Die erste Zeitung für Arbeiterinnen.
Der heutigen Generation ist als erfte und einzige Jozialistische Seltschrift für Arbeiterinnen nur die Gleichheit" befannt. Doch hat diese schon Borläuferinnen gehabt, und zwar erschien die erste Jozialistische Frauenzeitung im Jahre 1886. Diese Zeitung hieß " Die Staatsbürgerin", Organ für die Interessen der Arbeiterinnen und der Zentral- Kranten und Begräbnistasse für Frauen und Mätchen in Deutschland ". Herausgeberin dieser Zeitung war Frau Guillaume Schad. Ele erschien in Offen bach a. M. Allerdings betrug die Dauer ihres Erscheinens nur Jechs Monate.
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Der Name von Frau Guillaume- Schack gehört heute auch schon faft zu den vergessenen. Das ist undankbar, denn diese Frau war eine der ersten mutigen Borfämpferinnen für den Sozialismus. Ele diente ihm zu einer Zeit, wo alle die geächtet und cerfolgt wurden, die den Mut besaßen, fich offen zur Arbeiterbewegung au bekennen. Frau Guillaume- Schack hat aber auch sonst viel Mut gehabt. Sie hat mit vielen Traditionen gebrochen, als sie zum Sozialismus tam, denn sie entstammte einer der ältesten schlesischen Adelsfamilien, der Grafen Schad. Die junge Gräfin gehörte zu Jenen Menschen der Aristokratie, wie man sie ja heute auch zuweilen noch findet, Menschen, die sich begeistert in den Kampf für die Freiheit stürzen, weil Adel ihnen unvereinbar erscheint mit Unfreiheit. Die Eltern ließen ihr Kind auf dem Lande auf machsen, ohne ihrer Entwicklung Hemmung anzutun. So wuchs bas junge Mädchen ohne den traditionellen Zwang der Adelskaste auf. Sehr jung machte fie auf einer Reise in die Schweiz die Bekanntschaft eines Künstlers namens Guillaume, dem sie als seine Gattin nach Paris folgte. Die Ehe wurde aber bald getrennt. Gertrud Guillaume- Schack blieb zunächst in Paris und wurde bort durch einen Bastor Fallot eingeführt in die Welt des furchtbarsten Jammers und der Rechtlosigkeit, der sich in dem Worte Reglementierung der Prostitution" birgt. Frau Schack beschloß, den Rampf für diese Arbeit in Deutschland aufzunehmen. Die bürgerfiche Gesellschaft, der es ja meist bequemer ist, die Augen zu verfchließen, statt gegen Vorrechte und Vorurteile zu kämpfen, entrüftete fich über die mutige Frau, die den Mut hatte, sich mit dem Schicksal der Straßendirnen zu beschäftigen. Bon vielen Seiten verfannt und verleumdet, wurde Frau Guillaume- Schack in Darmstadt wegen groben Unfuges angeflagt. Schließlich faß aber an ihrer Stelle die ganze Sittenpolizei auf der Anklagebant, und sie wurde freigesprochen.
In der Erkenntnis des engen Zusammenhanges zwischen fozialer Not und Prostitution erhoffte Gertrud Guillaume- Schad mehr Verständnis bei der Arbeiterschaft und wurde bald überzeugte Sozialdemokratin. Sie gründete den Berein zur Bertretung ber Arbeiterinnen". Die bürgerlichen Frauen wollten in aller Arbeit das politische Element ausschalten, und daher kam es da mals zur Trennung zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung.
Frau Guillaume- Schad forderte nun als eine der ersten deur fchen Frauen die politische Gleichbrechtigung der Geschlechter. Sie brachte im Reichstag einen Brotest ein gegen die Beschränkung der Frauenarbeit in den Fabriken. Sie gründete in furzer Zeit 16 Arbeiterinnenvereine und gab in Offenbach in Heffen das Bere einsorgan„ Die Staatsbürgerin" heraus. Die fozialistische Weltenfchauung vereinigte die Arbeiterinnen im Gefühl ihrer Be brudung. Aber noch war sie nicht zur Klaren Durchdringung getommen. In ihrer Einführung erklärt die Herausgeberin, die Beitung wolle fich nicht begnügen mit Mitteilungen über das, was liberall mode ist oder gekocht wird. Die Staatsbürgerin hat die Staatsverpflichtung als Formel für allen überpersönlichen Dienft on der Allgemeinheit. Noch ist die körperliche und geistige Ent wicklung der Frauen gehemmt, weil alle Gefeße zugunsten des Mannes entschieden werden. Die Frauen sollen Bundesgenoffinnen werden, um Staatsbürgerrechte zu erringen. Arbeiter und Arbeiterinnen müffen Hand in Hand ihren schlimmsten Feind, die Ronkurrenz, zerschlagen und begraben."
