Frauenstimme
Nr. 9+ 41.Jahrgang
Beilage zum Vorwärts
Weckruf zur Wahl.
Von Klara Bohm- Schuch.
So müde schleicht der graue Tag und schleichen alle Tage. Die Freude schläft, das Leid ist wadh, und wach find not und Plage. Die Sorge geht mit uns zur Ruh und weckt uns morgens wieder, Sie wintt uns noch im Traume zu und wirft uns endlich nieder. Hohnlachend zwingt fie uns zur Fron, die wir zum Lichte streben, Elend ist unsrer Arbeit Lohn und unser ganzes Leben.
1. Mai 1924
Was flagt ihr dumpf und bang und schwer und fliert mit euren Ketten?
Es kommt tein Heil vom Himmel her, ihr müßt euch selbst erreffen. Nicht Sklave mehr, nein, Mensch sein und frei zum Himmel schauen Für alle lacht der Sonnenschein, für alle blüh'n die Auen. Nur wollen müßt ihr, stolz und start euch die Hände reichen.
Wir schmachten nach der Sonne Licht, wann wird das Heil uns Einsetzen müßt ihr Mut und Mark und nicht vom Pfade weichen. werden,
Das unfre Sklavenketten bricht und uns erlöst auf Erden?
Erwacht aus eures Elends Not und brecht vereint die Ketten. Hier hilft kein Himmel und fein Gott, ihr müßt euch selbst erretten!
Wie sollen Ehefrauen wählen?
Die Frage, wie Ehefrauen wählen sollen, wird wohl im allgemeinen dahingehend beantwortet werden, daß sie, wählen sollen wie ihre Ehemänner. Das ist auch zweifellos richtig, wenn die geistige und seelische Harmonie der Ehegatten so groß ist, daß selbstverständlich auch ihre politische Weltanschauung die gleiche ist.
Es gibt aber auch Ehen, in denen die Harmonie nicht so groß ist. Zudem ist die Frau von heute ein selbständiger Mensch oder sie sollte es doch sein, und darf infolgedessen eine so wichtige Handlung wie die Abgabe des Stimmzettels am Wahltage nicht ohne reifliche Ueberlegung ausüben. Sie muß bedenten, daß sie die Verantwortung mit trägt für die fünftige rechtliche Stellung aller deutschen Ehefrauen. Sie darf dabei nicht nur an ihr eigenes Schicksal denken, sondern auch an das aller anderen Ehefrauen.
Die Berfaffung erklärt, daß die Gleichberechtigung der Geschlechter auch für die Ehe gelten soll. Das ist aber nicht möglich, solange wir noch ein Bürgerliches Gesetzbuch haben, das auf über holten patriarchalischen Anschauungen beruht. In dem vom neuen Reichstag zu schaffenden Bürgerlichen Gesetzbuch werden alle Bestimmungen, die sich auf die Ehe beziehen, von der neuen Auffassung der Gleichberechtigung ausgehen müssen.
Heute ist durch§ 1360 des BGB. bestimmt, daß der Mann der Frau einen seiner gesellschaftlichen Stellung entsprechenden Unterhalt gewähren muß. Dieser Unterhalt ist aber nur in Naturalien( Wohnung, Kleidung, Nahrung) zu gewähren. Der Mann ist also nicht zu Geldleistungen irgendwelcher Art verpflichtet. Er kann daher seine Frau in dauernde Abhängigkeit halten. Damit ist kein Recht auf die Bewertung der Arbeit gegeben, die die Ehefrau als Hausfrau und Mutter leistet. Diese finanzielle Abhängigkeit entspricht nicht der heutigen Auffassung der Gleichberechtigung. Danach sollte die Ehefrau gesetzlichen Anspruch haben auf einen bestimmten prozentualen Anteil vom Einkommen des Mannes als Wirtschaftsgeld und weiter auf einen Anteil zur Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse.
