Staatszugehörigkeit und Ehe.
Bon Erna Büsing.
Wir wissen, daß die Ehe im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Formen annahm und daß sie auch jetzt in den verschiedenen Ländern von einander abweichend gestaltet ist. Sie ist ein Produkt der herr. schenden Gesellschaftsordnung und trägt über dieses Kennzeichen hin aus in sich deutlich das Spiegelbild der Gesetzgebung durch die Männer. Die Ehegesetze sind reformbedürftig durch und durch. Ohne hier die allbekannten Schäden nochmals aufzudecken, soll in den nach folgenden Zeilen nur kurz auf die Fragen Staatszugehörigkeit und Ehe hingewiesen werden.
Eine Frau nimmt bei Eingehung einer Ehe die Nationalität ihres Mannes an. Das heißt, fie wird ihr aufgedrängt. Die Frau mag noch so sehr mit ihrer Heimat verwachsen sein, sie mag noch so fest in der Kultur ihres Bolles wurzeln, fie mag ihre Staatsbürgerpflichten noch so getreulich erfüllt haben, heiratet sie einen Ausländer, fo geht sie einfach ihres Staatsbürgerrechts verlustig. Da Tatsachen die besten Beweise sind, sollen sie auch hier zur Illustration sprechen. Eine schon über 20 Jahre in ihrer Heimatstadt wohnende, eine eigene Wohnung befizende Frau heiratet einen Staatenlofen, der ebenfalls über 10 Jahre in der gleichen Stadt anfäffig ist. Infolge der willkürlichen und oft recht sonderbaren Grenzfeftfeßungen nach dem Kriege haben wir jetzt allerlei Staatenlose. Die erste amtliche Mitteilung, die das junge Ehepaar bekommt, ift eine Nachricht des Wohnungsamts, die besagt, daß die junge Frau infolge ihrer Ehe fein Anrecht mehr auf ihre Wohnung hat!
In einer Hafenstadt heiratete, lange vor Ausbruch des Welt frieges, eine Frau einen Angestellten einer großen deutschen Handelsgesellschaft. Die Mutter dieses Mannes war Deutsche , fein Vater ein in Deutschland geborener Engländer. Die Umgangssprache in der Familie war deutsch . Der Sohn hatte England nie gesehen. Als der Krieg ausbrach, wurde dieser Sohn in Ruhleben interniert, feine Frau geriet in die bitterste Rot und fonnte in ihrer Heimatstadt bei feiner Behörde( Brotkartenausgabe usw.) Beschäftigung finden- weil sie Engländerin war, die freilich faum ein Wort Englisch verstand.
Eine Deutsche hatte sich mit ihrem Jugendgespielen in Amerika verheiratet. Der Mann hatte das amerikanische Bürgerrecht er. worben. Er starb jung und feine Witwe kehrte in die gemeinsame Heimat zurüd, wo sie ihr kleines Vermögen verzehrte. Bei Ausbruch des Weltkrieges war sie bereits ein betogtes Mütterlein. Als aber Amerika in den Krieg eintrat, befam die Frau vom Festungskom mandanten die Aufforderung, das Festungsgebiet( ihre Heimatstadt) In foundsoviel Stunden zu verlassen, da sie feindliche Ausländerin fei. Hinzu kommt, daß eine Naturalisierung feindlicher Ausländer während eines Krieges unmöglich ist. Zudem ist jede Naturalifierung mit vielen Laufereien und mit Geldausgaben verbunden.
Diese Beispielsliste traß eigenartiger Fälle ließe sich mit Bei trägen aus allen Ländern beliebig verlängern. Die fortschrittlich gelonnenen Frauen fämpfen schon seit langem gegen diese Willküre bestimmung der Staaten, die eine Staatsbürgerin furzerhand an eine fremde Nation verfchenft. Obwohl sie sehr wohl ihre eigene Nationalität behalten könnte, wodurch ihr, namentlich im Auslande, auch ohne weiteres der Schuh durch den Vertreter ihres Heimatlandes gewährleistet wäre. Begründet wird diefes eigenartige Verfahren in Deutschland mit dem Hinweis:„ Die Autorität des Mannes müsse unbedingt gewahrt bleiben." Auch jest, wo die grundsägliche Gleich berechtigung den Frauen zuerkannt ist, hat sich in diesen Beftim mungen gar nichts geändert, denn jede Reformbestrebung auf diesem Gebiet hat man glatt abgelehnt. Die Berquidung der Fragen Ehe und Staatszugehörigkeit fommt nur für eine ganz verschwindend kleine Anzahl von Frauen direkt in Beiracht, jedoch follte die Handhabung Dieser Fragen alle denkenden Frauen einmal wieder darauf hinweisen, daß die heutige Gesellschaftsordnung in fich gar nicht die Möglichkeit trägt, beiden Geschlechtern gleiches Recht zuteil werden zu lassen.
