Kinderlosigkeit.
Bon Therese Schlesinger - Wien .
In den letzten Jahren ist es in Defterreich Sitte geworden, den 144 des Strafgefeßes, der die Abtreibung der Leibes rucht sowohl an der Schwangeren als am Erzeuger des werden den Kindes, falls man ihm Mitwisserschaft oder Borschubleistung nachweisen fann, ferner an dem Arzt oder der Hebamme, die den Ein griff vorgenommen haben, bestraft, in drakonischer Weise anzuwen den. Selbst jene Aerzte, die an dem Att der Schwangerschaftsunter brechung nicht direkt teilgenommen, sondern nur den Antrag zur Unterbrechung der Schwangerschaft gestellt haben, sei es megen der gesundheitlichen Gefahr, welche der Mutter durch eine Entbindung drohen würde, oder wegen frankhafter Beranlagung, die bei dem zu erwartenden Kinde vorzuszusehen sei, werden strafrechtlich verfolgt. Die in letzter Zeit gegen einige fehr angesehene Biener Aerzte erhobene Anklage hat in der Oeffentlichkeit peinliches Auf Jehen erregt.
Vor dem Kriege ist der§ 144 des Strafgesetzes sehr selten zur Anwendung gekommen, so daß die jezt üblichen Strafprozesse, die mit großer Härte durchgeführt werden, den Unbefangenen auf die Vermutung bringen müßte, daß der größte Teil der Bevölkerung unferes Landes darauf ausgehe, feine eigene Erneuerung gewaltsam zu verhindern, also Rassenselbstmord" zu verüben. Bestünde diese Absicht wirklich, fo gäbe es nichts Lächerlicheres, als gegen einen folchen im Berlauf der Weltgeschichte noch nie dagewesenen Ausbruch der Berzweiflung, gegen eine derartige psychische Massenerkrankung dle Staatsanwälte mobilisieren zu wollen.
Zum Glück hat aber die Bevölkerung Desterreichs, trotz aller Elend, trotz der glorreichen Sanierung und aller sonstigen Unfähige keit der Regierenden ihren Fortpflanzungstrieb gefund erhalten, und wenn sie gegenwärtig weniger Kinder in die Welt setzt als vor dem Kriege, so ist das zum Teil der sich immer mehr verbreitenden Er tenntnis zuzuschreiben, daß es verbrecherisch ist, erst ins Unge neffene Kinder zu erzeugen, um sie dann durch Waffengewalt, Hunger und Krankheit zu Millionen hinmorden zu lassen. Bum anderen Teil aber ist es die furchtbare wirtschaftliche Bedrängnis, unter der heute die förperlich und geistig arbeitenden Massen leiden, die es ihnen unmöglich macht, sich im selben Grade wie ehemals fortzupflanzen. Die reichen Leute haben ja seit Jahrhunderten nur fchr wenige Kinder in die Welt gesetzt, und daran hat sich auch bis jeht nichts geändert.
Aber die Spießbürger, ob sie nun auf der Regierungsbank, in der Barlamentsmehrheit oder auf der Richterbank fizen, gebärden fich fo, als wenn sie glaubten, daß eine Fruchtabtreibung zu den besonderen Genüssen des Lebens gehöre, auf die die Frauen der arbel tenden Klassen nun einmal nicht verzichten wollen, so daß man die trafonischesten Mittel anwenden müsse, um sie von solcher Genuß Jucht zu heilen.
Wer nur ein bißchen zu beobachten versteht, der weiß, daß der Trieb nach Elternschaft heutzutage nicht geringer ist als je vorher; geringer ist nur die Möglichkeit geworden, Kinder aufzuziehen. Sich darüber zu entrüften, daß Eheleute, die schon einige Kinder haben, nicht den Leichtfinn aufbringen, noch mehr davon in die Welt zu Jehen, ist einfach idiotisch. Daß sehr viele Paare glauben, fich mit einem Kinde begnügen zu fönnen, ist in der Regel sehr ungünstig für dieses einzige Kind, das ohne Geschwister aufwachsen muß; daß es aber heute junge und gesunde Baare in sehr großer Bahl gibt, die nach mehrjähriger Ehe nicht ein einziges Kind haben, das ist sehr traurig, ist in vielen Fällen geradezu herzzerreißend und gereicht der kapitalistischen Gesellschaft zur Schmach.
Rann denn irgendein vernünftiger Mensch wirklich glauben, daß alle diese jungen Leute feine Kinder haben wollen? Die meisten von ihnen sehnen sich genau so sehr nach dem Glück der Elternschaft, wie das die Menschen zu allen Zeiten getan haben. Man beobachte nur einmal die Aufmerksamkeit, die auf der Straße, in öffentlichen Gärten und in der Straßenbahn fleinen Kindern zugewendet wird. Alles lächelt fie an, versucht eine Annäherung an das Kleine, und Worte der Bewunderung werden nicht nur der Mutter zugerufen, Jondern auch zwischen den Passanten getauscht. Hundertfach spricht aus Blick und Gebärde jener Männer und Frauen der Wunsch: wenn ich doch so etwas haben könnte! Wer dürfte aber einer solchen Sehnsucht nachgeben, wenn der Mann foum soviel verdient, daß es für einen langt, so daß die Frau auch dem Erwerb nachgehen muß, und man dabei unablässig vor der Gefahr steht, daß wenigstens eines von den beiden seinen Posten verlieren könnte?
