Erlebnisse im Kinöergarten. Von Erna Maraun. 1. Die Kinder. Was sie reden, ist entzückend. Nie stehen diese Plapper- mitulchen still. „Ssch bin der fludi", stellt sich einer vor.„Weischl du nisch, wo mein Buda isch?� „Tante, zieh den Faden hier durchl"„Co, nun ist er durch." „Roch durchcr, Tanie!" „Wieviel Beine hat denn ein Hund, Herbert?"„Zwei Beine, Tante, und nochmal zwei Beine." „Weißt du, Heini, was wir vom Schaf kriegen?" „Das Schabefleisch.' „Hast du auch ein Kind, Tante?"„Nein, Werner." „Dann muht du dir eins anjchaffen." „Nicht wahr, Tante, die Deutschnationalen sind doch keine Kommunisten?" So allerliebst reden sie. Aber was sie tun, ist böse, böse! Sie tun immer gerade das, was du nicht willst. Sie meinen, der Tisch sei da, zu da, um mit den Beinchen darauf herumzustampfe» und dann herunterzuspringen oder als Doppeldecker hinunterzusliegen. Sie bilden sich ein, die Bänke seien deshalb hingestellt, um sich davon Rutschbahnen bauen zu können. Sie glauben, die Wasserleitung sei eigens für sie ge- schassen, um ein Planschsest zu veranstalten. Sie nehmen an, die Fenster seien darum gemacht, daß man hinausklettern könne. Den Teller mit dem Mittagessen kann nia» so herrlich al» Kanrsiell herumdrehen, in das Frühstücksbrot kann man ein Stäbchen als Fahne hineinstecken und in der Absallkist« kann man Boot fahren. Herrliche Sachen kann man machen, aber die bösen Großen erlauben es nicht. Immer wollen sie anders als die Kleinen und ein erbitterter Kampf beginnt. Ein Kamps, ncrvenzerstörend und innerlich aufreibend für den Erzieher, der sich nicht ohne weiteres als den gottgewollten Herrscher über das kleine Volk betrachtet, sondern sich bemüht, seine Eigenart zu begreifen, ihm sein Recht zu lassen, soweit es möglich ist, und langsam und schmerzlos eine An» alcichung kindlichen Wollens an reiseren Willen zu schaffen. Ver- stondcsmäßige Beeiustusiung ist bei Drei» bis Füiisjährigen ziemlich ausgeschlossen. Jede Diskussion über Zweckmäßigkeit und Not- wendigkeit bleibt fruchtlos, denn sie endet mit der Bemerkung des Kindes:„Ich will aber doch!" Ablenkung und Gewöhnung ist hier alles. Man zeigt in dem Augenblick, wo wieder etwas recht tlnliebsames geschehen soll, den Ball hierzu in der Berechnung, daß sich das Kleine nun darauf stürzen wird und von dem geplanten Vorhaben abläßt— und dann darf es so lange damit spielen, bis es entdeckt, daß man wunderschön mit dem Ball nach der Lampe zielr» kann. Dann müssen wir ihm, um die nächste Katastrophe zu verhüten, wieder einreden, daß der Ball gar nicht schön sei und daß man viel seiner mit den Bausteinen spielen könne. Ader nicht nur gegen den Erwachsenen richtet sich die Feind- schast. Zwischen den Kindern selbst tobt ein heftiger Kamps. Man glaubt, ein Miniaturbild des Klassenstaates mit seinen heutigen Kampfmechoden vor sich zu haben, wenn man diese durcheinander wirbelnde Masse sieht. Da sind 5 Schippen und 25 Menschenkinder, die sich voll entsachter Begierde daraus stürzen. Mit Stoßen und Schimpfen und Schreien kämpft jedes um das ersehnte Ziel. Derjenige, bei bem Stärke plus Rücksichtslosigkeit die größte Summe ergeben, ist Sieger. Schaudernd steht man vor dem Maß an Roheit, Wildheit» Egoismus, das da sichtbar wird. Atavismus!