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�Verführung" und Strafrecht. Von Jjenni Lehmann. Wenn wir davon sprechen, daß ein Mädchenverführt" wird, so verstehen wir im allgemeinen darunter, daß ein Mann ein Mädchen, das bis dahin noch nicht Geschlechtsverkehr hatte, dazu veranlaßt, diesen mit ihm zu vollziehen. Darüber hinaus hat das Wortverführen", allgemein angewendet, die Bedeutung der Ver­leitung zum Unrecht. Und diese Empfindung haben wir auch, wenn wir im obigen Sinne von Verführung eines Mädchens reden, sei es, daß wir das Unrecht in dem Verstoß gegen die Sitte oder gegen das Mädchen selbst im Auge haben. Das Mädchen erscheint uns dabei als die Schwache, die dem andern zu eigenem Schaden nachgegeben hat. Unsere Strafgesetz- gebung hat es an verschiedenen Stellen als Pflicht angesehen, Ver- keitungen anderer zu unrechten Handlungen unter Strafe zu stellen, besonders, wenn diese anderen au» irgendeinem Grunde nicht recht widerstandsfähig waren, etwa Infolge einer geistigen Krankheit oder aus anderen Gründen. Der Verführung zum außerehelichen Ge- schlechtsvertehr Hot darüber hinaus das geltende Recht nur in sehr beschränktem Maße einen Schutz der jungen Mädchen durch Strasbestimmungen gegenübergestellt. Es bedroht den Verführer mit Strafe, wenn das betreffende Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren alt ist und, wie das Gesetz es nennt,unbescholten". Wer mit Kindern unter 14 Jahren den Beischlaf vollzieht, ist unbedingt strafbar. Unter unbescholten wird dann bei der Fällung des Urteils meist verstanden, daß nicht vorher schon irgend jemand mit dem Mädchen den Beischlaf vollzogen hat. Wenn also ein vierzehnjähriges Mäd- chcn in seiner Dummheit sich von irgend jemand hat mißbrauchen t. lassen gerade ältere- Männer suchen manchmal mit Vorliebe diese ganz jungen Mädchen auf dann kann später jeder andere unge- straft das gleiche tun, wenn er das Mädchen durch Geschenke, durch Versprechungen oder sonstwie stch gefügig macht. Das ist solch einem halben Kinde gegenüber oft nicht schwer. Deshalb hat man von Frauenseite immer wieder verlangt, daß die Altersgrenze für den Schutz der Mädchen anders angesetzt wird, indem der Bei- schlaf mit Mädchen unter 16 Jahren unbedingt unter Strafe gestellt wird. Das würde ganz folgerichtig in Uebereinstimmung damit sein, daß Mädchen auch nicht vor dem vollendeten 16. Jahre heiraten dürfen. Wenn mit ihnen der eheliche Beischlaf nicht vollzogen werden darf, so dürste es noch viel weniger der außereheliche. Und entsprechend der Heraufsetzung des dann absolut geschützten Alters müßte das Alter, in dem eineVerführung" strafbar ist, von 16 auf 18 Jahr« erhöht werden. Auch das ist eine alte Frauenforde­rung. und auch sie ergibt sich eigentlich selbstverständlich aus den geltenden Rechtsbestimmungen anderer Art. So betrachtet das Strafgesetz Jugendliche unter 18 Jahren nicht als voll verantwortlich, sie unterstehen den besonderen Bestimmungen des Jugendgerichts- gesetzes, die mehr Erziehung als Etrase im Auge haben. Wenn aber diese jungen Menschen eben noch nicht voll verantwortlich sind wie andere, ältere, dann müssen sie doch allgemein als weniger widerstandsfähig angesehen werden. Wir haben gegenwätig einen neuen Entwurf zum Strafgesetz, der in wesentlichen Grundgedanken zurückgeht auf den Entwurf des Genossen R a d b r u ch vom Jahre 1928. Aber es ist da manches hineingebracht worden, das durchaus noch der Verbesserung bedarf. Dazu