Nr. 358Beilage zur„Freiheit"Dienstag. 31. August 1920Ein dringender MahnrufBon Paul Schindler.Die wirtschaftlichen und politischen Berhältniss« begegnen heuteviel größerem Interesse in Ardeiterkretsen als vor dem Kriege.Tanz besonders stark pulsiert das geistige Leben bei dem fort-geschrittensten Teil des Proletariats, der organisierten Arbeiter-Ichast. Das Ringen um Beseitigung der kapitalistischen Herrschaft>|t aus dem Kreis der theoretischen Erörterungen herausgewachsenund mehr und mehr versucht das Proletariat unmittel-baren Einfluß auf die Eestaltuug der Dinge zugewinnen.Kein Wunder, daß es in den Zusammenkünften und Bersamm-wngen, in den Betrieben und überall da, wo unter ArbeiternStellung genommen wird zur politischen Situation, lebhafter zu-geht als früher. Daß dabei nicht immer die parlamentarischenFormen Beachtung finden, ist ohne weiteres erklärlich. Ich ge-höre nicht zu denen, die bei jeder Gelegenheit über den gutenTon moralisieren, ich werte diese Erscheinungen als die ganznatürlichen Folgen der Verhältnisse, die auf uns einwirken. Un-bedingt notwendig aber ist, auch Andersdenkende ruhiganzuhören. Dagegen wird viel gesündigt. Eine llnduld-iamkeit macht sich allenthalben bemerkbar, die der Sache nichtdienlich ist. Es gibt sehr viele in unseren Reihen, die immer aufdie Masse als entscheidenden Faktor hinweisen, auf die FührerIchimpfen, aber gleichzeitig sich nicht scheuen, die Meinung andererzu unterbinden, wenn sie nicht mit ihr übereinstimmen, und dengewöhnlichen Genossen es oft unmöglich machen, ihren Stand-Punkt zu vertreten. Spricht aber ein bekannter Führer, dannsind dieselben Genossen die duldsamsten Zuhörer.Der Autoritätsglaube ist bei uns selbst leider noch sehr starkvertreten. Ich erinnere mich da der letzten Rede, die ich vonAugust Bebel hörte: Anläßlich seines 70. Geburtstage» hattensich die Eroß-Berliner Parteifunktionäre zu einer Feier in derNeuen Welt versammelt. Bebel dankte in seiner Red« für alleLiebe und Verehrung, die man ihm erzeigte, wehrte aber mit allerEntschiedenheit ab, daß er etwa alle Erfolge als sein Verdienstin Anspruch nehmen solle und wandte sich mit aller Schärfe gegenden Autoritätsglauben. Er mahnte zum eigenen Denken. Jedereinzelne solle unabläßlich bemüht sein, ein Apostel des Eozialis-mus zu werden.Den Glauben durch Wissen zu ersetzen, mutz auch heute nachwie vor unsere vornehmste Aufgabe sein. Alle Parteimitgliedersollten daran arbeiten, um so selbst die Möglichkeit zu erlangen,tätigen Anteil an den Diskussionen und Entscheidungen der Parteinehmen zu können.Die Beschlüsse der kommunistischen International«werden in den nächsten Wochen Gegenstand der Diskussion inunseren Reihen sein. Kein Zweifel darüber, daß diese Frage mitaller Gründlichkeit behandelt werden mutz, denn sie berührt dasLeben der Partei und mehr. Da halte ich es für notwendig, gleicham Anfang die Mahnung auszusprechen, die Diskussion sachlich,aber nicht persönlich zu führen. Solang« das Bestrebenobwaltet, der Sache zu nützen, soll jedem weiteste Möglichkeit gegeben werden, frei und ungehindert seine Meinung zu vertreten.auch wenn sie zufällig dem einen oder andern nicht gefällt. DieAuseinandersetzungen in der Partei dürfen aber nicht herabsinkenzum Gezänk und Personenstreit.Parteigenossen! Es darf nicht so weit kommen, daß es zurUnmöglichkeit wird, chrlich und offen feine Anficht zu vertrete«,ohne nicht mit den gehässigsten und persönlichsten Mitteln an-gegriffen und verdächtigt zu werden. Was bedeuten hier Per-Ionen, wo es sich um die wichtigsten Dinge handelt? Wohin solles führen, wenn Parteimitglieder sich hinstellen und andere»er-dächtigen, daß sie nur für ihre eigen« werte Person arbeiten? Esist unerhört, wenn in der Sonntags-Versammlmtg derK. P. D. im Zirkus Busch, in der Bericht erstattet wurde überdie Verhandlungen der Kommunistischen International« inMoskau, ein ll. E. P. D.