�) Vielleicht müssen wir, ähnlich dem physischen Entwicklungsgang des Embryos, auch die geistigen Entwicklungsphasen der Menschheit noch einmal in den Kinderiahren durchmachen. Das Faustrecht regiert bei den Kleinen— von einem Locarno find fie noch weit entfernt! Di« erste Bewegung bei jedem erhaltenen Stoß, bei jedem Unlustyefühl — ob absichtlich oder unbeabsichtigt zugefügt, bleibt gleichgültig—, die erste Reaktion ist die angreifende Handbewegung: ich schlag«. lind diese Absicht wird auch meist ausgeführt, durch irgendein Instrument verstärkt, sei e» ein Stein, eine Handvoll Sand, eine Schippe, ein Stock oder was sonst zur Hand ist. Diskussion ist auch hier unmöglich. Ablenkung und Gewöhnung an friedliches Spiel sind die einzigen Wege, die etwas schneller aus diesem Urwaldstadium menschlichen Kampfes hinausführen. 2. Die Eltern. Es sind olles Proletarierkinder, alles proletarische Eltern. Doch wieviele sind sich defien bewußt? Da kommt«ine Mutter und erzählt ganz naiv:„Sonntag hat er Fieber gehabt, der Fritz, und wollte durchaus nicht aufstehen. Aber ich habe ihm gut zugeredet.„Steh aus. Fritzchen," habe ich gesaat,„du weißt doch, wenn man dich nicht beim Kindergottes- dienst sieht, dann kriegst du nichts zur Wcihnachtsbescherung". Und dann ist er auch brav aufgestanden und ist gegangen. Aber nachher hat er sich gleich wieber hingelegt. Armes Fritzchen, arme Fraul Nicht das ist das Traurigste, daß eine Proletarierin ihr fünfjähriges Kind zum Kindergottesdienst schickt, sondern das ist das Traurige, daß st« es tut. um ein paar armselige Sachen zu Weihnachten zu bekommen. Wie muß es in einer Familie aussehen, in der solche Bettlermoral»ntstehtl Der Kapitalismus nimmt uns nicht nur unser Brot, er nimmt uns auch unsern Stolz, aufrecht um Brot zu kämpfen. Und da» ist mehr. t 1 Rückschlag In Ahnencharakter. Man kernt nicht sobald alle Cliern kennen. Meist erscheint nur ein Ellcrniell, der sich hastig verabschiedet, um zur Arbelt zu eilen oder müde nach vollbrachtem Tagewerk schnell wieder seiner Woh- nung zustrebt. Und doch kann man sich bald ein Bild von den meisten machen— nach der Frühstückstasche. Da ist die kleine Marga, die stets wie aus dein Ei gepellt ist. So ordentlich, wie da» Zöpfchen geflochten und da» Haar glatt gestrichen ist, so nett ist da» einfache Kleidchen, das saubere Schurzcken. Und so ist auch ihr Frühstückstäschchen mit den in sauberes Papier eingewickelten akkurot geschnittenen Stüllchen. Aber da sind andere, bei denen man sich ekelt, das Frühstück anzufassen, so schmierig ist das Papier, so un- appetitlich die ganze Tascye. Und es ist nicht immer das ärmlichste Frühstück, das in solchem Täschchen liegt. Da gibt es Eltern, denen man es nicht klarmachen kann, daß Brot den Kindern zuträglicher ist als Kuchen, daß e» unsozial ist, in dieser kleinen Gemeinschaft dem eigenen Kinde die Möglichkeit zu gebe», mit seinem Kuchen zu prahlen, während ein anderes nur Schmalzbrot hat. Es gibt auch «lnige, bei denen reicht es nur zum trockenen Brötchen. Tag für Tag spricht Lottis Frühstück dieselbe Sprache, die ihr armseliges Kleidchen und ihre zerrissenen Etieselchen sprechen. Bei manchem langt es nicht einmal zu einer Lederstullentasche. Eine Mutter hat ihren Kindern aus Stoff eigene Täschchen genäht, andere begnügen sich mit einer Tüte, einem weißen Stuck Papier, einem Zeitungs- blatt. Psychologie und Soziologie der Frühstiickstasche! 