über sich heraufbeschworen haben. Unaufhaltsam rüden die russischen Armeen konzentrisch gegen die polnische Hauptstadt vor, und wenn es in den nächsten Tagen nicht zum Abschluß eines Waffenstillstandes fommt, ist es faum zu bezweifeln, daß Polen in furzer Zeit völlig in die Hände der Sawjettruppen fällt.
Die polnischen Machthaber sehen die nahende Katastrophe und das Ende ihrer Herrlichkeit voraus. Doch anstatt aus der durch eigene Schuld herbeigeführten Lage die Konsequenzen zu ziehen und sich offen und ehrlich auf den Boden der Verständigung mit Sowjetrußland zu stellen, fuchen sie, wie das Gespräch des polnischen Vizekanzlers Daszynsti mit dem französischen Abgeordneten Lafont deutlich gezeigt hat, in der Hoffnung auf die Silfe Frankreichs und Englands Zeit zu gewinnen, um ihre alte Politik gegen Sowjetrußland fortzusehen. Gleichzeitig senden die Delegierten der pol nischen Rechtssozialisten auf dem Genfer Kongreß, Cza pinski und Niedsialkowski, die Lüge in die Welt hinaus, daß Polen einen„ Verteidigungskrieg" gegen die Sowjetregierung führe und sich im Interesse seiner Unabhängigkeit des Einmarsches der russischen Armeen erwehren müsse.
Die Argumentation der polnischen Rechtssozialisten erinnert vollkommen an die Redensarten der deutschen Mehrheitssozialisten, die vier Jahre lang die Schuld des faisere lichen Deutschland am Kriege leugneten und im Interesse der Vaterlandsverteidigung" den imperialistischen Brandstiftern und Eroberern Helfersdienste leisteten. Es ist deshalb durchaus begreiflich, daß der Vorwärts" sein Papier zur Bers öffentlichung der Erklärungen der polnischen Rechtssozialisten hergibt, die noch heute das Vorgehen Polens gegen die Ukraine , das den polnisch- russischen Krieg heraufbeschwor, verteidigen und gleichzeitig darüber jammern, daß Rußland nun zur Abwehr des frivolen polnischen Angriffs gegen das imperialistische Polen vorgegangen ist.
Die polnischen Rechtssozialisten appellieren an die Arbeiter der westeuropäischen Länder, indem sie sich als die Beschützer ber ,, Unabhängigkeit" Polens ausgeben. Doch im Namen dieser„ Unabhängigkeit" hat einer ihrer Führer, Pil= substi, mit französischer und englischer Hilfe den polnischen Militarismus großgezüchtet und die Grundlagen für jene eroberungssüchtige Politik geschaffen, die ihre logische Kon sequenz in dem Einmarsch der Polen in die Ukraine und dem Krieg gegen Sowjetrußland fand. und im Namen derselben Unabhängigkeit" dedt der Führer der polnischen Rechtssozialisten Daszynski , der eigentliche Chef der polnischen Regierung, die Politik seiner Vorgänger und sichert die Grundlagen des polnischen Junkerstaates durch eine brutale Gewaltherrschaft gegen die revolutionäre Arbeiterklasse.
Die heutigen Sachwalter der Unabhängigkeit Bolens haben den polnischen Volksmassen auf das deutlichste vor Augen geführt, wie die polnische Unabhängigkeit nicht gewahrt werden soll. Die bürgerlichen Parteien ebenso wie die Nationalsozialisten haben sich als ungetreue Sachwalter des Gutes erwiesen, das dem polnischen Volke, nach einem Jahrhundert nationaler Zerrissenheit und Erniedrigung, durch den Verlauf des Weltkrieges zugefallen war. Sie haben die nationale Einheit benutzt, um ihrerseits die russisch - preußischösterreichischen Unterdrüdungsmethoden gegen die nationalen Minderheiten die Ruthenen, die Litauer, die Deutschen , die Juden anzuwenden. Sie haben die Wiederherstellung des unabhängigen Polens als Vorwand genommen, um mit unersättlicher Ländergier ihre Hände nach litauischen, weißruthenischen, ukrainischen Provinzen auszuftreden und den polnischen Staat zum Söldner des französischen Imperialis mus herabzuwürdigen.
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Damals war
Und ebenso wie mit den bürgerlichen und natonalsozialisti schen Wortführern der polnischen Unabhängigkeit in Polen felbft, erging es auch ihren Verteidigern in den westeuropäis schen Ländern. Für Bethmann Hollweg war die Protlamierung des unabhängigen Polens im November 1916 nichts weiter als ein strategischer Schachzug gegen Rußland . die franzöfifche Diplomatie die heftigste Gegnerin der polnischen Unabhängigkeit, genau so wie sie es während der drei Jahrzehnte ihres Bündnisses mit dem zaristischen Rußland gewesen war. Sie wurde erst dann zur eifrigen Anhängerin des unabhängigen Bolens, als sich ihr nach der Niederringung Deutschlands die Möglichkeit bot, sich in Gestalt des jetzigen von Junkern und Kapitalisten regierten Polens einen jederzeit willfährigen Sekundanten und Diener im Osten zu schaffen.
Der Zusammenbruch, der sich jetzt auf den polnischen Schlachtfeldern vollzieht, bedeutet nicht den Rusammenbruch des unabhängigen Bolens, sondern den Zusammenbruch einer Politik, die unter dem Sche in der Unabhängigkeit die Ge schäfte der imperialistischen Raubpolitik besorgte. In Wirk lichkeit ist die Unabhängigkeit Polens von den siegreichen Armeen Sowjetrußlands nicht bedroht. Diese schaffen vielmehr erst durch die Bertrümmerung der imperialistischen Gewalts politit die Vorauslegungen, auf denen das Selbst.