-Mann namens Stahlberg sich hin-stellt und sagt:„Crispten weint in der Freiheit nichtTränen um die Partei, sondern um seine eigenePerson."Damit erweist man der Sache den allerschlechteste« Dienst.Wenn ich der Ueberzeugung bin, daß meine Partei nicht denrechten Weg wandelt, dann trete ich in ihren eigenen Reihe» aufund kämpfe für mein« Auffassung, stelle mich aber nicht in öffent-licher Versammlung hin. noch ehe meine Partei gesprochen hat,verunglimpfe die eigenen Genossen und ernte damit billige« Bei-fall. Das darf nicht einreißen, sonst wird jede gedeihliche Die-kussion verhindert und vergiftet. Die Dinge sind zu ernst, umso behandelt zu werden. Wer da glaubt, öffentlich austreten zukönnen und zu müssen, soll auch das nötige Verantwortungsgefühlbesitzen. Und«och einmal sei es gesagt, man soll auch etwas vonden Dingen verstehen, über die man sich anmaßt zusprechen. Nicht das Gefühl, der Verstand soll entscheiden!Die Gewerkschaftsbewegung, dieBetriebsräte und die M. Internationale(Schluß.)n.1. Der Wirtschaftekampf des Proletariats für die Erhöhung desArbeitslohns uno die allgemeine Besserung der Lebensbedingun-gen der Arbeitermasss gerät täglich tiefer in eine Sackgasse. Diewirtschaftliche Zerrüttung, die in immer ausgedehnterem Nlaße einLand nach dem anderen ergreift, zeigt sogar den zurückgebliebenenArbeitern, daß es nicht genügt, für die Erhöhung des Arbeits-lohns und für die Verkürzung des Arbeitstages zu kämpfen, daßdie Klasse der Kapitalisten mit jedem Tage weniger imstande ist,die Volkswirtschaft wiederherzustellen und den Arbeitern auch nurdie Lebensbedingungen zu sichern, die sie ihnen vor dem Kriegegab. Aus dieser wachsenden Erkenntnis der Arbeitermassen ent-springt ihr Bestreben, Organijationen zu schassen, die den Kampfzur Rettung der Wirtschaft durch eine Arbeiterkontrolle der Be»triebsräte über die Produktion aufnehmen können. Das Strebennach der Schassung von Betriebsräten, das die Arbeiter ver-schiedener Länder mit jedem Tage mehr erfaßt, nimmt seinenAusgangspunkt von den mannigfaltigsten Ursachen(Kampf gegendie konterrevolutionäre Bureaukratie, Entmutigung nach gcwerk-schaftlichen Niederlagen, Bestrebung zur Schaffung einer alle Ar-beiter umfassenden Organisation), aber es mündet schlietzlich in denKampf um vie Kontrolle der Industrie, die besondere historischeAufgabe der Betriebsräte. Es ist daher ein Fehler, Betriebsrätenur aus solchen Arbeitern organisieren zu wollen, die schon aufvdm Boden der Diktatur des Proletariats stehen. Im Gegenteil,Aufgabe der kommunistischen Partei ist ee, auf Grund der wirt-schaftlichen Zerrüttung alle Nwbeiter zu organisieren und sie zumKampf für die Diktatur des Proletariats zu bringen, vermittesstErweiterung und Vertiefung des ihnen allen verständlichenKampfes für die Arbeiterkontrolle über die Produktion.2. Diese Aufgabe wird die kommunistische Partei lösen können,wenn sie im Kampf