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3. Jahrgang

Donnerstag, den 12. August 1920 Nummer 327

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greiheit

Berliner   Organ

ber Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands  

Die französische   Sonderaktion zum Regierungswechsel in Baden

Wrangel soll helfen

TU. London, 12. August.

Ueber die Pariser   Nachricht, nach der die französische   Regierung beschlossen habe, General Wrangel   anzuerkennen, gab Lloyd George   gestern abend im Unterhause folgende Erklärung ab: Das Telegramm über diese Anerkennung, die in den Abendblättern veröffentlicht wurde, kam mir selbst erst auf diesem Wege zur Kenntnis. Kein Mitglied der Regierung hatte irgendeine In­formation über eine dahingehende Absicht der französischen   Regies rung erhalten. Da die Meldung bereits in den Blättern stand, fühlte ich mich verpflichtet, beim Auswärtigen Amt   anzufragen, ob es offiziell etwas gehört habe. Doch hatte man teine Mit­teilung empfangen. Auch eine Rückfrage, ob bis vor einer halben Stunde irgendein Telegramm eingegangen, sei, hatte tein Ergeb­nis. Ich setzte mich darauf mit der hiesigen französischen  Botschaft in Berbindung, wo man ebensowenig etwas davon gehört hatte. Ich kann taum glauben, daß der Bericht zutrifft. Am vergangenen Sonntag hatte ich den Vorzug, mit dem fran­ zösischen   Ministerpräsidenten zusammenzutreffen. Wir besprachen am Sonntag den Stand der ganzen russisch  - polnischen Frage aus­führlich. Es lag bei der Konferenz fein Antrag vor, den General Wrangel anzuerkennen. Es wurde darüber gesprochen, was ge= schehen sollte, wenn die Bedingungen der Räteregierung so seien, wie ich sie gestern mitteilte. Ich teilte auch mit, was in diesem Falle geschehen würde, doch werde fein Antrag gestellt, den General Wrangel anzuerkennen. Lloyd George   sagte weiter, daß die französische   Regierung gegenüber dem General Wrangel   eine andere Haltung als die britische eingenommen habe, und dazu voll­tommen berechtigt sei. Wenn es jedoch in Millerands Absicht ge= legen hätte, den General Wrangel als die de facto regierende Macht für Südrußland anzuerkennen, würde er das am letzten Sonntag in Hythe mitgeteilt haben. Ich schließe daraus, daß ein unglücklicher Fehler in dem Bericht einer sonst vollkommen zuver­lässigen Presse- Agentur unterlaufen ist, und daß die französische  Regierung tatsächlich noch nichts in dieser Richtung unternom­men hat.

Die Londoner Presse gegen die Anerkennung Wrangels

TU. London  , 12. Auguft. Der Bericht aus Paris  , nach dem die französische   Regierung die Anerkennung Wrangels   beschlossen habe, hat hier große Ueberraschung, man tann sagen Sensation, hervorge rufen. Der raditale Star" verkündet in großen Lettern, daß Frankreich   die Wiederherstellung des Friedens hemmt und teilt das Lager der Alliierten auf Grund der letzten amerikanischen  Note in zwei Gruppen: eine englisch  - italienische und eine französisch­amerikanische.

Paris  , 12. Auguft.

Wie die Morgenblätter aus London   melden, wurde gestern im Unterhause erklärt, daß die englische Flotte im Schwarzen Meer nicht den Befehl erhalten habe, mit den Streitkräften des Generals Wrangel zusammenzuarbeiten.

Paris  , 12. Auguft.

Nach einer Radiomeldung aus Bukarest   soll Rumänien   eins

angenommen.

der ein Regierungss wechsel stattgefunden, der für die politische Entwicklung dieses Landes außerordentlich symptomatisch ist und auch außerhalb Badens Beachtung verdient.

verpflichtet, den Privatpersonen zugefügten Scha­den zu ersehen. Die Räteregierung hat diese Bedingungen London  , 12. Auguft. Reuter erfährt: Eine Abordnung des russischen Zentral­rates der Gewerkschaften wird demnächst in England eintreffen.

