Einzelpreis 20 Pfg. 3. Jahrgang Donnerstag, den 19. August 1920

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Nummer 339

Abend- Ausgabe

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greibeis

Berliner   Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Bruch der Neutralität

Polizeiliche Hilfe für Polen

Unjere in der Morgenausgabe vom Mittwoch veröffentlichte Nachricht vom Absch ub polnischer Staatsangehöriger militär­pflichtigen Alters aus Kattowiz nach Polen   wird uns nuns mehr aus Kattowig direkt bestätigt. Die zwangsweise Abreise der Verhafteten erfolgte allerdings nicht, wie wir berichteten, auf der Eisenbahn, sondern in Laktautos. Die Berhaftungen erfolgten am Dienstag vormittag bei einer Ra33ia, die von Mannschaften der deutschen   Sicherheitswehr und von deutschen   Polizeibeamten unter der ärmeren jüdischen Bevölkerung in Rattowih vorgenommen wurde. 1000 bis 1500 Bersonen wurden ins Gefängnis eingeliefert, dort erfolgte die Prüfung der Pässe durch deutsche Beamte unter Aufsicht von franzöfifchen Offizieren. Deutsche   Bässe und Aufenthaltsaus weise wurden seltsamerweise nicht als gültig anerkannt. Die Verhafteten erklärten fast sämtlich, sie seien Deserteure, bie fich der Aushebung in Polen   entzogen hätten. Eingeteilt wie das Bieh wurden die Menschen auf Lastautos über Myslowig zur polnischen Grenze und ins polnische Gebiet hinein ab­geschoben. Etwa 12 Lastautos waren notwendig, um das Werk zu verrichten.

Durch diese Nachricht wird unsere Meldung nicht nur bestätigt, sondern es wird auch damit unsere Frage beantwortet, ob die Maßregel mit oder ohne Kenntnis und Duldung der deutschen   Behörden vollzogen worden sei. Es steht nunmehr einwandfrei fest, daß das ganze Verfahren von den beutschen Behörden vorbereitet und durchgeführt worden sei. Menschenfreunde, bie fich für das Schicksal der Mishandelten in teressierten, bemühten sich, den Polizeipräsidenten zu sprechen, um ihn zum Einschreiten gegen die Maßregel zu veran lassen. Der Polizeipräsident jedoch zog es vor, unerreich bar zu bleiben. Auch das bestätigt den Berdacht, daß die Polis zeibehörde, wenn nicht gar als Urheberin, so doch als auss führendes Organ bei diesem Bruch der Neutrali. tät tätig war.

Es hat den Anschein, als ob für diesen Gewaltstreich der Diens tag gewählt worden ist, weil infolge des allgemeinen Protests treits eine telephonische Verbindung mit auswärts und damit eine Meldung des Vorfalles an die Zentralbehörden unmöglich

war.

Bon diesen aber, von der Regierung in Preußen und im Reiche, erwarten wir schleunige Aufklärung über diese Greueltat. Wir erwarten, daß die beteiligten Beamten schnell­tens und in rengster Weise zur Rechenschaft gezogen wer den, und daß an den zurüidgelassenen Familien der Abgescho benen sofort nach Möglichkeit wieder gutgemacht wird, was an den Abgeschobenen gejündigt wurde.

Die Ereignisse in Kattowiz

TU. Rattowi, 19. August.

Der Telegraphen- Union wird zu den hiesigen nationalistischen Unruhen noch folgendes gemeldet: Bon den im Hotel Deutsches Haus" verhafteten 17 Personen wurde einer an Ort und Stelle fofort standrechtlich erschossen, weil er sich gegen die Verhaftung zur Wehr sehte. Zwei wurden von der erregten Menge sofort erschlagen. Bom Hotel Deutsches Haus" zog ein Trupp nach der Gazetta Ludowa", deren Räume voll­ständig demoliert wurden. Die Maschinenteile wurden auf die Straße geworfen. nen polnischen Geschäften, Andere Trupps zogen indessen zu verschiede­eines betannten Polenführers Caplidi, der der Menge aus unter anderem auch vor das Haus den Fenstern seiner Wohnung entgegensah. Durch provokato rische Reden reizte er die Majje, die sich anschichte, das Haus zu stürmen. In diesem Augenblid wurde aus der Wohnung geschos

bierten mit guten Ergebnissen die feindlichen Kolonnen. Das Resultat der erfolgreichen Kämpfe wird bereits in Warschau   ge­spürt, wo der Drud des Feindes in der Richtung 3egrze und Dembe bedeutend schwächer ist. Dagegen wüten südöstlich von Warschau   noch sehr erbitterte Kämpfe. Aber auch hier wurden alle Angriffe abgeschlagen und an mehreren Stellen sogar Fortschritte gemacht.