der Betriebskomitees in den Massen die Er-kenntms vertieft, daß die planmäßige Wiederherstellung der Wirt-schaft auf der Grundlage der kapitalistischen Eeselsschast, die«ineneue Unterjochung durch den Staat zugunsten der kapitalistischenKlasse bedeuten würde, jetzt unmöglich ist. Eine de« Interessender Arbeitermasse« entsprechende Organisierung der Wirtschaft istnur dann mögllch, wenn der Staat sich in den Händen der Ar-beiterklasse befinden wird, wenn die feste Hand der Arbeiter-diltatur an die Beseitigung des Kapitalismus und an den neuensozialsstischen Aufbau gehen wird.g. Der Kampf der Betriebskomltees gegen den Ka-Fitalismus hat als nächstes allgemeines Ziel die Arbeiter-ontrolle über die Produktion. Die Arbeiter einesjeden Unternehmers, eines jeden Industriezweiges leiden unab-hängig von ihrem Beruf unter der Sabotage der Produktion durchdie Kapitalisten, die es häufig für vorteilhafter erachten, auf dieFortsetzung der Produktion zu verzichten, um die Arbeiter durchHunger zu zwingen, auf die drückendsten Arbeitsbedingungen ein-zugehen, oder um nicht neue Kapitaleinlagen in die ProduktionSx Zeit der allgemeinen Teuerung z« machen. Der Schutz gegenese Sabotage ver Produktion durch die Kapitalisten verknüpftedie Arbeiter unabhängig von ihren politischen Uederzeugungen,und daher sind die von allen Arbeitern des betreffenden Unter-nehmens gewählten Betriebsräte die allerbreitesten Massen-organifatwnen des Proletariats. Aber die Desorganisterung derkapitalistischen Wirtschast ist«in Ergebnis nicht nur des bewußtenWillens der Kapitalisten, sondern in weit höherem Grade einErgebnis des unaufhaltsamen Zerfall« des Kapitalismus. Daherwerden die Betriebsräte in ihrem Kampf gegen die Folgen diesesZerfalls über die Grenzen der Kontrolle auf den einzelnen Betriebhinausgehen müssen, die Betriebsräte der einzelnen Betriebe wer-den bald vor der Frage einer Arbeiterkontrolle überganze Industriezweige«nd über deren Gesamtheit stehen.Da aber auf den Versuch der Arbeiter, die Versorgung ver Fabri-ke« mit Rohstoffen, die Finanzoperationen der Fabrikunternehmerz« kontrollieren, die Bourgeoifie»nd die kapitalistischen Regie-rungen mit den energischste» Matzregel« gegen dt« Arbeiterklasseantworten werden, so führt der Kampf für die Arbeiterkontrolleüber die Produktion zuin Kampf für die Besitzergreifung derMacht durch die Arbeiterklasse.�!•. Die Agitation für die BetriebsrLt« mutz fo geführt werden,daß ,m Bewutztfetn der breitesten Volksmassen, auch wenn st- nicht,'1� ,. Fabrikproletariat gehören, die Ueberzeugung Wurzelfaßt, daß die Schuld an der Zerrüttung bei der Bourgeoisie liegt,.....'||' täm Parole der Aibeiter-_____________ PL die Organisierung der�_ sseitigung der Spekulation, ose Desorgani--rung und der Teuerung kämpft. Aufgabe der kommunssHichenParte»«»«st der Kampf für die Kontrolle über die Produttionauf Grund der brennendsten Taaesfrage«, auf Grund des Hetzstoff-maiwels, auf Grund des Berfalls des Transportwesens, durchVerknüpfung der vereinzelten Teile des Proletariats unterein.ander und durch Hinüber, ,i«hrn breiter Kreis« der Kleinbourgeoisieauf ihre Seit«,, der Kl«,nbourgevist«. die mit jedem Tage mehrproletarifiert wird und tatsächlich unerhört unter dem Wirtschaft»lichen Zerfall leidet.5. Die vetrittsrüte können die«ewerksibasten nicht ersetzen.Rur im Prozeß des Kampfes können sie sich über die Rahmen ein-zelner Betriebe