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3. Jahrgang

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Dienstag, den 31. Auguft 1920

Nummer 358

Morgen- Ausgabe

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greiheit

Berliner   Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Deutsche Arbeiter in Rußland  

Von Wilhelm Dittmann  

Wer nicht hören will, muß fühlen. Wie oft ist nicht in Deutschland   seit Jahr und Tag gewarnt worden, unter den jezigen Verhältnissen nach Rußland   auszuwandern. Alle folche Warnungen, mochten sie nun ausgehen von irgend­welchen Instanzen oder Organen unserer Partei oder von bem Vertreter der Sowjetregierung in Berlin  , wurden nicht beachtet, oder gar als Zeichen von Rußlandfeindschaft oder Unfähigkeit, das eigene Land zu vertreten, ausgegeben. Jetzt ist der erste Transport deutscher   Arbeiter, die allen War nungen zum Troy nach Rußland   ausgewandert sind, dort eingetroffen und ist nun auf das bitterste enttäuscht über die Verhältnisse, die er in Rußland   vorgefunden hat.

Der Zufall fügte es, daß unsere Delegation nach Mostau auf der Reise von Stettin   nach Reval   denselben Dampfer benutzte wie der Auswanderertransport. Er war ver­anlaßt von der Interessengemeinschaft deutscher   Aus­wanderervereine in Leipzig   und setzte sich zusammen aus Ar beitern aus Leipzig  , Berlin   und Hamburg  . Es handelte sich insgesamt um etwa 70 Familien, die als Ansiedler in die nordrussischen Gouvernements Wologda   und Wjatta wollten, und um rund 120 Industriearbeiter für die Maschinenbau­anstalt in Kolomna   bei Moskau  . Der Transport war sehr überstürzt zusammengestellt worden. Manche der Aus­wanderer erzählten, daß sie ihren Hausrat in ein zwei Tagen hatten losschlagen müssen, um nur noch mitkommen zu tönnen. Die Pässe der Auswanderer waren nur bis Reval   in Ordnung, eine Durchreiseerlaubnis durch Estland  war nicht vorhanden. Als wir nach dreitägiger Seereise in Reval   landeten, bemühten wir Abgeordneten uns deshalb, Don der eftländischen Regierung für die Auswanderer die Durchreiseerlaubnis zu erwirken. Zwei Tage lang ver­handelten wir mit dem Außenminister, dem Innenminister, riefen den Ministerpräsidenten und den Präsidenten der Nationalversammlung   an und erreichten dann schließlich, daß der Transport über Hungerburg- Narwa  , dem estnischen Safenort turz vor der russischen Grenze, Estland   passieren fonnte. Wir selber fuhren von Reval   aus durch Estland  weiter.

Später erfuhren wir in Mostau, daß die für Wologda­Wjatta bestimmten Ansiedlerfamilien vorläufig in Peters­ burg   geblieben seien und daß sie höchstwahrscheinlich nicht in jene nördlichen unwirtlichen Gegenden, sondern wahrschein lich in die Umgegend von Moskau   tommen würden. Von den Jindustriearbeitern hörten wir, daß sie in Kolomna  angefommen feien, daß sich aber sofort Differenzen mit ihnen ergeben hätten. Ein Teil von ihnen weigere sich, zu ar­beiten und wolle zurück nach Deutschland  . Es sei ihnen in Deutschland   alles ganz anders geschildert worden, ihnen sei gesagt worden, daß sie in eine kleine Fabrik für sich fämen, die sie selber verwalten sollten, daß Wohnungen für alle vorhanden seien, daß die Ernährung gut und reichlich sei, vorhanden seien, daß die Ernährung gut und reichlich sei, und jetzt sei nichts von alledem wahr. Von den russischen Arbeitern seien sie sehr unfreundlich empfangen worden. Man habe gefragt, ob sie gekommen seien, den russischen Ar­beitern das letzte Brot wegzuessen, ob sie die Plätze der russischen Arbeiter einnehmen wollten, damit diese in die Schüßengräben gefchidt werden könnten usw. Wegen ihrer Weigerung in der Fabrik, die nach ihrer Meinung völlig verwahrlost sei und in der die Arbeiter selber nichts zu bestimmen hätten, zu arbeiten, seien sie von der Fabrikver: waltung und von einem Vertreter der Sowjetregierung als Ronterrevolutionäre" beschimpft worden.

