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Proletarische Erziehung.

Von Dora Fabian .

In dem Augenblick, in dem nun auch die letzten, ach, so beschei­denen Errungenschaften der Revolution auf dem Gebiete des Schul­wesens verloren zu gehen drohen, wird es nun jedem klar, daß eine Erneuerung des staatlichen Bildungsapparates in unserem Sinne nicht zu erhoffen ist, so lange nicht die wirtschaftliche und politische Macht unser ist. Auch Erziehungsfragen sind Machtfragen: Für diese Erkenntnis werden uns die kommenden Monate einen unübertreff lichen Anschauungsunterricht liefern.

Um so dringlicher erhebt sich nun die Verpflichtung, da, wo wir können, unverzüglich zu beginnen mit der neuen, der proletarischen Erziehung. An uns alle ergeht dieser Ruf, an jeden Vater, vor allem aber an jede Mutter, der Ruf, anzufangen im engsten Kreise, in der Familie, darüber hinaus aber aufs innigste zusammenzuarbeiten mit

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oflein heben, underſtanden auch von den Eltern des Broletariats. Große Aufgaben treten da an unsere Eltern heran, besonders schwer zu lösen deshalb, weil wir alle, die wir im neuen Geiste erziehen wollen, selbst ja noch im alten heranwachsen. Der erste, wichtigste Schritt auf diesem Wege ist die Beantwortung der Frage: Was ist proletarische Erziehung? Sagen wir es mit wenigen Worten: Für die proletarische Erziehung ist das Kind nicht um seiner Eltern willen da( wie in den Zeiten des Absolutismus ), aber auch nicht um seiner selbst willen( wie für den Liberalismus feit Rousseau ), sondern um der kommenden, der werdenden Gesell­schaft willen. Wir erziehen im Kinde den Trägerder werden den Gesellschaft".

Unter diesem Titel behandelt dieses Thema Genosse Kurt Löwenstein in seinem in der Verlagsbuchhandlung Jungbrun­nen, Wien , erschienenen neuen Buche, das aufmerkjamste Beachtung verdient. Mit dieser Zielsetzung der Erziehung des Kindes zum Träger der werdenden Gesellschaft fagt uns Löwenstein bereits, wie dieser Mensch aussehen muß, der diese fünftige Gesellschaft schafft und trägt: Kämpfer muß er sein, bewußt seiner Klaffengebundenheit, opferbereit für die Ideale des Sozialismus, verantwortungerfüllt gegenüber der Gemeinschaft. Und daraus ergibt sich der Geist unse rer Erziehung, in der Familie wie in der Schule: fie darf nicht mehr aufgebaut fein auf der Grundlage der Autorität, dem Verlangen des stärkeren Teils nach wortloser Unterordnung des schwächeren, sondern fie muß geboren werden aus dem Geifte wahrer Demokratie", der Anerkennung der völligen inneren Gleichberechtigung aller mensch­lichen Wesen.

Wie fich diese Grundgedanken in die Praxis umsehen lassen, das führt Löwenstein an zahlreichen Beispielen, besonders aus der Selbstverwaltung des modernen Schulwesens, sehr eindringlich aus. Immer wieder leuchtet aus seinen Worten der Zukunftsglaube her vor: Bom Standpunkt der Erziehung gefehen ist die Gesellschaft, für die wir das Kind erziehen, nicht etwas Gegebenes, sondern etwas Aufgegebenes, teine Anpassung und Reproduktion, sondern Neugestaltung und Schöpfung." Und entsprechend:" Nicht der ge= wordene Mensch, nicht der gegenwärtige Mensch, sondern der merdende Mensch ist der Inhalt all unseres Bildungs- und Er­ziehungsstrebens.

