Einzelpreis 30 Pfg. 3. Jahrgang

3. Jahrgang Sonnabend, 11. September 1920

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Nummer 378

Morgen- Ausgabe

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greiheit

Berliner   Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands  

Der Kampf der italienischen   Arbeitertlase

Rein Noskekurs

Der Berichterstatter der, Deutschen Allgemeinen Zeitung" in Rom   hatte eine Unterredung mit dem italienischen   Ar­beitsminister Prof. Labriola  , die interessante Einzel­heiten über den Charakter der Arbeiterkämpfe in Italien  und über die Haltung der Regierung enthält. Labriola  stellte zunächst fest, daß die Schuld an der Zuspigung der Lage den Industriellen zufalle, die es ablehnten, auf Grund der Denkschrift der Arbeiter zu verhandeln, und die begonnenen Verhandlungen abbrachen. Die Stellung der Regierung zu der Besetzung der Fabriten durch die Arbeiter faßte der Minister in folgende Worte zusammen:

,, Der Staat hat nur ein Interesse daran, daß die Sicherheit der Straße gewahrt bleibt, und bis jetzt ist auch diese öffentliche Sicher­ heit   nicht gestört worden, wenigstens nicht in einem solchen Um­fang, daß der Staat hätte eingreifen müssen. Die Besetzung der Fabriken ist juristisch als eine Besitstörung aufzufassen, und die Industriellen tönnen den Rechtsweg beschreiten. Sie werden sich vielleicht über diese Auffassung wundern, aber berücksichtigen Sie folgendes: wenn es sich um eine Massenbewegung handelt, sind andere Gesichtspuntte geltend, als wenn es sich um einen Einzelfall handelt. Der Tot­schlag ist ein verabscheuenswertes Delift, das Massentöten nennt man Krieg, und es gibt Leute, die auch diesen entschuldigen. Heute handelt es sich für Italien   um eine Bewegung von Hunderttausen ben organisierter Arbeiter, ga fann man benaufruhr­paragraphen nicht mehr anwenden. Man muß auch die moralische Atmosphäre berücksichtigen, die Massen­nervosität, die eine Folge des Krieges ist. Zudem sind die Ar beiter alle bewaffnet. Bei den Unruhen in Ancona   wurden 40 mil

Aus der ungarischen Hölle Politische Gefangene werden vor den Pflug gespannt Aus Wien   wird uns geschrieben:

In Ungarn   ist die Prügelstrafe eingeführt worden. Vor einigen Monaten wurden sie nur für die Preistreiber und Schleich händler beschlossen, jezt hat die Nationalversammlung fie in einem neuen Gesez für die politischen Verbrechen und andere Strafsachen statuiert. Bei der heutigen Machtlosigkeit des ungari­schen Proletariats richtet sich diese Strafe vor allem gegen die Arbeiter und gegen die Landarmut, die immer unruhiger werden und den Grund und Boden aufteilen wollen. Statt Agrar­reform wird ihr nun der Stod geboten.

In der Lage der politischen Verurteilten wird dadurch teine große Aenderung herbeigeführt: bisher wurden fie illegal geschlagen, von nun an erhalten. sie gesezmäßige Prügel. Wie diese Aermsten behandelt werden, erhellt daraus, daß in dem Ge­fängnis in Szegedin   die politischen Gefangenen täglich in die Ge­marfung der Stadt hinausgetrieben werden, wo man sie vor

Maschinengewehre im Besitz der Arbeiter festgestellt. Ein staats liches Eingreifen würde unbedingt zu Blutvergießen führen, das leicht in eine blutige Revolution ausarten könnte, und das muß unter allen Umständen vermieden werden. Kommt eine soziale Umgestaltung, so soll sie wenigstens mit dem möglichsten Minimum an Schädigung des einzelnen eintreten und fein Blutvergießen hervorrufen."