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Wir hatten ohnehin die Absicht, die Maschinenfabrik in Kolomna   zu besichtigen und wurden durch diese Mitteilungen natürlich in unserm Vorsatz bestärkt. Am Sonnabend, den 7. August, fuhren wir per Auto nach dem 110 Kilometer südöstlich Moskau   am Zusammenfluß der Moskwa   mit der Oka  , die in die Wolga   mündet, gelegenen, ca. 20 000 Ein­wohner zählenden Kolomna  . Bei unserem Rundgang durch die Fabrik, die früher 17 000, jetzt ca. 5000 Arbeiter be­schäftigte, fanden wir bestätigt, daß der Zustand des Be­triebes sehr viel zu wünschen übrig laffe. Arbeitsstücke und Werkzeuge lagen vielfach defekt umher, Maschinen, die still­standen, waren offensichtlich verwahrlost. Die deutschen   Ar­beiter, die in der Fabrit arbeiteten, sagten uns, daß alles furchtbar langsam gehe und schlecht funktioniere. Trogdem Fie unter

den schlechten Ernährungs- und Be= triebsverhältnissen nicht richtig arbeiten fönnten, Schaffe einer Don ihnen ebensoviel als fünf Russen. Die russischen Arbeiter seien teils zwangsweise aus den Dörfern zur Arbeit geholt teils fämen fie freiwillig, um das Anrecht auf einen Pajod" zu bekommen, die Lebensmittelration, die im Betriebe verabfolgt wird. Von Interesse an der Arbeit sei feine Spur bei ihnen, sie suchten die Arbeit im Gegenteil zu sabotieren, ebenso offensichtlich ein Teil der Fabritangestellten. Nach einer halben Stunde stellten sich die russischen Arbeiter hin und drehten sich eine halbe oder auch eine ganze Stunde lang Zigaretten, rauchten und plauderten und fingen dann allmählich wieder zu arbeiten an. So gehe das den ganzen Tag. Es falle ihnen

Der Generalftreit in Württemberg  

( Eigene Drahtmeldung der Freiheit".)

Stuttgart  , 30. Auguft.

Eine Betriebsräte- Vollversammlung faßte heute abend folgen: den Beschluß:

Die Betriebsräteverfammlung erklärt, daß der Streit nicht um den Steuerabzug geht, woraus folgt, daß die Ar­beiterschaft unter dem Zwang der Verhältnisse den Steuerabzug anerkennt. Sie fordert die Regierung auf, nunmehr eine flare Erklärung zu geben, ob sie gewillt ist, in Gemeinschaft mit der Vereinigung württembergischer Arbeitgeber und dem Attions. ausschuß noch heute über die ihr gestern übermittelten Forde­rungen bezüglich der 3 urüdziehung der Truppen, über Einstellung aller Arbeitnehmer, teinerlei Maßregelungen aus Anlaß des Generalstreiks weder jetzt noch in Zukunft, die Zahlung der Lohnausfälle, in Berhandlungen über Borschläge zur Aenderung des Steuergesetzes einzutreten. Die versammelten Betriebsräte erklären, bis zur Erfüllung dieser Grundbedingungen für den Generalstreit und seine Ausbreitung nach wie vor zu wirken.

Die Meldung der Berliner  , Roten Fahne" vom Sonntag, daß das eigentliche Objekt des Kampfes die politischen Ar­beiterräte seien, ist irreführend. Der Kommunist Rüd hat heute in einer öffentlichen Versammlung eine diesbezügliche Erklärung abgegeben und die Meldung der Roten Fahne" dess avouiert.

Die Beteiligung des gesamten Eisenbahnerpersonals steht für

Damit treibt die Regierung ihr Doppelspiel weiter. Sie weiß, daß der Kampf in erster Linie um die Wiedereinstellung der ents laffenen Arbeiter geht. Nachdem sie sich zum Anwalt der Groß­industriellen gemacht hat, versucht sie jetzt, die Arbeiter der Will­für ihrer Auftraggeber auszuliefern.

scheinen nicht, der Aktionsausschuß der Betriebsräte gibt ein Mit­In Stuttgart   ruht alle Arbeit. Die Zeitungen ers teilungsblatt heraus. Die Regierung versucht die Herausgabe eines jogenannten Einheitsblattes, das den Regierungsinteressen dienen foll. Das Verkehrswesen und die Straßenbahnen liegen still, Gasts häuser und Schankwirtschaften sowie sämtliche Rinos und große Warenhäuser find geschlossen, die öffentlichen Gebäude durch Res gierungstruppen besetzt. Die technische Nothilfe hält seit heute vormittag die Stromversorgung aufrecht. In den größeren Indus  striebezirken des Landes Heilbronn  , Göppingen  , Kreuz lingen, Göttingen  , Viebigheim, Badlang, furz, im ganzen Lande ist die Arbeiterschaft im Ausstand.

