Frauenstimme
Nr.22+ 42.Jahrgang
Beilage zum Vorwärts
1. November 1925
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Das Proletariat und seine Erziehungsaufgabe.
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Der Sozialismus wandte sich zuerst an die Erwachse nen. Zu dem Arbeiter sprach er, der in der Fabrit feine Arbeitskraft für geringen Lohn verkaufte; zu der Heimarbeiterin, die Tag und Nacht an der Maschine saß und doch faum genug zum Essen hatte. Er wandte sich an den Land arbeiter, den von vielen Lasten gedrückten Kleinbauern, die beide sahen, daß Korn in Fülle wuchs und daß es trotzdem Hunger gab, bitteren Hunger. Er ging zu dem Bergmann, der Schäße aus der Erde emporwühlte für andere. Er tam zu der Mutter, die ihre Kinder hungern und frieren, zu der Frau, die den Mann unter drückender Last zusammen brechen sah. Die verstanden ihn alle. Auch mancher Arzt verstand ihn, der am Sterbebette eines Kranten stand, den Luft und Sonne, Milch und Brot gerettet hätten; der den Totenschein ausstellen mußte für einen, der die unerträgliche Laft des Lebens von sich geworfen hatte aus Not. Den Sozialismus begriff selbst manch ein Richter, der einen verurteilen sollte, der nach fremdem Brot gegriffen hatte, um eigenen Hunger zu stillen. Und hin und wieder erfaßte auch einer den Sozialismus, der in stiller Stube nachsann darüber, wie alles wohl am besten einzurichten sei in der Welt. Sie alle begriffen ihn- ja- und doch wohl nicht ganz. Denn wenn sie nun daran gingen, das erträumte, erhoffte, ersehnte Idealbild zu verwirklichen, da gab es Schwierigkeiten, un überwindliches in ihnen selbst. Der alte Mensch stellte sich ihrem Zukunftsdrang entgegen. Nicht das, was nach Jahren alt in ihnen war, sondern das, was ihrem Charakter, ihrem ganzen Wesen von der althergebrachten Sitte und Lebensauffassung aufgedrückt war, das kämpfte gegen das Neue, das sie schaffen wollten. Und sie erkannten: wir müssen früher anfangen!
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Da gingen die Erwachsenen zu den Jugendlichen und lehrten sie die neue Lehre. Sie sprachen zu dem jungen Arbeiter in Fabrit und Kontor, auf dem Acer , im Schoß der Erde; zu dem jungen Mädchen an der Maschine, im Bureau, im Haushalt. Und obgleich sie so jung waren, so begriffen fie doch die neue Lehre. Es war ja so wenig daran zu be greifen, zu nah lag's, jeder hatte es erlebt, was dort verkündet wurde: anders muß es werden, besser! Da gingen die Jungen und brachten aller Jugend die neue Lehre. Auf Spiel- und Sportplätzen, in Wald und Feld, in Fabrit und Kontor sprach man von neuem Staat, von neuem Recht, von neuem Leben. Jugend ist ungestüm, Jugend will nicht warten. Die Jungen wollten daher nicht warten auf die neue Zeit, sie wollten gleich beginnen, sie zu leben. Und sie begannen. Und wieder war eine Grenze da, über die sie nicht hinaustonnten. Das eigene Ich stellte sich ihnen entgegen, und sie erkannten: noch früher anfangen!
Da gingen die Erwachsenen und die Jugendlichen zu den Kindern. Auch die Kinder kannten Hunger und Sorge, verlangten nach Wärme, Licht und Freude. Sie begriffen, als man in einfachen Worten davon erzählte, die neue Lehre. Aber nicht auf das Reden, auf das verstandesmäßige Erfassen tam es hier an, sondern auf die gefühlsmäßige Verwurzelung: durch das Leben. Und sie begannen, mit den Kindern in neuen Formen zu leben, ein Stück Zukunft zu verwirklichen. Es gelang zu einem Teil. Aber auch in diesen Jungen Bilänzchen war schon viel Altes rege. Neid, Habgler, Haß, Selbstsucht strebten mächtig empor und waren grimmige Gegner der neuen Lebenslehre. Und wieder stand
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man vor der Grenze und fragte: was nun? Auch hier noch nicht früh genug angefangen?
