Einzelpreis 20 Pfg. 3. Jahrgang Donnerstag, den 26. August 1920 Nummer 351
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Eine neue Note Tschitscherins
HN. London , 26. Auguft. Tihitsherin sandte an Kamenew eine neue Note, in der et zunächst das englische tapitalistische System scharf kritisiert und bas russische Räte in item verteidigt. Den Vorwurf, daß in Rußland die Oligarchie herrsche, weißt er zurüd und behauptet, daß in Rußland eine Räteregierung nur unter der vollkommenen Mitwirkung aller Schichten des Volkes möglich sei. Während in England das Bolt nur alle fünf oder noch mehr Jahre einmal zur Beteiligung an der Zusammensetzung des Parlaments berufen werde, übe das russische Bolt täglich und stündlich seinen Einfluß auf den Gang der Regierungsgeschäfte aus.
chitscherin weist ferner auf die Berteilung der Einkommen und Der Bermögen in England hin und führt englische Statistiken hierzu an. Dann erklärt er, daß die Sowjetregierung, gerade weil sie eine Bolfsregierung sei, friedlicbend wäre und feineswegs Eroberungen machen wolle. Diese Friedsamkeit trage einen anderen Charakter als die der kapitalistischen Völker, die nur den Frieden wünschten, nachdem sie die Reichtümer der besiegten Gegner geraubt hätten. Gin Friede, der die Sicherung derartiger Errungenfchaften bezwede, lagt Tschitscherin , kann niemals dauerhaft sein, während der Friede einer Arbeiter- und Banernregierung, der auf dem Verzicht der Ausbeutung der anderen und auf der Beteiligung der arbeitenden Massen aller Völker basiert, der einzige echte und dauerhafte Fries ben ist. Die Sowjetregierung wünscht auf die Bedingung im Entwurf zum polnischen Friedensvertrag, die die Schaffung eines polnischen Arbeiterbeeres forderte und eine Meinungsverschiedenheit mit Italien und England hervorgerufen hat, zr berzichten. Sie hofft, hierdurch die vollkommene Uebereinstimmung, die vor dem Meinungsunterschied bestanden hat, wieder ins Leben zurüdgerufen zu haben.
Krassins Abreisegründe
HN. London, 26. Auguft. Krassin und Ramenem erklärten neuerlich, daß die Lage, bie durch die Balfournote geschaffen wurde, ihre Abreise aus London veranlasse. Ste behaupten, die britische Regierung babe infolge der polnischen Siege ihre Politit geändert und sich der französischen Haltung genähert. Demgegenüber wird britischerseits erklärt, daß England lebiglich die Frage stellte, ob die ursprünglichen russischen Friedens. bedingungen, die Lloyd George mitteilte, auch noch jezt die Grundlagen eines Friedens bilden sollten oder ob neue Forderungen inzwischen hinzugefügt worden seien. Die ruffischen Vertreter hätten in Beantwortung dieser Frage erklärt, daß ihre gute Treue und bie gute Trene ihrer Regierung grundlos in Abrede gestellt worden seien. Es sei daher zwedlos, noch länger in London zu bleiben.
Der diplomatische Mitarbeiter des Evening Standard" stellt feft, bie Sowjetregierung habe sich auf ihre Forderung nach einem Arbetterbeer noch nicht festgelegt. Diese Bedingung sei lediglich im Probeentwurf aufgestellt. Er behauptet, es lägen Anzeichen dafür bor, daß die Sowjetregierung zu dem größten Entgegen. tommen bereit sei. Außerdem werde russischerseits keine wichtige Beschwerde gegen eine Verlegung der Unterhandlungen nach Warschau
erhoben werden.