Wie die Regierung die Steuern der Besitzenden eintreibt, geht Daraus hervor, daß die Firma Daimler der Stadtgemeinde Stuttgart   seit Jahren 1% Millionen Mark Gemeindesteuern schuldet. So sieht die Steuererefutive gegen die Besigenden aus. Heute nachmittag fam es zwischen Streifenden und der aufge botenen Polizei und Reichswehrtruppen zu einem Zusammenstoß, ber jedoch unblutig verlief. Anführer der Menge war ein Spigel in Matrojenuniform.

morgen zu erwarten. Die Lokomotivführer Stuttgarts   und ein Die amtliche Regierungserklärung

Teil der Werkstättenarbeiter haben sich bereits heute dem Streit

angeschlossen. Gegenwärtig schweben Verhandlungen mit der Re

gierung.

Die Antwort berRegierung vom 30. August lautet: Aus der heutigen Erklärung der Betriebsräteversammlung, daß der Kampf nicht um den Steuerabzug geht und daraus folgert, daß die Ar­beiterschaft unter dem Zwang der Verhältnisse den Steuerabzug anerkennt, fieht die Regierung, daß die Betriebsräteversammlung den bisher von ihr und den Steuer verweigernden Arbeitern angenommenen Standpunkt aufgibt. Die Regierung bemerkt, daß die Anerkennung des Steuerabzuges in einer die bisher Steuerverweigernden Arbeitnehmer verpflichtenden Weise gegen fünftige Berhandlungen erfolgen muß. Die Antwort der Res gierung vom 29. b. M. legt bar, wegen der Uebereinstimmung der Massen der streifenden Arbeiter wird nochmals auf den Weg der Berhandlung mit den Arbeitgebern verwiesen. Die Regierung ist auf Anruf bereit, sich an diesen Verhandlungen zu beteiligen. Sieber, Staatspräsident.

wollten versuchen, auszuhalten. Ein Teil ihrer Kollegen äußerst schwer, unter diesen Umständen zu bleiben, aber sie habe es abgelehnt, zu arbeiten und wolle zurüd. Sehr er­bittert waren sie über die Beauftragten der Interessen­gemeinschaft deutscher   Auswanderervereine, die sie unter gemeinschaft deutscher   Auswanderervereine, falschen Angaben zur Auswanderung bestimmt hätten.

Ueber die Betriebsverhältnisse hörten wir von der Fabrik­leitung, die aus einem Tischler, einem Maler und einem Angestellten bestand, daß der Betriebsrat ein Organ des Metallarbeiterverbandes sei, aus fünf Mitgliedern bestehe und mit der Verwaltung nichts zu tun habe. Er habe für Arbeiterschutz und Arbeitsdisziplin zu sorgen, die nötigen Arbeiter aus den Dörfern heranzuholen und Aufklärung und Agitation im Betriebe zu treiben. Gearbeitet werde von 8 bis 1% Uhr und von 3 bis 5% Uhr. Die deutschen  Arbeiter bekämen größere Rationen als die russischen, und war: 1% Pfund Brot,% Pfund Fleisch und Pfund Hirsegrüße täglich pro Mann, außerdem für alle 120 Mann Sirsegrüße täglich pro Mann, außerdem für alle 120 Mann 16 Pud Grünzeug( Rüben, Wurzeln usw.), Kaffee morgens und abends, Salz, Zuder, Tabat, Seifenpulver. Sie könnten selber kochen und baden. Die Einzelheiten sollten noch näher geregelt werden. Der Grundlohn für Ungelernte betrage 10 Rubel pro Stunde und steige für qualifizierte Arbeiter bis zu 15,75 Rubel; dazu werde vom 1. Juni ab ein 3u­schlag von 50 Prozent gezahlt.

