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Freitag, den 13. August 1920

Nummer 329

Abend- Ausgabe

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Berliner Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Dentfchlands

Neue Verhandlungen in Minsk Das neue Amnestiegefeß

Ein bolschewistischer Funkspruch

TU. Warschau , 13. Auguft.

Die Presseabteilung gibt bekannt: In der Nacht vom 11. zum 12. August erhielt die Warschauer Funkenstation einen verspäteten Funkspruch mit dem Datum vom 7. b. M., der zeigt, wie die bol schemistische Regierung bestrebt ist, die Berhandlungen in die Länge zu ziehen. Er lautet: Nachdem die Untersuchungen über die Nicht­annahme der polnischen Funksprüche durch die Moskauer Funken station abgeschlossen ist, ergibt sich, daß diese die polnischen Funk­prüche wegen atmosphärischer Störungen nicht hat annehmen fön­nen. Der Volkskommissar für äußere Angelegenheiten benutzt die erste Möglichkeit am 7. b. M., 2 Uhr, um nach Warschau einen Funtspruch mit der Frage zu senden, warum die Sowjetregierung feine Antwort auf die russischen Vorschläge für die Waffenstill­Handsverhandlungen in Minst erhalten habe. Wir erwarten

nunmehr die polnische Einwilligung zu den Waffenstillstands- und Präliminarfriedensverhandlungen in Minst. Unsere Delegation wird am 11. d. M. in Minst eintreffen. Wir erwarten die polnis fche Delegation auf der Chaussee Siedlce- Brest- Litowsk am 9. d. M.( 8 Uhr abends, deutsche Zeit.) Der Volkskommissar für aus. wärtige Angelegenheiten Tschitscherin .

TU. Warschau, 13. Auguft.

Die Preffeabteilung des Ministeriums des Aeußern gibt bekannt: Die polnischen Parlamentäre find gestern von der Front nach Warschau zurückgekehrt. Die Sowjetregierung hat vorgeschlagen, daß die polnische Waffenstillstandsdelegation für Minst am 14. b. M. die Front paffiere.

Polen zögert

Brag, 12. Auguft. Aus Mostau ist nach einer hier eingetroffenen Meldung dem polnischen Minister des Aeußern Sapieha am 10. Auguft eine bringende Depesche folgenden Inhalts zugegangen: Die Vertreter der russischen Heeresleitung erwarteten Ihre Delegation auf der Chaussee Siedlce- Miendzyprozce am 9. Auguft abends; obwohl sie nicht eingetroffen ist, sind Maßnahmen ergriffen worden, um sie bei ihrer Ankunft zu empfangen. Wir ers suchen, uns den Zeitpunkt ihres Ankommens mitzuteilen, sowie auch die Namen der Bressevertreter anzugeben, welche die polnische Dele gation mit sich bringen wird. Der Absendung ihrer Korrespondenz und der Uebermittlung ihrer Funksprüche werden teine Schwierig teiten bereitet werden.

Daraufhin wurde nach Moskau an die Adresse Tschitscherin , Boltskommissar für auswärtige Angelegenheiten, folgender Funk spruch gesandt: Die polnische Regierung, sowie der Ausschuß für bie nationale Berteidigung haben grundsäglich beschlossen, eine aus Bertretern der Regierung und der führenden Parteien des Landtags bestehende Abordnung zu schicken. In Anbetracht dessen jedoch, daß die gestern abgeschickten Parlamentäre noch nicht zurückgekehrt sind, ist der Zeitpunkt der Abreise der Abordnung noch nicht bestimmt worden.

Außerdem wurde an Tschitscherin noch folgender, von Sapieha unterzeichneter, Funkspruch abgesandt: Wir erwarten zuerst die Rückkehr unserer Parlamentäre, bevor wir unsere Abordnung abschicken werden. Wir werden Ihnen noch den Zeitpunkt der Abreise, die Zahl der Mitglieder, des Personals und der Journalisten, die an der Abordnung teilnehmen, angeben.

Die französische Ertratour

Paris , 13. Auguft.

