Einzelbild herunterladen
 

Frauenstimme

Nr. 20+ 41.Jahrgang

Beilage zum Vorwärts

2. Oktober 1924

Die weiblichen Erwerbslosen.

Es dürfte in Deutschland   wohl nur noch wenige Frauen geben, bie nicht begriffen haben, daß wir mit der Erreichung der politischen Gleichberechtigung bei weitem noch nicht die Gleichstellung der Ge­schlechter in Deutschland   erzielt haben, und daß es ganz besonders heißt, in zähem Kampfe die wirtschaftliche Gleichberechti. gung der Frau zu erkämpfen. Das wurde uns flar, als in der Demobilmachungszeit die Frau, die vier Jahre lang das deutsche Wirtschaftsleben durch eine weit über ihre Kraft gehende Arbeits­leistung aufrechterhalten hatte, rücksichtslos dem Manne Blazz machen mußte; das spüren unzählige weibliche Beamte und Angestellte bis auf den heutigen Tag als Folge der Abbaumaßnahmen von Reich, Ländern und Gemeinden, und das sehen wir in der schlechteren Entlohnung der Frau dort, wo sie gleiche Arbeit wie der Mann leistet. Sind auch diese Tatsachen zum Teil eine Folge der durch den Krieg hervorgerufenen zerrütteten Wirtschafts- und Finanz­lage, so wollen wir uns doch nicht verhehlen, daß sie ihre primäre Ursache in dem inneren Widerstand sowohl der maßgebenden Faktoren im Wirtschaftsleben wie auch in der Gesetzgebung hat. Die politische Gleichberechtigung ist für sie eine unliebfame, jedoch nicht mehr zu ändernde Folge der Revolution; ihre selbstverständlichen Konsequenzen aber suchen sie solange wie möglich zu verhindern.

-

der

Hiervon haben wir eine Probe in den letzten Monaten in der Frage der Erwerbslofenunterstützung erhalten. Seit Jahren fämpft bie Sozialdemokratie für gleiche Unterstügung ber männ lichen und der weiblichen Erwerbslosen, und als im Juli die Erhöhung der Unterstügung im sozialpolitischen Ausschuß des Reichstages behandelt wurde, hat sie diesen Kampf aufs neue aufgenommen. Nach vieler Mühe und nach Bekämpfung aller bürgerlichen Kompromißanträge gelang es unseren Genossen im Ausschuß mit Hilfe und das soll offen anerkannt werden weiblichen Mitglieder der bürgerlichen Frattionen, den ganz eindeutigen Antrag zur Annahme zu bringen, wonach die Reichsregierung ersucht wurde, die Spanne zwischen weib. lichen und männlichen Erwerbslosen aufzuheben", und diesem Antrage stimmte auch das Plenum am 25. Juli ein stimmig zu. Damit gab der Reichstag   flipp und tiar zum Ausbrud, daß alle Bedenten der Vertreter des Reichsarbeitsministeriums ihm nicht maßgebend erschienen, sondern daß er sich den von mir als Berichterstatterin vorgetragenen Gründen für die Notwendigkeit biefer Maßnahme nicht verschließen konnte.

Was tat aber das Reichsarbeitsministerium? Am 9. August wurde die Verordnung über die Höchftfäße in der Erwerbslosenfürsorge erlassen, in der die für weibliche Erwerbslose eingestellten Sätze durchweg um 10 Broz. niedriger sind als die Unterstüßung der Männer und in der dann als Bunkt 3 gefagt wird:

Für weibliche Erwerbslose über 21 Jahre, die nach weisen, daß sie Familienangehörige zu er nähren haben, gelten dieselben Höchstfäße wie für Männer über 21 Jahre."

-

-

Das ist es darf hier gar teine Bemäntelung stattfinden eine Berdrehung und eine illoŋale Durchführung des Reichstagsbeschlusses, wie sie sich das Parlament einfach nicht ge. fallen lassen fann! Ausbrücklich hatte der Ausschuß den beutsch nationalen Antrag, der eine Gleichstellung nur für Frauen über 21 Jahre vorfah, so abgeändert, daß eine Gleichstellung schlechthin gefordert wurde, und zwar, weil sie sich unseren Argumenten nicht verschließen fonnte, daß die jüngere Erwerbslose, für die die Säße auch bei der Gleichstellung geringer sind, eben infolge ihrer Jugend und der damit verbundenen geringeren Charakterfesttigung noch mehr gefährdet ist als die über Einund zwanzigjährige. Aber das Reichsarbeitsministerium geht ja noch weiter: Auch die über Einundzwanzigjährige soll nur dann gleich gestellt sein, wenn sie Familienangehörige zu ernähren hat.

