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Dienstag, den 24. August 1920
Nummer 347
Abend- Ausgabe
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greiheit
der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands
Neue Gefahr für Sowjet- Rußland
Ein Ultimatum der Entente?
Ueber die Verhandlungen in Luzern veröffentlicht die " Times", die allerdings stets die französische Angriffspolitit befürwortet hat, einen ausführlichen Bericht, der allerdings einige Uebertreibungen enthalten mag, aber doch den Ernst der Situation deutlich erkennen läßt. Wir entnehmen ihm folgende Details:
Die veränderten Bedingungen der Räteregierung für Polen haben eine plögliche und dramatische Wendung in die europäische Lage gebracht. Lloyd George und Giolitti haben gemeinsam beschlossen, die russische Regierung nicht anzuerkennen und ebensowenig mit ihr zu unterhandeln. Auch haben sie Miller and ein gemeinschaftliches Vorgehen vorgeschlagen, um für Bolen alle Rechte auf Grund des Versailler Vertrages zu erzwingen. Der offizielle Bericht, der gestern abend gleichzeitig in Paris , London und Rom deröffentlicht wurde, besagt, daß Frankreich nicht zu denken • brauche, daß die Uebereinstimmung hinsichtlich der polnischen Frage verloren gehen würde. Giolitti habe erklärt, daß bei allen Alliierten völlige Uebereinstimmung bestehe. Lloyd George fam erst gestern morgen in den Besitz der offiziellen Erklärung, nach ber die Räteregierung ihre Vorschläge wechselt und hierdurch eine Aenderung der ganzen Lage veranlaßt. Es besteht fein Zweifel, daß, wenn die bolschewistischen Bedingungen, die der britischen Regierung ursprünglich mitgeteilt wurden, angenommen worden wären, die Anerkennung ber Räteregierung nur noch eine Frage von Wochen, vielleicht nur von Tagen gewesen wäre. Die plöglich zutage getretene Abficht der Bolschewisten, ein sogenanntes Arbeiterheer aufzustellen, hat Lloyd George aufs höchste verstimmt. Gestern mittag hat er erklärt, daß durch die russischen Bedingungen die Freiheit Polens vernichtet würde. Lloyd George gab sich nach der Konferenz mit Giolitti teine Mühe, seine Empfindungen zu verbergen. Wahrscheinlich fühlte er, daß man ihn hintergangen hat und daß alle seine Bestrebungen, die Handelsbeziehungen mit Rußland wieder herzustellen und dem Osten den Frieden wiederzugeben, durch die Böswilligkeit der Bolschewisten vereitelt worden find. Nach Mostau ist ein Telegramm gesandt worden, bas im wesentlichen ein Ultimatum darstellt und dessen Beantwortung bis Ende dieser Woche verlangt wird. In diesem Telegramm werden die französischen Bedingungen, die Polens Rechte garantieren, aufrecht erhalten, während zugleich auf die Berwendung von Ententestreitfräften angespielt wird, um Polen zu schützen. Lloyd George hob ausdrücklich hervor, daß seine Weigerung, die Räteregierung an quertennen oder mit ihr zu verhandeln, nichts mit der Tatsache zu tun habe, daß die Räteregierung eine Dittatur des Proletariats ist. Er sagte, daß die Aufrechterhaltung der territorialen Integrität und der Unabhängigfeit Bolens für alle Mächte von großer Bedeutung sei. Die angeblichen Forderungen Sowjetrußlands
SN. Warschau, 24. Auguft.
Der polnische Außenminister erhielt eine Mitteilung aus Minst, in der gejagt wird, daß die Sowjetregierung ben in Condon bekannt gegebenen Bedingungen jetzt neue Forderun en hinzugefügt hat. Die wichtigste davon sei die Bewaffung von 200 000 Arbeitern.
Die Organisation der Roten Armee
2yd, 23. Auguft.( Privattelegramm.)