Ferner bestimmt der§ 1362, daß die Frau verpflichtet ist, zur Mithilfe im Geschäft des Mannes, soweit eine solche Tätigkeit nach den Verhältnissen, in denen die Gatten leben, üblich ist. Die Frau muß also unter Umständen den eigenen Beruf aufgeben, um im Geschäft des Mannes tätig zu sein, z. B. die Näherin in der Wirtschaft, die Künstlerin im Bureau usw. Die Frau ist also gewissermaßen zur 3wangsarbeiterin gemacht, hat aber keinen Anspruch auf einen Teil des Ertrages, den sie im Geschäft des Mannes miterwirbt. Bei der Trennung bleibt das ganze, auf diese Weise erworbene Vermögen, die sogenannte gemeinschaftliche Errungenschaft, in Händen des Mannes. Das entspricht wieder nicht der Gleich berechtigung, denn nach dieser hätten beide Gatten aleichen Anteil en der Errungenschaft zu beanspruchen.
Sucht die Ehefrau sich die ökonomische Selbständigkeit durch einen selbständigen Beruf zu schaffen, so hat sie diese Freiheit in der Pflichterfüllung nur insoweit, als der Ehemann nicht Einspruch erhebt. Weist er eine Schädigung der Hausmutterpflicht durch den Beruf nach, so kann der Frau das Recht auf diesen abgesprochen werden. Auch hier läßt das Gesetz wieder die Gleichberechtigung vermissen. Liegt kein Ehevertrag vor, so hat der Mann das Verfügungsrecht über die Zinsen des Bermögns, das ihm die Frau zubringt. Dieses Verfügungsrech: steht ihm sogar zu, wenn er ein Trunkenbold oder ein Verschwender ist, solange er nicht gefeßlich entmündigt ist. Es kann also vorkommen, daß die Frau von dem Manne Geld erbitten muß, unter Umständen auch verweigert erhalten fann, felbst wenn der Geldbeutel des Mannes mit ihrem Geld gefüllt ist. Dieses Verfügungsrecht bleibt dem Manne auch, wenn er die Frau verläßt, ohne daß die Scheidung ausgesprochen ist. Verläßt die Frau dagegen den Mann, so ist er nicht verpflichtet, ihr Unterhalt zu gewähren. Dauert die Trennung länger als sechs Monate, so ist das ein Grund zur Einreichung der Scheidungsklage.
Bestimmungen über die Anlage ihres Bermögens, z. B. Kündi gung von Hypotheken, Verkauf von Häusern usw. kann die Ehefrau nicht ohne Zustimmung des Mannes vornehmen. Umgekehrt kani der Mann mit seinem Einkommen oder Vermögen schalten und walten wie er will, ohne daß er der Ehefrau Einblick gewähren, geschweige denn ihre Zustimmung einzuholen braucht.
Die Ehefrau, die ernstlich nachdenkt vor den Wahlen, wird be. greifen, daß das Gefeß, das nach§ 1353 die Ehegatten zu ehelicher Lebensgemeinschaft verpflichtet, heute wohl beiden Teilen Pflichten auferlegt, nicht aber beiden Teilen Rechte sichert. Das war ja auch nicht möglich in einem Staat, der die Gleichberechtigung der Ge. schlechter nicht anerkannte. Von dieser Gleichberechtigung wollten auch sämtliche bürgerlichen Parteien nichts wissen, die das heute noch. geltende Bürgerliche Gesetzbuch mit seinen Ungerechtigkeiten gegen das weibliche Geschlecht geschaffen haben.
Hier können die Frauen, insbesondere die Ehefrauen deutlich er. tennen, in wessen Händen ihr Schicksal seither lag.
Der Gedanke der Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein sozialistischer Gedante. Die Sozialdemokratie hat die Gleichberech tigung im Stantsleben erfämpft. Sie wird auch dafür eintreten, wenn die Gleichberechtigung in der Ehe gesetzlich durchgeführt werden soll. Sie kann diesen Kampf aber nur zu einem guten Ende führen, wenn sie die nötigen Hilfstruppen dabei hat. Bei diesem Kampf steht auch das fünftige Schicksal, die neue Stellung der Ehefrau auf dem Spiel. Darum sollte sich jede Ehefrau flarmachen, daß sie mit Abgabe des Stimmzettels für die Sozialdemokratie die Gleichberechtigung, für die keine andere Partei ernsthaft kämpft, zur Verwirklichung bringen hilft! Anna Blos - Stuttgart