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Pfg. 3. Jahrgang

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Mittwoch, den 18. August 1920

Nummer 337

Abend- Ausgabe

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Freiheit

Berliner   Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Dentfchlands

Die Erregung in Rattowit

Verhandlungen mit der Inter=

alliierten Kommission

Rattowig, 17. Auguft.

W. Z. B. meldet: Bor   dem Haufe der Interalliierten Kommis fion versammelte sich um 10 Uhr abends eine unübersehbare Menschenmenge. Eine Abordnung der Gewerkschaften begab sich zu Obert Blancart, dem Vorsitzenden der Inters alliierten Kommission, der die Abordnung in Anwesenheit des französischen   Militärbefehlshabers empfing. Die Abordnung bes stand aus vier Gewerkschaftsvertretern. Sie unterbreitete die Forderung der Bevölkerung auf Entwaffnung der Bes jagungstruppen unter Zusicherung freien Abzugs. Falls biese Forderung nicht bewilligt würde, müßte jede Berantwortung. für die weiteren Ereignisse abgelehnt werden. Der Militärbefehls haber erklärte, daß er lieber sterben würde, als diese Fors berung erfüllen. Hierauf erwiderte einer der Gewerkschaftsvers freter:" Herr Oberst, Sie vergessen ganz und gar, daß der Krieg zu Ende ist. Sie berufen sich auf die militärische Ehre, vergessen aber, daß diese Ehre auch von der Sicherheitspolizei für sich in An­spruch genommen wird. Bei der Sicherheitspolizei haben Sie aber zum Teil die Entwaffnung durchgedrückt." Troz dieses Ein­wandes beharrte man auf der Ablehnung. Die Verhandlungen wurden daraufhin abgebrochen.

Beim Berlassen des Hauses konnten die Bertreter der Bevölke rung feststellen, daß das Treppenhaus dicht befeht war mit fran­zöfifchen Soldaten in feldmarschmäßiger Ausrüstung. Beim Her austreten wurden Rufe laut: Unsere Leute haben nichts er­reicht! Waffen her, es geht zum Sturm!" Die Deputierten fonn ten nur mit großer Mühe sich einen Weg durch die Menge bahnen. Um 11% Uhr war die Situation auf das äußere gespannt. Die Vertreter der Bevölkerung versuchten, die Ver handlungen noch einmal zu erneuern, was ihnen auch gelungen ist.

Rattowig, 18. August, 1 Uhr morgens. Man hört ununterbrochen Gewehr- und Hand granaten feuer. Die Menge bemächtigte sich eines vor dem Hause ber Interalliierten Kommission stehenden Automobils ohne von den Besagungstruppen daran gehindert zu werden. Angesichts der furchtbaren Lage verhandelt soeben ein französischer Offizier direkt mit der Menge und stellt die Auslieferung der Waffen in Aussicht. Bon anderer Seite verlautet, daß die

Mehr Auslandspolitik!

Von Dr. Julius Moses  

| Belaung bereit sei, die Waffen in die Obhut der Sicherheits- darauf hingewiesen worden, daß die außenpolitischen Fragen

beamten zu geben.

Oppeln  , 17. August.

Die Stadt ist bis 12 Uhr nachts ohne Licht und Wasser, sonst aber völlig ruhig.

Heute nachmittag wurden in einem Ententetransport, deflariert Lebensmittel", Munitionstiften gefunden. Sonst war der Zug voll Hafer. Unter Begleitung von Eisenbahnern wurde der Zug nach Gleiwitz   geleitet, wo er entladen und untersucht wird.

Das Mißverständnis"

