Frauenwelt

Nr. 3+ 41.Jahrgang

Beilage zum Vorwärts

7. Februar 1924

Fünf Jahre Frauenrecht.

Gestern, am 6. Februar, jährte sich ber Tag zum fünften Male, an dem Frauen in die beutsche Nationalversammlung eingezogen sind. Feierliche Erwartung in den Mienen, trafen am 4. Februar schon mehrere der gewählten Genoffinnen in Weimar   ein. Das schöne Weimar war falt und unfreundlich. Die erste Fraktionsverhandlung wor nüchtern und fachlich und der ungeheizte Saal des Boltshauses nicht geeignet, Begeisterung wachzuhalten. Draußen im Reich tobte noch der Sturm der Revolution, hoch gingen die Wellen des Meinungsstreites in der Arbeiterschaft über die Richtigkeit der revo­futionären oder demokratischen Tatti?.

Am 5. Februar war dann die Fraktion der SPD  : fast vollzählig versammelt, auch die gewählten 19 Frauen der Partei.

Interessant war es flir uns zu beobachten, aus welchen Schichten sich diese Frauen gruppierten. Die meisten stammten aus dem Prole­tariat. Waren sie aus tleinbürgerlichen Gristenzen hervorgegangen, führten sie doch später eine rein proletarische Existenz. Der größte Tell diente fast ein halbes Menschenafter der Partei. Wir nennen Wilhelmine Kähler  , das Kind aus dem Bolte mit Dorfschul bildung, die gern von ber Zeit sprach, wo sie als junges Mädchen dem Dichter Lillencron die Wirtschaft führte. Mit 23 Jahren hatte fie in Hamburg   ihren ersten Bortrag vor ausgesperrten 3igarrene arbeitern gehalten und später nach einer langen agitatorischen Lätig. teit die Sozialdemokratische Ariifefterrespondenz" herausgegeben. Ernestine Luze, Minna Schilling, belde aus Sachsen  , echte Profetarierfrauen, hart gehämmert von eigener Rot, mit großem Berständnis für die Not der anderen ausgestattet, Minna Eichler, bei deren Anblick man es fofort begriff, baß sie das ganze Elend des Weberproletariats burchgekostet hatte, die junge, frische Frida Haute, die in Oberschlesien   wirfte, Johanna Tejch aus Frant­furt a. M., die sich vornehmlich im Zentralverband der Haus­angestellten betätigt hatte, Gertrud Lodahl  , die ihre praktische Schulung vornehmlich der Arbeit für Gewerkschaft und Genossenschaft verdankte. Wir begrüßten bie feit fast zwei Jahrzehnten in der Be­wegung bekannte Sanna Reige aus Hamburg  , und die über den Altonaer Kreis hinaus noch nicht sehr bekannte Luise Schröder  , die sich in diesen verflossenen 5 Jahren durch ihre ruhige und sach­liche Arbeit einen anerkannten Namen erworben hat. Klara Bohm­Schuch, Marie Juchacz   und Elfriede Ryned sind in Berlin  zu bekannt, als daß wir es nötig hätten, in diesem Artifel über fie und ihre Tätigkeit etwas anzuführen. Das Rheinland   schickte uns Elisabeth Röhl  , die sich die politischen Kinderschuhe auch auf dent Berliner   Pflaster ausgetreten hatte, Bommern   wählte Else Höfs  , die Tochter eines alten Parteigenossen und selbst treue frbeiterin für die Sache des Proletariats. Hatte sie doch die Berfolgungen des Gozialistengejeges in ihrer eigenen Familie gespürt. Als legte aus dem Kranz der neunzehn seien noch zwei Genessinnen genannt: Antonie fülf und Anna. Bias ,, die aus bürgerlichen Kreijen fammen und auf Grund ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis den Weg zur Partei gefunden hatten und treue, selbst! ose und fähige Mit­arbeiterinnen geworden sind.

Aus der USP. nennen wir bei dieser Gelegenheit zwei mar fante und befannte Erscheinungen, Luise 3ieh, die nicht mehr unter den Lebenden meilt, und Lore Agnes  , ebenfalls aus dem Rheinland tommend; die erste Frau im Präsidium ber National­ versammlung  .

Am 5. Februar nahmen bie Frauen, soweit jie ber SPD.   au­gehörten, vollzählig an ber Fraktionsfigung teil. Am Abend des gieichen Tages fand die erste Zusammenfunft der Genoffinnen statt, die das erste Sichtennenlernen der sich vielleicht noch fremo Gegen überstehenden vermittelte.