3m 3entrum haben unsere Truppen eine größere Offensive unter persönlicher Leitung des Marschalls Pilsudski   eingeleitet. Nach einem 45 Kilometer langen Eilmarsch haben unsere Truppen bereits am Mittag des 16. August Garwolin   erreicht und den Feind von der Weichsel   vertrieben. Auf dem rechten Flügel sind polnische Abteilungen auf Widerstand des Feindes bei kod ge­stoßen und haben Geschütze und Maschinengewehre erobert. Wir rüden fämpfend schnell vorwärts.

Auf der Südfront haben wir eine Gegenoffensive begonnen, um den Feind zurückzutreiben, der den Bug bei Sofa I und bei Bust überschritten hatte. Nördlich von 31oczow. 3Zborow und längs der Strypa waren die feindlichen lokalen Angriffe ohne Erfolg.

Der polnische Offensivplau

P

TU. Warschau, 19. Auguft. Salbamtlich wird gemeldet: An der Nordfront schreitet unsere unter dem Oberbefehl des Marschalls Pilsudski   begonnene Offensive günstig fort. Unsere Abteilungen entwideln fid) längs der Linie Warschau   Brest Litowst und haben Siedlce  der Linie Warschau   Brest  - Litowst und haben Siedlce  besetzt. Wie schon heute offensichtlich, strebt die Oberste Seeresleitung dahin, den Feind von Osten zu umflam­mern, ihm den Rückzug abzuschneiden und ihn gegen die ost. preußife Grenze zu brüden. Sofern es den Bolsche­misten nicht gelingt, ben bisherigen Vormarsch unserer Truppen entscheidend aufzuhalten, bleibt ihnen nur ber Uebertritt auf deutsches Gebiet. Die an der Südfront begonnene Offensive hat zur Einnahme von Sofole Buff geführt. Un­[ ere Abteilungen drängen troh erbitterten Widerstandes des Feindes weiter nach Osten vor.

Französische   Hoffnungen

TU. Paris, 19. August.

Die Blätter stellen den Umschwung in der Schlacht bei Warschau  zu Gunsten Bolens fest, warnen aber vor übertriebenen

Hoffnungen und meinen, daß dadurch die Besprechungen länger dauern werden als erwartet würde. Es scheint, daß Eng­land die Munitionsdurchfuhr durch das Danziger Gebiet nach Bo­len verboten habe, während Deutschland   Munition für die rote Armee über die Grenze schaffe. Die Blätter messen dem mo

ralischen Fattor bie großte Bedeutung an den polnischen Erfolgen bei. Die polnische Offensive, die zangenförmig zufasse, tönne, als von französischen   Offizieren inspiriert, angesehen wer den. General Senry sei der erste General der Linie, Bilotti sei der Chef seines Stabes. Er habe die Sturmtruppen unter fich. General Weygand stehe dauernd mit dem polnischen Oberkommando in Verbindung.

Der russische Bericht

wurde

Der russische Heeresbericht vom 17. August meldet: Der Feind, der bei Nomoje Miasta durchgebrochen war, wurde im Dabei Gegenangriff wieder zurüdgeworfen. Ciechanow von uns wieder besest. Wir machten 120 Gefangene und erbeuteten 7 Geschütze. Nordöstlich Nowogeor gie wst und Warschau   sind hartnädige Rämpfe im Gange. Destlich Wladimir Wolhynst besetzten wir erneut Grubeschow   und eine Reihe Ortschaften östlich davon. Jm Abschnitt Tarnopol   nahmen die roten Truppen eine Reihe von Ort­schaften und nähern sich kämpfend 35orow. Am Dnjestr   und an der Küste des Schwarzen Meeres   ist die Lage unverändert. Im Abschnitt Orjechom erbeuteten wir in hartnädigen Kämpfen ein Geschütz und machten Gefangene.