Wie in Defterreich, so ist auch in Lettland in der zweiten Hälfte des März dieses Jahres der auf der internationalen Frauen fonferenz in Kopenhagen 1910. beschloffene Internationale Frauening unter großer Beteiligung abgehalten worden. Einer Reihe von Frauenversammlungen in fleineren Orten folgte eine große Frauen fundgebung am 29. März in Riga , zu der die lettischen Genoffinnen als Rednerin die Genoffin Mathilde Wurm berufen hatten.
In Lettland wie in anderen Ländern haben die Franen nach der Revolution die verfassungsmäßige Gleichberechtigung mit dem Mann zwar erhalten, find aber in Wirklichkeit durchaus minderen Rechts. Das Wahlsystem in Lettland ermöglicht jedem Wähler, ihm nicht genehme Ramen von der Kandidatenliste zu streichen und andere hinzuzusetzen. Das hatte zur Folge, daß bei der letzten Wahl alle Frauen von der Mehrheit der Wähler aus der Liste gelirichen worden waren, so daß nicht eine einzige weibliche Abgeordnete in den Sejm einziehen konnte. Dies rief unter den
Senoffinnen sehr berechtigten Unwillen hervor und sie bemühlen fich, eine Aenderung des Wahlgefezes herbeizuführen, um bei den im Herbst dieses Jahres bevorstehenden Wahlen den Frauen au diesjährige Frauentag insbesondere der Forderung, an die Stelle ihrem Recht, gewählt zu werden, zu verhelfen. Daher galt der ber veränderlichen Listen feste zu setzen.
Den zu der Frauenversammlung zahlreich erschienenen Broletarierinnen, denen sich nur sehr wenige bürgerliche deutsche Frauen hinzugefellten, legte Genoffin Wurm ausführlich das deutsche Wahlsystem dar, auf Grund dessen die Genoffinnen in den derzeitigen Reichstag als Abgeordnete einziehen konnten. Eingehend schilderte sie die Erfolge, die die Mitarbeit der Genoffinnen im Reichstag seit Beginn ihrer politischen Gleichberechtigung gezeitigt hat. Die Zuhörerschaft folgte mit dem größten Interesse diesen Ausführungen. Leider konnten die Frauen Lettlands noch) nicht viel durchseßen, da thnen sehr wenig Möglichkeit zur direkten Einwirkung auf die Gesetzgebung gegeben ist. Die lettischen Genossinnen waren unendlich dankbar für die Informationen, die sie endlich einmal über Erstrebtes und Erreichtes aus der Tätigkeit der Genoffinnen in Deutschland erhalten haben, und es zeigte sich auch hier, daß nichts so anfeuernd auf die aktive Teilnahme und das Interesse der Frauen wirkt und nichts fie so sehr ermutigt, den Kampf um ihre Gleichberechtigung weiter zu führen, als die Kunde von dem, was in anderen Ländern bereits erreicht ist. Allerdings darf man dabei nicht vergessen, daß die Frauen- und Arbeiterinnenbewegung in Lettland noch sehr jungen Datumis ist, daß bis zum Jahre 1917 für alle, die sich zum Sozialis mus bekannten, unter der Barenherrschaft nur illegale Arbeit möglich war, an der zwar auch zahlreiche Frauen tapfer teilnahmen, die aber doch mir eine verhältnismäßig dünne Schicht erfaßte. Hin zu kommt, daß zurzeit in Lettland eine schreckliche Arbeitslosigkeit herricht, zahlreiche Betriebe stillstehen und die auf dem Lande in den zerstreut liegenden Höfen und Jungwirtschaften lebenden Frauen und Mädchen noch weit schwerer zu erfassen find, als das weibliche Landproletariat Deutschlands .