Und da sahen sich Bursch und Mädchen, die Mann und Frau werden wollten, an und sagten: wir müssen neue Menschen schaffen, ganz andere, als sie heute sind. Gleich wird's nicht gelingen, aber allmählich gelingt's doch. Fangen wir an! Das Stückchen, das wir uns vorwärts gebracht haben, tommt auch unseren Kindern zugute, es erleichtert ihnen den Kampf mit dem Alten. Schaffen wir gesunde und fräftige Kinder, so werden auch sie wieder gesunde und träftige Kinder haben. Schaffen wir fluge und sittlich starke Persön lichkeiten, so werden ihre Kinder es in noch größerem Maße sein. Bereiten wir in unseren Kindern einen Boden vor, in dem das Samentorn des sozialistischen Gedankens leichter aufteimen tann als in dem steinigen, harten Boden, dem wir vergleichbar sind dann wird das zarte Pflänzchen schnell aufwachsen zu einem Baum, der die Erde überschattet.
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Eugenit heißt die Wissenschaft, die uns hier neue Wege weifen will. Wie sollen wir's übersehen? Die Lehre von der Schaffung eines neuen, schönen, im weitesten Sinne schönen Geschlechts. Möge das Proletariat ihr nahe tommen, hier quillt Neues empor, das uns bereichern tann!
Erna Maraun.
Gab es vor dem Kriege für die Arbeiterklasse nur zwei Probleme, das wirtschaftliche und politische, so haben sich seither neue dazu gesellt; besonders eines, mit dem sich die Arbeitertlaffe infolge ihrer anwachsenden Machtstellung auseinanderzusetzen hat, das ist das Verhalten des einzelnen zur Arbeitsgemein schaft. Dabei stehen vor allem zwei Formen des prattischen Lebens im Vordergrund, der Betrieb und die Schule, so daß die sozialistische Arbeit seit dem Umftura um zwei neue Aufgabengebiete erweitert wurde, die Betriebsdemokratie und bie Schulreform. Die theoretische Grundlegung für beides ist die Individualpsychologie Alfred Adlers , die, aufs allerkürzeste zusammengefaßt, folgende Lehrfäße und Erfahrungs prinzipien enthält:
Das fleine Kind, das in vollkommener Hilflosigkeit in einer weit überlegenen Umgebung aufwächst, empfindet seine Machtlosigfeit gegenüber dem machtvollen Großen sehr bald und zu seinem Unbehagen. Es wünscht diese Position zu verbessern, und da es teine tatsächliche Ueberlegenheit gewinnen fann, tut es das durch Schreien, Bettnässen und andere Dinge, durch die es die Erwachsenen wingt, fich mit ihm zu beschäftigen und sie so feine Macht fühlen läßt. Damit beginnt seine Erfahrung auf dem Gebiete des Macht strebens. Diese findlichen Eindrüde werden entscheidend für seine spätere Entwicklung; es behält die Wertbemeffung flein - groß für alle Dinge bei und schafft sich so sein Lebensziel, das Ziel des Geltenwollens, das Streben nach persönlicher Ueberlegenheit. Dieses Streben steht im Kampf mit einem dem Menschen angeborenen Ge fühl, bem Gemeinschaftsgefühl, und darauf baut sich die ganze seelische Struktur des Menschen auf. Die bürgerliche Ideologie hat die Einstellung der persönlichen Machtgewin eingestellt, ihre Erfolge mur dort gesucht, unter bewußter Unter nung ganz und gar übernommen, ihre Erziehungsmethoden darauf drückung des Gemeinschafts gefühls. Der Krieg ist das grandioseste und erschreckendste Beispiel dieser Lebensrichtung: Adler definiert ihn als die furchtbarste Massenneurose, zu der sich unsere neurotisch- frante Kultur, zerfressen von ihrem Machtstreben und ihrer Prestigepolitit, entschlossen hat", als das„ bämonische Wert ber