und Werkschalten nach Produktionszweigen ver»"einigen,«inen allaemeinen Apparat zur Leitung des ganzenKampfe» schaffen. D« Gewerkschaften sind schon jetzt zentralisierteKampforaanr, obgleich sie nicht fo große Arbeittrmasseu umfassenwie die Betriebskomitees dies tun tonnen, die eine allen Arbeiterndes Unternehmens zugängliche lose Organisation sind. Die Ber-teilung der Aufgaben unter die Betriebskomiteeo und die Eewsrk»fchaften ist«in Ergebnis de» gefchtchtliche« Entwicklung der soziale«Revolution. Die Gewerkschaften organisieren die Ärbcitermassen:für den Kampf auf Grund der Forderungen von Lohnerhöhungund Verkürzung des Arbeitstages in gesamtstaatlichem Maßstab.�Die Betrieöskomitees organisieren sich für die Arbeiterkontrollenüber die Produktion, für den Kampf gegen die wirtschaftliche Zer-'rüttung, umfassen alle Arbeiter der Unternehmen, aber ihr Kampfkann nur allmäblich«inen gesamtstaatlichen Charakter annehmen.'!Rur in dem N!aße, wir die Gewerkschaften die konterrevolutionärenTendenzen ihrer Bureaukratie überwinden, wie sie bewußt zu Or-ganen der Revolution werden, haben die Kommunisten da, Be-streben, die Betriebsräte zu Bettiebsgrappen der Gewerkschaftenzu machen, zu unterstützen. �si. Die Aufgab« des Kommunisten besteht darin, sowohl dke�Gewerkschafien al« auch die Betriebsräte mit dem gleichen Geist'entschlossenen Kampfes, mit Erkenntnis und Verständnis für die sbesten Methoden dieses Kampfes, d. h. mit dem Geist des Kom»-munivmus zu erfüllen. Indem sie diese Aufgabe ausführen,'!müsse» die Kommunisten die Betriebsräte«nd die Gewerkschaften 1tatsächlich der Leitung de» kommunistischen Partei unterordne«!und auf dies« Weis« ein Massenorgan der Proletarier schaffen�!die Basis für eine mächtige zentralisierte Partei de» Proletariats,'die alle Organisationen des proletarischen Kampses umfaßt, sie!alle denselben Weg führt zum Sieg der Arbeiterklasse durch Dil-tatur des Proletariats»um Kommunismus.7. Indem die Kommunisten aus den Gewerkschaften und de«'Betriebsräten mächtig« Waffen der Resolutton bilden, bereitenfie diese Massenorganisationen zu der großen Aufgabe, die ihnennach der Aufrichtung der proletarischen Diktatur zufallen wird, zuder Aufgabe des Hauptelementes der Neuorganisation des Wirt-schaftslevens auf sozialistischer Basis vor. Die Gewerkschaften alsIadustrieverbände ausgebaut, auf die Betriebsräte als ihre Fa-,briksorganifationen gestützt, werden dann die Arbettermassen mitihren Produktionsaufgaben bekannt machen, die erfahrensten Ar-.,beiter zu Leitern der Betriebe ausbilden, sie werden die tech-nifchen Spezialisten unter Kontrolle nehmen und zusammen mit.den Vertretern des Arbeiterstaates die Pläne der sozialistischen �Wirtschaftspolitik entwerfen und durchführeg...lll.Di« Gewerkschaften strebten schon zur Fried enszeft nach i n t er-nationaler Vereinigung, denn die Kapitalisten gripenbei Streik« zur Heranziehung von Arbeitern aus anderen San-der« als Streikbrecher. Aber die Internationale der Eewerk.'fchaften war vor dem Kriege nur von untergeordneter Bedeutun�Sie strebt« die ftnanztelle Unterstützung einer Gewerkschaft durch)die andere, die Organisierung einer sozialen Etatist, t an. nichtaber die Organisierung des gemeinsamen Kampfes, denn die prnvOpportunisten geleiteten Gewerkschaften suchten iedes revolutionäreGefecht von internationalem Umfang zu vermeiden. Die oppor-tunistischen Führer