In seinen weiteren Ausführungen betonte der Minister nochmals ausdrücklich, eine Bewegung, die die Massen erfaßt und treibe, lasse sich mit Kanonen nicht bekämpfen. Diese Erklärung ist einerseits ein erfreuliches Zeichen der Einsicht des italienischen Arbeitsministers und andererseits ein Bes weis der Stärte der italienischen Arbeiterbewegung, die der Regierung diese Einsicht beigebracht hat. Interessant ist auch, daß der Vorwärts" die Erklärungen Labriolas zwar sehr beifällig zitiert, aber dabei gar nicht merkt, daß er damit sich selbst und seine eigene Partei mit ihrem Nosteturs ohrfeigt. Denn diese Partei mit allen ihren regierenden Koryphäen war es, die anderthalb Jahrel ang mit dem Auf­Koryphäen war es, die anderthalb Jahrel ang mit dem Auf­ruhrparagraphen regierte und die Bewegung, die die Massen ergriffen hatte, mit Kanonen aus der Welt zu schaffen fuchte.

Günstiger Stand der Verhandlungen

DA. Rom, 10. September.

Die offiziöse Tribuna" berichtet, daß die Verhandlungen zwischen den Arbeitgebern und Arbeitern einen günftigen Fort­gang nehmen. Ueber die wirtschaftliche Frage soll bereits eine Einigung erzielt fein. Es muß nur noch die Formel gefunden werden, die beide Teile befriedigt. Die Tribuna glaubt, daß ber Konflikt am Sonnabend beigelegt sein wird.

Die englische Bergarbeiterkrise

London  , 10. September...

Wie Reuter amtlich melbet, bestätigt der offizielle Be richt über die Konferenz der Regierung mit den Berg arbeitern, daß es beiden Teilen nicht gelungen ist, ein Uebereintommen zu erzielen.

Kongreß der Ostvölker

Mostar, 9. September.  ( Durch Funkspruch.) In Batu fand am 2. September die erste Bersammlung ber Oftvölfer statt. Sinowjew  ..., Bela Khun und die Vertreter der Kommunistischen Internationale des Westens nahmen an den Bes sprechungen teil. Zum Ehrenvorfigenden wurde 2 enin gewählt, Ehrenmitglieder waren u. a. Trogly und Bela Khun. Der Borsitzende der Versammlung hielt eine Rebe, welche stürmische Sympathiebegeisterung für die Sowjetmacht und Drohungen an die Adresse der Feinde der Arbeiter hervorrief.

Der Popanz der Gewerkschaftsspaltung

Von Rich. Müller.

Das Wutgeheul gegen die Beschlüsse des zweiten Rons greffes der 3. Internationale nimmt groteste Formen an. Die Beschlüsse werden als brüste Kampfansage", als ein ungeheuerliches Diftat" bezeichnet, sie sollen von grenzen­loser Menschenverachtung" erfüllt sein. Ihre Annahme be deute geistige Knechtschaft", erzeuge ein Heer von Heuchlern und Kriechern, von unwissenden Maulhelden und widerlichen

Strebern"..

Ich halte es für überflüssig, das Unhaltbare solcher Be hauptungen nachzuweisen. Ich traue jedem Parteigenossen Soviel Verstand zu, daß er aus dem flaren Wortlaut der Bes schlüsse sich selbst das Urteil bilden kann. Ich glaube auch, unsere Parteigenossen erkennen die Tendenz, die sich unter solchen Behauptungen verbirgt.

Die Diskussion über die Beschlüsse des zweiten Kongresses der 3. Internationale werden geflissentlich auf ein falsches Gleis verschoben. Die großen politischen Probleme, die in den Beschlüssen eine flare, eindeutige Lösung finden, bleiben un­beachtet, während die organisatorischen Fragen als das Ausschlaggebende hingestellt werden. Welch einfältige Schlußfolgerungen dabei gezogen werden, das zeigen uns die beiden Artifel des Genossen Richard Seidel, die er über die Frage Gewerkschaften Räte Partei- und die 3. Internationale in den Nrn. 368 und 374 der Freiheit" veröffentlicht.

