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Die Frau im Staate.

Auch dem Weibe hat die Deutsche Reichsverfaffung neben Rechten Pflichten zugeteilt! Die Frau ist in der Neuzeit mehr denn je Mitarbeiter allgemeiner Volkswohlfahrt geworden und ihre Betätigung wird, sei es als Hausfrau und Mutter oder als Glied ser öffentlichen oder privaten Wirtschaftspflege, noch größeren Umfang gewinnen müssen, wenn wir einen gesunden und kräftigen Volks­förper erstreben. In welchem Maße sich die Verfassung berechtigend oder verpflichtend der Frau gegenüber ausspricht, foll in der Folge turz beleuchtet werden.

So betrachtet, gibt der Artikel 109 der Verfassung allen Deutschen gleiche Rechte und Pflichten und hebt Vorrechte oder Nach­teile der Geburt oder des Standes auf. Die bei der Verfassungs­beratung in der Nationalversammlung von der Linken gestellten An­träge, alle die Stellung der Frau auf dem Gebiete des bürger­lichen Rechts einschränkenden Bestimmungen aufzuheben, wurden as­gelehnt. Ein Recht von grundlegender sozialer Bedeutung ist in Artikel 119 festgelegt, nämlich der besondere Schuß der Ehe und die Gleichberechtigung der beiden Geschlechter in ihr. Die Aufgaben des Staates und der Gemeinden follen sich erstrecken auf Reinerhaltung, Gesundung und wirtschaftliche Förde rung der Familie. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf aus­reichende Fürsorge. Der Staat ist für Schuh und Fürsorge der Mutterschaft verantwortlich.

Wie auf Grund der Reichsverfassung der Mutterschuß und allgemein die Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, die Borsorge gegen wirtschaftliche Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfällen des Lebens zu gestalten ist, bestimmt Artikel 161 näher dadurch, daß er ein vom Reich zu Schaffendes Versicherungswesen vorsicht, unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten. Artifel 157 stellt zwar die Arbeits­fraft unter den besonderen Schutz des Reiches, aber damit ist un­löslich die moralische Pflicht verbunden, daß auch jeder Staats­bürger gewiffenhaft für Erhaltung der Arbeitskraft jorge. Arbeits­lofen ist auf Grund des Artikels 163 Abs. 2 entweder eine ange: meffene Arbeitsgelegenheit nachzuweisen, oder der Staat gewährt bas Existenzminimum( vgl. auch Artikel 161).

Mindestens in demselben Umfange, in dem der Staat seine recht lichen Aufgaben der Familie gegenüber, msbesondere i bezug auf ben Nachwuchs, anerkennt, müssen die Eltern, als die Begründer ber Familie, aus sczialmoralischen Gründen bestrebt sein, gesunde, wirtschaftliche und fittlich gehobene Berhältnisse zu erzielen, wenn bas nächst höhere Ziel, der vorbildliche Staat, erreicht werden soll. Der Artikel 120 formuliert diese Pflicht der Eltern mit besonderem Nachdruck, auch als ein natürliches, man fann sagen fittliches Recht zur Erziehung des Nachwuchses zur feiblichen, feelischen und gesellschaftlichen Tüchtigteit". Die vorgenannten Artikel der Verfassung bezwecken mehr oder minder das geregelte Familienleben. Die Frau, die Mutter, die Trägerin der kommenden Generation, ist die berufene Schöpferin der neuen Zeit. In thren Händen liegt es, ihre Gedanken, ihren Glauben an ihr Bolt und ihren Kinderr neu zu gestalten. Diese Kraft, dieses heiligste Recht der Frau sollte sie direkt ihrem eigentlichsten Tätigkeits­felde zuführen.

Den unehelichen Kindern wird in Artikel 121 das gleiche Recht auf Erziehung eingeräumt, wie den ehelichen. Man wird zu geben müssen, daß auf dem Gebiete der Fürsorge für das eheliche Kind noch Erhebliches umzugestalten ist. Das Ziel ist gegeben durch den Wortlaut des Artikels, in dem es. ausdrücklich heißt: Den un­ehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedin­gungen für ihre leibliche, feelische und gesellschaftliche Entwicklung zu fchaffen wie den ehelichen Kindern". Für die Mutter knüpft sich an diesen Artikel dieselve sozialfittliche Pflicht, wie sie Artikel 120 von beiden Elternteilen fordert.