der Gewerkschaften, die wäbrend des Krieges,jeder in feinem Land«, Lakaien der Bourgeoisie waren, streben-,nun die Wiederherstellung der Gewerkschaftemternationale an undversuchen aus ihr ein« Waffe für den Kapitalismus gegen dasProletariat zu mache«.Die schwere StundeA o m a»wen48) Biet»» Pank«Das ist nicht ei« Lied, sondern halb Seufzen, halb Schluch-zen einer gequälten, wahrhaft in der Taiga verirrten Seele.Indem ich zuhöre, denke ich: �Mein Gott, gibt es in dieser Welt ein zweites Volk, dasfähig wäre, solch quälend wehmütige Lieder zu schaffen, dieeine solche llferlostgkeit, eine solche Verzweiflung über dasgraue Erdenleben atmen und die von einer solch brennendenSehnsucht nach traumhaftem Glück erfüllt sind. Ich zweifledaran, da kein Volk ein so schweres Schicksal.... wiedas russische zu trage« hatte, und in den Liedern besingt esja sein Schicksal.Immer von neuem wiederholt Njussia ihr krankhafte» Lied.In meiner Brust schwingen und erzittern neue, mir unbe-kannte Saiten, die mir Tränen entlocken. Ich Grei» binnahe daran, aufzuschreien. Es übersteigt meine Kräfte, längerzuzuhören, ich stehe auf und gehe in das Nebenzimmer zuNjussia. Von hinten trete ich auf sie zu. umarme fie, legedie eine Hand um ihren Hals und streiche mit der anderenüber ihr glatt gekämmtes Haar. Das Seufzerlied bricht ab.„Ach. mein Mädchen, weshalb reißt du mit diesem Liededie Wunden wieder auf?"...Sie schließt die Augen und drückt müde den Kopf an meineBrich. Nach langem Schweigen sagte sie leise:«Es tut wohl, wenn man darin wühlt.... soll es nurschmerzen... man fühlt, wie es nagt und nagt..Sie immerfort liebkosend, denke ich: das ist etwas reinRussisches, die Wunde niemals zunarben zu lassen, sondernfie immer wieder aufzureißen.Ich will diesen Augenblick der plötzlich eingetretenen An-Näherung benutzen, um zu versuchen, den Schmerz ihrerWunden mitzufühlen, sie zu stärken, sie zu stützen.....Ich begreife nicht, Njussia, daß du so finster, so menschen-scheu bist... immer in den Zimmern umherschlenderst?...Noch fester preßt sie sich an meine Brust, und in diesemAugenblick fühle ich die frühere, kleine Njussia, die auf meineKnie gekrochen kam. ihr Köpfchen an meine Brust versteckte.Jetzt weint sie nicht, scheinbar hat sie schon alle Tränen aus-geweint, sondern sie erhebt den Kopf von meiner Brust, lehntsich zurück und flüstert leise, mit Furcht in dep Augep und wder Stimme:fürchte mich„Väterchen, ich fürchteIch bin verblüfft.„Bor wem fürchtest du dich, meine Kleine?"„Dich fürchte ich, Väterchen... deine Augen.». fie findwie die Augen Thristus... Und das Leben fürchte ich auch... weshalb tritt es so drohend heran? Es erorückt michVäterchen, es wird mich zerdrücken!-» fügt sie mit ge-brochener Stimme hinzu.Ich finde keine Worte, und gibt es überhaupt w der WeltWorte, die sie in diesem Augenblicke trösten könnten?»».Ichzweifle daran...Wenn die Jugend ins drohende Antlitz des Todes sieht,wenn ihre Seele vor bisher noch nicht erlebtem, wahn-finnigem Schrecken erstarrt, dann kann man sie nichttrösten... Fast mit Gewalt drücke ich fie von neuem anmeine Brust, damit sie wenigstens den Schlag meines Herzensfüblt, damit fie fühlt, daß nicht sie allein sich quält, verblutet,daß sie nicht ganz einsam ist...Stille ringsum... wir beide fühlen den Schlag de« ver»wundeten Lebens um uns..