In Grajewo ist russische Kavallerie, die die Grenze bei Proftten abstreift. Einzelne Mannschaften sind übergetreten und ents waffnet worden. Die Polen dürften heute Grajewo befeßen. Die Sicherheitswehr rüdt aus Lyd zur Grenze. Zwischen der pol nischen Sowjetregierung und den deutschen Grenzstellen waren bereits am 20. August Verhandlungen eingeleitet. Die pol nischen revolutionären Komitees hatten lokale Verhandlungen ursprünglich abgelehnt. Schließlich war für den 21. August eine Konferenz in Prostten zwischen deutschen Vertretern und den Dele gierten ber revolutionären Komitees aus Lomsha vereinbart, die von der Sowjetregierung Marschlewsky in Bialystol bevollmächtigt waren.
Ueber bie Organisation der Roten Armee ist zu bes richten: Rangstufen sind nicht vorhanden, nur Kommandeure für jebe fleinere oder größere Abteilung, die nach Fähigkeit ernannt und bei Versagen sofort beseitigt werden. Die meisten ehemaligen Offiziere find in Kommandeurstellen gerüdt. Die Besoldung eines Korpstommandeurs beträgt 7000 Rubel monatlich. Da in Peters burg ein Pfund Brot 700 Rubel toftet, muß die Familie mit der Truppe mitziehen. Die Folge ist ein unübersehbarer Armeetroß, vergrößert durch Burschenunwesen in weit größerem Umfange als früher. Neben jebem Kommandeur befindet sich ein poli. tischer Kommissar in der fleinsten wie der größten Fors mation, der bei prinzipiellen militärischen Beschlüssen mits bestimmt, im übrigen aber politische Auftlärungs. und Bildungsarbeit leistet. Jebe Truppe befigt angeblich eine Bibliothet, veranstaltet wöchentlich eine Unterhaltung und eine politische Versammlung, ferner Sportübungen. Die Zahl der Analphabeten in der Roten Armee foll von 80 auf 40 Prozent gefunten sein. Diese Angaben der politischen Kommissare find mit großer Vorsicht aufzunehmen. Ich habe sie nicht nachprüfen fönnen. Dagegen haben andere Angaben sich als unzuverlässig erwiesen. Immerhin muß der Geist der Armee als gut bezeichnet werden. Die Begeisterung für das allgemeine große 3iel fann nicht geleugnet werden. Der russische Rückzug.
DA. Lydt, 24. Auguft. Die Kämpfe am Bug nehmen einen immer hartnädigeren Charafter an. Die Ruffen haben, wie mir hier mitgeteilt wird, auch dort große Verstärkungen herangebracht und die Flußlinie von Koden bis nördlich von Brest - Bitowst soll mit allen Mitteln aehalten werden.
An der ostpreußischen Grenze entwickeln fich die Dinge jetzt mit fabelhafter Schnelligkeit. Die Polen haben gestern abend Grajewo mit schwachen Strästen besetzt. Nachdem die Stäbe und die revolutionären Komitees der Rufsen Lomza bereits am Montag früh verlaffen hatten, find die Teile der 4. Armee, die dort noch standen, am Nachmittag des 28. August ebenfuus abges üdt, nicht ohne die Stadt, troz strenger Befehle, an verschiedenen Stellen zu plündern.
Der Stab der 4. russischen Armee ist nach Augustowo verlegt worden, der allgemeine ruffische Rückzug bewegt sich in Richtung auf Grodno . Dort find inzwischen 6 neue russische Reserves divifionen eingetroffen, 2 weitere Divisionen find im Anmarsch anf Bialystod. Es ist nicht wahr, daß die Ruffen panit artig flüchten, sie sind von ben achtwöchentlichen Märschen und Kämpfen start erschöpft, aber in Ordnung zurück und ihr
Beginn der Verhandlungen in Minsk führen the geſamtes Striegsmaterial mit fich.
Aus Minst ist über Mostau hier ein Funkspruch eingetroffen, demzufolge die sowjetistische Abordnung bei der Prüfung der Bolls machten Schwierigkeiten gemacht, schließlich aber doch die Vers handlungen begonnen hat. Die von den bolschewistischen Vers tretern gestellten Bedingungen, die allein aus der Mostauer Presse bekannt geworden sind, find in gewissen Buntten härter, als die, welche durch Kamenem der englischen Regierung mits geteilt worden sind. Die Bedingungen werden natürlich von der polnischen Regierung nicht angenommen werden.