Die Seitung wendet sich gegen die Beschränkung der Frauen arbeit. Sie befämpft das Trudsystem und fordert den Normalarbeitstag. Erfolgreich und bedeutungsvoll war der Kampf gegen ble Einführung des Nähzolles, da die Näherinnen damals das Garn felbft liefern mußten. Bom Berliner Magistrat wurden Gewerbeschiedsgerichte für Frauen gefordert. Aber dieses Hinein mifchen in Bolitit lenkte die Aufmerksamkeit der Behörden auf ich. Die Staatsbürgerin" enthielt auch viel statistisches Material. Hier wurde auch der Plan eines Streits der Mäntelnäherinnen erörtert, und, es ist interessant, daß Stöcker damals mit den Führe rinnen wegen Tellersammlungen zugunsten eines Streitfonds verhandelte.
So hat die Staatsbürgerin den Grund gelegt zum Kampf um die staatsbürgerliche und menschliche Gleichberechtigung der Frauen. Aber dauernd wurde ihr Inhalt wie auch die Arbeite rinnenversammlungen fontrolliert und gestört. Mutig wurde der Rampf gegen die Polizeischikanen geführt. Da machte der Ministerialerlah Buttfamers allem Vereinsleben ein Ende. Nr. 23 ber Staatsbürgerin" enthält das Berbot mit dem entsprechenden Kommentar. Am 17. Juni wurde die Zeitung nach dem Erscheinen von Nr. 24 aus der Bostzeitungsliste gelöscht.
Frau Guillaume- Schack hatte durch ihre Heirat mit einem Echweizer das deutsche Heimatstecht verloren und wurde als läftige
Ausländerin" ausgewiesen. Sie ging nach England und fam mur rorübergehend zu ihren Eltern nach Deutschland . Jede öffentliche Betätigung war ihr unmöglich gemacht. Ihr Haus in England, wo fie 1903 hochbetagi starb, war eine Zufluchtsstätte für arme Waisentinder.
Aber das Wert der tapferen Kämpferin lebie. Im Jahre 1891 entstand den Arbeiterinnen ein neues Organ„ Die Arbetterin", von Emma Ihrer herausgegeben. Später redigierte Klara Zetkin diese Zeitung unter dem Namen„ Die Gleich. heit". Der Aufstieg und das schließliche Eingehen dieser Zeitung ist zur Genüge befannt. Heute sind neue Organe für die Arbeite rinnen entstanden. Die Schwierigkeiten früherer Zeiten bestehen nicht mehr. Aber sie sollen nicht vergessen werden, wenn man sieht, deß es heute aufwärts geht.
Zur Berufsausbildung der Mädchen.
Was laffe ich mein Kind werden? Das ist eine Frage, die in diesen Wochen vor der Schulentlassung so manche Arbeitereltern beschäftigt. Im Mittelpunkt solcher Betrachtungen steht oft die Ueber egung, ob es für die Familie überhaupt wirtschaftlich tragbar ist, wenn das Kind, das zu Ostern die Schule verläßt, noch einige Jahre der Berufsvorbildung durchmacht, in denen es wenig oder gar nichts verdient, und manchmal noch Schulgeld foftet. Im allgemeinen lebt in der deutschen Arbeiterschaft ein starkes Berantwortungsgefühl der jungen Generation gegenüber. Auch in der schlimmsten Zeit der Inflation bemühten sich mindestens die Hälfte aller Eltern, sowohl für Ihre Knaben wie für die Mädchen Lehrstellen zu finden, was freilich nicht immer gelang.