Von einem Abgesandten der Nichtarbeitenden wurden wir zu einer Versammlung dieser Gruppe eingeladen, die in einem größeren Wohnraum, in dem Holzbänke gestellt waren, stattfand. Als Wortführer der Unzufriedenen schil­derte zunächst Genosse Fähnrich- Oberschöne weide die Lage. Er gab an, daß 80 Mann zurüdwollten, 69 seien anwesend, 11 arbeiteten in der Fabrit. Von den Anwesen­den seien 40 Mitglieder der U. S. P. D.  , 13 der K. P. D. und 6 der K. A. P. D., von 10 Parteilosen seien 8 Mitglieder gewerkschaftlicher Organisationen. Sie feien belogen und betrogen worden von den Auswanderungsagenten. Die russische Regierung verweigere jetzt die Rüdreise. Die Le= bensmittelverhältnisse seien so, daß sie nicht leben fönnten. Einige feien schon im Krankenhaus, hätten Blutspuden und

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Stuttgart  , 30. Auguft.

Auf die vom Aktionsausschuß der Streifenden der Regierung mitgeteilten Vorausjegungen zu Berhandlungen hat die Regierung heute vormittag folgende Antwort erteilt:

Die Forderung der bedingungslosen Anerkennung des Steners abzuges vom Lohn wird von der Regierung aufrecht­abzuges und des ungestörten Betriebes der geschlossenen Werke erhalten. Nach der Sicherstellung des Steners wird die Regierung die Polizeiwehr zurückziehen. Die Men­derung des Einkommensteuergejeges ist Sache bes Reiches und des Reichstages. Die württembergische Regierung ist bereit, der Reichsregierung Aenderungsvorschläge 7 u übers mitteln. Das Steuergesch muß restlos durchgeführt werden. Unter Einberufung der beteiligten Parteien wird die Regierung bei der Wiedereinstellung der entlassenen oder streifenden Arbeiter die Streiftage muß die Regierung festhalten. Die bürgerlichen mitwirken. An der Ablehnung der Forderung des Lohnjages für Zeitungen find gestern und heute nicht erschienen. Die Ruhe wurde bisher nicht gestört.

Brot ist schlecht und ungenießbar, es ist voller Hädsel. Die Blut in den Abgängen. Sier müssen wir verhungern. Das Unterkunft ist ebenfalls schlecht. Erst haben wir hier 4 Tage im Bahnwagen liegen müssen ohne Deden, dann hier in den Häusern, in denen wir jetzt zusammengepfercht sind, 8 Tage ohne Stroh. Wir arbeiten, indem wir für die Gemeinde Notstandsarbeiten verrichten. Wir wollen aber zurüd. Man bezeichnet." Als ich gestern versuchte, auf dem Markt einige hat uns als Eindringlinge" und" Konterrevolutionäre  " Nähnadeln zu 1 Rubel das Stüd, die hier sonst 20-50 Rubet tommen, wurde ich verhaftet und erst nach geraumer Zeit toften, zu verkaufen, um Geld für Lebensmittel zu be= wieder freigelassen. Jezt soll ein Protokoll aufgenommen sein, nach dem ich durch Spekulation 120 000 Rubel ver­dient hätte. Hier ist fein Kommunismus, was hier ist, taugt zu nichts."

Jn ähnlicher Weise sprach dann Genosse Grimms Plauen. Er habe Haus und Hof mit Gärtnerei in Deutsch­ land   aufgegeben. Ihm sei gesagt worden, in Rußland  brauche man fein Geld, er sei deshalb mit 8 Pfennigen nach Rußland   gekommen, und nun zeige ich, daß man nirgends mehr Geld brauche als in Rußland  , denn es fehlen selbst die nötigsten Lebensmittel. Brot und Suppe sind nicht zu essen, dazu die heiße Temperatur, das fei nicht zu ertragen. Durch alle Strapazen seien fie fo entträftet, daß sie außerstande feien, produttiv zu arbeiten. Er habe 35 Jahre für den Sozialismus gearbeitet und sei ausgewandert, Rußland   auf­bauen zu helfen und der Weltrevolution zu dienen. Aber der Hunger mache ihm das unmöglich.

Der nächste Redner, Genosse Hartmann Hamburg, wandte sich scharf gegen die Vertreter der Auswanderer= vereine und die Rätezeitung, durch die bei ihnen ganz falsche Vorstellungen über die Verhältnisse in Rußland   ge= wedt worden seien. Wir sollten in die Moskauer   Gegend kommen, in eine Fabrik im Walde, die wir allein über­nehmen sollten. Für unsere Familien würde gesorgt wer­den, bis sie auch hier seien. Die russischen Arbeiter trügen Leberanzüge, die Bourgeois gingen in Lumpen. Jezt ist alles ganz anders. Ich war mit dabei, als wir in Moskau  mit der Regierung verhandelten. Sie wußte nichts von