gehören die erwähnten Bestimmungen über das zu schützende Alter der Mädchen. Der neueste Entwurf von 1926 hält leider an den jetzt geltenden Altersgrenzen, unbedingte Strafbarkeit bei Ver- kehr mit weniger als vierzehnjährigen, bedingte bei Verführung von 14- bis 16jährigen, fest. Er hat nur eine einzig« Verbesserung ge- bracht, indem er Verführung auch dann annimmt, wenn das Mädchen nicht im früheren Sinne unbescholten ist, also etwa schon einmal Geschlechtsverkehr gehabt hat. Aber er setzt doch immer voraus, daß das Mädchenverführt" wurde. Der neue Entwurf gibt in einer ausführlichen Begründung an, daß die Mädchen nicht über 16 Jahre hinaus vor dem auherehe- llchen Beischlaf geschützt zu werden brauchen, da sie dann auch heiraten dürfen. Dabei ist übersehen, daß sie zur Heirat durchaus Nicht srei sind, sondern der Zustimmung der Eltern oder Vormünder bedürfen. Da ist e» nicht logisch, ihnen den außerehelichen Verkehr ganz srei zu geben. Di« Frauen des Proletariats sollten sich um diese Frage kümmern lind ihre Kraft einsetzen, um eine Aenderung der Bestimmungen herbeizuführen. E» sind fast ausschließlich Mädchen aus proleta- tischen Kreisen, die so gefährdet sind. Erwerbsarbeit und Schwangerschaft. Unter diesem Titel hat der Deutsche Textilarbciterverband vor kurzem reichhaltiges Material über die Lage der schwangeren Ar- bciterinnen in der deutschen Textilindustrie herausgegeben.*) Die umfassende Arbeit, die hier geleistet worden ist, verdient das In- teresse aller Proletarierinnen. Seit 1922 hat der Verband sich ein- gehend mit dieser Frage beschäftigt und seitdem ständig die Oessent- lichkeit alarmiert. In Preußen hat diese Arbeit bekanntlich bereits *) Textil-Praxis, Verlagsgesellschaft. Berlin . zu gewissen Erfolgen geführt Weit über die Kreis« der Ar- beiterschaft hinaus wird der Versuch gemacht, diese furchtbare Geißel des kapitalistischen Systems zu bekämpfen. Die Berliner Medizinische Gesellschaft hat die Forderungen des Textilarbeiter» Verbandes übernommen und sich mit einer Eingabe an den Reichs» tag gewandt; ein großer Aerzrekongreß in Wien hat entsprechenden Leitsätzen zugestimmt. In fast allen deutschen Landesparlamenten stehen diese Forderungen zur Diskussion und in der Tat ist das Material, das hier zusamniengetragen ist, geradezu erschütternd. Das kleine Buch enthält eine große Anzahl von Bildern, die die schwangeren Frauen bei der Arbeit darstellen. Schon der Laie erkennt aus ihnen sofort, welch große Beschwerden die einzelnen Handgriffe den Arbeiterinnen verursachen müssen. Aerztliche Gut- achten haben festgestellt, daß das Strecken und Drücken des Leibes an der Maschine, das stundenlange Stehen, das Hin- und Herlaufen von einem Ende des Webstuhles zum änderen, das rasche Drehen von Rädern, das schwere Heben von Wolle und Stoffen, das gespannt« Aufpassen die schwersten Gefahren herbeiführen. Sehr häusige Er- scheinungen sind Frühgeburten, Verlagerungen nach der Geburt, Blasenentzünoungen, Nierenleiden, nervös« Ueberreizung infolge zu scharfen Aufpassens und anderes mehr. Diese Methode der Beobachtung der Frauen bei der Arbelt, der ärztlichen Gutachten und der statistischen Erfassung muh am besten dazu geeignet sein, diesen unerträglichen Zuständen ein Ende zu bereiten. Zwei Drittel, der in der deutschen Texilindustrie be- schäftigten Arbeiter gehören dem weiblichen Geschlecht an. 46 Proz. dieser Frauen sind verheiratet. Diese ungeheure Anzahl von Frauen muh also