Die Sowjetregierung hat an die französischen Ar­beiter anläglich der Anerkennung der Regierung des Generals Wrangel durch die französische Regierung einen Appell gerichtet, in dem sie erklärt, daß durch die Anerkennung der südrussischen Re­publik durch Frankreich die Möglichkeit eines russisch = französischen Krieges gegeben wäre. Umsonst hätten

bas sich auf die Notifizierung bezog, traf infolge eines Jrrtums in der Uebermittlung mit großer Berspätung in London ein.

Paris , 12. Angust.

Der Temps" schreibt zu der Anerkennung des Generals Wrangel burch die französische Regierung, als Millerand von Hythe zurückgekommen sei, habe das Verlangen der Regierung von Sfibrußland um Anerkennung vorgelegen. Es habe den Beding ungen entsprochen, die Millerand am 20. Jult in der Kammer ge fennzeichnet habe. Erst nachdem der Ministerrat den Beschluß der Anerkennung gefaßt habe, sei die Nachricht von einem Schritt Eng lands in Warschau eingetroffen. Das Blatt sagt, Frankreich habe den Eindruck, England wolle mit Gewalt eine Konferenz zusammen bringen, auf der Deutschland und Sowjet- Rußland vertreten sein sollen, eine Stonferenz, auf der Frankreich gezwungen werden würde, eine Revision des Friedensvertrages von Versailles über sich ergehen zu lassen, sowie den Berlust der notwendigen Garantien für seine Sicherheit, also vielleicht auch die ganze oder teilweise Annullterung der Wiebergutmachung, auf die es ein Anrecht habe. Die Engländer müßten verstehen, baß eine berartige Möglichkeit alle Franzosen ohne Unterschied der politischen Meinung oder der sozialen Stellung in Erregung brächte. TU. London, 13. Auguft.

Reuter meldet: Der Bericht aus Paris über die Anerkennung des Generals Wrangel ruft im Unterhause großes Auf Jehen hervor. Mit Rüdsicht auf die Unsicherheit der Lage und die weitere mögliche Entwidlung der Ereignisse wird das Unter­haus anstatt von heute bis zum 9. Ottober nur bis zur nächsten Woche seine Sigungen vertagen Der Abgeordnete Maclean erklärte, daß, wenn die Nachrichten über den Beschluß der franzö­hat den Ministerpräsidenten um nähere Mitteilungen ersucht. Er fischen Regierung richtig seien, eine neue 2age geschaffen wor den sei, und Frankreich sich jedenfalls in Bereitschaft halten müffe.

Der englisch - franzöfifche Konflikt

TU. London, 13. Auguft.

Gestern hat hier ein Rabinettstat stattgefunden, der sich mit der durch die französischen Maßnahmen geschaffenen Lage befaßte, Lloyd George habe in Paris telegraphisch um Aufklärung ersucht, aber noch feine Nachricht erhalten, sodaß ein Beschluß noch nicht gefaßt werden konnte. Weber der britische Botschafter in Paris , noch der französische Gesandte in London sind über die neuen geweihten Kreisen neigt man zu der Annahme, daß die Anerten­Schritte der französischen Regierung unterrichtet worden. In ein das Verbot an den tonsularischen Vertreter Frankreichs in London , nung des Generals Wrangel durch die französische Regierung und mit Kraffin und Kamenew in Verbindung zu treten, auf ein Mißverständnis zurückzuführen ist. Lloyd Georges Abreise nach der Schweiz ist verschoben worden.

Wie aus autoritativer Quelle verlautet, wird eine neue 3n­fammentunft zwischen Lloyd George und Millerand stattfinden. Wahrscheinlich werden die beiden Ministerpräsidenten am nächsten

Sonntag in Boulogne zusammentreffen, um die durch die neuesten Ereignisse geschaffene Lage und ihre Folgen zu besprechen.

Die englische Arbeiterpartei an Lloyd George

Rotterdam, 13. Auguft. Nieuwe Rotterdamsche Courant meldet aus 2ondon: Der Attionsausschuß der Arbeiterpartei, der sich mit der russisch - polnischen Frage befassen soll, hat einen Brief an Lloyd George geschict, worin er ihm mitteilt, daß die Frage des Ver hältnisses zwischen Rußland und England mit der Mitteilung Lloyd Georges im Unterhanse nicht erledigt sei. Die Arbeis tervertretung sei davon überzeugt, daß ein Friedensschluß und normale Beziehungen zwischen England und Rußland eine ge bieterische Notwendigkeit sind. Der Brief ersucht, mit Rücksicht auf die für Freitag angejezte nationale Arbeiter fonferenz, sofort in deutlichen und bestimmten Worten zu er flären, welche Bedingungen die englische Regierung für einen Frieden mit Rußland stellt.

