Ehefcheidungsstatistik.
Im Verhältnis zur Borkriegszeit haben sich in den Jahren nach dem Kriege die Ehescheidungen in Deutschland mehr als verdoppelt. Auf hunderttausend Einwohner tamen Ehescheidungen
1913 1920
1921
1922 1923
9
.
26,6
59,1
62,9
59,6
55,0
Insgesamt wurden im Jahre 1923 rund 34 000 Ehen geschieden. Am häufigsten erfolgten Ehescheidungen in den Großstädten, vor allem in Berlin . Hier war im Jahre 1913 die Scheidungsziffer auf je hunderttausend Einwohner 4,1 mal fo hoch wie im Reichsdurchschnitt, aber im Jahre 1923 nur noch 3,2 mal so hoch. Das ist auf das besonders starte Ansteigen der Scheidungsziffern in Sachsen , Westfalen , in der Rheinprovinz , in Mecklenburg- Schwerin und in Schaumburg- Lippe zurückzuführen.
Die oft unüberlegt geschlossenen Kriegsehen haben in größerer Zahl zur Scheidung geführt. Das zeigte sich besonders 1920 und 1921, war aber auch 1923 noch unverkennbar. In diesem Jahre wurden von allen fünf bis zehn Jahre bestehenden Ehen etwa sechs vom Tausend geschieden. Die entsprechende Zahl für 1913 ift ungefähr 2,3 vom Tausend der damals bestehenden Ehen.
Unter den Scheidungsgründen find Ehebruch"," Berlegung der ehelichen Pflichten" und" Ehrlofes Berhalten" vor wie nach dem Kriege bei weitem die häufigsten. 1913 war bei rund 10 Broz. aller Ehescheidungen Bösliches Verlassen" der Grund, 1923 nur noch bei 4,6 Proz. aller Scheidungen. Der„ Lurus" getrennter Wohnungen bei einem Ehezerwürfnis fönnen sich in unJerer Zeit der Wohnungsnot eben nur sehr wenige leisten. Ja, es tommt sogar vor, daß troß erfolgter Ehescheidung die beiden früheren Eheleute noch geraume Zeit ihre Wohnung gemeinsam benutzen müssen, weil es ihnen nicht gelingt, eine andere Wohnung zu betommen.
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Im Ausland weisen die Scheidungsziffern nach einer Statiftit in Wirtschaft und Statistik" sehr große Unterschiede auf. Im Jahre 1922 tamen Ehescheidungen auf je hunderttausend Einwohner: Deutsches Reich 59,6 Niederlande 27,8 14,8 Belgien . 49,3 Finnland Schweden Norwegen Dänemark
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·.
S
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70,4
54,4
51,8
89,4 Rumänien . 6,8 Ver. Staaten von Amerika 135,4 92,0 7,8 Japan . In den Bereinigten Staaten und in Japan war also die Schei dungshäufigkeit am größten, am niedrigsten in England und Wales und Schottland . Japan ist das einzige Land, in dem nach dem Kriege weniger Scheidungen erfolgten als vor dem Kriege.
Die Scheidungsziffern, die im Jahre 1922 schwankten zwischen 6,8 und 135,4 pro hunderttausend Einwohner, find tein Gradmesser für das Eheglück in den verschiedenen Ländern. Sie hängen mehr von den nationalen Besonderheiten des Familienrechts, der religiösen und fittlichen Anschauungen ab. Es laffen sich deshalb aus den Unter Ichieden in den Scheidungsziffern eher Schlüffe auf die Gefeßgebung als auf das Eheleben in den betreffenden Ländern ziehen.
Für Rußland fehlen vergleichbare Zahlen. Sie wären besonders interessant, well die russischen Gefeße einer Ehefcheidung verhältnis mäßig am wenigsten hinderlich find.
Anders steht es in Deutschland . Hier führt seit vielen Jahren die Sozialdemokratie einen Kampf um Erleichterungen bei der EheScheidung. Die Zahl der Mitkämpfer ist besonders unter den Frauen( auch den bürgerlichen) immer größer geworden. Eine Mehrheit fonnten unsere Anträge indessen im Reichstag noch nie erringen. Noch im März dieses Jahres wurde unsere Forderung im Reichstag zurückgewiefen mit der Erklärung des Reichsjustizministers Frenten, daß er einer Erleichterung der Chefcheidung niemals zu ftimmen werde. Diese Erlichterung wird aber trotzdem fommen und Herr Frenken wird gehen, wie schon so mancher Reaktionär vor ihm.
Hemmungen ausschaltete, wurden durch die Einschränkung des Alkoholverbrauches verhindert.
In den Bereinigten Staaten von Amerita wird nach dem Jahresbericht des öffentlichen Gefundheitsamtes der Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten vorwiegend mit den Mitteln der Propaganda geführt. Laufende von verschiedenen Blafaten fuchen auf die Bevölkerung einzuwirken. Eine Wanderausstellung„ Erhalte dich gesund!" wurde bisher von 740 000 Jugendlichen besucht. 427 Kliniken wurden zur Aufnahme von Geschlechtsfranten eingerichtet, in denen im Jahre 1924 rund 185 000 Kranke behandelt wurden. Sozialfürforger und Fürsorgerinnen suchen die Familien der Er. frankten auf und bemühen sich, einer Ansteckung der Familienmit glieder entgegenzuwirken. Gleichgültige Kranke veranlassen sie zum Arzt zu gehen. 60 000 Aerzte stehen im Mittelpunkt dieses Kampfes. Den schädlichen Einflüssen des Kurpfuschertums wird ent gegengewirkt. Biele Apotheken lehnen die Führung von Geheimmitteln gegen Geschlechtskrankheiten ab. 20 000 3eitungen haben fich verpflichtet, alle Anzeigen von Kurpfuschern zurüdzuweisen.( In Deutschland verzichtet faft nur unsere Porteipreffe auf Inferateneinnahmen aus dieser trüben Quelle.) Das amerikanische Alkoholverbot ist ebenfalls eine starke Waffe im Kampf gegen die Geschlechtsfrankheiten. 1. G.
Kleine Raffles.
Bon Lisbeth Riedger.
Untergrundbahn 2. Klasse, Seeftraße. Wenn schon die Gegend weniger feudal ist, so ist doch wenigstens in der Untergrundbahn wieder für die nötigen Klaffenunterschiede gesorgt. Zwei Kinder fteigen ein, Mädchen von vielleicht 9 und 11 Jahren. Seidenhut, Seidenmantel, Lackschuhe, dazu Refi- Schirm und modernes Geld. täschchen, alles zeigt, daß die beiden in der Wahl ihrer Eltern vor. fichtig gewesen find.
Da die Bahn noch hält, ist ihre Unterhaltung deutlich vernehm bar. Ich muß einmal sehen, was ich von meinem Taschengeld noch übrig habe. 15 M. habe ich vorgeftern gefrlegt. Ach, bloß noch 7,50 M.1" Na, was hast du dir denn schon alles gekauft?" Borgestern Pralinés, 1,50 M., weißt du, Riquet eff ich so gern! Gestern auch zu 1,50 M. Dann war ich gestern mit meiner Freundin in der Konditorei... llebrigens gestern abend..." Aus der Unterhaltung war nur noch zu hören: Café Baterland" und mein Bati fuhr mit uns im Auto nach Haufe!" Darauf die neunjährige Dame":" Wir wollen in den Spreewald fahren, die Autofahrt toftet bloß 30 M. Mutti fagt, das ist sehr billig." Dabei nahm fie aus ihrem Täschchen einen Spiegel und befah sich eifrig, strich die Haare zurück... Alles, wie die Alten fungen!
Und ich sah wieder die halbverhungerte Frau vor mir, die eine Stunde vorher mir geflagt hatte:" Wenn ich bloß die beiden Kinder fatt triegte. Mein Mann verdient als Bantinenmacher 18 M. die Woche, und ich fann fo wenig mitarbeiten, ich bin lungenfrant. Gerade, daß ich durch die Hausreinigung die Miete habe."