Durch die Telegraphen- Union wird, anscheinend offiziös, folgende Darstellung über die Ereignisse in Kattowit verbreitet:

tostet zu haben scheint, und das möglicherweise noch zu sehr un­Das blutige Ereignis in Kattowik, bas 11 Zobesopfer ge angenehmen Weiterungen führen tann, dürfte allem Anschein nach wieder auf eines der leidigen Mißverständnisse zurückgeführt werden müssen, die bei solchen Gelegenheiten immer im Hintergrund brohen. Es heißt, daß an das Ende des Arbeiter demonstrationszuges fich französische Ravallerie anges schlossen hat und dann von den Demonstranten angegriffen wurde. Das Mißverständnis liegt wohl darin, daß die Arbeiter glaubten, bie französische Kavallerie habe den Auftrag, den Zug der Demonftranten auseinanderzusprengen. Wenn solche Befürchtungen sich im Zuge verbreiteten, so ist es begreiflich, daß sich ber Demonstranten eine tiefe Erregunng be mächtigte, zumal ja die ganze Demonstration sich gegen die Berstärkung der französischen   Ententebesaßung in Oberschlesien   richtete, von der die Arbeiter vermuteten, daß sie bestimmt sei, einen Teil der franzöfifchen Besatzung abzulösen, der dann an die polnische Front zur Berstärkung des polnischen Heeres abtransportiert werden sollte. Das Mißtrauen, das den Anlaß zu der ganzen Demonstratton gegeben hatte, wurde durch die seltsame Maßregel der Franzosen  , im Rücken der Demonstranten Ravallerie aufmarschieren zu lassen, begreiflicherweise verstärkt. Es bedurfte vielleicht nur eines mißverstandenen Aufrufes, damit die allgemeine Erregung sich in einer übereilten Tat Luft machte. Nichtsdestoweniger muß die Bevölkerung des oberschlesischen Ab­stimmungsgebietes immer wieder darauf hingewiesen werden, daß solche Gereistheit auf keiner Seite Nugen stiftet und daß es Pflicht

jebes Einzelnen wie der Gesamtheit ist, allen Zwischenfällen gegen über ruhig Blut zu bewahren.

chien, Rumänien  , Jugoslawien   und Desterreich

Bom diplomatischen Schlachtfeld bilden, die geschlossen die Neutralität gegen jede Bedrohung

Der englisch  - französische Gegensat

TU. Genf, 18. August.

In Paris   begreift man nach ben bisher vorliegenden Aeuße rungen der Presse sehr wohl, daß jeder Ausgleich zwischen der Bolitit Millerands und Lloyd George   unmöglich ist. Man flammert fich jedoch noch an die Hoffnung, daß die Sowjet- Regierung bei den Friedensverhandlungen mit Polen   derart scharf auftreten wird, daß die öffentliche Meinung Englands sich doch noch von der Friedens politik Lloyd Georges abwenden werde, denn in letter Linie handelt cs sich bei Millcrand und Lloyd George   nicht um den General Wrangel, sondern um die Anerkennung der Sowjet- Regierung. Ueber bas militärische Schicksal Bolens hat man in Paris  , wie die Zeitungen nun offen zugeben, jeden Optimismus verloren; aber gerade bes halb wird Millerand doch an dem Gedanken festhalten, daß die Armee Wrangel der Stützpunkt für eine neue Kampagne gegen Sowjetrußland werden könne.

21. London  , 18. August.

schüßen soll.

Der weitere Zweck der Union   ist die Niederhaltung Uns garns, falls es unter dem Vorwand der Hilfe für Polen   oder sonstwie die im Friedensvertrag gezogenen Grenzen abzuändern verjuchte. Die Unionstaaten würden in diesem Fall und auch im Fall einer habsburgischen Restauration sofort in Ungarn   einmar schieren. Desterreich ist von Waffenhilfe befreit, soll aber Muni­tionsbestände zur Verfügung stellen, sonst aber absolute Neutralis tät bewahren. Der Agramer Rietsch" meldet zum Zusammen wirten von Tschechien   mit den Ballanstaaten, daß die Prinzipien der Politik Benes find: teinen Krieg gegen Rußland  , aber energisches Vorgehen gegen Ungarn  .

Die belgische Arbeiterschaft gegen Waffentransporte für Polen  

SN. Brüssel, 18. Auguft.