Kraſſin und Kamenew der französischen Regierung bei jeder Ges Cachin und Frossard über ihre Ein­

legenheit mitgeteilt, daß die Sowjetregierung bereit sei, alle Fragen zu prüfen, die die französische Regierung nicht in der ge­gebenen Form anerkennen fönne. In dem Augenblick nun, in dem man die Hoffnung hatte, daß durch einen gerechten russisch­polnischen Frieden der Welt der Frieden wiedergegeben werde, habe Frankreich durch seine Tat den Bruch der Vers bandlungen zwischen Rußland und Bolen hervorgerufen. Die Erklärung der französischen Regierung habe in Rußland in allen Kreisen große Erregung hervorgerufen und es sei durch sie die Möglichkeit des Ausbruchs eines neuen Weltkrieges gegeben. Die französische Arbeiterklasse hätte nunmehr das Schidjal ber ganzen Welt in ihrer Hand.

Die Anerkennung Wrangels

London, 12. Auguft. Der französische Geschäftsträger hat am Donnerstag vormittag im Auswärtigen Amt die Anerkennung der Regierung des Generals Wrangel durch die französische Regierung nott­fiziert. Das Zelegramm mit den Instruktionen des französischen Ministers des Neußern an den französischen Botschafter in London ,

drücke in Rußland

Hn. Paris , 18. August.

Cachin und Frossard schildern in der Humanité ihre Eindrücke über thren Aufenthalt in Rußlaub und weisen insbesondere auf die Macht des Bolschewistischen Regimes in Rußland hin, das heute nach dem Sieg über die inneren und äußeren Schwierig Am teiten fast das ganze russische Bolt umfaßt. Freitag wird im Pariser Sirkus eine öffentliche Versammlung statt­finden, in der Sachin und Frossard über ihre russischen Erfahrungen sprechen werden.

Amnestieforderung der französischen Arbeiter

HN. Paris, 18. Auguft.

Die franzöfifchen Arbeiter fordern Amnestie. Die Huma nité veröffentlicht eine Denkschrift der französischen Arbeiter, in der abermals Amnefite für politische Vergeben gefordert wird, die im Busammenhang mit dem Generalftreit stehen.

Bon Kurt Boenheim.

Bergeblich hat die Fraktion der Unabhängigen Sozialdemo fratischen Partei im Reichstag versucht, eine allgemeine politische Amnestie herbeizuführen. Der Antrag ist an dem Widerstand der bürgerlichen Parteien gescheitert. Wir geben im nachfolgenden ein Merkblatt zu dem neuen Amnes Stiegesez, aus dem ersichtlich ist, welchen Umfang und welche erschienenen Ausführungsbestimmungen des Justizministers, Tragweite das Amnestiegesetz hat. Hierbei sind die soeben die zwar für die Gerichte nicht bindend sind, aber für die Staatsanwälte bindende Anweisungen enthalten, berück sichtigt.

Merkblatt zur Amnestie

1. Die Amnestie ist teine allgemeine Amnestie, also feine Amnestie, die sich auf alle strafbaren Handlungen bezieht. Sie be zieht sich vielmehr mit gewissen unten angegebenen Einschränkungen nur auf politische Delitte.

2. Sie ist aber auch feine allgemeine politische Amnestie. Straffrei find nur folgende politische Handlungen:

a) 1. Diejenigen Handlungen, die zur Abwehr eines hochverräte rischen Unternehmens gegen das Reich begangen sind. Die Ausführungsbestimmungen des Justizministers bemerken hier zu: Wesentlich ist bei der Entscheidung, ob die Handlung zur Abwehr eines hochverräterischen Unternehmens begangen ist, der Wille und die Vorstellung des Täters, daß er ein hochverräterisches Unternehmen bekämpft hat.