2lber natürlich bedarf es für den Erzieher nicht nur des Bildes des fünftigen Menschen, sondern auch der genauen Kenntnis des gegenwärtigen; nicht nur des Zieles der Erziehung, sondern auch der intimen Bertrautheit mit dem Wesen dessen, der erzogen werden soll. Mit anderen Worten: der proletarische Erzieher muß das proletarische Kind fennen, in seinen Lebensbedingungen und äußerungen, in seiner sozialen wie in seiner psychologischen Natur. Wer sollte auf diesem Wege ein besserer Führer sein, als Otto Felig Ranig, der geniale Leiter der österreichischen Kinderfreunde bewegung, in seinem foeben erschienenen Buche Das prole tarische Rind in der bürgerlichen Gesellschaft." ( Urania- Berlags- Gesellschaft, Jena .) In fachlichster Darstellung, die gerade deshalb um so ergreifender wirkt, schildert Kanitz die schweren Lasten, die die bürgerliche Gesellschaft auf die Schultern des prole tarischen Kindes legt, und zeigt die große Verantwortung der proles tarischen Familie, aus diesen rechtlosen Sklaven nicht Menschen werden zu laffen, die nun ihrerseits nur das Recht" des Stärkeren zur Unterdrückung des Schwächeren erstreben, sondern Revolutionäre , Klaffenfämpfer im Sinne des Sozialismus. Das fleine Buch ent hält eine Fülle wichtiger Anregungen für den Erzieher wie für den Bolitifer.

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Löwenstein und Ranig ergänzen sich in vorbildlicher Weise. Beider Bücher find wichtige Hilfsmittel für die Erziehung der Arbeiterklasie im Geiste des Sozialismus.

Erziehung zum Frieden.

Beschluß des Genfer Kongresses.

Der erste internationale Kinderwohlfahrtstongreß, der vom 24. bis 28. August in Genf abgehalten wurde, nahm nach einem Re­ferat von Gabrielle Duchene folgende Resolution an, die fürzter Form allen Schulen mitgeteilt werden soll:

in ge

Der 1, Kinderwohlfahrtstongreß wünscht, daß die Erziehung die Kinder in allen Ländern neben der Baterlandsverehrung einer größeren Liebe zur Menschheit entgegenführt und daß, mit Unter­ftügung der zuständigen Behörden, zwischen den Kindern aller Na­tionen ein Strom der Sympathie und des Vertrauens entsteht, der den Beginn einer Aera des Weltfriedens beschleunigt.

Unter der Annal. I. bat berte fein nicht zu verhindern­des Schicksal ist und das die Erziehung ein mächtiger Friedensfaktor sein kann;

2. daß der unfelige dogmatige aterricht die Entwicklung des Denfens hemmt und Gefahren der Reaktion mit sich bringt;

3. daß es wirkasmer ist, pofitive Qualitäten zu schaffen, die sich einem Fehler widersetzen als zu versuchen, diesen direkt zu zerstören; endlich, daß der internationale Friebe ebenso wie der soziale ein Resultat ist, das nicht ohne Gerechtigkeit bestehen kann, spricht der Kongreß den Burj aus, daß die Erziehung zum Frieden nicht verstanden toerden foll als neues Unterrichtskapitel, sondern als Einführung eines neuen Geistes in der Erziehung, der in alten Lehrgegenständen hervortreten soll, ohne die Idee des Vaterlandes( ais Cweiterung der Idee der Fa­milie) zu verlegen, die ihren rechtmäßigen Platz in der Erziehung

bewahren soll;

daß die Erzieher, Eltern oder Mitglieder des Lehrkörpers sich nicht beschränken, all das veseitigen, das bei Entwicklung De parauf beranten, a job jeten, gel bur Robeit bea günstigen, den friegerischen Geit entwickeln und chauvinistische Ge­finnung schaffen kann, die Feindleft und Haß zwischen den Völkern anstiften;

daß sie nicht versuchen, die Kampfluft des Kindes zu unter­drücken, sondern sich bemühen, fie zu verfeinern, sie für soziale Ziele nützlich zu machen;

daß sie sich vor allem vornehmen, freie und starte Persönlich feiten heranzubilden, die keine Vorurteile haben und, überzeugt von der Einheit der Menschen, auf Sukunft und Fortschritt gerichtet, fähig sind, einen befferen und gerechteren Staat zu verwirklichen. Der Kongreß wünscht, daß die Kinder in dem Bewußtsein er zogen werden, daß Raffen- und Konfeffionsunterschiede niemals Haß und Verfolgungen irgendwelder Art anftiften dürfen.

