Einzelpreis 30 Pfg. 3. Jahrgang Donnerstag, den 12. August 1920 Nummer 326

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greiheit

Berliner   Organ

Der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Die Hoffnung der Entente

General Wrangel als Retter

( Eigene Drahtmeldung der Freiheit".) Kopenhagen  , 11. August.

In der Prawda" spricht Meschtscherjatom über die Bernichtung der polnischen Magnatenherrschaft und weist auf die Hauptursachen des russischen Erfolges hin. Den Sieg verdante das russische   Bolt in erster Linie dem Enthusiasmus im Kampfe gegen den niederträchtigen Ueberfall der pol­nischen Magnaten. Die Zahl an Kommunisten, die das Zentral­Komitee der Partei stellen mußte, wurde sehr rasch erreicht, ja es meldeten sich sogar anderthalbmal mehr Freiwillige, als die er­forderlichen 100 000 Mann.

Meschtscherjakow weist dann auf die große vom Süden her brohende Gefahr durch den General Wrangel hin. Dieser habe die Tatsache ausgenugt, daß alle Kräfte an die polnische Front geworfen waren. Mit Hilfe der Entente schuf er seine Armee, bewaffnete sie vorzüglich und machte einen Aus­fall aus der Krim  . Wrangel sei der allerreaktionärste von allen weißgardistischen Generälen. Er werde der Chan" der Krim   genannt. Seine rechte Hand in den Verwaltungsangelegen­heiten ist der frühere zaristische Minister Kriwoschein  , jein geistiger Führer der bekannte Führer der Reaktion Schulgin. Wrangel will die zaristische Selbstherrschaft, die Macht der Großgrundbesizer, der Bourgeoisie und der Generale wieder herstellen. Er habe schon ein Gesez veröffentlicht, wonach das Land, das die Bauern sich nach der Ottoberrevolution angeeignet haben, den Großgrundbesizern zurüdgegeben werden soll. Eine große neue Gefahr schwebe über den russischen Arbeitern und Bauern. Deshalb sei zur Abwehr der Wrangelbanden derselbe Enthusiasmus und dieselbe Begeisterung notwendig wie beim Kampf gegen die polnischen Magnaten.

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,, Ein Strom von kommunistischen Freiwilligen muß an die Süd­front", fährt Meschtscherjatow fort- bas Zentral- Komitee muß sofort eine genügende Anzahl von Kommunisten stellen. Die Arbeiter und Bauern müssen über Wrangel und seine Ziele sofort aufgeklärt werden. Wenn die Bauern und Arbeiter verstehen werden, worum es sich handelt, so erhalten wir von ihnen neue Freiwillige, die zusammen mit den Kommunisten die ganze Armee zu Heldentaten entflamen werden. Dann wird Wrangel   rasch und endgültig vernichtet sein."

Die russische Regierung wendet sich gegen die Breffenachrichten, daß Brussilo w Oberbefehlshaber an der polnischen Front sei. Die polnische Front zerfalle in zwei Armeegruppen, in eine westliche und eine südwestliche. Mit der Führung der süd­westlichen Gruppe sei der 27jährige ehemalige Leutnant der Zaren­armee, Genosse Tuchatschewsti, betraut. Die Führung im westlichen Abschnitt liege in den Händen des Genossen Segunow.

Paris  , 11. Auguft( Savas).

Die französische   Regierung beschloß, angesichts der militäri schen Erfolge, der festen Stellung der Regierung des Ge­nerals Wrangel und der erhaltenen Versicherungen bezüglich der demokratischen Form der Verwaltung als staatliche Re­gierung von Südrußland anzuerkennen. Ein französischer diplomatischer Vertreter wird nach Sebastopol   mit dem Titel eines hohen Kommissars geschickt werden.

Die Entente wird mit General Wrangel   denselben Reinfall erleben, wie mit Koltschat, Denitin, Judenitsch und all den anderen zaristischen Verschwörern. Pflicht der englischen   und französischen   Arbeiter wird es aber sein, die Transporte nach der Krim   zur Unterstützung des Wrangelschen Abenteuers zu unterbinden. Je schneller das Unternehmen zusammenbricht, besto cher wird in Europa   der Friede einkehren.