Die Teilnehmer an den Kämpfen, die im Anschluß an den Kapp- Butsch gegen Teile der Reichswehr, beispielsweise ir Friedrichshagen , Köpenid, sowie im gesamten Ruhrrevie stattgefunden haben, find daher straffrei, gleichgültig ob bie Reichswehrtruppen tatsächlich auf feiten Kapps ge standen haben oder ob die Annahme der tämpfenden Arbeiter, daß es sich um fapptreue Truppen handele, zutreffend ge wesen ist.

Auch die sogenannten Rädelsführer bei diesen Kämpfen find traffrei.

Jn 3 weifelsfällen wird zugunsten der Beschuldigten, wie der Justizminister ausdrüdlich bemerkt, stets Straf freiheit einzutreten haben.

b) Hochverrat gegen das Reich. Nicht straffrei find jedoch die Urheber und Führer des hochverräterischen Unter­nehmens. Ob eine Person Führer gewesen ist, tann im Einzelfalle zweifelhaft sein. Der Begriff des Führers ist sehr eng zu fassen. Die bereits erwähnten Ausführungsbestim mungen des Juftizministers bemerfen hierzu: Unter Führern und Urhebern, denen teine Straffreiheit gewährt wird, sind nur die Führer der Gesamtaktion, des Zentral­unternehmens, des Unternehmens in seiner Tota Iität, nicht auch die Urheber und Leiter lokaler ober provinzieller Unternehmen zu verstehen.

Wer beispielsweise in Essen ein hochverräterisches Unter­nehmen geleitet hat, ist straffrei, denn er ist nur der Leiter eines Iota len Unternehmens gewesen.

Nicht straffrei sollen ferner nach der im Reichstag ge­äußerten Ansicht der Regierung sein, diejenigen hochverräte­rischen Unternehmungen, die gegen einen Bundesstaat allein verübt sind. Die vielen Tausende, die nach dem Sturz der bayerischen Räterepublit wegen ihrer Beteiligung an der Räterepublit zu schwersten Kerterstrafen verurteilt sind, sollen demnach nicht unter die Amnestie fallen. So die Auffassung des Regierungsvertreters im Reichstag. Man wird freilich dieser Auffassung entgegenhalten müssen, daß der Hochverrat gegen Bayern zugleich ein Hochverrat gegen das Deutsche Reich gewesen ist. Gelingt es, den Verurteilten mit dieser Auffassung durchzubringen, so müssen sie als unter die Amnestie fallend angesehen werden. Denn sobald der Hoch verrat sich gegen Reich und Bundesstaat richtet, findet die Amnestie zweifellos Anwendung.

c) Die Handlungen, die im 3usammenhang mit dem hochverräterischen Unternehmen oder seiner Abwehr begangen worden sind". Der Begriff des Zusammenhangs ist für den Beschuldigten möglichst günstig auszulegen. Die Aus­führungsbestimmungen des Justizministers bemerken hierzu: Es gehören hierher nicht nur Sandlungen, die hochverrätes rischen Unternehmungen gegen das Reich oder ihrer Abwehr gedient haben, sondern auch solche Handlungen, die durch die politische Situation bedingt oder auch nur durch sie ausgelöst worden sind.

Es fallen beispielsweise also hierunter die Verurteilungen wegen der Januarfämpfe in Berlin ( Besetzung vom Vor­wärts, Mosse , unstein, W.T.B.), sowie die Verurteilungen wegen der Märzfämpfe in Berlin ( Polizeipräsidium, Lichtenberg ). Ebenso fallen beispielsweise unter die Am­nestie die Kämpfe, die die roten Armeen im Ruhrrevier zu bestehen hatten.

Gleichgültig ist, von welchem Gericht die Verurteilungen ausgesprochen sind, ob die Verurteilung von einem ordent lichen Gericht( Straffammer, Schwurgericht) oder von einem mit Offizieren besetzten außerordentlichen Kriegsgericht erfolgt sind.

Straffreiheit tritt bei den Handlungen zu c) nicht ein: a) Wenn die Sandlungen lediglich auf Robett, Eigon muz oder sonstigen nicht politischen Beweggrünben beruhen."

Hat der Täter aus politischen Gründen, außerdem noch aber aus Eigennutz gehandelt, so fällt er unter die Amnestie, weil seine Tat in diesem Fall nicht ledig lich auf Eigennuk beruht. In den Ausführungsbestim mungen des Justizministers wird barauf hingewiesen, bab