Ein Jahr weißer Terror

Bon einem ungarischen Genossen wird uns geschrie ben: Es ist gerade ein Jahr vergangen, seit die ungarische Räteregierung ihren Plaz zugunsten eines aus Vertretern aller Parteien des Landes zusammengesetzten Kabinetts räumte. Diesem Kabinett, dessen Entstehung und Zusam mensetzung auf die Bemühungen des britischen Kommissars Sir George Clerk   zurückzuführen war, war nur eine sehr furze Lebensdauer von einigen Tagen beschieden. Der frü here Kriegsminister der Karolyi- Regierung, Stefan Friedrich, dessen politische Vergangenheit eine unaus gesetzte Kette von Infonsequenz, Draufgängerei, Strebertum, Machtlüsternheit darstellt, nahm mit Hilfe bewaffneter Offi ziere von der damals noch recht problematischen Macht Besiz. Friedrich wurde Ministerpräsident. Mit dem von ihm aufgestellten Grundsah der Rechtskontinuität hub in Ungarn  Der weiße eine Zeit des fortgesetzten Unrechtes an. Terror sette beinahe gleichzeitig mit der Verkündung des christlichen" Kurses ein. Niemals ist wohl die christliche Idee niederträchtiger zur Erreichung schrankenloser Macht mißbraucht worden.

Noch während des Bestehens der Räteherrschaft ist in Arad  unter dem Protektorat der Entente eine Gegenregierung errichtet worden, deren erste Zusammensetzung auch nach der Uebersiedlung nach Szeged   ziemlich demokratisch war. Mit der Zeit sind aber die unzuverlässigen" Mitglieder jenes Boudoirkabinetts durch ärgste Realtionäre ersetzt worden. Der Niederbruch der ungarischen Räteherrschaft traf die Szegediner Regierung in einer ausgesprochen rachfüchtigen Einigkeit gegen die destruktiven Elemente", unter denen Sozialisten, Kommunisten, Freimaurer   und anderes Juben gesindel" zu verstehen war. Ihre Verfolgung fette unmit telbar nach der Abdantung Bela Khuns und Genossen in der grausamsten Weise ein.

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Am Anfang waren diese Streifzüge die ersten Helden taten der neuen ungarischen nationalen Armee auf die Provinz, in erster Linie auf Transdanubien be schränkt. Die Armee bestand in jener Zeit vorwiegend aus Offizieren des alten f. u. t. Heeres und der ungarischen Hon ved. Bereits damals glaubte man, daß eine Steigerung in der schamlosen Art, wie diese Leute raubten und mordeten, und Volksurteile" herbeiführten, nun nicht möglich sei. Ohne Verhör, ohne Gerichtsverfahren, auf die einfache Denunziation hin, wurden hunderte von Unschuldigen hin gemordet, erhängt, verstümmelt, in die Donau   oder in den schönen-jekt ganz verödeten Plattensee   geworfen. Der damalige Oberfommandant der Armee, Admiral v. Horthy  , der Reichsverweser Ungarns  , nahm an den ruhmreichen Ereignissen dieser Wochen hinlänglich Anteil: Eines Tages besputte er z. B. die vor ihm liegenden Opfer des, christ­lichen" Kurses mit ech soldatischer Todesverachtung.

Nach Abzug der Rumänen aus Budapest   wurde die Haupttätigkeit der konstruktiven" Elemente nach dort vers legt. Klerus, Beamte, Offiziere, ehemalige rote Soldaten der Brachialgewalt, der Verein der erwachenden Magyaren, der Offiziersverein( Move) und zahlreiche andere offené wie geheime Formationen, Vereine, die Partei der Christ. lich- Sozialen, fie alle waren einig, taten sich zusammen, um die letzten Reste der bolschewistisch- jüdischen Seuche" zu vertilgen. Tausende von Opfern beflagen den weißen Schreden und klagen die westlichen Kulturnationen an. Viele Hunderte sind nunmehr nur stumme Ankläger der magyarischen Banditenwirtschaft.

Es ist hier nicht möglich, alle Fälle von Gefezwidrigkeiten, Ausschreitungen, Ermordungen und Grausamkeiten anzu­führen. Das ganze System ift grauenvoll, perlogen, entsetz­lich; es bedeutet eine Schande für die ganze Menschheit. Richt

immer mehr net blieb vor dem Hauſe fiehen. Schule puchen Polen sabotiert die Verhandlungen ist der weiße Terror, sondern staatlich organisierter

Schüsse wurden

TU. London, 19. August.