Die russischen Friedensbedingungen

In Ergänzung unserer geftrigen Mitteilung teilen wir laut Daily Herald" den Wortlaut der von Lloyd George   im Un­terhause bekanntgegebenen russischen Waffenstillstands bedingungen für Polen   mit. Sie lauten:

Die polnische Armee darf in Zukunft fein höheres Jahres­tortingent als 50 000 Mann haben. Der polnische Generalstab, sämtliche Offiziere und alle Verwaltungsbeamte dürfen zusammen höchstens 10 000 Mann start sein. Die polnische Armee wird sofort nach Unterzeichnung des Waffenstillstandes demobilisiert.

Alle Waffen und Munition, die für die Armee nicht erforderlich find, werden an Sowjetrußland und die Utraine ausgeliefert. Die Waffen- und Munitionsindustrie wird sofort stillgelegt. Weder Waffen noch Kriegsmaterial darf aus dem Auslande nach Bolen eingeführt werden.

Die Eisenbahn Wolfowist- Bialystok- Grajewo wird Rußland  zum Zwecke des Handelsaustausches von und nach der Ostsee   zur Verfügung gestellt.

Die Familien aller in diesem Kriege verwundeten oder ge­fallenen Soldaten erhalten vom Staate Land.

Gleichzeitig mit der Demobilisierung des polnischen Heeres ziehen fich die russischen und ukrainischen Truppen aus Polen   zurüd. Die polnische Armee zicht sich 50 Werst hinter die in der Note Lorb Curzons vom 20. Juli bezeichnete Waffenstillstandslinie zurüd.

Die endgültige Grenze des zukünftigen unabhängigen polnischen

Staates wird ungefähr dieselbe sein, die in der gleichen Note feft­gelegt worden ist, jedoch soll Bolen besonders im Osten neues Ge­biet erhalten, hauptsächlich in der Gegen von Bialystok   und Cholm.

Die Lage

Leichte Entspannung in England

Amsterdam  , 11. Auguft.

Dem Telegraaf   zufolge find die englischen Blätter in ihren Artikeln über die Rede Lloyd Georges optimistisch gestimmt. Sie nennen die russischen Friedensbedingungen zwar streng, halten fie aber für eine geeignete Grundlage, auf ber ehrliche Friedensverhandlungen geführt werden könnten. Au gemein wird die Hoffnung ausgesprochen, daß eine Einigung zustande tom men möge und eine endgiltige Regelung der europäischen   Fragen an einem Konferenztisch, an dem die Alli­ierten, Rußland   und die anderen Staaten ihre Pläge haben.

Times" lobt die Darlegung Lloyd Georges und nennt seine Ber­teidigung des Standpunktes ber Alliierten offen und flat. Das Blatt gibt zu, daß Sowjetrußland das Recht habe, Bürgschaften zu verlangen, um gegen die Möglichkeit eines neuen polnischen An griffes geschützt zu sein, fügt jedoch hinzu: Rußland   hat aber fein Recht, das freie und unabhängige Bolen von der Erde zu vertilgen.

Lloyd George   als Vermittler

Amsterdam  , 11. Auguft.

Nach Berlefung ber bolschewistischen Friedensbedingungen im Unterhause bemerkte Lloyd George  : Sofort nach Empfang der Bedingungen habe ich die Note Frankreich   und Italien   zur Kennt nis gebracht. Wir haben der polnischen Regierung unsere ersten Einbrüde mitgeteilt. Ich halte es aber nicht für angebracht, darüber hinaus weitere Bemerkungen zu machen, da dies bedeuten würde, daß wir der polnischen Regie­rung die Verhandlungen aus der Hand nehmen. Ich bin aber der Meinung, daß eine neue 2age entstanden ist.

Rotterdam  , 11. Auguft.

Nieuwe Rotterdamsche Courant" meldet aus London  : Bei dem Empfange der Arbeiterabordnung durch Lloyd George   wurde bie Frage an ihm gerichtet, ob es eine Verlegung der von den russi­schen Delegierten übernommenen Verpflichtungen darstellen würde, wenn Kamenew   Besprechungen mit der englischen Arbeiter: abordnung über den polnischen Frieden, sowie Besprechungen mit polnischen Vertretern haben würde. Lloyd George   wies darauf hin, daß Kamenew   und Krassin nach London   zugelassen seien, auf die bestimmte Versicherung hin, daß fie feine Propaganda treiben würden. Es würden deshalb Schwierigteiten entstehen, wenn ihnen die Regierung jegt erlaube, sich mit politischen Parteien in Berbindung zu sehen. Die Russen würden vollständig als diplo­matische Vertreter behandelt und solche Vertreter würden niemals daran denken, Vertreter einer politischen Partei des Landes, wo fie fich befinden, zu empfangen. Im übrigen erklärte Lloyd George  , daß er den Wunsch der Deputation, für den Frieden zu wirken, zu würdigen wisse. Er sagte, er würde teine Bedenken dagegen haben, wenn die Abordnung ihre Ideen schriftlich zur Kenntnis Kamenews brächte.