Die polnische Abordnung hat den Empfang der Funksprüche, bie die polnische Regierung täglich direkt nach Minst und gleich zeitig über die Vermittlungsstation Moskau dorthin sendet, nicht bestätigt; man muß daher annehmen, daß die Funkverbindung Warschau - Minst auf Schwierigkeiten stößt, obwohl die Sowjetregierung freie Berbindung zugesichert hat.
Man darf die Erfolge der Polen unter teinen Um= ständen überschäßen, fte hatten eine zwar siegreiche, aber zu Tode erschöpfte Armee vor sich. Sobald die Reserven die zurückflutenden Truppen aufgenommen haben werden, dürften auch die Ruffen wieder zum Stehen kommen und man darf schon in den nächsten Wochen eine neue russische Offenfive erwarten, da scheinbar das russische Menschenmaterial unerschöpflich ist. Auch fehlt es nicht an Kriegsmaterial, nur Munition scheint wentg vor handen zu fein.
Die zurückgehenden Truppenteile haben zum Teil nicht einen Schuß Munition mehr und find schon aus diesem Grunde gezwungen, zurückzugehen. Die müden Truppen find lampfunluftig, aber von einer gebrückten oder hoffaungslosen Stimmung ist nichts zu meifen. Beim Stabe der 4. russische Armee ist über den Verlauf der Berhandlungen in Minst nichts bekannt.
Eine amerikanische Warnung Washington , 23. August.( Reuser.) Die Regierung der Bereinigten Staaten hat Polen schan informell Borstellungen gemacht, in denen Polen davor gewarnt wird, seinen Heeren zu gestatten, bei der Gegenoffensive die Grenze des ethnographischen Bolens zu überschreiten.
In der Nacht zum 21. um 2 Uhr wurde an Moskau folgender durch Vermittlung des amerikanischen Geschäftsträgers in Wars
Funkspruch gesandt:
Jah bestätige den Empfang ihres Funkspruches vom 19. d. M., worin freie Verbindung mit unserer Abordnung versprochen wird, sowie Uebermittelung der Funsprüche unserer Abordnung durch Moskau . Ich stelle fest, daß der Funkspruch unserer Abs ordnung, den Moskau übermittelte, die Nr. 2 trägt, wonach die Nr. 1 also nicht übermittelt worden ist. Die direkte Funkverbin dung mit Minst ist dauernd gestört. Da ich an die.lonale Aus führung Ihres gegebenen Versprechens glaube, bitte ich Sie, die nötigen Maßnahmen zu treffen, um eine freie Berbindung zu ge währleisten, ohne die unsere Abordnung teinen schnellen Waffenstillstand abschließen tanr. gez. Sapieha .
Der deutsche Ernährungsminister
Der deutsche Minister Hermes und seine Sachverständigen find in London eingetroffen, um mit dem britischen Ernährungsminister über die Ausführung des Abkommens von Spaa zu fonferieren,
Friedensverhandlungen
England und Jtalien gegen die russischen Friedensbedingungen
Die Menderung der militärischen Lage hat zum Etoden der Friedensverhandlungen zwischen Polen und Rußland geführt. Die Polen erklären die russischen Friedens bedingungen für un annehmbar. Insbesondere lehnen fie es ab, einer Entwaffnung zuzustimmen und in die Be waffnung der polnischen Arbeiterschaft einzuwilligen. Noch wichtiger aber als die Stellungnahme der Polen selbst ist die Haltung, die die Entente in der Friedensfrage eins nimmt.
Wie bekannt, haben in den letzten Tagen Besprechungen zwischen dem italienischen und dem englischen Minister präsidenten stattgefunden, deren Hauptgegenstand die russischpolnische Frage gebildet haben. Das Ergebnis ist in folgen. der Mitteilung enthalten:
Der Meinungsaustausch zwischen Giolitti und Lloyd George hat ihre vollständige Uebereinstimmung über die vitale Notwendigkeit der Wiederherstellung des Friedens in der ganzen Welt für einen möglichst frühen Zeitpunkt dargetan. Die erste Garantie für einen folchen Frieden findet sich in den verschiedenen bereits unter zeichneten Friedensverträgen und in der Art und Weise, wie diese Berträge ausgeführt werden. Angesichts dieser Auffassung hoffen und vertrauen die beiden Regierungen darauf, daß das gute Einvernehmen, das in Spa a erzielt wurde, hinsichtlich der Methode der Ausführung des Versailler Vertrages sich weiter entwideln werde, so daß diese Methode alle noch ausstehenden Fragen um fassen werde, und daß das hoffnungsvolle Experiment, das dort versucht wurde, gerechtfertigt werde durch die getreue Aus führung des dort geschlossenen Uebereinkommens seitens aller Parteien.
