Frauenstimme
Nr. 6+ 42.Jahrgang
Beilage zum Vorwärts
20. März 1925
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Frauen, nützt Eure Macht!
Zum erstenmal stehen wir vor der Wahl eines Reichspräsidenten durch das ganze deutsche Volt. Dem allzu früh verstorbenen Genossen Ebert haben wie einen würdigen Nachfolger zu geben. Noch niemals in der Geschichte unserer jungen Republik fanden sich viele Millionen Männer und Frauen so einmütig zusammen wie in den Tagen der Trauer: flage um den Tod Eberts.
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Nicht nur der Trauer um den Verstorbenen galten die gewaltigen Demonstrationen jener Tage. Sie waren zugleich ein Bekenntnis der Massen zur Republik und zur Demokratie. Jener Teil des deutschen Volkes, und besonders auch die vielen Frauen, die anfangs nur widerwillig auf das höfifche Gepränge und sonstige Drum- und- Dran einer Monarchie verzichteten, sie werden in immer größerer Zahl zu Anhängern der Republik . Eine wachsende Mehrheit unseres Boltes beginnt sich ihrer Würde als republikanische Staatsbürger bewußt zu werden. Sie wollen nicht mehr andere Personen Monarchen oder Diktatoren über ihr Geschick entscheiden laffen. Sie selbst wollen richtung bestimmend auf die deutsche Politit und damit auch auf ihr persönliches Leben einwirken. Deutlich spiegelt sich die Festigung der republikanischen Verfassung in der Politit ihrer Gegner. Die Deutschnatonalen hat das Schicksal getroffen, dem keine Partei entgeht, die in jahrelanger demagogischer Hehe ihren Anhängern und Wählern Versprechungen macht, die in Wirklichkeit nicht durchzuführen find, oder zu deren Durchführung der Wille fehlt, wie bei den Aufwertungsversprechungen. Die Enttäuschung bei den deutschnationalen Wählern und Wählerinnen ist bereits riefen groß. Die noch vor wenigen Wochen so anmaßende und herrschfüchtige deutschnationale Partei hat als einzige größere Partei dem deutschen Volk keinen eigenen Kandidaten zur Präsidentenwahl vorgeschlagen.
Viele Tage wurde unter den Rechtsparteien in würdeloser Weise gefeilscht um die verschiedenen Kandidaten. Jarres wurde genannt und beim Auftauchen neuer Namen wie ein alter Besen in die Ecke gestellt, dann wieder hervorgezogen, um, sobald nur eine andere bürgerliche Kandidatur möglich schien, wieder beiseite geschoben zu werden. So ging das mehrmals hin und her, bis dann schließlich nach tagelangem heißen Bemühen doch nichts Besseres gefunden würde, als eben dieser oft verschmähte Jarres.
Interessanter noch ist, daß in dem langen Kuhhandel des Rechtsblocks um einen Präsidentschaftskandidaten, in dem so piele gewogen und zu leicht befunden wurden, nicht ein einziges Mal der Name eines Deutschnationalen aufgetaucht ist. Die Deutschnationalen sind nach der Sozialdemokratie die stärkste Partei des Reichstages. Sie sind die Partei, die stolz von sich behauptet, daß sich alle großen Führer der deutschen Nation in ihren Reihen finden. Haben sie doch gerade mit dem Hinweis auf die große Zahl ihrer alten bewährten Führer" nicht wenig Eindruck bei einem Teil der weiblichen Wähler gemacht. Die Bildung solcher Legenden um die großen Führer" war dem kaiserlichen Deutschland ein wichtiges Mittel zur Niederhaltung der eigenen Meinung seiner Untertanen". Die Deutschnationalen hatten mit solchem Schwindel, den sie aus ihrer Regierungszeit bis 1918 vortrefflich beherrschten, auch in der deutschen Republik noch Erfolge. Besonders auf die Frauen hat das offenbar start gewirkt. Nach Stichproben, die bei getrennter Wahl beider Geschlechter vorgenommen wurden, und die sich auf eine halbe Million Wähler stüßen, ist anzu nehmen, daß von den 103 deutschnationalen Abgeordneten des
gegenwärtigen Reichstages 54 allein mit den Stimmen von Frauen gewählt wurden.