Der Kongreß bittet inständig alle Unterrichtenden in allen Län­dern, einen menschlichen und briderlichen Geschichtsunterricht zu er teilen, der von der engen Gemeinschaft der Völker durchdrungen ist. Er wünscht, daß die Schulbücher, die in diesem neuen Geist verfaßt find, ohne Verzögerung den Lehrern zur Berfügung gestellt werden.

stport" ple Die Rechte des Kindes.

Der Genfer Kongreß nahm als Grundlage feiner Arbeit fol gende Deklaration an, in der die Pflichten der Menschheit gegenüber dem Kinde, ohne Rücksicht auf Raffe, Nationalität und Bekenntnis, niedergelegt find:

,, 1. Dem Kinde muß die normale förperliche und geistige Ent wicklung ermöglicht werden.

2. Das Kind, das hungert, muk gespeist, das franke Kind muß gepflegt, das zurückgebliebene gefördert, das verirrte auf den rech­ten Weg geführt, das verwaiste und verlassene aufgenommen und versorgt werden.

3. Dent Kinde muß in Zeiten der Not zunächst geholfen werden. 4. Das Kind muß zur Selbſterhaltung befähigt und vor jeder Ausbeutung geschützt werden.

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5. Das Kind muß in dem Bewußtsein erzogen werden, daß es feinen Mitmenschen nach bestem Wissen und Gewissen zu dienen habe."

Organisierte Mütterlichkeit.

Das schlimmste Uebel, an dem die Welt frankt, ist nicht die macht der Bösen, sondern die Schwäche der Besten, so flagte Romain Rolland während des Krieges. Wem gelte der Vor­wurf mehr als den Frauen.

Ich will nicht von jenen armen Frauen sprechen, die sich vor­täuschten, glücklich zu sein, daß alle ihre Söhne auf dem Schlacht feld geblieben seien, auch nicht von jenen, deren perverser Ehrgeiz fie in die Schüßengräben trieb. Ich will von jenen reden, deren Mütterlichkeit auch während des Krieges nicht starb.

Sie nahmen Abschied von ihren Männern und Söhnen, die nicht nur ihre Ernährer, sondern oft ihres Lebens ganzer Inhalt gewesen waren. Sie ließen sich in die Munitionsfabriken schicken und arbeiteten viele Stunden des Tages für den Krieg, während ihr Herz nach dem Frieden schrie, und sie empörten sich nicht. Mart nahm ihnen ihre unmündigen Kinder in Fürsorge, um das allge meine Gewiffen zu beschwichtigen, wenn man ihre Kraft bis zur Er schöpfung verbrauchte, und sie empörten fich nicht. Das fchlimmste llebel ist die Schwäche der Besten!"

Wie es auch sei, wir Frauen haben fein Recht, uns schuldfrei zu sprechen. Aber Fehler sind da, um daraus zu lernen. In einer Zeit, da friedloser Friede die Welt beschwert, da die wirtschaftliche Not und die kulturelle Armseligkeit alle tieferen und feineren Regungen der Menschlichkeit zu ersticken drohen, laßt uns die Mütterlichkeit organisieren.

Auf der internationalen Frauentagung im Haag im Sommer 1922 hat eine Französin das notwendige Wort gesprochen, daß der Friede zwar Hinimelstochter genannt werde, fich jedoch nicht auf Wolfen erbaue, und daß es eine gefährliche Illusion sei. zu glauben, daß er feiner fefieren Grundlage als unserer gutent Herzen bedürfe.

Die Macht des Proletariats hängt ab von ber Stärfe feiner nationalen und internationalen Organisation. Sie fräftigen, heißt für die Frauen die unver fiegbare Fülle ihrer Mütterlichkeit aus der unfruchtbaren Bassivität herauszuheben und zur aufbauenden Weltmacht zu gestalten.

Loni Pfülk