Die Eröffnung der. Nationalversammlung   nit ber großen Rebde bes Genossen Frih Ebert löfte endlich die feit Lagen vorhandene Spannung. Der feierliche Aft geht vorüber, und bie nüchterne Arbeit

beginnt auch für die Frauen. Und doch gibt es Höhenpunkte der par lamentarischen Arbeit in dieser Zeit. Die Wahl Dr. Davids zum Präsidenten ber Nationalversammlung, die Beschlußfassung über die Notverfassung. Scheidemann   legt die Obfiegenheiten der Boits beauftragten in die Hände der Bolksvertretung. Die Bildung eines Ministeriums auf bemokratischer Grundlage wird vorbereitet. Bor allem ist es die Wahl des Genossen Friß Ebert zum Präsidenten der Republit, die uns im Innersten packt. Ich laffe folgen, wie eine Genossin diesen Moment in ihren Tagebuchblättern festhält:

In seiner schlichten, nachdrücklichen Welse, bezugnehmenb auf seine Herkunft und Lätigtelt ist uns Ebert mit seinen Schfußausführungen das Symbol bes reifgeworbenen Boltes, das fic mühsam sein Menschentum und feine Würde er­tämpft hat und es festhält unb zähe oertelbigen wird.' Ein Höhepunkt war es auch für die Frauen, als die erste Frau in der Nationalversammlung  

sprach. Genoffin Juchacz   sagte u. c.:

Wollte die Regierung eine bemotratische Ver. fassung vorbereiten, dann gehörte dazu das Bolt, das ganze Boit in seiner Bertretung. Die Männer, die dem weiblichen Teil der deutschen   Bevölkerung das bisher zu Unrecht vorent­haltenen Staatsbürcerrecht gegeben haben, haben damit für jeden gerecht benkenden Menschen und für jeden Demokraten felbst­verständliche Pflicht erfüllt. llafere Pflicht aber ist, auszusprechen, was für immer in den Annalen der Geschichte festgehalten werden wird, daß es die erste sozialdemokratische Regierung gewesen ist. die ein Ende gemacht hat mit der Unfelbständigkeit der Frau. Durch die politische Gleichstellung ist nun meinem Geschlecht ble Möglichkeit zur vollen Entfaltung seiner Kräfte gegeben. Mit Recht wird man erst jetzt von einem neuen Deutschland  sprechen fönnen, und von der Souveränität des ganzen Boites. Durch die volle Demokratie ist aber auch zum Ausdruck gebracht worden, daß die Polttit in Bufunft tein Hanbwert sein soll. Scharjes, fluges Denten. rubiges Abwägen und warmes menschlides Fühlen gehören zusammen in einer von ganzen Reich gewählten Körperschaft, in der über das zufünftige Wohl und Wehe des ganzen Bolles entschieden werden soll."

Sum gleichen Gegenstand der Tagesordnung Sprachen Luise 31e und Frau Gerirud Bäumer als Bertretung ihrer Partei. Damit war zum ersten Male öffentlich bemonstriert, daß die Frauen auch als Gewählte gleichberechtigt sind.

Seitdem find nun fünf Jahre vergangen. Die Hochflut ber Empfindungen ist bei den weiblichen Barlamentarierinnen, ebenso bei den weiblichen Wählerinnen abgeebbt. Wes aber geblieben ist. ist der stille, zähe Wille, im politischen Kampf ihren Play auszu­füllen und darüber hinaus für ihr Geschlecht und die Jugend su tämpfen.

In manchen Männerartikeln der bürgerlichen Bresse ist den Frauen atteftiert worden, daß das Frauenwahlrecht enttäuscht habe. Einmal habe ich irgendwo gelesen, es hätten beim Antritt bes Frauenwahlrechts die Fanfarentöne einer neuen Zeit gefeht. Das hätte man von den Frauen erwartet. Die einen erwarten das Wunder", die anderen haben Angst, daß wir uns zu schnell und zu weit vorwagen können. Beide verstehen die Bedeutung der Gleichberechtigung nicht. Im politischen Tagestampf von heute sind Männer und Frauen und Barteien mehr oder weniger abhängig von der Zwangsläufigkeit der Entwicklung. Hier kann nur gemein­fames Kämpfer für die Bedürfnisse der breiten Schichten bes Boltes. stattfinden, und ein gemeinsames Sidhpehren gegen die lebermacht der Gegner. Darüber hinaus aber haben die Frauen gezeigt, baẞ fie für bie Befreiung ihres Geschlechts auf dem Gebiet des Berufs­lebens, der Mutterschaft und des bürgerlichen Rechts Wege weisen.. und im Rahmen des Möglichen Neues schaffen wollen und können.