Sehr viele von diesen jungen Leuten wollen es sich ja felbft gar nicht zugestehen, daß sie für immer zur Rinderlosigkeit verurteilt Jeien. Sie glauben, die Erfüllung ihres Sehnens nur um einige Jahre hinausschieben zu müssen, bis beffere Tage fommen, und mittlerweile werden sie müde, forgengebeugt, oft frant, so daß sie as fich immer weniger zutrauen dürfen, auch nur ein einziges Kind zu einem gefunden Kulturmenfchen heranzuziehen. Sie leiden unter
diesem Berzicht oft viel schwerer als unter jedem anderen, der ihnen auferlegt ist.
Der Liebreiz des Kindes wirkt mächtig auf jeden normal veranlagten Menschen und erregt dadurch das Verlangen nach eigenen Kindern. Wer Kinder hat, wurzelt ganz anders im Leben als der Kinderloje. Er trägt die schwersten Schicksalsschläge mit erhöhter Geduld, weil er die Erfüllung aller nicht verwirklichten Hoffnungen bei seinen Kindern erwartet. Zu tief aber ist dem Menschen der Wunsch eingepflanzt, in seiner Nachkommenfchaft förperlich und geistig weiterzuleben, wenn längst fein Leib zu Staub geworden ist. Man frage doch die vielen Tausende von Bätern und Müttern, die der Krieg finderlos gemacht hat, ob fie fich nicht zu doppeltem und dreifachem Sterben verurteilt fühlen, feit fie wissen, daß die Er innerung an fie und ihre Eigenart nicht in Kindern und Enkeln fortleben wird. Man frage die Eltern verheirateter Kinder, wie schmerz lich es ihnen ist, nicht die Anwartschaft auf Enkel zu haben, und wie sie dabei in der Regel bemüht fein müssen, diesen Schmerz vor den jungen Leufen zu verbergen, um nicht die wundeste Stelle in deren Herzen zu berühren.
Diesem Unheil fönnte nur durch Erhöhung der Löhne und Gehälter auf der einen, durch die Vermehrung und Förderung der Wohlfahrts- und Gemeinschaftseinrichtungen auf der anderen Seite gesteuert werden, als da fid: wirklich gewissenhaft geleitete Säuglingsheime, moderne Kindergärten und Jugendhorte, insbesondere aber städtische und genoffenschaftliche Zentralhauswirtschaften, die der Mutter alle Mühen des Haushalts und der Kinderpflege abnehmen und ihr nur die Schöne Aufgabe laffen, ihre Kinder geistig und sittlich zu beeinfluffen und ihnen durch Zärtlichkeit das Leben zu verschönen. Solchen Pflichten fühlen sich die herrschenden Klaffen immer weniger gewachsen, je mehr ihr grenzenloses Profitstreben sie zu gewagten Spekulationen treibt, die nicht immer glücklich enden. Nach dem Prinzip Haltet den Dieb" fucht man die Berantwortung da für, daß so viele Menschen mit dem Fluch der Kinderlosigkeit beladen find, von den Unternehmern, Spekulanten und Regierenden, also den wirklich Schuldigen, auf arme, trante, abgeracerte oder auch junge um das Glück der Mutterschaft betrogene Frauen abzuwälzen und spielt den unerbittlichen Richter, wo man allen Grund hätte, sich vor dem Zorn der arbeitenden Boltsmassen zu verfriechen, denen man das einfachste Recht, das Recht auf Elternfchaft vorenthält.
Frauenarbeit und Frauengesundheit.
Bei dem Mangel an statistischem Material über die Frauenerwerbsarbeit und ihre Folgen ist die gründliche Durcharbeitung der Statistiken der rheinischen Krankenkaffen im Jahre 1922 durch den Landesgewerbearzt Dr. Telety in Düsseldorf und die Veröffent lichung im Reichsarbeitsblatt" ein dankenswertes Unternehmen. Den Schluß der jetzt abgeschloffenen Auffayreihe bildet eine Untersuchung der Ertranfungshäufigkeit der weiblichen Arantentaflenmitglieder. Fast in allen einzelnen Krantentassen ist die Erkrankungshäufigkeit der Frau höher, oft beträchtlich höher als die der Männer. Das Uebergewicht weiblicher Kranfmeldungen fonzentriert sich vollkommen auf Frauen im Alter von 20 bis 40 Jahren. In den anderen Altersgruppen überwiegen die Erkrankungen der Männer.
Die Erkrankungshäufigkeit der Frauen zwischen 20 und 40 Jahren hängt mit der starken Beanspruchung ihrer Körperkräfte durch die Geschlechtsfunktion zusammen. Die leberlastung der Frauen durch Mutterschaft und Haushaltsführung neben gleichzeitiger Erwerbsarbeit übersteigt das Maß ihrer förperlichen Widerstandsfähigkeit. In einzelnen Krankenkassen ist die Erkran fungsziffer der Frauen dieser Altersstufe drei. bis viermal so hoch wie die der Männer gleichen Alters. Es sind hauptsächlich Erschöpfungszustände, Blutarmut und Bleichsucht sowie Tuberkulose und Erkrankungen der Geschlechtsorgane, die zur Krankmeldung der erwerbstätigen Frauen führen. Unter den Textilarbeiterinnen ift die Zahl der Fehlgeburten außerordentlich groß.
Denk daran!
Mußt nun weinen, Mutter weine- War dein Kyab', als er noch fleine. Spielte mit den Bleifoldaten, Hatten alle scharf geladen, Starben alle: plumps und ftumm. Ist der Knab' dann groß geworden, Ist dann selbst Soldat geworden, Stand dann draußen in dem Feld. Mußt nun weinen, Mutter, weine Wenn du's lieseft:„ Starb als Held", Dent an seine Bleisoldaten... Hatten alle scharf geladen Starben affe: plumps und stummfi