Der ruffische Heeresbericht

( Eigene Drahtmeldung der Freiheit".) Kopenhagen  , 10. August.

Der russische Seeresbericht vom 10. meldet: In der Richtung Novo- Georgiewit erreichten wir nach hartnädigen Rämpfen einige Ortschaften 10 Werft östlich von Matow. Beiderseits bes Bug rüden unsere Truppen, den feindlichen Widerstand brechend, vor. Sie erreichten fämpfend eine Reihe von Ortschaften wests lich des Bug. Am 9. August befegten wir Biala. Wir fämpfen um den Besitz von Wlodawa  . Jm Abschnitt Konst über­westlichen Ufer des Flusses. Nordwestlich von Brody warfen schritten wir den Bug an der Bahnstrecke und fämpfen auf dem wir die Polen   zur Ortschaft Radziwillow zurüd. Am Se rethfluß fämpfen unsere Truppen um den Besitz der Stadt Butschatsch  . Auf der ganzen Krimfront finden für uns gün ftige Rämpfe ftatt.

Mlawa genommen!

Königsberg  , 11. Auguft. Ueber die Lage auf dem russisch  - polnischen Kriegsschauplay an der Grenze Ostpreußens   wird hier berichtet: Mlawa   ist endgültig

von den Bolsche wisten genommen. Die Polen   haben sich auf Solbau zurügezogen, in dessen Umgebung fie Befestigungen ausheben.

Finnland   mobilisiert

HN. London, 11. Auguft. Daily Telegraph   meldet, daß ble finnische Regierung die a II. gemeine Mobilisation angeordnet hat. Die Eisenbahn­verbindung zwischen Wiborg   und dem übrigen Teil des Landes ift abgebrochen. Wahrscheinlich wird diese Mobilisation nur bezwecken,

ür alle Gefahren gerüftet au sein.

Weitere Nachrichten fiehe Seite 2.)

Der Boykott gegen Ungarn  

Aus Wien   wird uns geschrieben:

Der Internationale Gewerkschaftsbund hat den Beschluß gefaßt, den über Ungarn   verhängten Bontott aufzu heben. Der Bontott sette am 20. Juni ein und wird abs gebrochen, ohne sein Ziel voll erreicht zu haben. Das offen auszusprechen, ist sehr wichtig. Der Bontott sollte das System des weißen Terrors stürzen und die politischen und wirts schaftlichen Freiheiten für die ungarische Arbeiterklasse wiederherstellen. Seine Kraft genügte aber dazu nicht, hauptsächlich darum, weil der Boykott gewissenhaft und lüdenlos nur von dem notleidenden Proletariat Deutschösterreichs ausgeführt wurde, von den anderen Grenzländern Ungarns   dagegen, vor allem der Tschechos Iowakei, vom Proletariat wie von der Regierung. nicht mit diesem Nachdrud geführt wurde, der allein den Erfolg sicherstellen konnte. Während Desterreichs und Wiens Proletariat tatsächlich jeden Verkehr unterbunden hat und die ganze Wucht des ungarischen Gegenboy fotts zu tragen hatte, was bei der darbenden Wiener  Bevölkerung ein Opfer ohnegleichen war, während die Wiener   Arbeiterbevölkerung, um den ungarischen Brüdern zu helfen, auf billiges Obst und Gemüse freiwillig verzichtete und mit ihrer ganzen Macht die staatlichen Behörden dazu zwang, alles zu unterlassen, was eine Erleichterung für Ungarn   bedeuten würde, fonnte die ungarische Regierung ihren Nachrichtenverkehr über Prag   und Preßburg   bes forgen und bei der in der Slowatei liegenden Grenz­station gingen unbehindert große Transporte von Grüs benholz, Salz und Rotationspapier nach Ungarn  , deren Auss bleiben innerhalb eines Monats die Terrorregierung zur Kapitulation gezwungen hätte. Die Entbehrungen der Tschechoslowakei  , welche nicht einmal dazu bewogen werden Wiener   Bevölkerung, der Durchbruch des Boykotts in der tonnte, die nach Ungarn   nicht gelieferte Kohle Wien   zur Verfügung zu stellen, dessen Elektrizitätswert seine Kohle aus dem auf ungarischem Boden liegenden Werk 311. lingsdorf bezog und durch den Gegenboykott von seiner Kohle abgesperrt wurde, die ungeheure He ze, die die ganze österreichische Horthypresse entfaltete, die Ent mutigung, die durch das Gefühl der Vereinsamung die sich der deutsch  österreichischen Arbeiterschaft bezüglich des Boytotts bemäch tigte, ließen teine andere Lösung übrig, als den Bontott a ba zubrechen Auch eine Erklärung des Obersten Weg d- wood, der ber Borsigende der nach   Ungarn entsandten britischen Arbeiterbelegation" war und sich prinzipiell gegen den Boykott wandte, hat viel dazu beigetragen, um die Stim­mung für die Einstellung des Boykotts herbeizuführen.