Um drei Uhr nachmittags hatte die Versammlung begonnen und mit bewunderungswürdiger Ausdauer hörten die Frauen nicht nur der deutschen Rednerin und ihrer Uebersetzerin aufmerksam zu, sondern auch den folgenden leitischen Genosfinnen, die die einheimischen Verhältnisse ganz besonders scharf beleuchteten. Den Reden folgten dann Chorgejänge, Rezitationen und Liedervortrag. den nicht nur von den lettischen, sondern von den Genoffinnen aller Die Kundgebung, die bis neun Uhr abends dauerte, wird hoffentlich Länder gewünschten Erfolg haben, daß bei der diesjährigen Wahl das Resultat ein auch für die Frauen befriedigendes fein wird. Die Genofsinnen in Lettland beginnen schon jetzt mit ihren Borbereitungen, die Wähler und Wählerinnen dafür zu gewinnen, die aktivsten und tüchtigsten Genofsinnen, die als Kandidatinnen auf den Listen stehen werden, nicht zu streichen, sondern ihre Stimme für fie abzugeben. Dem Frauentag der lettischen Genofsinnen folgte wenige Tage darauf ein zweiter, einberufen vom Sozialdemokratischen Bund der jüdischen Arbeiter und Arbeiterinnen, auf welchem ebenfalls Genoffin Wurm referierte, der sehr gut besucht war und dessen Forderungen fich in derselben Richtung bewegten, wie überhaupt die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen in Lettland eine durchaus harmonische genannt werden kann. Hoffentlich wird der Internationale Sozialistische Kongreß in August den Genoffinnen Gelegenheit geben, ihre Erfahrungen über die Wahlsysteme in den verschiedenen Ländern auszutauschen, um feststellen zu können, welches System den Frauen den ihnen gebührenden aktiven Anteil an der Gesetzgebung am besten sichert, um dieses dann in allen Ländern zu erstreben.
Daß von der papierenen bis zur tatsächlichen Gleichberechtigung der Frau noch ein weiter Weg ist, dafür ist Lettland ein lebendiges Beispiel ganz zu schweigen von jenen Ländern, in denen über houpt das Frauenwahlrecht noch nicht existiert und deshalb hot ter internationale Frauentag noch heute seine volle Bedeutung.
Organisiert die Hausangestellten!
Wenn ich hier sage, daß die Hausangestellten, die doch nach Herkommen und Beruf faft ausschließlich der Arbeiterklaffe angehören, politisch meift rechts gerichtet find und natürlich dem gemäß ihre Stimmen abgeben, so behaupte ich das aus eigener Erfahrung. Ich bin selbst 10 Jahre lang in Offiziers und hohen Beamtenhäusern gewesen und weiß, daß man dort sehr wohl versteht, unerfahrenen Menschenfindern das eigene Bollen zu fuggerieren, und zwar so nachdrücklich, daß so ein junges Mädchen hingeht und den Namen eines wirtschaftlichen Feindes ihrer nächsten Angehörigen auf dem Stimmzettel anfreuzt.
Wenn ich ferner behaupte, daß die meisten Hausangestellten in politischen Dingen völlig unwissend find, fo fei hlerfür nur folgendes fleine Beispiel angeführt: Ein sonst nicht unintelligentes Dienstmädchen fragte mich anläßlich der vielen Flaggen bei der leßten Reichstagswahl, was denn die schwarzrotgelbe Fahne für eine Bedeutung habe! Nun ist dieses Mädchen in einem Arathaushalt flart mit Arbeit überlastet, so daß sie abends totmüde ins Bett finkt, ohne sich um irgend etwas außer ihrem Bereich zu fümmern, aber das geht dann hin und wählt! Wird aber wirklich mal eine Zeitung zur Hand genommen, so doch selbstverständlich die, welche die Herrschaft hält. Woher soll da die Erkenntnis kommen?
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Kostbare Stimmen gehen auf diese Weise der Partel verloren. Darum organisiert die Hausangestellten!
Erzieht euch an ihnen Mitkämpfer und Mitarbeiter an dem großen Werk des fozialen Aufstiegs. Elsbeth G.