Ist ein Jugendlicher der Ausbeutung fittlicher, geistiger oder auch körperlicher Berwahrlosung ausgefeßt, gibt der Artifel 122 das Recht auf Schutz durch Staat und Gemeinde. Neben dem rein Individuellen Recht auf Grund der Verfassung, das für jeden Jugend lichen gift, wird in diesem Artikei noch weiteren Kreisen ein Recht eingeräumt, um für das Gedeihen bei Jugend sorgen zu können. Recht und Pflicht ist es der Fürsorgeorgane und Erzieher, acht zu haben auf ihre Echüßlinge, nicht nur während der Dienstzeit, da gehört es selbstverständlich zum Beruf. Anleitung und Kontrolle liegt hier bei der Fürsorgetin als ausführendem Glied der Behörde ( Staat und Gemeinde). Die berufenen Jugendführer follte ihre allgemeine, fcziale Gesinnung zu diefen Aufgaben verpflichten, die eine Einschränkung 3. B. auf gefeßliche Arbeitszeit ufw. nicht zuläßt. Organe der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege müssen Un­ehelichen und Jugendlichen nötigenfalls Eilern zu ersetzen bemüht fein. In derselben Beziehung folite überhaupt allgemein jede grau zu den Artikeln zum Schuß der Ehe, zum Schuh des ehelichen und unehelichen Kindes stehen.

Die Berfaffung enthält dann auch noch Bestimmungen, die sich

auf die Frau im öffentlichen Leben des Staates beziehen. So bringt Artifol 128 ein individuelles Recht zum Ausdruck, der allen Staats­bürgern ohne Unterschied nach Maßgabe der Gefeße und entsprechend threr Befähigung und ihren Leistungen Sulaffung zu den öffent­lichen Aemtern sichert. Er betont ausdrücklich, daß alle Ausnahme­bestimmungen gegen weibliche Beamte beseitigt werden. Durch Artife! 130 wird es den Beamten zur sozialen Pflicht gemacht, der Ge famtheit und nicht einer Bartei zu dienen. Bezeichnend, daß die gefeßgebende Nationalversammlung es für notwendig hielt, diese Selbstverständlichkeit in der Verfaffung auszusprechen. Weiter räumt dieser Artikel den Beamten das Recht der Freiheit ihrer

politischen Gesinnung und der Vereinigung ein. Die Stellung des Beamten zu diesem Artikel muß auf einem flaren Verständnis des Unterschiedes zwischen Recht und Pflicht beruhen, damit er ohne Konflitt feinen Aufgaben gerecht wird. Artikel 160 sichert jedem die erforderliche Freizeit zur Ausübung öffentlicher Ehrenämter und staatsbürgerlicher Rechte, sofern nicht der Betrieb, in dem der Be­treffende tätig ist, etwa dadurch erheblich geschädigt wird. Dieses Recht, das sowohl in individueller als auch im sozialer Hinsicht be­sondere Bedeutung verdient, wird an den einzelnen Arbeitsstätten durch den eingesetzten Betriebsrat geschützt. Für Männer und Frauen als Staatsbürger ergibt sich hier eine Pflicht auf jozial­sittlicher Grundlage, die sie bestimmen sollte, in weitestem Maße neben der Berufsarbeit ihre Kraft der Allgemeinheit zu widmen. Was uns Frauen besonders interessieren muß, ist die Regelung des Frauenwahlrechts durch die Verfassung. In den Artikeln 22 und 125 ist das Frauenwahlrecht festgelegt. Es heißt im Artikel 22: Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von den über 20 Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt". Artikel 125 gewährleistet Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis. Durch diese beiden Artikel ist ein ganz individuelles Recht ausgesprochen, das, wie sämtliche hier behandelten Artikel, ohne Unterschied des Geschlechtes Männern und Frauen von mehr als 20 Lebensjahren zusteht. Das Wahlrecht bedeutet für uns Frauen mit besonderer Etrenge auch die Wahlpflicht. Was nügen uns nur die in der Reichsverfassung verbrieften Rechte, wenn wir nicht auch die Macht haben, diese Rechte zu verlangen und auszuüben. Diese Macht ent­springt dem Bolte, entspringt uns Frauen aus unserer Machtstellung in den Landes- und Reichsparlamenten.