Polens   Zusammenbruch

TU. Wien, 12. August.

In hiesigen diplomatischen Kreisen meint man, daß die polnische Armee noch im Laufe dieser Woche den Kampf gegen Rußland  aufgeben werden. Das polnische Oberkommando sei mit allen Mitteln bemüht gewesen, den Widerstand der polnischen Armee wenigstens solange aufrecht zu erhalten, bis eine Hilfszusage aus dem Westen und das Eingreifen ungarischer oder rumänischer Korps angekündigt sein würde. Da in der Hnther Konferenz für den Augenblick die Waffenhilfe zurückgestellt und nur zu der Maß­nahme der Blockade geschritten worden ist, bleibt der geschlagenen polnischen Armee nur die bedingungslose Waffen= stredung übrig.

TU. Kopenhagen, 12. Auguft.

Aus Warschau   wird gemeldet: Ueber den am Dienstag statt­gehabten Ministerrat wird amtlich nichts veröffentlicht. Es verlautet, daß eine neue Note der bolichemistischen Heeresleitung den Anlaß zu diesem Ministerrat gegeben hat. Durch den Rat der nationalen Berteidigung in Warschau   wurden alle Lebensmittel­vorräte beschlagnahmt und auch sonstige Borkehrungen zur Siche­rung der Ernährung der Bevölkerung getroffen. Die Flucht der wohlhabenden Kreise aus Warschau   dauert an. Für eine Fahrkarte nach Danzig   wurden am Dienstag drei- bis viertausend Mart geboten. In einem aufgefangenen drahtlosen Telegramm Tschitscherins an Kamenew   erklärte die Sowjetregierung sich mit den englischen Vorschlägen einverstanden. Eine offizielle Mittei­lung hierüber ist der polnischen Regierung jedoch nicht zugegangen.

Was will die englische Flotte?

Kopenhagen  , 12. Auguft.

Wie Nationaltidende" aus Helsingfors   meldet, hat das Ein­treffen einer englischen Flotte in der Finnischen   Bucht in leitenden kommunistischen   Kreisen Petersburgs Beunruhigung her vorgerufen. Sinowfew hat einen Aufruf erlassen mit der Ueberschrift: Eine neue Gefahr bedroht Petersburg! Es heißt in dem Aufruf: Die Imperialisten der Entente reizen Finnland   zu einem Angriff gegen Petersburg   auf und gedenten den Angriff mit der englischen Flotte zu unterstützen. Wir wollen sehen, ob England es wagt, seine Drohung zu verwirklichen und ob das weiße Finnland   wagen wird, uns zu überfallen, nach­dem wir es einmal vernichtet haben. Wir wollen sehen, ob die englische Flotte gegen Petersburg   vorgeht. Wenn sie es tut, wer­teidigung der Stadt zu sorgen.

den die Arbeiter und Matrosen aufgefordert werden, für die Ber

Bisher bestand das Kabinett entsprechend dem Stärfevers hältnis der Parteien im badischen Landtag aus drei Rechts­Sozialisten, zwei Zentrumsmännern und zwei Demokraten. Den Staatspräsidenten stellten die Rechtssozialisten in der Person des Herrn Geiß. Die Wahlen am 6. Juni haben nun, wie überall im Reich, einen außerordentlich starken Stimmenabfluß der drei Kabinettsparteien zugunsten der Oppositionsparteien ergeben. Den stärksten Gewinn trug die U. S. P. davon, die mit 103 000 Stimmen ihre Stimmenzahl gegenüber den Landtagswahlen versiebenfacht hat. Die K. P. D. vereinigte 15 000 Stimmen auf sich, während die Deutschnationale und die Deutschliberale Volkspartei zu­sammen rund 100 000 Stimmen gewannen. Die stärkste Ein­buße erlitten die Rechtssozialisten, deren Stimmen trotz eines fein eingespielten Presseapparats von 329 000 am 5. Januar und 367 000 am 19. Januar 1919 auf 185 000 zurückgegangen find. Die Demokraten erreichten mit 114 000 Stimmen noch fnapp die Hälfte ihrer früheren Stimmen. Aber auch das Zentrum ging nicht ungeschädigt aus den Wahlen hervor. Es büßte 50 000 Stimmen ein, blieb aber trotzdem mit 327 000 Stimmen die weitaus stärkste Partei.