Die belgische Arbeiterschaft erklärte sich mit den organisierten Ar­Konflikt solidarisch und verbot gleichfalls die Weiterführung von beitern der anderen Bänder bezüglich der Haltung im russisch  - polnischen Striegsmaterial, Munition und Soldaten für Polen  . Zwei Züge mit Munition aus Frankreich  , die nach Antwerpen   geschickt wurden, wo fie nach Polen   etugeladen werden sollten, wurden auf Befehl der

Die Antwort Lloyd Georges an Ramenew Lloyd George   hat in feiner Antwort au Kamenem auf deffen Denkschrift am 15. August erklärt, daß Wrangel nicht mehr unter­fügt werden solle, wenn Polens   Unabhängigkeit nicht bedroht werde. Bedingungen für die Anerkennung Sowjetrußlands belgischen Regierung zurückgesandt. Diese Maßnahme wird amtlich

HN. Manchester  , 18. August.

Der Londoner   Berichterstatter des Manchester Guardian berichtet: Falls die russischen Bertreter auf der Minster Ronferenz die Freiheit und Unabhängigkeit Bolens respektieren werden, wirb England nicht nur die Unterhandlungen über eine Wiederauf nahme der Handelsbeziehungen zu Rußland   fortsetzen, sondern es wird auch innerhalb weniger Wochen einen Vertreter nach Moskau  schicken. Die Anerkennung der Sowjetregierung wird zwar noch einige Zeit beanspruchen, aber wird zweifellos folgen. Diese Schritte werden gemeinschaftlich mit Stalien stattfinden, denn die Zeit ist ba, einen Gesandten nach Rußland   auszuschicken., Aber alles hängt davon ab, was in Minst geschehen wird.

Eine südosteuropäische Union  ( Eigene Drahtmeldung der Freiheit")

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Wien  , 18. August. Die Verhandlungen des tschechischen Außenministers Benes jollen die Grundlage für eine Union  , bestehend aus Tsce=

mit dem Hinweis auf die Beschlüsse der belgischen Regierung gerecht­fertigt, Bolen teinerlei militärische Unterstühung zu gewähren, so lange das Ergebnis der Minster Ronferenz noch unbekannt sei.

2U. Brüffel, 18. August.

Das Nationalfomitee der sozialistischen   Kriegsteilnehmer hat ein Manifest veröffentlicht, in dem mit einer Revolution gedroht wird, für den Fall, daß die Regierung einen neuen Krieg beginne.

Keine Munition mehr nach Danzig

Amsterdam, 18. Auguft.

Der Times"-Berichterstatter in Danzig   meldet, daß Sir Reginald Tower   eine Verfügung erlassen habe, nach der tein Schiff mit Munition nach Danzig   einlaufen darf. Wenn ein solches doch antäme, würde er die Frage dem Botschafterrat in Paris   vorlegen. Der Dampfer Juno, der am 14. August Antwerpen   verlassen hatte und sich bereits in der Nähe von Danzig   befindet, wurde angewiesen, auf See zu vers bleiben.

Wiederholt und mit vollstem Recht ist in unserer Presse in der Arbeiterbewegung bis zum Ausbruch des Krieges nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben. Man wußte bis dahin wenig oder gar nichts vom Ausland, von seinem Denken und Fühlen, von dem inneren Leben der Parteien und Organisationen der außerhalb des engeren Bater­landes" wirkenden proletarischen Gebilde. Genau wie bei den herrschenden Klassen und Ständen, genau wie bei den breiten Schichten der Bourgeoisie hatte man beim Proletariat, bei uns und anderswo, wenig oder gar nichts übrig für Fragen des Auslandes, für alle die Fragen, die über den Kreis der heimatlichen Interessen hinausgingen.

Bei der Bourgeoisie war das ja weiter fein Wunder. Sie war ja danach erzogen worden, in der Beschäftigung mit Fragen des Auslandes, mit den internationalen Beziehungen der Völker zueinander und untereinander in der Praxis war's ja in der Regel ein gegeneinander etwas zu sehen, was der gewöhnliche Mensch nicht versteht und nicht zu ver stehen braucht, was für den großen Haufen stets und überall ein Kräutlein rühr' mich nicht an", ein Buch mit sieben Siegeln, ist und bleiben muß. Auslandspolitik war eben Aufgabe der Staatsmänner und die Kunst der sogenannten Diplomaten, in verschwiegenen Zirkeln und geheimen Kon­ventikeln allein verstanden und behandelt. Geburt, Ab­stammung, Rang, Stand bildeten den Schlüssel für die Auf­nahme in den Kreis der allein Befähigten, in deren Händen der große Haufe der Beherrschten ihr Geschick wohl auf gehoben und geborgen wähnten. Dieser Glaube fam gleich hinter dem Gottesglauben und der Königstreue. Das Wort " Internationalismus" war selbstverständlich eine Erfindung des Teufels, eine Ausgeburt höchst gefährlicher und ver brecherischer Gesinnung, gleichbedeutend mit Reichsfeindschaft und Vaterlandsverrat.