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In der Nr. 374 bringt der Genosse Seidel sein Erstaunen über diejenigen Genossen zum Ausdrud, die bisher in ben Arbeiter und Betriebsräten den einzigen wirksamen Sebel der Befreiung des Proletariats erkannten", die die selbstän bige Räteorganisation forderten, die eben noch forderten, daß bie Bollversammlungen der Räte bei allen wichtigen Aktionen der Arbeiterklasse die letzte Entscheidung zu fällen habe, daß ihnen, nicht der Partei noch den Gewerkschaften, die Füh rung im Kampfe gebühre", und die nun auch die Räte der fommunistischen Parteiorganisation unterstellen wollen, die wiederum ein willenloses Glied des internationalen Erefutive fomitees sei. Damit würde die Selbständigkeit der Räte­organisation in eine Abhängigkeit dritten oder vierten Gras des verändert.

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Der Genosse Seidel wirft hier Falsches und Richtiges durchs einander, insbesondere verdreht er vollständig die Grundsäte, die die Anhänger der selbständigen Räteorganisation in der Frage Partei Gewerkschaften und Räte stets vertreten haben. Ich kann mich nicht auf eine Richtigstellung dieser Behauptung beschränken, muß vielmehr die vom Genossen Seibel bekämpften Beschlüsse der 3. Internationale berüd fichtigen, woraus sich auch unsere bisherige Haltung in der Rätefrage richtig beurteilen läßt.

Der Genosse Seidel verweist auf die Leitsätze über ,, Kom munistische Partei und proletarische Revolution" und glaubt unter Hinweis auf These 8 nachweisen zu können, daß in Zu funft die Arbeiterräte und die Gewerkschaften unter der Dittatur der Parteileitung" stehen sollen. Diese

den Pflug spannt und sie mit Riemenpeitschen Militärische Neuorganisation in Sowjetrußland Diktatur des Exekutivkomitees ist ja der Bopanz geworden,

antreibt. Aus dem Interniertenlager in Zalaegerszeg   erhielt Ihr Korrespondent vom 5. Juli datiert, das folgende Schreiben:

,, Lieber Genosse, unsere Verpflegung ist so arg, daß derjenige, der von ihr leben muß, in zwei Monaten zugrunde geht. Vor wei Wochen wurde 4 Tage lang statt mit Essig mit Ameisen­¡ äure gefocht, infolgedessen 500 Internierte schwer erkrankten. Genosse Molnar, der Gefretär der Landarbeitergewerkschaft, er ein sehr schwächlicher Mann war, gebrauchte einem Inter­nierten gegenüber die Ansprache Genosse", er wurde deswegen So entseglich gelchlagen, daß er am 12. Juni infolge der Mik handlungen starb."

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Deutsche   Vorstellungen wegen Oberschlesien  

Berlin  , 10. September. Die Reichsregierung hat bei der Friedenston­ferenz in Paris  , dem Heiligen Stuhl und den Kabinetten in London  , Paris   und Rom   unter eingehender Darstellung der gefährdeten Lage in Oberschlesien   erneut ernste Vorstellungen erhoben, um durchgreifende Maßnahmen zur Wieder­herstellung vertrags- und gesetzmäßiger Zustände in Ober­Ichlesien zu erwirten.

Die schwedischen Reichstagswahlen

Stodholm, 10. September. Bisher liegen von den Reichstagswahlen die Ergebnisse für 29 Mandate von den 230 vor. Die Rechte hat 10 Mandate erhalten( 2 gewonnen und 2 verloren), die Freifinnigen 5 Man bate( 1 gewonnen und 2 verloren), die Sozialdemokraten 11 Mandate( 1 verloren), und die Bauernorganisationen 3 Mandate( 2 gewonnen).

TU. Mostan, 10. September.

Die Sowjetregierung hat das ganze europäische Rußland   in 93 Militärbezirte eingeteilt. Alle Männer bis zu 50 Jahren werden zu Militärübungen herangezogen. Die Re­serven der Roten Armee werden auf 4 bis 5 Millionen Mann geschätzt.