«Plötzlich fragt fie mich:„Väterchen, ist das Leben immer so schonungslos düsterund unglücklich gewesen?....Ich will nicht lügen:..Immer, mein Mädchen, immer war es ein grauer, sinn-loser Wirrwarr... Immer drehte sich der Mensch ziellos indiesem Ghaos... immer gab es Tränen, Blut... undSeufzen und Schluchzen sind die ewige Musik de» Lebens.Und weißt du, die Menschen haben es selbst geschaffen, daihre Herzen von Bosheit erfüllt find, sie können nicht andersals quälen und sich quälen...Wieder schweigen wir. Sie reißt den Kopf von meinerBrust, finster zieht fie die Brauen und die Etirne zusammen.blickt forschend in mein Geficht und faßt mich mit der rechtenHand bei der Schulter, als fürchtete sie, daß ich vor der Änt-wort fliehen würde. Ich denke: jetzt bricht ein Sturm au»,nur zu gut kenne ich ja meine Njussia.„Aber du?... du?..." sagt sie mtt bebender, kaumden Zorn bezwingender Stimme,„du schriebst ja anderesw deinen Büchern?... Väterchen, du schriebst, da« Lebensei herrlich! Voller Begeisterung hast du die Liebe besungen.... ich las, ich verschlang dies, ich träumte... ich betetedich an!... jetzt habe ich aber im Leben gesehen, daß allesnur Schmutz ist, und nun sprichst du auch anders..."Ich schrumpfe zusammen, ich schweige, und eine frostigeKälte dringt mir in die Brust. ich wage es nicht, meine.Nngea z» Njussia zu erheben.%%' �&!'Plötzlich reißt sie sich zornig von ihrem Platze los und ftagtmit hysterischer Stimme, mit der rechten Hand meine Schulterschüttelnd:„Also hast vu bettoaen, Väterchen?... Und alle dein«Bücher waren bloß Lüge?,»« Wovon soll ich denn aberdann leben?"Scheinbar hat fie dieses Aufbrausen ermüdet, ermüdet senktsie den Kopf, erschlafft nimmt fie ihre Hand von meinerSchulter und geht müden Schrittes, ihren angeschwollenenLeib weit vorausstellend, wie eine Ente hin«nd her wackelnd,aus dem Zimmer hinaus.iIch weiß nicht, wie lange Zett ich regungslos erstarrt da»saß�es�muß aber lang« gewesen sein, da es draußen schonMein gewöhnliches, alltägliches Bewußtsein ist in dieserZeit verstummt, abgestumpft. Ich dachte nicht, mein Kopfwar leer, die äußeren Empfindungen existierten für michnicht. Gleichzettig aber reisten irgendwo im Innern, in denverborgensten, geheimsten Winkeln meiner Seele, ohne Teil»«ahme meines Willens und meines Bewußtseins, neue Ge-fühle und neue Entschlüsse heran.»« Das verlebte Lebenwurde von neuem Lichte beleuchtet, es wurde gleichsam be-graben,«nd ich, ein Lebender, aber Gefühlloser, wohnte dieserBeerdigung ohne Schmerz und ohne Bedauern bei, ich sah,wie man jenes frühere Leben, voll Trug und Lüge, ins Grabversenkte...War es ein« Tür,< die zugeschlojsen wurde, oder siel etwa»zu Boden, ich fuhr vor einem Laim zusammen. Ich erhobmich, zündete da« elektrische Licht an und ging in meinKabinett. Einem inneren Gebot« gehorchend, trat ich an dieEtagere mit meinen Büchern, trug sie in zwei Malen zumKamin, schob de« Sessel heran, nahm ein Zündholz, und rißaus einem Buche mehrere Blatter heraus,- aber meine Fingerzitterten, und lange wollte es mir nicht gelingen, ein FeuerE legen. Als die Blatter schließlich anbrannten und einebläulich-goldene Flamme emporloderte, begann ichix schneller und heftiger die Bücher zu zerreißen und siein« Feuer zu werfen. Es wurde warm, meine erstarrtenFinger erwärmten sich... und die ganze Zeit, da ich dieBücher zerriß und fie in den Kamin schleuderte, waren Brust«nd Herz leer... keine Spur von Mitleid oder Bedauernregten sich* Mtu