Kretinismus
Eine Erklärung des Allgemeinen Eisenbahner
verbandes
Die Absicht der gelben Eisenbahnerorganisationen, die Bontottaktion der deutschen Arbeiterschaft gegen Polen zu durch= treuzen, tritt nun ganz offen zutage. Der Allgemeine Eisenbahnerverband macht sich zum Wortführer dieser Richtung und ihrer Abfichten. Nachdem wir erst gestern gezwungen waren, den Kretinismus zu fennzeichnen, der aus der Auffassung zu erkennen ist, als sei die Bewegung eine Dienstangelegen heit der Eisenbahner, versendet nun der Allgemeine Eisenbahnerverband eine Erklärung an die Presse, in der er wiederum unter Berufung auf diese seltsame Idee- offen zum Solidaritätsbruch herausfordert. der reaktionären Presse abgelauschte Redensart, es sei gesetz- und verfassungswidrig, wenn außerhalb des Eisenbahnbetriebes stehende und parteipolitisch einseitig orientierte Kreise" die Gelegenheit des Bontotts benutzen wollen, um mit Silfe eines Bruchteils politisch gleichgesinnter Eisenbahnbediensteter in den inneren Eisenbahnbetrieb hineinzureden". Was den Bruchteil betrifft, so geben sich hier die Leute des Herrn Riedel als recht mäßige Rechner zu erkennen. Damit indes niemand ihrem Täuschungsversuch zum Opfer fällt, möchten wir betonen, daß sich der verschwindende Bruchteil auf ihrer Seite befindet. Aber dann fährt die Erklärung fort:
Ebensowenig wie die Eisenbahner den Bergleuten oder den Metallarbeitern Vorschriften in ihren beruflichen Angelegenheiten machen dürfen, müssen es sich die Eisenbahner verbitten, daß außenstehende Kreise zu rein parteipolitischen 3weden in die dienstlichen Angelegenheiten der Eisenbahner hineinreden oder ihnen gar dienstliche Weisungen erteilen."
Sier spiegelt sich deutlich der dienstliche Kretinismus, von dem wir oben sprachen, wider, und wir müßten das gestern Gesagte wiederholen, um diesen Unsinn zu widerlegen. Bei der notorischen Berstopfung der Gehör- und Verstandesorgane der Leute des Allgemeinen Eisenbahnerverbandes hat das indes wenig Sinn. Dagegen lohnt es sich, folgenden Abschnitt der Erklärung mitzuteilen: " Den Eisenbahnern sei bekanntgegeben, daß der Aufruf der gemeinsam von den freien Gewerkschaften und den sozialisti schen Parteien erlassen worden ist, zu Unrecht die Unterschrift
Bondon, 26. August.
„ Times" erfährt, daß der Bericht, wonach Kamenew und Krassin ihre Pisse verlangt hätten, unrichtig sei. Wie vers lautet, erwarten beide Sowjetdelegierten, daß spätestens bis
morgen eine befriedigende Antwort auf die Note Balfours ein
treffen werde.
.Manchester Guardian" glaubt zu wissen, daß die Unterhandlungen in Luzern die Grundlage für ein engeres Zusammengehen zwischen England und Italien gebracht haben. Giolitti war immer für ein solches Busammengehen, und seine angeblich deutschfreundliche Gesinnung war tatsächlich nur pro italienisch. wünschte eine Anerkennung der Sowjetregierung, weil eben die Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen zwischen Italien und Rußland in Italiens Interesse liegt.
Der russische Rückzug
TU. London, 26. Auguft. Ramenew hat eine Anzahl Telegramme von Tsch itscherin erhalten, in denen dieser u. a. erklärt, daß die polnischen und frans zösischen drahtlosen Berichte falsch seien. Die russischen Streitkräfte feien intatt. 3war seien während des Rüdzuges Gefangene gemacht worden, doch war dies unvermeidlich, und ihre Anzahl war nicht groß. Der russische Vormarsch erfolgte mit einer Schnelligkeit, wie sie in der Geschichte ohne gleichem ist. Das durch wurden die Flanken nur ungenügend geschüßt. Eine Flantenbewegung der Polen zwang die Armee zum Rückzug. Dieser erfolgte in vollster Ordnung. Die russische ukrainische Armee jei zu einem neuen Vormarsch bereit, sobald die Umstände diesen erlauben. Die polnischen drahtlosen Berichte über einen groken Sieg jeien Phantasiegebilde.
Zurückeroberung Grodnos
Paris, 25. Auguft.
Der„ Matin erfährt aus Warschau , daß Abteilungen der zweiten polnischen Gardedivision Grodno eingenommen
haben.