3. Das Milieu. Ich glaubte die Großstadt zu kennen. Und doch ist es mir, als kenne ich sie erst recht, seit ich bei diesen Kindern bin. Armseliges Proletarierviertel, ohne Baum, ohne Sand, ohne Spielplatz, ohne Luft, ohne Sonne, ohne Schönheit, wie soll denn etwas anderes auf deinem steinigen Boden wachsen als diese verkümmerten Pslänz- che», die mit dem Mut der Aerzweislung, mit dem Egoismus der Enterbten rückstchtslo» darum kämpfen, ihren Hunger nach Freude zu befriedigen! Immer sehe ich Käte Kollwitz' Bild von den Pro- letarierkindern mit dem Schild im Hintergrund„Das Spielen aus den Häsen und Treppen ist verboten. In solchen Hösen leben sie, auf diesen Treppen werden sie groß. Wenn ich abends die Kinder noch Hause bringe, die von den Eltern nicht abgeholt worden sind, erschauere ich vor diesen Höfen, diesen Häusern, und dann ksingt mir ein Wort Rilkes im Ohr, ein Wort leidenschaftlichster Anklage gegen die Großstädte:„Die großen Städte sind nicht wahr, fie täuschen den Tag. die Nacht, die Tiere und das Kind." Und dann kann man einen Augenblick daran verzweifeln, daß se auf dieser Grundlage etwas Großes, Reines erwachsen soll, daß der Geist sich gegen diese Materie behaupten könne. Man möchte fliehen vor diesen Unge- heuern, die innen so freudlos wie sie von außen eintönig und schmutzig sind. Fliehen und wenigstens die Kinder mitnehmen zu Sonne und Schönheit. Und dann begreifst du alles, was da an Häßlichem in den kleinen Menschen tobt: jedes gemein« Wort, dos tagsüber dein Ohr verletzt hat, jede Roheit, vor der du fassungslos standest; jenes Tiersein im Menschen, das sich so trotzig ausreckt gegen jeden, der es bekämpfen will— olles verstehst du und neigst dich, von einem Quell der Sehnsucht und Liebe überflutet, wieder zu den Kleinen, um ihnen zu Helsen , all die» zu überwinden. Ms öer Montessori - Praxis. Bon Softe Lazarsfeld-Wien. Für die Ausbildung der Muskeln gibt es zahlreich« zw«ck> mäßig ersonnen« Spiele, wie etwa einen frei herabhängenden Ball, die Kinder sitzen im Kreis herum und senden durch Schläge aus den Ball ihn lusttg einander zu. Dabei üben sie Arme und Wirbelsäule. Oder es wird ein Kreidestrich aus den Boden gezogen und die Kinder versucken nun, gerade, ohne Abweichung nach links oder rechts. darauf zu gehen. Das unterhält sie. und sie merken gar nicht, daß es eine Turnübung Ist und daß sie dabei lernen. Diese Beispiele ließen sich viel weiter ausführen, als der Raum hier gestattet.') Wir wenden uns nun der anderen Gruppe zu, den Spielen zur Eni- Wicklung der Sinne. Wir können oft beobachten, baß einzelne Kinder trotz bestem Willen und starkem Bemühen einer Aufgabe nicht gerecht werden. obwohl sie so gestellt ist, daß sie den Möglichkeiten diese» Kindes durchaus entspricht. Zum Beispiel das Kind soll«ine Decke ganz gerade auslegen, was sicher sehr leicht ist. Und doch geht es nicht, die Deck« hängt Immer schief. Wir merken, daß der Gesichtssinn des Kindes nicht ausgebildet Ist. Durch entsprechende Spielübungen, wi« z. B. das Hervorsuchen des größten, kleinsten, dicksten unter ver- schiedenen Holzstückchen, das Aneinanderreihen von verschiedenen Farben, das abgestufte Auffädeln ungleich großer Perlen und ähn- lichcs gewinnt das Auge Sicherheit- im Abschätzen von Dimension und Raumverteilung, ein solcherart geschuttes Auge wird später im Leben viel Schönheit sehen, die dem Minderbegabten verborgen bleibt. Solche Spiele gibt es nun für jeden.(Frau Dr. Montessori mchen.) Sinn und oberster Grundsatz bei deren Ausübung bleibt Immer die Selbständigkeit des Kindes; es lernt dadurch sich allein zurechtfinden: nur ein Mensch, der gelernt hat, der eigenen Leistung zu oertrauen, kann auch Vertrauen zu den Leistungen ') Wer sich dafür interessiert, sei auf das ausgezeichnete Buch von Dr. Maria Montessort aufmerksam gemacht:„Selbsttätige Erziehung im frühen Kinvesalter", Verlag Julius Hofmann , Etutt- gart.
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten