Braris", Nr. 33, 1925, mitteilt. Im Regierungsbezirk Wiesbaden waren am 1. Januar 1920 811 Hebammen tätig, am 1. Januar 1925, nach Durchführung des preußischen Hebammengesetzes, nur noch 569 Hebammen.(!) Während früher In den Landkreisen auf 1,3 Gemeinden eine Hebamme tam, tommt heute auf 1,9 Gemeinden eine Hebamme. Der Gesetzgeber wollte eine bessere Versorgung der Mütter auf dem Lande. Das Gegenteil ist zu verzeichnen. Das Oberverwaltungsgericht hat wohl vor furzem entschieden, daß die Vorschriften des preußischen Gesezes über die Niederlassungsgenehmigung unzulässig find, doch wo Hebammen einmal abgebaut worden sind, bleibt es dabei.
In Bayern wird die Zulassung neuer Hebammen vom Bedürfnis abhängig gemacht. Die Ausbildungszeit ist verlängert worden. In dem badischen Entwurf hat man außerdem eine besondere Altersversicherung vorgesehen, ohne Staatszuschuß und daher recht kostspielig und für die Hebammen taum tragbar.
Der Ruf nach einem Reichshebammengeset ist daher unbedingt zu beachten. Das Reich muß ein Gefeß schaffen, das eine beffere und gleichartige Ausbildung der Hebammen bringt. Außerdem muffen soviel Hebammen zugelassen werden, daß die Mütter gut versorgt sind. Die neu ausgebildete Hebamme darf nur dann das Prüfungszeugnis erhalten, wenn sie sich verpflichtet, sich dort niederzulassen, wo Mangel an Hebammen ist Das Gesetz muß eine Kranken- und Altersversorgung der Hebammen schaffen im Rahmen der Sozialversicherung. Durch die Aenderungen des zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung ist ja die unentgeltliche Geburtshilfe für Versicherte und die Angehörigen der Versicherten erreicht. Die Hebamme darf in Zukunft von diefen Wöchnerinen teine Bezahlung verlangen. Sie darf sich auch die für die Entbindung notwendigen Arznei- und Heilmittel nicht von der Wöchnerin bezahlen lassen, da die Kaffe das zu liefern hat. Die von den Krankenkassen an die Heb ammen zu zahlenden Gebühren müßten in angemessenen Grenzen bleiben, denn jede Mehrausgabe der Krankenkassen bringt eine Erhöhung der Soziallasten für die Allgemeinheit. Preußen setzt 36 M., Baden 30 M., Thüringen 30 M., Hessen 35 M. Gebühren für eine normale Geburt feft. Also auch hier wieder keine einheitliche Regelung. Auch darin muß das Reichshebammengesetz einen Wandel schaffen und ferner Möglichkeiten offen lassen, wonach die Gemeinde Hebammen anstellen und zur Deckung ihrer Kosten die von den Kaffen zu zahlenden Gebühren heranziehen kann. Die Anstellung muß aber dann nach den Besoldungsvorschriften für Säuglingsfürsorgerinnen erfolgen.
Die Hebamme ist ihrer Tätigkeit nach eine Persönlichkeit von der allergrößten Bedeutung für den gesamten Staat: nicht zuletzt auf fie fommt es an, ob Mutter und Kind am Leben bleiben. Im Intereffe einer gefunden Bevölkerungspolitik liegt also die baldige Durchführung dieser Forderungen in einem Reichshebammengesetz. Lina Ege, M. d. L.
Wohlfahrtspflege einst und jetzt.
"
Die sozialpolitischen Gefehe, Schutz der Arbeitskraft, Kranken-, Alters- und Invalidenversicherung sind in ihrem Gesamtergebnis als die Vorstufe einer planmäßigen öffentlichen Wohlfahrtspflege zu bezeichnen. In diesem Sinne ist der Artikel 161 der deutschen Reichsverfassung zu verstehen, der besagt:
Zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähig. feit, zum Schutz der Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfällen des Lebens schafft das Reich ein um faffendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Bersicherten."
Bei dem heutigen Stand der Dinge werden die Aufgaben der Sozialpolitik teilweise von der Wohlfahrtspflege miterfüllt. Das trifft zum Beispiel zu bei der Wochenfürsorge, deren Einführung in erster Linie der Sozialdemokratischen Partei zu danken ist, soweit sie nicht für Wöchnerinnen in Frage tommt, die nicht einer Krankenkasse angehören. Wir haben daher die Wochenfürsorge der Krankenkassen und die Wochenfürsorge der städtischen Behörden. Dasselbe trifft zu für die Schwangerenfürsorge. Die Krankenkassen haben Beratungs- und Fürsorgeftellen für ihre Mitglieder, die städtischen Behörden solche für nichtversicherte werdende Mütter. Schwangeren- und Wochenfürsorge sind in ganz hervor. ragendem Maße vorbeugende Maßnahmen, da sie Mutter und Kind zugleich erfaffen, und zwar in einer Zeit, die für den Lebensaufbau des Kindes besonders wichtig ist.
Die Sozialdemokratie setzt der Wohlfahrtspflege insgesamt das 3iel, Schäden zu verhüten. Das bedeutet in der Praxis die Ermög lichung einer förperlich und geistig gefunden Lebensweise. Soweit das Berufsleben diese hemmt, sind vornehmlich der Sozialpolitik vorbeugende und heilende Aufgaben überwiesen. Zum Teil reichen die vorbeugenden Möglichkeiten der Sozialpolitik bereits über das unmittelbare Berufsleben hinaus, 3. B. die Familienversicherung der Krankenkassen.
Da aber die Sozialpolitit nur Berufstätige, und von diesen auch nur einen Teil erfaßt und diese auch wiederum nur in beschränktem Umfange hauptsächlich in gesundheitsfürsorgerischer Weise, so mußten für die sonstigen kulturellen Anforderungen Er. gänzungen geschaffen werden.
Diesen weitergehenden Anforderungen sollen gerecht werden das Jugendwohlfahrtsgeset und die Verordnung über die Fürsorgepflicht. Beide fönnen uns nicht befriedigen, menn auch zugegeben werden soll, daß gegenüber der Vorkriegszeit Fortschritte erzielt worden sind.
Als wesentlicher Fortschritt ist die Anerkennung des Rechtes auf Wohlfahrtspflege anzusehen. Dieser Grundsatz ist aus der Verfassung sowohl in das Reichswohlfahrtsgesetz als auch in die Fürsorgepflichtverordnung mit übernommen.
Die Fürsorgepflichtverordnung geht in ihrem Ziel weit über die alte Armenpflege hinaus. Sie gewährt nicht nur den notwendigen Lebensunterhalt, sondern darüber hinaus Krankenpflege, den Aufbau einer Eristenz, Berufsbefähigung der hilfsbedürftigen Minderjährigen und vor allem ganz generell die individuelle Behandlung des Einzelfalles. Die Wohnsitzbestimmungen des alten Armenrechts sind fortgefallen. Die Entziehung des Wahlrechts hatten schon in den Novembertagen 1918 die Volksbeauftragten gestrichen.
Es find jedoch starke Bindungen an die Verhältnisse der Vor. friegszeit übernommen worden.
In der Vorkriegszeit war Wohlfahrtspflege das Gebiet der In der Vorkriegszeit bestand eine öffentliche Verpflichtung zur freien Liebestätigkeit". Ihre Träger waren insbesondere die kon Ausübung von Wohlfahrtspflege" nicht. Dieser Zustand entsprach feffionellen Verbände und deren Einrichtungen. Die Gesetzgebung dem Wesen des autokratischen Staates, der sich zu einer Leitung hat die freie Wohlfahrtspflege insoweit mit übernommen, als sie des gesellschaftlichen Lebens nur insoweit berufen fühlte, als er die ihre Förderung durch die öffentliche Wohlfahrtspflege vorsieht, ohne Interessen der kapitalistischen Klaffe fördern konnte. Mit der In- die Träger der öffentlichen Wohlfahrtspflege, die städtischen Be anspruchnahme der Armenfürsorge war die Entäußerung des Behörden, von Rechts wegen zu ermächtigen, auf ihre Gestaltung fürsorgten von seinem wichtigen Staatsbürgerrecht, dem Wahlrecht, maßgebenden Einfluß auszuüben. verbunden. Seine Unfähigkeit, sich seibst zu erhalten, wurde mit Aechtung bestraft.
Dieselben Prinzipien, die für das wirtschaftliche Leben galten, galten auch für das kulturelle Leben. Man ließ das freie Spiel der Kräfte gewähren und opferte dabei dem Kapitalismus Menschen. leben, und vor allem Kinderleben in einem Umfange, der das bethlehemische Kindermorden noch übertroffen hat. Mit Schaudern lefen wir aus dieser Zeit von Kindern im zarten Alter von vier Jahren, die unbegrenzte Stunden in den Fabriken arbeiteten. Endlich gab es eine Grenze. Als der Menschenverschleiß der kapita listischen Frühzeit so start wurde, daß er die Militärtauglichkeit start zu vermindern begann, setzte die Gesetzgebung diesem Wüten die erste Schranke: die gesetzlichen Bestimmungen über Kinderarbeit, die jede Arbeit von Kindern bis zu 12 Jahren verbot und für Kinder über 12 Jahre den Zehnstundentag einführte. Diese ersten Echutz bestimmungen sind aber durchaus nicht gewissenhaft beachtet worden, weil die Aufsicht über die Durchführung fehlte.
Es blieb das einer Zeit vorbehalten, in der die Arbeiterschaft durch die Sozialdemokratische Partei und durch die Gewerkschaften in eigener Sache den Kampf aufnahm
Die Stadt trägt heute fast 90 Proz. der Kosten der freien Wohlfahrtspflege und deckt dabei den Bedarf der Bevölkerung, den sie dieser gesetzlich zu gewähren verpflichtet ist, zu einem erheb lichen Teil aus Quellen, aus denen die Bevölkerung ihren fulturellen Bedarf freiwillig nicht decken würde. Das trifft zu in zahlreichen Fällen, in denen Eltern ihre Kinder in fonfeffionelle Kindergärten und-horte geben, und in denen Menschen auf die Inanspruchnahme tonfessioneller Fürsorgeerziehungsheime, Krankenanstalten, Altersheime angewiesen sind. Der Staat anerkennt also seine Aufgabe, das Kulturleben zu beeinflussen, überträgt aber diese zu einem erheblichen Teil auf bestimmte Gesellschaftskreise, deren Kultur auffaffung dem Geifte der Zeit vor dem neuen Staat, vor der Republi? entsprach.
Die sozialistische Arbeiterbewegung hat auf diesem Gebiet eine große Aufgabe vor sich. In der Arbeiterwohlfahrt hat sie sich ein Organ geschaffen, das die teilweise verschütteten Grundideen einer modernen Wohlfahrtspflege zu neuem Leben zu bringen hat durch eine grundsätzliche Bearbeitung aller einschlägigen Fragen und durch Mitarbeit in der Wohlfahrtspflege selbst.