Mit der Veröffentlichung dieses Artikels eröff nen wir die Diskussion über die Frage der 3. Internationale. Bei der Bedeutung der Frage ist es selbstverständlich, daß diese Distussion in voller Freiheit und größter Gründlichkeit in den Or ganiſationen und in der Parteipresse geführt wird. Wir selbst werden dafür Sorge tragen, daß alle Rich tungen der Partei zur Vertretung ihres Standpunktes in der Freiheit" zu Worte fommen. Ebenso werden wir fortlaufend über die Stellungnahme der Organisationen und der Parteipresse die Genossen informieren.
Die Beauftragten der Partei, die nach Rußland gereift waren, um dort über den Eintritt der U. S. P. D. in die Kommunistische Internationale zu verhandeln, sind wieder auf deutschen Boden angelangt. Sie haben in Moskau an den Verhandlungen des 2. Kongresses mit beratender Stimme teilgenommen, sie haben darüber hinaus noch be sondere Besprechungen mit dem Exekutiv- Komitee der 3. Jn ternationale gehabt. Der Anschluß unsrer Partei ist natür lich noch nicht vollzogen, fonnte auch nicht vollzogen werden. Denn die in Leipzig angenommene Kompromiß- Resolution gab der Delegation nicht die Vollmacht, den Anschluß zu vollziehen. Die Entscheidung über den Eintritt der U. S. P. D. in die Kommunistische Internationale liegt jetzt bei den Drganisationen unfrer Partei; endgültig den Anschluß vollziehen oder ablehnen muß dann der Parteitag, der in einigen Monaten stattfinden wird.
Bis dahin müssen die Bedingungen, Forderungen und Leitsäge, die der 2. Moskauer Kongreß für die wichtigsten Gebiete des politischen und wirtschaftlichen Lebens aufgestellt hat, in den Reihen unsrer Parteigenossen gründlichst studiert und, nicht allein in der Presse, sondern vor allem in den Parteiversammlungen durchgesprochen werden. Die Parteis presse hat die Pflicht, die Leitsätze so schnell als möglich zur Kenntnis ihrer Leser zu bringen.
Aber eins muß von vornherein betont werden: Es handelt fich beim Anschluß unsrer Partei nicht um eine formale Beitrittserklärung, nicht um ein theoretisches oder platonisches Bekenntnis zu den Jdeen der 3. Internationale, sondern der Eintritt in die Kommunistische Internationale sezt voraus den festen und ehrlichen Willen, deren Forderungen auf
Aufruf der russischen Gewerkschaften allen Kampffeldern, in der Partei, in der Gewerkschaft,
TU. Paris, 26. Auguft.
Der Gewerkschaftsrat für ganz Rußland fordert in einem draht losen Telegramm alle Arbeiterorganisationen der Welt auf, alles zu tun, was in ihren Kräften steht, um den Feinden des Rätes systems Widerstand zu leisten. Ce wendet sich vor allem in einem Aufruf an die Kojaten des Kubangebietes.
bes Hauptbetriebsrates der Eisenbahner trägt. Der Hauptbetriebsrat hat sich mit dieser Frage überhaupt noch nicht beschäftigt. Wenn sein Borsigender dieses Amt in jenem Sinne parteipolitisch mißbraucht hat, so find von dem unserem Verbande angehörenden Mitgliedern des Hauptbetriebsrates bie notwendigen Schritte beswegen worden. Unsere Mitglieder haben sich keinerlei Weisungen von inzwischen eingeleitet anderen Stellen erteilen zu lassen. Für sie gelten die Bestimmungen unserer eigenen Organisation.
Das ist die offene Aufforderung zum Bruch der Solidarität. Es ist ferner die Drohung mit den not
wendigen Schritten" gegen den Vorsitzenden des Hauptbetriebsrates. Es braucht nicht erläutert zu werden, daß die hier angedeuteten Schritte nur mit Unterstüßung der Behörden getan werden können. Der Allgemeine Eisenbahnerverband plant also nichts Geringeres, als eine Anzeige an die Behörde, um dieser eine Handhabe zu geben, den Vorsitzenden des Hauptbetriebsrates der Eisenbahner zu beseitigen. Wie ein solches Verhalten Dom Standpunkte der Klassensolidarität der Arbeiterschaft zu werten ist, braucht nicht dargelegt zu werden. Zugleich ist dieser Borfall aber ein wertvolles Merkmal dafür, was bei der gemeinsamen Betriebsrätearbeit mit den Gelben anzufangen ist.
