Frauenftimme
Nr. 8+ 41.Jahrgang
Beilage zum Vorwärts
17. April 1924
Haben wir noch etwas zu verlieren?
Wenn es für den einzelnen Menschen oft eine Wohltat be deutet, daß er Gewoefenies schnell vergißt, so fann doch das Vergeffen für ein ganzes Bolt zu einem furchtbaren Schicksal werden. Wie wäre es möglich, daß General Ludendorff heute die Rolle eines Volkshelden und Vaterlandsretters spielen fönnte, wenn nicht so viele vergessen hätten, daß...
Wo soll man beginnen, wenn man rückschauend überblickt, welch unermeßliches Elend sich an diesen Namen knüpft? Bei den Männern und Jünglingen an der Front, deren Hunger, Schmutz, Todesnot, Efei und Sehnsucht aus Feldpostbriefen zu uns schrie? Bei den Frauen, die mit vergifteter Haut und vergifteten Lungen aus den Bulverfabriken famen, die als Munitionsarbeite rinnen verstümmelten oder starben, die als Näherinnen für Kriegsbedarf sich die Schwindsuche erarbeiteten? Bei all den Müttern, deren Nervenkraft zerrieben wurde in der Sorge um den Mann im Feld und den Kindern auf der Straße, während sie schafften fürs trockene Brot? Oder bei denen, die Jahr um Jahr in Wind und Weiter anstehen mußten um die kargen, schlechten Lebensmittel? Bei der Jugend, die hungernd starb und verdarb? Bei den Kindern, deren ausgemergelte Leiber und zertretene Geelen eine einzige furchtbare Anklage gegen den Krieg und seine Folgen sind?
Die ganze, brutale, militärische Wiltfür, die ganze, maßlose Niederlage Deutschlands im Weltkrieg spiegelt sich wider in dem Namen Ludendorff . Sein System wurde unser Schicksal. Durfte das deutsche Bolt das je vergessen? Nie, wenn es nicht noch einmal den Krieg mit all seinem Elend erleben wollte. Denn die blutige Spur fnüpft sich an diesen Mann und der deutschvölkischen Partei, die ihm dient und seine Politit treibt.
Wir wollen den Frieden!
Darum haben wir und alle, die mit uns sind, dafür zu sorgen, daß nicht das große Bergeffen durch Deutschland geht. Die Gegen wart ist schwer und düster, aber sie könnte abgelöst werden von einer noch schwereren Zukunft, die Deutschlands Ende brächte. Wir haben alles zu verlieren durch einen neuen Krieg! Darum müssen die Reichstagswahlen vom 4. Mai eine Absage sein an die Deutschvölkischen und Deutschnationalen .
Aber sie müssen auch eine Absage fein an die bürgerlichen Barteien: an die Deutsche Volkspartei , an das Zentrum und an die Demokratische Partei . Diese Parteien haben daran gearbeitet, daß vieles von dem verloren ging, was die Arbeiterschaft sich durch die Revolution an Rechten und sozialem Schuß errungen hatte. Die deutsche Wählerschaft, die diesen Parteien in den Reichstagswahlen von 1920 zu einer Mehrheit in der Gefeßgebung verholfen hat, hat die Unreife ihres politischen Urteils schwer büßen müssen und die gesamte Arbeiterschaft mit ihr. Aber noch vieles haben wir zu verlieren, wenn von neuem eine bürgerliche Mehrheit in den Reichstag zieht.
durch die bürgerliche Mehrheit des letzten Reichstages wurden die Rechte der Arbeitnehmer ungeheuer eingeschränkt. Die bür gerliche Mehrheit des versloffenen Reichstages war damit einverstanden, daß die Schwerkriegsbeschädigten nicht mehr in erster Linie das Recht auf Arbeit haben, sondern zum größeren Teil aus den Betrieben entfernt werden.
Für die Rechte der Frauen
hat diese bürgerliche Mehrheit nie etwas übrig gehabt, wenn sie auch jetzt, vor den Wahlen, die Wählerinnen mit allen Mitteln unwirbt. Wenn ein Betrieb eingeschränkt werden mußte, waren es zuerst die Frauen, die auf die Straße flogen. Den entlassenen Frauen die gleiche Arbeitslosenunterstügung zu gewähren wie den Männern in gleicher Lebenslage, lehnten die bürgerliche Regierung und die hinter ihr stehenden Parteien ab.
