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Frauenstimme

Nr. 14+ 41.Jahrgang

Beilage zum Vorwärts

Gebärzwang oder?

10. Juli 1924

So viele Blüten bes Lebens fallen ab, später so viele halb widelungstendenz nachweisen. Nach diesem Gesetz soll bekanntlich reife Früchte. Ist nun der Herbst davon leer? Der Mensch kann, der Arbeitslohn sich nicht dauernd über einen Durchschnitt, der gerade wie der Baum, nicht alle Blüten zu Früchten vollenden, die er treibt. Jean Pau I. ausreicht, um die Arbeiter leben zu lassen und ihre Fortpflanzung zu ermöglichen, erheben können, weil sonst durch die bessere Lage der Seit einigen Jahren führt die Sozialdemokratie einen, wie es scheint, aussichtslosen Kampf um die Beseitigung oder Abänderung Arbeiter eine Vermehrung der Arbeiterbevölkerung eintreten würde. der§§ 218 bis 220 des Strafgesetzbuches. Sie stüßt sich mit ihrer Indem wir zur Frage der Aufhebung des Gebärzwanges zurüc Forderung auf die staatspolitische Anschauung, daß Staat und Recht fehren, bleibt von Wichtigkeit festzustellen, daß es sich bei der durch den Arzt vorzunehmenden Unterbrechung der Schwangerschaft nicht nur soweit zu Recht bestehen, als sie dem Wohl der Gesamtheit und damit auch dem Wohl des einzelnen dienen. Im Gegensatz hierzu des Organismus durch das Messer des Chirurgen entfernt werden, um eine einfache Operation handelt, bei der krankhafte Teile steht die konservative Staatsauffassung, die dem Staat ein selbständiges Eigenleben gegenüber den Ansprüchen des einzelnen sondern das Heranwachsen des Kindes im Mutterleib ist ein natür­zuspricht. Diefen Geist in der Form der überwiegend volkswirtschaftlicher Vorgang, dessen Unterbrechung der Amputation irgendeines lichen und militärischen Staatsinteressen atmen auch die§§ 218 bis gefunden Gliedes des menschlichen Körpers gleichzuachten ist. Auch 220 des Strafgesetzbuches: die Abtreibung der Leibesfrucht bei der Geburtenbeschränkung ist Verhinderung eines unerwünschten einer Schwangeren durch sie selbst, einen Gehilfen oder auf Anftiftung Zustandes bei weitem besser als feine nachträgliche gewaltsane und für das Leben der Mutter oft lebensgefährliche Abstellung. hin wird unter Strafe gestellt. Das Leben des Kindes wird absolut" geschützt ohne Rücksicht auf die individuellen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, in die das Kind hineingeboren wird. Straf­freiheit tritt nur ein bei Vorliegen eines Notstandes, d. h. wenn durch die Abtreibung eine der Schwangeren durch die Entbindung drohende Gefahr abgewendet werden soll, ferner in gewissen Fällen der Netzucht.

Ueber diese beiden Strafausschließungsgründe hinausgehend forbert die Sozialdemokratie entweder die völlige Aufhebung diefer Bestimmungen oder ihre Abänderung in der Form, daß jede Schwangere innerhalb drei Monaten nach der Empfängnis ihre Leitesfrucht durch einen approbierten Arzt abtreiben lassen darf.

Mit vollem Recht wird darauf hingewiesen, daß diese Para­graphen für die Besigenden nur auf dem Papier stehen, da diese durch ihre Verbindung mit Aerzten, die feiner Krankenkasse einer Einrichtung für die unbemittelten Klassen angeschlossen find, gegen entsprechende Bezahlung sich von den unbequemen Folgen der Liebe befreien fönnen.

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Wie in so vielen anderen Fällen bedeutet auch hier die formelle Gleichheit vor dem Gesetz wieder Aufhebung dieser Gleichheit infolge der Verschiedenheit der wirtschaftlichen Machtstellung. Folglich, schließt die Sozialdemokratie, müssen diese für den wohlhabenden Teil der Frauen illusorischen Bestimmungen abgeschafft werden, da nur durch ihre gesetzliche Beseitigung der für die Frauen der ärmeren Bevölkerungsschichten bestehende Gebärzwang fallen kann.

Und wahrlich die Last, die für die heutige Ar beitermutter durch jedes weitere kind hinzu wächst, ist kaum tragbar, ganz abgesehen davon, daß vom mirtschafts- und bevölkerungspolitischen Standpunkt aus Deutschland eine gewisse Verringerung des Geburtenüberschusses bis zur Wieder fehr normaler Zeiten nur von Nuzen sein könnte.