Hier 15 M. Taschengeld für die Elfjährige, dort 18 M. Wochenlohn für 4 Menschen! Auf der einen Seite überfättigte, blafierte Kinder- soweit der Name hier noch paßt, denn man hat sie durch die verkehrte Erziehung um das Schönfte, um ihre Kindheit, be trogen, auf der anderen Seite zwei Kinder, die auch keine mehr find. Sie haben zuviel von der Not des Lebens gesehen, als daß sie auch nur noch einen Tag lang vermögen, forglos zu lachen und unbefangen fich zu freuen.
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Und doch bemerkte ich ein Zeichen von Uebereinstimmung in beiden Fällen. Als ich nämlich die beiden fleinen Damen" beob achtete, sagte die eine ziemlich deutlich zur anderen: Du, die Olle hört zul" Anders äußern sich die gewöhnlichen Kinder nämlich auch nicht, und ich wünschte den beiden, daß ihre Eltern recht schnell ihren Reichtum verlieren möchten, wie sie ihn wahrscheinlich schnell erworben haben. Bielleicht würden dann noch ganz vernünftige Menschen aus den beiden, während sie fo auf dem Wege find, Drohnen der menschlischen Gesellschaft zu werden.
Der dänische Genosse
J. B. Nielsen, der fich große Berdienste um die Unterbringung deutscher Kinder in Dänemark während der Kriegs- und Inflations.
Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten. seit erworben hat, plant noch für diesen Sommer ein neues Wert
Der Kampf gegen die Geschlechtsfrankheiten beschäftigt nicht nur die deutsche Deffentlichkeit und die deutsche Gefeßgebung. Er ist fast für jedes Land zu einer Frage von größter Bedeutung geworden. Ueber Erfolge in diesem Kampf berichtet das schwedische Gesundheitsamt. Schweden hat seit 1918 ein Gesez zur Be fämpfung der Geschlechtskrankheiten, das längere Freiheitsstrafen für fahrlässige Verbreitung von Geschlechtskrankheiten androht. Bor einigen Jahren wurden in Stocholm wöchentlich 50 bis 60 neue Ansteckungsfälle gemeldet. Jegt hat sich diese Zahl auf 1 bis 2 vermindert. Oft vergehen Wochen, ehe ein neuer Ansteckungsfall gemeldet wird. Gegen 1919 ergab fich im Jahre 1924 eine Berminderung der Syphilis um 85 Proz. Die fofortige Inanspruchnahme des Arztes und moderne gute Behandlung haben die Zahl der Heilungen von Syphilis außerordentlich gesteigert.
Die günstige Wirkung des Gesetzes zur Bekämpfung der GeIchlechtsfrankheiten wurde noch gesteigert durch das schwedische Alkoholeinschränkungsgeseh, das die Nüchternheit des Schwedischen Boltes sehr förderte. Biele Ansteckungen mit Geschlechtsfrankheiten, die früher nur möglich waren, weil der Alkoholgenus alle
großzügiger Jugendfürsorge. Deutschen und dänischen Kindern von 12 bis 14 Jahren soll die Möglichkeit gegeben werden, ihre Sommer ferien in Dänemark bzw. Deutschland zu verleben. Anfang Auguft tommen 60 Kinder aus Frankfurt a. M. für acht Tage nach Kopen hagen und andererseits sollen im Oftober Kopenhagener Kinder nach Berlin reisen, um sich die deutsche Reichshauptstadt anzusehen und Eindrücke über die Grenze der eigenen Heimat hinaus zu fammeln. Die Gewerkschaften und die sozialdemokratische Jugendbewegung werden sich der Durchführung dieses Jugendhilfswerkes widmen.
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Scherz und Ernst
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Allmählich. Meine Tochter Ilse ist zehn Jahre alt und die Aeltefte von vier Kindern, von denen das jüngste noch fein Jahr alt ist. Sie muß jede freie Minute Kindermädchen spielen. Sagt sie neulich zu mir:" Du Mutti, ich bete jeden Abend zum lieben Gott, daß wir fein Kind mehr friegen. Allmählich möchte ich doch ( Jugend.) auch mal was von meinem Leben haben!"