die schlimmsten körperlichen Quaken erleiden, um schließlich kranke Kinder- zur Welt zu bringen. Ein Vergleich mit anderen Etastistiken lehrt, daß die Sterblichkeitszifser bei den kinderreichsten Frauen mit niedrigstem Einkommen am größten, bei den begüterten Frauen mit niedriger Kinderzahl am kleinsten Ist. Diese Zahlen allein zeigen schon die ungeheuer ungerechte Lastenverteilung; das vom Textilarbeiterverband vorgelegte Material muh uns von neuem dazu anfeuern, nicht eher zu ruhen, bis überall im Lande der schwangeren Arbeiterin menschenwürdige Arbeitsbedingungen In den ersten Monaten der Schwangerschaft und hinreichender Schutz in den letzten Monaten vor und den ersten Monaten nach der Geburt gesichert sind. Die Sozialdemokratie führt seit Jahren diesen Kampf; angesichts des unendlichen Frauenleids, das sich hinter den trockenen Berichten dieser Broscyüre verbirgt, muh sie auf die tätige Unterstützung aller Frauen rechnen. Dora Fabian .. llebenstameradin. Die Familie ist der kleinste, aber Innigste der Gemeinschafts- kreise, aus denen das Zusammenleben besteht. Sie ist die letzte Zslle aus der das große Ganze seine Lebenskrast nimmt. Doch wie be- handelt der Kapitalismus die Familie? Wie nimmt er ihr nicht nur auf überlange Arbeitsstunden den Mann und Vater, sondern in ungezählten Fällen auch die Mutter, ohne deren Sorgen daheim Familie nicht möglich ist. Wie läßt der Kapitalis- mus die Familie in engen Wohnungen hausen ohne Luft und Licht und ohne Freude. Wie enthält er der proletarischen Familie die Wohnkultur vor, die Kunst daheim, die Schönheit, weil der Lohn meist kaum für die dürftigste Ernährung reicht. Da kann wahrhaftig Familie im tiefsten und edelsten Sinne nicht sein, und recht niedrig muh doch der über Familie denken, der diesen traurigen Einfluß des Kapitalismus auf die Familie nicht sieht und der Sozialdemokratie mit ihrem Ausgabengedanken noch Zerstörung der Familie vorwirft. Und doch kann die proletarische Familie einen hohen Kultur- wert in sich bergen, trotz alledem I Und wenn die Sorge auch manche Stunde der Verbitterung bereitet und wenn es auch tausendmal am nötigsten für die Kultur der Familie fehlt: gerade deshalb müßte die proletarische Familie stets eins sein: Kampfesgemein- s ch a f t. Mann und Frau müssen sein Kampfgenossen, gerade weil sie immer und immer wieder in ihrer Familie fühlen, wie ungerecht das Leben ist, weil es Klassen hat, von denen die eine hat und die andere darbt. Aber gehen hier Mann und Frau immer gleichen Schritt? Ist dl« proletarische Frau immer die L e b e n s k a m e r a d i m. die Schulter an Schulter mit dem Manne kämpft? Der Sozialismus soll der Frau wie der Familie die Befreiung bringen, aber gerade die Frau ist nur zu oft die schlimmste Gegnerin des Sozialismus, weil sie dem Kampfe der Arbeiterklasse gleichgültig, teilnahmlos gegenübersteht und so oft die proletarische Bewegung durch ihr Verhalten geradezu hemmt. Wie manchmal ist es die Frau, die vom Bezüge des Ar- betterblattev abhältl Wie manchmal ist es die Frau, die der Zahlung der Partei- und Gewerkschastsbei träge im Wege steht! Erst wenn die Frau Kampfgenossin des Mannes geworden, Ist der wirkliche Keim zur Kultur der Familie gelegt. Dann ent- hält die proletarische Familie eine Harmonie der Interessen, die bindet und eint. Dann wird auch die Familie zur vollen Trägerin des großen gesellschaftlichen Kampfes, aus dem allein die Befreiung der Familie werden kann. D. G. H.