Sofort nach den Reichstagswahlen zeigten sich daher Be strebungen, durch die das Zentrum die Schwächung seiner Fraktionsfreunde ausnuten und seine eigene Bosition im Kabinett auf der Grundlage des Wahlergebnisses vom 6. Juni verstärken wollte. Diese Bestrebungen haben nun zum Ziele geführt. Die Lösung wurde in der Ausschiffung eines rechtssozialistischen und eines demokratischen Ministers und in der Verkleinerung des Kabinetts auf fünf Personen gefunden. Das Staatspräsidium ging dabei an das Zentrum

über.

Mit dieser Umwandlung glauben die Regierungsparteien die notwendigen Konsequenzen aus dem Wahlergebnis vom 6. Juni vollauf gezogen zu haben. Daß unsere Partei mit über 100 000 Stimmen im Landtag nach wie vor unvertreten bleibt, schert sie nicht im geringsten und doch wäre die Auf­lösung des Landtags schon längst gebieterische Notwendigkeit gewesen, denn der heutige Landtag war ursprünglich nur als verfassunggebende Landesversammlung gewählt worden. Durch Voltsabstimmung hat er sich dann im März 1919 wohl das Mandat bis Herbst 1921 verlängern lassen, aber nicht nur, daß ich an dieser Volksabstimmung nicht einmal ein Drittel der Wähler beteiligt hat, war das Abstimmungs­ergebnis von vornherein dadurch verfälscht worden, daß die Regierung offiziell nur Ja- 3ettel hat verteilen lassen.

Ist schon bezeichnend, daß feine der Koalitionsparteien den Antrag auf Auflösung dieses Landtags mit dem ers schlichenen Mandat nach der katastrophalen Niederlage vom 6. Juni stellte, so noch mehr die Gelassenheit, mit der die badischen Rechtssozialisten ihren bisherigen Staatspräsi benten Geiß dem Zentrum opferten. Noch im April dieses Jahres hatten rechtssozialistische Blätter seine Wiederwahl zum Staatspräsidenten als herrliches Symbol der politischen darüber, daß dieses Symbol elendiglich verglimmt. Sollte der Entwicklung Badens" begrüßt und heute finden sie fein Wort Uebergang des Staatspräsidiums an das Zentrum nicht ein viel beredteres Symbol für die politische Entwicklung in

gewilligt haben, daß ein Armeekorps des Generals Wrangel Die tschechische Arbeiterschaft droht Baben sein?

rumänisches Gebiet passiert, um nach Galizien   zu gelangen.

Konstantinopel  , 10. Auguft.( Reuter.) General Wrangel   hat die Verbindung mit den Dontosaken hergestellt und Alexandrowsk und Groschewit nach schwerem Kampf

genommen.

Weitere Entspannung

London  , 12. August.

Der Londoner   Berichterstatter des Manchester Guardian" schreibt: Die Krisis sei zweifellos vor über, der Friede zwischen Rußland   und Polen   und als Folge davon der allgemeine Friede und die Anerkennung von Rußland   seien so gut wie sicher. Daily Chronicle" erklärt, daß der Ministerrat die durch Rußland   gestellten Bedingungen im allgemeinen für annehm bar halte, wenn auch einige der angeführten Bedingungen nähere Aufklärung erfordern. Die Regierung glaube, daß fein Grund bestehe, den für morgen geplanten Schluß der Parlaments­session hinauszuschieben.

London  , 12. August. Einige Mitglieder des Aktionsausschusses für die am Freitag zusammentretende Konferenz der Gewerkschaften spra­chen ihre Genugtuung über die Entwirrung der russisch  - polni­schen Angelegenheit aus. Sie äußerten indessen die Vermutung, die Konferenz werde verlangen, daß die englische   Regierung sofort nach Abschluß des Waffenstillstandes die Sowjetregierung anerkenne und Handelsbeziehungen mit Rußland  antnüpfe.