Rußland und die Donaukonferenz

Amsterdam, 10. September. Telegraaf" meldet aus London  : Kamenew   hat der eng­ lischen   Regierung mitgeteilt, daß er von Tschitscherin   eine Note erhalten hat, worin gefordert wird, daß Rußlandas ber Doxautonferenz teilnimmt. In der Note wird er­flärt, daß die Donaufrage für Sowjetrußland und die Ukraine  eine Lebensfrage bilde.

Neues Erdbeben in Italien  

HN. London, 10. September.

In der Gegend von Emilia ist heute, 5 Minuten nach 13 Uhr, ein neues heftiges Erdbeben gemeldet worden, bas großen haben verursachte. Insbesondere find Aspe, Dalette, Bu­jana, Toano und Cavala beschädigt.

Der Reichsrat hat in seiner gestrigen Sigung der Berordnung über die Aufhebung der Zwangswirtschaft für Fleisch, die auch dem voltswirtschaftlichen Ausschuß des Reichstags vorliegt, zu­gestimmt. Der Vertreter Sachsens   erhob dagegen Protest, weil durch die freie Wirtschaft für Fleisch Sachsen   in die größte Gefahr gebracht werde. Auf Antrag Bayerns   wurde beschlossen, den Ausmahlungsgrad für das Brotgetreide vom 20. Sep­tember ab auf 85 Prozent her abzusehen.

Freistaat Fiume. Jdea Nazionale" erhält über Triest   Nach­richten aus Fiume, denen zufolge d'Annunzio   den Freistaat Fiume proklamiert hat. Ursprünglich war als Gründungstag der 12. September vorgesehen.

mit dem unseren Parteigenossen der Eintritt in die 3. Inter­nationale verleidet werden soll. Damit wird der Glaube er wedt, als wolle das Exekutivkomitee die Räteorganisation und die Gewerkschaften organisatorisch beherrschen, während die vom Genossen Seidel angezogene These flar sagt, daß die Kommunistische Partei   den lebendigen Geist bilden muß. sowohl in den Produktionsver bänden und Arbeiterräten wie auch in allen anderen Formen der proletarischen Organis sationen".

Dieselben Leitsätze betonen, daß die Begriffe Partei und Klasse strengstens auseinander gehalten werden müssen, da sonst große Fehler und Konfusionen entstehen fönnen. Wir sehen jetzt, daß trotz dieser Warnung, die mir bisher als überflüssig erschien, die beiden Begriffe verwechselt werden, denn sonst könnte der Genosse Seidel nicht zu seinen oben wiedergegebenen Schlußfolgerungen kommen.

Uebrigens verlangen die angezogenen Leitfäge gar nichts Neues. Auch im Aftionsprogramm unserer Partei heißt es, daß es die geschichtliche Aufgabe der Partei sei, der Arbeiter bewegung, Inhalt, Richtung und 3iel zu geben, daß sie dem revolutionären Proletariat Führerin und Banner trägerin in seinem Kampfe um den Sozialismus sein soll. Und in den Leitsätzen der 3. Internationale heißt es, daß die Kom­ munistische Partei   den vorgeschrittensten. Klassenbewußtesten und revolutionärsten Teil der Arbeiterklasse sammelt und daß mit Hilfe des vorgeschrittensten Teiles der Arbeiterklasse die gesamte Masse des Proletariats und des Halbproletariats auf ben richtigen Weg aelenkt werden soll. Ausdrücklich wird be tont, daß bis zur Ergreifung der Macht durch die Arbeiter­klasse in der Uebergangszeit die Kommunistische Partei  geistigen und politischen Einfluß auf alle Prole­tarier- und Halbproletarierschichten der Bevölkerung auszus üben vermöge, aber nicht fie in ihren Reihen ors ganisatorisch vereinigen tönne. Die Kommu nistische Partei fordert daher von ihren Mitgliedern, daß sie in alle Organisationen des Proletariats eintreten und im