Auch bei der Wahl des Reichspräsidenten wird die Abstimmung der Frauen wieder ausschlaggebend sein. Bon den rund 38 Millionen Wahlberechtigten find mindestens 20 Millionen Frauen. Die Frauen machen bei allen Wahlen so eifrigen Gebrauch von ihrem Wahlrecht, daß ihre Bedeutung für den Ausfall der Präsidentenwahlen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
einen neuen Es gilt, der deutschen Republik einen ührer zu wählen. Die Frauen sollten dabei, die würdevolle Haltung der Sozialdemokratie vergleichen mit dem ratlosem Hin und Her der Rechten. In den Reihen der Sozialdemokratie finden sich die unverbrauchten Kräfte, die bis 1918 von allen Regierungsgeschäften ferngehalten wurden. Aus den Reihen der Sozialdemokratie stammte der erste Präsident der deutschen Republik. Diesem sozialdemokratischen Reichspräſidenten wieder einen Sozialdemokraten zum Nachfolger zu geben, muß Ehrensache der deutschen Arbeiter. Ich aft sein. In den Reihen der sozialdemokratischen Führer war das Suchen nach einem geeigneten Kandidaten für das hohe Amt des Reichspräsidenten nicht schwierig. Einmütig wurde unser Genosse Otto Braun aufgestellt. Er entstammt, wie Ebert, der Arbeiterschaft. Er hat, wie er, während der Kriegsjahre dem Vorstand der Sozialdemo kratischen Partei angehört und ist nach dem November 1918 vom Volf in die Regierung berufen worden. Zunächst war er Landwirtschaftsminister in Preußen, dann hat er, während der letzten Jahre, als preußischer Ministerpräsident, zusammen mit unserem Genossen Severing, aus Preußen ein Land gemacht, in dem Ruhe und Ordnung die Voraussetzungen zu einer stetigen Befferung der Verhältnisse bildeten, während in anderen Ländern Kämpfe um die Regierungsmacht heute zerstörten, was gestern aufgebaut wurde. Bei seinem Ausscheiden aus der preußischen Regierung wurde feine Tätigkeit, feine ruhige und selbstverständliche Würde und sein Talent zur Führung schwieriger Verhandlungen, trop aller politischen Gegnerschaft, anerkannt bis weit in die Kreise der deutschen Volkspartei.
Gaben, wie sie hier Otto Braun von seinen politischen Gegnern nachgerühmt werden, braucht der Präsident der Deutschen Republik. Er hat in Krisenzeiten, in Zeiten des Regierungswechsels den Ausweg zu finden aus dem Chaos, das dann gewöhnlich zu herrschen pflegt. Er hat Deutschland nach außen zu vertreten. Diese wichtige Aufgabe erfordert die besondere Aufmerksamkeit der Frauen. Es kann den Frauen nicht gleichgültig sein, ob wichtige Verhandlungen mit dem Ausland von einem Präsidenten der Rechten geführt werden, der sich mit Revanchegefühlen an den Berhandlungstisch setzt. An diese Stelle gehört ein ehrlicher deutscher Republikaner und ein Mann voll ehrlichen Friedenswillens, so wie Ebert es war, und wie Otto Braun es ift.
Alle Frauen, die Deutschland nicht der Gefahr eines neuen Krieges aussehen wollen,
alle Frauen, die zur Festigung der Republik und damit zur Erhaltung des Frauenwahlrechtes beitragen wollen,
alle Frauen, die der Rechten die verdiente Antwort auf ihren Aufwertungsschwindel und auf die Zuschanzung von 715 Goldmillionen an die Berg- und Industrieherren der Ruhr geben wollen,