Bevor der Friede wiederhergestellt ist, bleibt jedoch noch eine Reihe von bedeutenden Fragen zu erledigen, deren Mehrheit mit dem Verlauf von Ereignissen, wie sie jetzt auf dem Gebiet des ehemaligen russischen Reichs sich abspielen, unzertrennlich ver bunden ist. Bevor nicht der Friede zwischen Ruß land und der übrigen Welt wiederhergestellt ist, wird immer eine Atmosphäre von Störungen der Ruhe die Welt weiter bedrohen. Aus diesem Grunde haben die britische und die italienische Regierung Schritte unters nommen, selbst auf die Gefahr hin, falsch verstanden zu werden, um eine Verbindung zwischen Rußland und der übrigen Welt herzustellen. Es ist deshalb tief zu be dauern, daß sie soeben hören, daß die Sowjetregierung trog wiederholter gegenteiliger Versicherungen, welche in ihrem Namen durch ihre Vertreter in London abgegeben wurden, getrachtet hat, Polen Bedingungen aufzu= zwingen, die nicht vereinbar sind mit dessen nationaler Unabhängigkeit. Die Regierung von Bolen ist aus der Wahl der ganzen männlichen Bevölkerung des Landes ohne Unterschied der Klasse hervorgegangen, und die sogenannte Bürgerarmee, welche nur aus einer Klasse herausgezogen werden soll, wie es der vierte Punkt der Bedingungen der Sowjetregierung verlangt, ist nur eine indirekte Methode, um eine Ges waltorganisation zu schaffen, welche durch Vergewaltigung die demokratische Verfassung über den Haufen werfen und diese Verfassung ersehen soll durch den Despotismus einiger weniger, welche die Jdeen des Bolschewismus in sich aufnahmen. Wir können nicht umhin, zu befürchten, daß, wenn die detaillier3usammenlegung ten Bedingungen über die dieser Armee, welche vorläufig verheimlicht werden, bis Polen seine Armee demobilisiert hat, bekanntgegeben werden, man finden wird, daß sie nach dem Vorbild der russis schen roten Armee tonstruiert ist.
Von einer Nation zu verlangen, daß fie als Friedensbedingung eine Armee organisiert zum Schutz von Leben und Ordnung, in der nur eine Klasse von Bürgern mit Ausschluß aller anderen ist, ift ein Eingriff in die Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstachtung dieses Landes. Daß man eine solche Bedingung nachträglich trotz der Versicherungen des Herrn Ka menew an die britische Regierung, daß nichts ausgelassen ist, was nicht von nebensächlicher Natur sei, bei der Aufstellung der Bedingungen hinzugefügt hat, ist ein grober Vertrauensbruch, und Verhandlungen irgendwelcher Art mit einer Regierung, welche ihr Wort so leicht nimmt, werden schwer, wenn nicht unmöglich. Die Sowjetregierung hat einen Vorschlag der britischen Regierung zu rüdgewiesen, einen Waffenstillstand unter Bedingungen abzuschließen, welche das russische Gebiet gegen jeden Angriff ficer gestellt hätte. Rußland wird seinen Vormarsch nach dem ethnographischen Bolen mit der Absicht fortsetzen, dieses Land durch Waffengewalt für die Sowjetinstitution zu erobern. So wird es teiner freien Regierung möglich sein, die Oligarchie der Sowjets anzuerkennen oder mit ihnen zu verhandeln. Die Welt im Osten und im Westen schreit nach Frieden, aber der Friebe ist nur möglich auf der Basis der vollkommenen Ans ertennung der Freiheit der Nationen,