Wie herrlich weit wir's unter diesen Verhältnissen gebracht haben, braucht heute nicht mehr gesagt zu werden. Und so war's bis auf den heutigen Tag, und nicht etwa bei uns allein. Was ein Volt vom andern wußte, war blutwenig, und dieses wenige in der Regel einseitig, falsch und entstellt. Was bei einem herrschte als von altersher überkommen, ob nun deutsch   oder russisch oder englisch   oder französisch, das war eben die vielgepriesene nationale ,, Eigenart", und darum allein gut und schön und wahr, und darum unabänderliche Lebensnotwendigkeit. So wurde die Atmosphäre geschaffen, wo einer den anderen mißtrauisch und gehässig beobachtete und belauerte, und damit jener Zustand von heute, der uns zum Chaos geführt hat.

Wohl sprach man gelegentlich von einem Internationalis mus der Kultur, der Wissenschaft usw. Dann und wann fam man wohl zusammen auf Kongressen und Tagungen, feierte sich an und verbrüderte sich beim Becherklang. Das hinderte nicht beim Kriegsausbruch, daß diejenigen, die damals Brudertüsse tauschten, sich jetzt gegenseitig den Geifer ins Ge­sicht spien.

Wie stand es nun um das Proletariat, um die Arbeiter schaft aller Länder, wie steht's heute damit? Jst hier etwas von einem andern Geist zu verspüren, von einem Geist wirk lichen internationalen Begreifens und Verstehens? Ach, auch hier sieht's nicht viel anders aus, auch hier galt und gilt die Wissenschaft vom Ausland als ein Gebiet, das man besser anderen überläßt, von der die wenigsten auch nur die aller­bescheidenste, alleroberflächlichste Kenntnis haben. Auch des Durchschnittsproletarier von heute tut es darin dem Durch schnittsbourgeois gleich, daß er von den Verhältnissen des Auslandes, selbst wenn es sein eigen Fleisch und Blut angeht, nichts weiß und nichts wissen will. Auch ihm ist das Hemd näher wie der Rod, auch er steht im allgemeinen noch auf dem Standpunkt, daß die Beschäftigung mit den Fragen von Lohn und Brot, mit der inneren Politik gerade für den Arbeiter genug ausmacht, daß die Beschäftigung mit den Fragen des Auslandes ein Lugusartikel ist, der dem Arbeiter nicht wohl ansteht.

Denken wir doch zurück an die letzten Jahrzehnte, an die Zeit vor dem Kriege: wie bitter hat es sich gerächt, daß die Arbeiter so selten ihre Blide über die Grenzen ihres engeren Vaterlandes" richteten! Gewiß, die Flagge des Inter­nationalismus wehte über allen Rednertribünen bei den Kongressen, an schönen Worten fehlte es nicht, das Ausland stattete bei Parteitagen seine Grüße ab und fand den ge bührenden Dant. Aber mehr auch nicht. In der alten Sozialdemokratie Deutschlands   waren es eigentlich immer nur Bebel, Bollmar und Ledebour, die im Reichs= tag zur Auslandspolitik zu sprechen pflegten. Aus den Tagungen der legten Jahre erinnern wir uns nur eines eingehenden und fachkundigen Referats von Sa ase. Was die Weiterbehandlung dieser Fragen im Parlament, Presse und Parteiverfammlung anbelangt, so ist das Resultat ein­fach beschämend. Immer und immer wieder stand als Tate fache fest, daß der Internationalismus des Proletariats nur ein fadenscheiniger Deckmantel war, daß die Unkenntnis und Unlust, sich mit diesen Dingen zu befassen, auf gleicher Stufe stand mit der Bourgeoisie, von der man ja nichts anderes er­warten durfte. So ist es denn fein Wunder, daß bei Ause