Zum Schluß erhebt der Allgemeine Eisenbahnerverband gegen die Regierung den Vorwurf, daß sie es versäumt habe, flare Richtlinien für die Haltung der Eisenbahner gegenüber den Transporten aufzustellen. Dadurch habe sie den Kreisen das Feld überlassen, die in verfassungs- und gesezwidriger Weise in den Eisenbahnbetrieb eingegriffen haben". Sie habe dadurch die anderen Eisenbahnerorganisationen schußlos dem Terror preisgegeben".
Gegen die Verpflichtung zur Klassensolidarität ruft hier der Allgemeine Eisenbahnerverband den Schutz einer reaktionären R gierung an. Und er bekennt, daß er die Richtlinien für feine Saltung nicht von einem gemeinsamen Handeln mit ben anderen Arbeiterorganisationen, sondern von dem Gebot der gleichen reattionären Regierung erwartet.
Womit wir ihn einstweilen wohl seinem Schiefal überlassen tönnen. Wie wertlos eine Jolche Organisation zur Vertretung von Arbeiter- und Beamteninteressen ist, ist an fünf Fingern abzuzählen. Die Bedeutungslosigkeit dieser Organisation ist indes so groß, daß ihre Quertreibereien dem Kampfe der Arbeiterklase gegen Krieg und Reaktion einen Abbruch tun werden.
im Parlament, in Stadt und Land mit allen Mitteln ener gisch in die Tat umzusetzen. In einer Partei, die Mitglied der Kommunistischen Internationale sein will, ist fein Raum für Leute, die sich an dem Prinzip der formalen Demokratie festklammern, oder für solche, die trotz ihres Lippenbekennt nisses zur Diktatur des Proletariats immer nach Hintertüren suchen, durch die sie ihre opportunistische Rechnungsträgerei einschmuggeln können.
Die 2., in den Augusttagen 1914 jämmerlich zusammengebrochene Internationale, war eine Internationale der Deflamationen und Resolutionen, war eine Internationale, in der die Partei- und Gewerkschaftsführer, die Parlamentarier und Theoretiker das große Wort führten. Die große Masse der Partei- und Gewerkschaftsmitglieder mar persön lich an der Internationale so gut wie gar nicht interessiert. Jm günstigsten Falle las fie die mehr oder weniger gut stilis fierten aber zu nichts verpflichtenden Resolutionen der Kongresse, im Uebrigen aber überließ fie vertrauensselig ihren übergeordneten Instanzen die Sorge um die Beziehungen des internationalen Proletariats. Diese. Vertrauensseligkeit hat sich bitter gerächt. Die Instanzen, die in der 2. Internationale den Ton angaben, haben reblich mit dazu beigetragen, daß das Wort: Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" umgemünzt wurde in den haßerfüllten Ruf:„ Proletarier aller Länder tötet Euch!"
Jetzt ist man drauf und dran, in Genf für den bankrotten den übriggebliebenen Trümmern der verkrachten 2. InterReformsozialismus und seinen demokratischen Fetisch aus nationale einen neuen Tempel zu errichten. Aber die Priester dieses Tempels werden in Wahrheit Schergen der Weltreaktion sein.
Demgegenüber will die 3., die Kommunistische Internation nale teine Internationale der Refolutionen, sondern eine Internationale der revolutionären Tat sein. Sie will nicht dastehen als ein buntfchediges Gebilde von Losen und rein formal zusammengefaßten Parteien, sondern als eine große, internationale Partei mit einheitlichem Puls schlage, einheitlichem Willen, einheitlichem Handeln. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß für die einzelnen Länder blind brauf los schablonisiert werden soll. Wie die Entwicklung der einzelnen Länder, wird auch die revolutionäre Aktion verschieden sein. Aber immer muß als Grundgedanke für die der Kommunistischen Internationale angeschlossenen Parteien gelten: Wie bereite ich auf allen Gebieten des politischen Lebens die Diftatur des Proletariats vor, wie nuße ich alle Waffen des Klassenfampfes aus, wie erhalte ich nach Erringung der politischen Macht die Dittatur des Proletariats aufrecht? Voraussetzungen für den Sieg des internationalen
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HC