Wenn er sein Ziel nicht ganz erfüllen konnte, so wäre es trotzdem ein großer Irrtum anzunehmen, daß er wir fungslos war und daß der Boykott als eine Waffe der internationalen Politik des Proletariats nicht angewendet werden kann. Der Boykott hat   Ungarn einen großen Scha ben zugefügt und hat dazu beigetragen, daß die Aufmerksam feit der ganzen Welt auf die Zustände   Ungarns gelentt wurde. Es hat die bäuerliche Bevölkerung durch die Sperrung der Obst- und Gemüseausfuhr und eine Sen kung der Preise zu den leidtragenden des heutigen Systems gemacht, er hat sie belehrt, daß sie für die Kosten der Terro riftenherrschaft aufzukommen haben. Das alles hat die poli tische Unzufriedenheit der Bauernschaft gegen das heutige System gestärkt. Der Boykott hat das Gefühl der Verlassenheit, der Vereinsamung der ungarischen Arbeiterschaft behoben. Er gab ihr das Gefühl, daß fie trotz ihrer heutigen Ohnmacht, ein Glied der Inter nationale der Arbeit ist und behob dadurch ihre Entmutis gung. Die Arbeiter führen heute in   Ungarn eine mutigere Sprache, als vor dem Bontott. Nach verläßlichen Berichten haben die freien Gewerkschaften fehr viele neue Mit glieder gewonnen und die chriftlichen Gewerkschaften haben infolge des Boykots ihre spärlichen Mitglieder zum großen Teile eingebüßt. Wenn man noch in Betracht zieht, daß die Senkung der Preise hauptsächlich den Arbei tern zugute fam und diese auf Kosten der reaktionären Kreise herbeigeführte Besserung ihrer Lage auch zur Hebung ber Stimmung beitragen mußte, so fann man feststellen, daß das ungarische Proletariat bei dem Boykott nicht schlecht gefahren ift. Die terrorfeindlichen Kräfte in   Ungarn haben durch den Bontott an Einfluß und Zuversicht gewonnen und wenn eine Hilfe von außen nicht kommt, dann ist nur mit einer allmäh lichen Sinüberleitung der blutigen Konterrevolution in ge Jegliche Bahnen zu rechnen und dann sind eben solche Teil­erfolge auch von Wert. Diese Hilfe von außen hätte in einer von der Entente durchgeführten Entwaffnung des konterrevolutionären Militärs bestan den; die neueste Wendung der Ententepolitik, welche   Ungarn als Vortrupp gegen die Sowjetmacht verwenden will, be deutet aber feine Entwaffnung, sondern Aufrüstung des fonterrevolutionären   Ungarns. Die andere Art der Hilfe von außen sind die militärischen Kräfte der Sowjetrepublit. Wenn die nicht eingreifen fönnen oder wollen, wird das Broletariat   Ungarns noch lange das Joch der Konterrevolu tion tragen müssen, wenn auch eine allmähliche Ueberleitung in weniger blutige und vielleicht weniger grausame Metho ben nicht ganz ausgeschlossen ist.