und Frauen soll das Bolt emporgebracht werden, nicht fort vom Die Verfassung betont, in der Arbeitsgemeinschaft von Männern Mann und erst recht nicht gegen ihn! Deffen werde fich jede Frau bewußt, insbesondere jetzt, wo es in hohem Maße von den Frauen abhängt, daß bei der Präsidentenwahl die Ideen der Gleich. heit und Freiheit über den Geist der Reaktion den Sieg davontragen. Die Frauen, denen die Republi? und die Weimarer Ber faffung die Gleichberechtigung im Staat verschafft haben, müssen und Berfassung einen treuen Hüter und Berteidiger erhalten. durch die Wahl von Otto Braun dafür sorgen, daß die Republik 21. K.

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Der Kampf um die Spitze.

Die bevorstehende Reichspräsidentenwahl ruft uns nicht nur alle zur Wahlurne, sondern vor allen Dingen auch zum Kampf gegen die Reaktion. Wir müssen nicht nur wieder wählen, sondern wir müssen immer stärker, immer lauter unsere Gesinnung, unsere Welt­anschauung, unser Bekenntnis zum Sozialismus fund tun.

Ihr Frauen dürft euch nicht in Lauheit verlieren und gleich­gültig die Weltanschauung der Monarchisten zur Herrschaft tommen lassen. Denn wenn ihr euch auch von dem politischen Kampf fern­Wirkungen und Auswirkungen des Geschehens fönnt ihr euch nicht haltet und euch euren sozialen Verpflichtungen entzieht, den entziehen!

Und darum kann und darf es euch nicht gleichgültig sein, ob die Fabriken Schwerter oder Pflüge machen, ob die Arbeitszeit in den Werkstätten 8 oder 9 Stunden beträgt, ob ein Monarchist oder ein wahrhaftiger Republikaner an der Spitze des Staates steht.

Glaubt nicht, auf eure Stimme, auf euer Urteil fäme es nicht an. Seid nicht so bescheiden und unterschäßt eure Kraft nicht. Wie­viel früher hätte z. B. der unfelige Weltkrieg beendet werden fönnen, wenn die Frauen dem Militarismus nicht Vorspanndienste geleistet hätten. Durch affive Wahlbetätigung fönnen wir sehr wohl unser Gemeinschaftsschicksal lenten, wie wir umgekehrt durch Lauheit und Faulheit nur der Reaktion Vorspanndienste leisten.

Da gerade bei der Wahl des Reichspräsidenten der Kampf um das Weiterbestehen der Republik ausgetragen wird, ist jede einzelne Stimme von größter Wichtigkeit. Was meint ihr wohl, ihr Frauen der Arbeit, was wir zu erwarten haben, wenn fein ehrlicher Republikaner, sondern ein verkappter Monarchist an die Spitze des Reiches fommt?

An die Spitze des Reiches gehört ein Mann, der die Fähigkeit und den festen Willen hat, nicht bloß die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft von einer bestimmten Verspektive zu betrachten. Er muß erfennen und sehen, wo die Gegenwart hinstrebt. Er darf den Blick nicht rückwärts richten, um die tote Vergangenheit wieder ins Leben zurückzurufen.

Bräsidentenwahl gibt uns Gelegenheit, für dieses Biel zu arbeiten Zielbewußt müffen wir unserem fozialen Ideal zuftreben. Die und die Scharen der rückständigen, unaufgeflärten Frauen für die Friedel Schneider.

Republik und den Sozialismus zu gewinnen.

Eine europäische Schande.

In Europa wurden vor dem Kriege ausgegeben: 49 Proz. aller Einnahmen für den Militarismus, 5,6 Proz. für öffentlichen Unterricht und nur 2,1 Broz. für Rechtspflege.

Die Verhältnisse sind auch nach dem Kriege nicht anders ge worden. Das alles nennt sich dann europäische Kultur.