"

"

w

"

o

"

5,40 3,60

97

"

"

21

55

3,30

"

#

"

17

17

97

"

Was bedeutet das? Sehen wir uns einmal die praktische Aus­wirtung an: In einer Großstadt des Wirtschaftsgebietes II, also Berlin  , Hamburg   usw., beträgt die Erwerbslosenunterstützung für den Mann über 21 Jahre 6mal 100 Bfg., alfo 6,00 M. wöchentl. die Frau 21 90 den Mann unter 21 Jahren 60 die Frau Nun soll die Erwerbslosenunterstüßung das Existenzmini. mum darstellen; daß man von obigen Beträgen nicht leben, faum vegetieren kann, braucht hier nicht gefagt zu werden. Aber wo liegt die Berechtigung, da die Frau noch schlechter zu stellen als den Mann? Was braucht sie weniger, um das nackte Leben zu fristen? Der Herr Reichsarbeitsminister meinte im Ausschuß, das Mädchen werde von den Eltern unterstützt, sie sei nicht le inverbiener, fönne im übrigen auch in Hausstellung gehen. Wie weltfremd diese Anschauung ist, wurde ihm im Ausschuß deutlich gelagt, und zwar recht deutlich auch gesagt von seiner eigenen Parteigen offin! Bahllofe Mädchen helfen heute ihren Eltern, ohne daß der in der Verordnung erwähnte Nachweis" barüber erbracht werden könnte; sie unterstüßen einfach durch ihre Arbeit die Ernährung der Eltern und Geschwister. Und was ble Hausstellungen angeht, so wünschte ich dem Herrn Minister nur, er hätte einmal die berufliche Aufgabe, für die ihm anvertrauten jungen Mädchen Stellungen im Haushalt zu suchen, er würde nach wenigen Tagen belehrt sein!

Ganz außer acht gelassen aber ist die große Gefahr gerade für die alleinstehende Frau, die angewiesen ist auf das Mietzimmer. Auch hier wünschte ich den Herren des Arbeitsministeriums einen Blid in die Pragis: die Verzweiflung der Mädchen, die Tagelang umherirren, ehe sie ein leiblich anständiges Zimmer finden, das sie schon kaum bei voller Arbeit bezahlen tönnen, und nun gar erst in der Zeit der Arbeitslosigkeit. Dazu kommt, daß fie genau fo wle der Mann auf den Mittagstisch angewiesen sind; denn bei der Ueber­zahl der 3immersuchenden werden die Vermieterinnen sich selten auf eine Küchenbenugung einlassen.

Was muß also die Folge dieser ganz unsozialen Schlechter­stellung der Frau sein? Einmal die törperliche Berelen. bung der Frauen und Mädchen, die als Mütter einmal bie Träge. rinnen unserer fünftigen Generation sein sollen, und damit eine Gefährdung unserer Volksgesundheit. Bum zweiten aber die moralische Gefährdung, und auch hier gerade in erster Linie der alleinstehenden Frauen und Mädchen, die aus ihrer Familie herausgerissenden schweren Kampf mit dem Dasein allein ausfechten müssen. Gegenüber dieser moralischen Gefahr hilft wahr. haftig tein pharisäerhaftes Klagen; hier hilft nur praktische soziale Bolitit, und die vermissen wir in der erwähnten Verordnung schlimmer als je!

-

Deshalb hat die Reichskonferenz der Arbeiterwohlfahrt in Hannover   scharfen Protest gegen diese Verordnung erhoben; des halb wird der fozialpolitische Ausschuß des Reichstages sofort nach Zusammentritt erneut sich mit dieser Frage beschäftigen müssen; deshalb aber ist die Erkenntnis der Frauen mehr als bisher not­wendig, daß wir mit unferer politischen Gleichberechtigung nicht am Ende unserer Ziele sind, sondern daß sie nur einen Anfang bedeutet und wir fie benutzen müssen, um den Kampf für unsere tatsächliche Gleichberechtigung im täglichen Leben wieder und wieder aufzunehmen. Machen wir es uns ganz klar: die, Gleich­gültigkeit eines großen Teiles unserer Geschlechtsgenossinnen ist es, die die Gegner unserer Rechte immer aufs neue ermutigt; helfen wir alle, diese Gleichgültigkeit zu überwinden

Louise Schroeder  .