Es ist statistisch nachgewiesen, daß durchschnittlich mit dem Steigen des Einkommens die Zahl der Geburten zurückgeht. So hat 3. B. Verrjin Stuart für Amsterdam eine Vergleichung der Ein­tommensteuerpflichtigen, der Zahl der Einkommen über 2400 Gulden und der Geburtenziffern im Durchschnitt der Jahre 1891 bis 1894 vorgenommen. Auffallend in dieser statistischen Erhebung ist die Gleichmäßigkeit des Steigens der Geburtenziffern bei Abnahme der Steuerpflichtigen und bei Abnahme der Befizer von Einkommen über 2400 Gulden.

Diese Abnahme der Geburten ist eine Folge der steigenden Kultur- und Lebensansprüche, die nicht durch läftige Rindbetten ge= stört werden sollen, ferner einer Hinausschiebung des Heiratsalters. das besonders für die Schichten mit akademischer Bildung kaum vor dem 30. Lebensjahr liegt im Gegensatz zum Arbeiter, dessen höchster Verdienst und demnach günstigster Zeitpunkt zur eigenen Hausstands­gründung in die Zeit vom 20. bis 30. Lebensjahr fällt. Schließlich Hegt dieser Tatsache eine bewußte Beschränkung der Kindererzeugung zugrunde.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß diese in der ge= famten europäischen und amerikanischen Kulturwelt beobachteten Tat­fachen der Bevölkerungsbewegung gerade das Gegenteil des jogenannten ehernen Lohngefeges als tatsächliche Ent­

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Und so bleibt für die ärmeren Klassen, wozu jetzt der große Teil des früheren Mittelstandes gehört, nichts übrig als freiwillige, bewußte Beschränkung der Kindererzeugung im Sinne des Neomalthufianismus, d. h. derjenigen Lehre, die im Gegen­faß zu der Lehre des englischen Geistlichen Malthus eine Anpassung der Bevölkerungszahl an den gegebenen Nahrungs- oder allgemeiner der Eheschließung oder Kindererzeugung überhaupt, sondern von der gejagt Erwerbsmöglichkeitsspielraum nicht von der Enthaltung von Berhütung der Empfängnis durch Anwendung gewiffer

Mittel erwartet.

Da die meisten Menschen nicht als Asteten geboren werden und selbst die schlechtesten wirtschaftlichen Verhältnisse die Zahl der Ehe­schließungen und Geburten nie wesentlich herabdrücken fönnen, be­deutet diese Methode die einzige Lösung dieses Pro­blems, das allerdings von Mann und Frau eine gewisse Ueberein­ftimmung voraussetzt.

Bei dem Tiefstand der Löhne und Gehälter und den trostlosen Wohnungsverhältnissen wird das Null-, Ein- und Zweitinderfystem zur unerbittlichen Notwendigkeit. Und die Aeußerung eines Richters, der über einen Vater von 10 Kindern, der aus Not zum Dieb ge= worden war, eine Gefängnisstrafe verhängen mußte: daß der Dieb­stahl eher zu entschuldigen sei als die Unverantwortlichkeit, 10 Kinder in die Welt zu sehen, ist zwar sehr hart, enthält aber auch ein gut Stück Wahrheit.

Die Arbeiterfamilien mögen hierbei nicht vergessen, daß sie durch die Geburtenbeschränkung die gewerkschaftliche Arbeit wirksam unter­stüßen, denn jedes Arbeiterkind weniger bedeutet auch den Ausfall eines Soldaten in der industriellen Reservearmee", jener Armee, die dem Kapital immer von neuem die nötigen Arbeitskräfte bei niedrigstem Lohn zur Verfügung stellt.

Wenn Clemenceau fagte, in Deutschland seien 20 Millionen Menschen zu viel, so war diese Aeußerung von chauvinistischem Haß eingegeben. Unter der Herrschaft des kapitalistischen Produktions­und Berteilungssystems und unter besonderer Berücksichtigung der heutigen Verhältnisse besteht ganz gewiß llebervölkerung in Deutsch­ land in den Sinne, daß eine große Zahl der Bewohner teine Er­werbsmöglichkeit hat, während bei gleichmäßiger und gerechter Güter­verteilung jeder Deutsche ein gesichertes Dasein führen könnte.

28as nun die Mittel, der Empfängnisverhütung im einzelnen betrifft, so verweise ich in dieser Beziehung auf die ausgezeichnete Broschüre des Schweizer Arztes Friz Brubpacher: Kinderfegen- und fein Ende?( Verlag von G. Birt u. Co, München ), die in jeder Arbeiterfamilie gelesen und, was wichtiger ist, auch befolgt werden sollte.

Da bei der Denkungsart der bürgerlichen Klassen nicht zu er­warten ist, daß vom Staate aus in dieser Frage aufklärende und beratende Arbeit, geleistet werden wird, muß die Arbeiterschaft zur Selbsthilfe greifen.

Die Partei und die Gewerkschaften fönnten durch Einrichtung von Beratungsstellen im Anschluß an die Arbeiterfefretariate, durch Veranstaltung von Vorträgen durch sozialistisch gesinnte Aerzte, durch Ausgabe von Merkblättern in diefer Richtung erzieherisch einwirken.. Dr. H. Scherm.