TU. Amsterdam, 12. August. Ein russischer drahtloser Bericht an Warschau   veröffentlicht die Bedingungen, die England für die Anerkennung der Räteregierung gestellt hat. Eine dieser Bedingungen verlangt, daß Rußland   sich

Prag  , 11. August.

Die Bohemia" meldet aus Teplit: Die deutsche sozialdemo fratische Partei versendet einen Aufruf, in dem es heißt: Die Arbeiter und Arbeiterinnen der tschechoslowakischen Republik ohne Unterschied der Nationalität werden niemals zugeben können, mag sich die Regierung wenden wie sie will, daß auch nur ein eins ziger tschechoslowakischer Soldat sein Gewehr gegen Sowjets rusland   erhebt. Wir machen die Regierung jeht schon darauf aufmerkasm, daß die Klassenbewußte Arbeiterschaft auf der Hut ist.

TU. Prag, 12. August. Zwischen der deutschen   und tschechoslowakischen Sozialdemokratie schweben Verhandlungen über eine gemeinsame Stellung= nahme gegenüber der polnisch- russischen Frage. Es soll ein Manifest erlassen werden, das von beiden Parteien gutgeheißen wird, in welchem die gesamte sozialdemokratische Arbeiterschaft der Tschechoslowakei   erklärt, daß fie unter feinen Umständen einen Kampf gegen Sowjetrußland dulden werde und daß sie mit allen Mitteln bestrebt sein werde, jede attive Teilnahme der tschechos Slowakischen   Regierung oder irgend welcher Kreise der Tschechos slowakei zu verhindern.

Gegen den Krieg

TU. Mannheim, 12. August.

Eine Straßendemonstration für Sowjetrußland, zu der der Spartatusbund aufgerufen hatte, ging gestern nach­mittag mit einer Beteiligung von vielen Tausenden, darunter einem auffallend starten Zustrom aus Ludwigshafen   und Umgegend, hier vor sich. Durch den Zug, in dem auch mehrere Mujittapellen marschierten, wurde der Straßenbahnverkehr längere Zeit behindert. Von Zwischenfällen ist nichts bekannt geworden.

Der tieferen Bedeutung dieses Regierungswechsels kommt man erst dann völlig nahe, wenn man auch die Person des nun zurüdgetretenen Staatspräsidenten Geiß in Betracht zieht. Weit entfernt, ein flassenbewußter Sozialist und der Bourgeoisie verhaßt zu sein, sah er von Anfang an seine Hauptaufgabe in der Vermittlung zwischen den Parteien und noch vor wenigen Tagen lud er die Vertreter aller Parteien zu einem, parlamentarischen Abend" ein. Die bürgerlichen Blätter haben ihm nie andere als gute Worte gegönnt und eine letzte Anerkennung brüdten ihm die bürgerlichen Par teten dadurch aus, daß sie ihm entgegen den Besoldungsvor schriften durch ein besonderes Gesetz ein Ruhegehalt von jähr lich 20 000 Mart schenkten.

Diese huldvolle Behandlung eines sozialdemokratischen Revolutionsministers wird nur zu verständlich, wenn man die Erklärung hört, die dieser Sozialdemokrat bei seiner Amtsniederlegung im badischen Landtag abgab, denn nicht nur, daß er sich in aller Form entschuldigte, an der Revolution in Baden überhaupt Anteil zu haben, wies Geiß sogar noch nach, daß er am 10. November 1918 nur des wegen mit der großherzoglichen Regierung verhandelte, weil er hoffte, durch deren Rüdtritt und die sofortige Einberufung des Landtags die Sache so drüdte sich Geiß aus­halten zu können! Daß die badischen Rechtssozialisten dann, als sich bie Sache" doch nicht mehr halten ließ, gerade diesen Revolutionär" und" Republifaner" zum Staats­präsidenten der Republik   präsentierten, ist einer jener Treppenwige der deutschen   Revolution, der sich passend an die Rolle der Ebert und Scheidemann   in den November­tagen anreiht.

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Daß also dennoch das Zentrum am 6. Juni auch diesen harmlosen und vom bürgerlichen Gesichtspunkt sicher unvers