Die Sozialdemokratie verlangt für Mann und Frau den gleichen Cohn für gleiche Arbeit.
Diese Forderung wurde immer mit der Begründung abgelehnt, daß die Berufsbildung der Frau unzulänglich sei. Gleichzeitig sträubte sich die bürgerliche Gesellschaft dagegen, für Mädchen die gleichen Bildungsmöglichkeiten zu schaffen wie für Knaben. Man will eben den Einwand der schlechteren Ausbildung als Vorwand für Lohndrückerei behalten.
Unter dem Antrieb der Sozialdemokratie wurde das Gesetz über ochenhilfe und Wochenfürsorge geschaffen, aber bei jeder notwendigen Erhöhung der Leistungen mußte der Kampf von neuem geführt werden um diesen notwendigsten Schuß für Mutter und Kind. Als die Rentenmark eingeführt war und es sich herausstellte, daß die ausbezahlten Beträge für Wochenhilfe- und Stillgeld geradezu lächerlich klein geworden waren, stellten wir den Antrag, die Barleistungen der Krieg verordnung vom Dezember 1914 entsprechend festzulegen. Unser Antrag wurde, ebenso wie alle unsere Verbesserungsanträge zu den erlassenen Berordnungen, vom alten Reichstag nicht mehr verhandelt. Ein Gesez über Jugend. wohlfahrt wurde unter unserer Mitarbeit geschaffen; ebenso ein Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, das für die Frauen unendlichen Segen stiften könnte. Nach dem Willen der bürgerlichen Parteien bzw. ihrer Vertreter im Reichsrat kann das erstere nur teilweise, das zweite gar nicht in Kraft gesetzt werden. Nur weil die sozialdemokratischen Männer den Frauen die politische Gleichberechtigung gaben, das Wahl- und das Wählbar. feitsrecht, darum konnten sie das größte Unrecht gegen die Frauen beseitigen und die Fürsorgegesetze schaffen hetfen. Aber fallen die Wahlen am 4. Mai so aus, daß die Sozialdemokratische Partei geschwächt in den Reichstag kommt, dann ist auch dies
politische Recht der Frau
in Gefahr. Heute treten alle bürgerlichen Parteien nur deshalb für das Frauenwahlrecht ein, weil es da ist und weil sie, wenn sie anders täten, fürchten müßten, teine Frauenstimmen zu bekommen. Aber wie sie alle noch im Herbst 1918 gegen das Frauenwahlrecht waren, so sind sie es im Grunde auch heute noch, und wenn sie die Macht haben, es uns wieder zu entreißen, so werden sie es tun. Wir Frauen sollen nur leiden und tragen, aber nicht mitreden und nicht mithandeln an unserem Schicksal.
Vor der Revolution gab es feinen Achtst und entag; die ersten regierenden Sozialdemokraten verordneten ihn. Jegt ist er fast verloren durch die bürgerliche Mehrheit des verflossenen Reichstages. Eine Erwerbslosenfürsorge gab es in dem reichen Deutschand vor dem Kriege nicht, außer der Selbst fürsorge in den Gewerkschaften. Sozialdemokraten schufen sie in der verarmten Repubfit. Jetzt ist durch die bürgerliche Mehrheit des verflossenen Reichstags aus der staatlichen Fürsorge eine Ver= sicherung geworden und die Leistungen sind abgebaut. Wählt ihr am 4. Mai wieder eine bürgerliche Mehrheit, dann wird die Er- tratie. werbslosenfürforge bald ganz aufhören!
Das Betriebsrätegeses der Sozialdemokraten war der erste Schritt zur Mitbestimmung der Arbeiter im Produktionsprozeß,
Die einzige Partei, die seit ihrem Bestehen für die Gleichberechtigung der Frauen eingetreten ist, ist die Sozialdemo am 4. Mai den sozialdemokratischen Stimmzettel abgibt, stimmt im Sinne feiner Berantwortung für Gerechtigkeit und Freiheit im Staat und damit für die einzige Möglichkeit des Aufstiegs! Clara Bohm- Schuch .