Auch jetzt ist noch das Angebot an Lehrlingen größer als die Zahl der Lehrstellen. Die Verhältnisse haben sich aber schon etwas gebessert, und die Eltern sollten sich feine Mühe verdrießen lassen, um, gemeinschaftlich mit den städtischen Berufsberatungsstellen, für ihre Kinder eine paffende Möglichkeit zu gründlicher Berufsaus bildung ausfindig zu machen. Erscheint auch zunächst manchmal der Berdienst verlockend, den der Junge als Laufbursche oder das Mädchen als ungelernte Arbeiterin mit nach House bringen könnten, so ist doch meistens schon in den ersten Jahren nach der Schulent laffung zu fonstatieren, daß die ungelernten Knaben und Mädchen fehr häufig zu den ersten Opfern schwankender Konjunktur werden. Wie in einem von der Reichsarbeitsverwaltung herausgegebe nen Wert über Berufsberatung mitgeteilt wird, hat eine rheinische Großstadt festgestellt, daß vom Mai 1923 bis zum Mai 1924 von je hundert Knaben oder Mädchen arbeitslos waren: Knaben
Stellenwechsel
teinmal einmal mehrmals.
•
gelernte ungelernte
Mädchent
gelernte ungelernte
38
5
24 88
74
25
75
B
e
20 6
25
50
7240
Diese Zahlen zeigen deutlich, daß die ungelernten Jugendlichen ungleich häufiger arbeitslos waren wie die gelernten. Der einmalige Stellenwechsel, der bei hundert Knaben oder Mädchen je zwanzig betraf, war faft immer darauf zurückzuführen, daß die Schulentlassenen nicht sofort eine Lehrstelle fanden, daß sie eine Aushilfsstelle annahmen und später in eine Lehrstelle eintraten. Die Dauer der Erwerbslosigkeit der Ungelernten war drei bis fünfmal folange wie die der Gelernten.
Die finanziellen Vorteile, die Eltern haben, die ihre Kinder ohne Berufsvorbildung als ungelernte Jugendliche zur Arbeit schiden, find also meistens sehr vorübergehender Natur. Sie beschränken sich oft auf wenige Wochen oder Monate. Sie stehen in gar keinem Berhältnis zu der dauernden Schädigung, die ihren Kindern daraus erwächst. Gründliche Berufstenntnisse sind der beste Halt im Leben. Das gilt für Mädchen genau so wie für Knaben. Gerade das ungelernte junge Mädchen ist durch seine häufigere Arbeitslosigkeit außerordentlich gefährdet. In früheren Jahren tamen auf zehn männliche Fürsorgezöglinge dret Mädchen. Heute ist diese Zahl auf neun angestiegen, steht also fast der Zahl der Knaben gleich. Dabei ist die Gesamtzahl der Fürsorgezöglinge mit der wachsenden Zahl der jugendlichen Arbeitslosen im Laufe des Jahres 1923 um ungefähr 160 Broz. geftiegen.
In Berlin ( Berwaltungsbezir? 1-6) wurden im Jahr 1922 ins. gesamt 2466 Jugendgerichtsfälle abgeurteilt. Im Jahr 1923 waren es 4279 Fälle. Auch diese erschreckende Steigerung steht, wie jeder Fachkundige weiß, in engstem Zusammenhang mit der Arbeitslosig. leit der Jugendlichen.
Die Kenntnis dieser Tatsachen folfte alle sozialistischen Mütter veranlassen, nicht nur ihre eigenen Kinder durch gründliche Berufsausbildung vor folchen Gefahren zu schüßen, sondern auch im Kreis ihrer Bekannten das Berantwortungsbewußtsein der Jugend gegen über zu steigern. Vor allem gilt das auch für die Eltern von Mädchen, von denen immer noch manche glauben, daß sich für die wenigen Jahre bis zur Verheiratung der Tochter der Mehraufwand für eine längere Lehrzeit nicht lohne. Heute ist schon nahezu der dritte Teil aller Ehefrauen erwerbstätig. In einem Jahrzehnt wird zweifellos die Berufsarbeit der Frauen noch zugenommen haben. Für das Mädchen in einer gutbezahlten sicheren Stellung sind heute schon die Heiratsaussichten günstiger wie für die ungelernte Arbeiterin. Ueberdies wird auch die Wahrscheinlichkeit für eine glüd. liche Che der Tochter größer, wenn ihre gute Stellung ihr geftattet, nur dann zu heiraten, wenn ihr selbst die besten Vorausfegungen für eine glückliche Zukunft gegeben scheinen. A. G.