Renter meldet: Die drahtlose Verbindung zwischen Warschau   und winst ist unterbrochen, was die Polen  auf atmosphärische Störungen zurückzuführen vers fuchen. Bon fachverständiger englischer Seite wird die Möglichkeit folcher Störungen jeho bestritten.

gewechselt. Weitere Trupps plünderten polnische Geschäfte, unter anderem das Kaffee Saus Rheingold", das gleichfalls einem Polen   gehört. Die französischen   Be= jagungstruppen ließen sich nicht sehen. Die Bejahung und die Offiziere der interalliierten Kommission haben gegen Abend das Gebäude fluchtartig verlassen und alles stehen und liegen laffen. Die Franzosen zogen singend ab. Sie wurden von der Masse, die sie begleitete, übertönt mit dem Liede Siegreich wollen wir Frankreich   schlagen". Das französische   Militär hat sich in die Kasernen zurückgezogen und verbarritadiert. Gegenwärtig, um Mitternacht, ist die Stadt ruhig. Größere Ansammlungen jin­den noch statt. Irgend welche Attionen sind nicht zu erwarten. Heranziehenden polnischen Stoktrupps aus Begutschüz wurden von Ratiowi bie Sicherheitspolizei enigegengeschidt, be- Front lassen die Brust der polnischen Imperialisten wieder gleitet von bewaffneten Zivilisten, die sie auffangen soll. Es liegen Anzeichen vor, daß seitens der Bolen eine Gegenattion im Gange ist, die weitere oberschlesische Städte in Mitleidenschaft ziehen würde.

Der polnische Kampfbericht

Kopenhagen  , 19. Auguft. Nach einem Telegramm aus Warschau   meldet der polnische Heeresbericht: Die von General Sitorsti mit großen Schwierig­feiten eröffnete Gegenoffensive an der Nordfront verläuft an­dauernd sehr günstig. Der Feind, der an diesem Abschnitt zehn Divisionen eingelegt hatte, ging auf der ganzen Linie zuriid. Stellenweise ist sein Rückzug fluchtartig. Unsere Flieger bombar­

Die Teilerfolge der Gegenoffensive haben die polnische Re­gierung anscheinend ermuntert die Verhandlungen in Minst zu verschleppen, wie sie es bereits schon mit den Verhand: lungen in Baranowitschi   getan hat. Die Erfolge an der

höher schwellen. Sollte die Regierung bei ihrer Verschlep pungstaftif bleiben, dann würde sie damit nur zeigen, daß fie den Frieden nicht ehrlich will. Sie wird dann aber auch bie Verantwortung für die weiteren Geschehnisse voll zu tragen haben.

Der Bündnisring um Ungarn  

TU. Wien, 19. August.

Der Minister des Aeußern der tschechoslowakischen Republik   Dr. Benesch, wird auf seiner Rückreise mit den Wiener   politischen Kreisen Fühlung nehmen, um Desterreich in die gegen Ungarn  gerichtete Rouvention Rumäniens  , Südstawiens und der Tscheches Slowakei   einzubeziehen.

Sa ß, offiziell unterstützte Verfolgung Andersgläubiger und Andersdenfender wie Gläubiger und Denkender über­haupt­haupt um fich ihrer rasch zu entledigen. Wo die Gerichte. nach einem sogenannten beschleunigtem Verfahren jede Mög­lichkeit einer wirklichen und wirksamen Verteidigung nehmen, Anklagen fonstruieren und Urteile fällen, deren Unerhört heit nur durch ihre Begründung übertroffen wird, wo die Internierungslager von Taufenden von Männern, Frauen, Jugendlichen gefüllt, die seit Monaten ohne Verhör, burd) Mißhandlungen, Hunger, Schmutz dem sicheren Verderben entgegengehen, wo Entführung und Ermordung von Untersuchungsgefangenen dutch Offiziere auf der Tages­ordnung stehen, wo Arbeiter und Juden jeden Tag, jede Nacht Bogromen entgegenzittern müssen, wo die Prügelstrafe. wieder eingeführt wird, wo Schulen in Gefängnisse um gewandelt werden, da die vorhandenen zur Unterbringung der Gefangenen nicht mehr ausreichen, wo die besten Lehrer der Hochschulen( Alexander, Pickler, Groß, Jászi, Marcali, Goldzieher und viele andere) verjagt sind, wo alles zum finstersten Mittelalter hindrängt, fann niemand seines Lebens, feiner Eristenz des nächsten Tages, ja des nächsten Augenblickes sicher sein.

Die weißen Banditen halten die ganze Bevölkerung unter Atem. Ungefühnt sind alle Schändlichkeiten des weißen Kur­fes, ungejühnt noch immer Somogyi, Basco, Miller und die vielen andern namenlosen Opfer der greulichen